Hallo,
ich überlege als Quereinsteiger Physik in das berufsschulische Lehramt einzusteigen, und beginne nächste Woche diesbzgl. auch ein nicht allzu langes Praktikum. Ich kenne mich entsprechend im "System Lehrerausbildung" nicht sonderlich gut aus.
In Berlin - wo ich es zunächst versuche - müssen Quereinsteiger im ersten Jahr ihr 2. Staatsexamen nachholen (neben 20 Stunden Unterrichtsverpflichtung - hier ist brechender Stress natürlich vorprogrammiert ) und sind folglich einem Seminar zugeteilt. Nun habe ich etwas im Forum rumgelesen und bin gelinde gesagt verdammt schockiert über die scheinbaren Zustände an den Seminaren. Natürlich kann man argumentieren, dass die Leute die in diesem Forum schreiben selbstselektiert sind und diejenigen ohne jede Probleme nicht aktiv sind - richtig. Dennoch klingen die Zustände für Referendare ja generell grauenhaft. Was läuft hier schief?
Mein Eindruck ist im Augenblick folgender:
1.)
- sehr viele Seminarleiter haben keine Ahnung von der wissenschaftlichen Basis ihrer pädagogischen Theorien, und wurden auch nicht aufgrund ihrer entsprechenden empirisch-wissenschaftlichen Fachkompetenz befördert; respektive es fehlt ihnen die Reflexionsfähigkeit ihr Gebiet objektiv zu evaluieren. Ideologie zählt mehr als Empirie.
- die Bewertungskriterien bei Unterrichtsbesuchen und Lehrproben sind entsprechend schwammig (bei einer Diplomprüfung in Physik dagegen weiß man woran man ist - es gibt einigermaßen objektive Bewertungsmaßstäbe die nur sehr beschränkt im Ermessen der Prüfer liegen und es muss ohnehin alles genau protokolliert werden)
2.)
- hinzu kommt, dass auch unter Seminarleitern die charakterlich-emotionale Reife nicht immer auf hohem Niveau ist (nach welchen Kriterien werden diese dann bitte noch ausgesucht?). Klar, Idioten gibt es überall - auch unter Physikern - aber was man hier zum Teil liest ist ja hanebüchen.
- das führt zu einer Lage, bei der ein Seminarleiter völlig realitätsferne Unterrichtskonzepte fordert und/oder einzelne Seminarteilnehmer aufgrund rein emotionaler Unliebsamkeit schlecht bewertet
3.)
- das resultiert nicht selten in völlig absurden Situationen, bei denen die Kollegen und Schulleiter den Unterricht loben, die Seminarleitung einen aber unter Umständen in Grund und Boden kritisieren
- die Folge sind Duckmäusertum im Seminar und seltsame "Feuerwerksstunden" bei den Lehrproben
Versteht mich nicht falsch, natürlich plädiere ich nicht dafür im Seminar den "Maker" zu geben und den Leuten auf den Schlips zu treten. Ich bin aber eine offene Diskussionskultur gewöhnt und gewähre das auch ziemlich liberal gegenüber meinen Studenten. Es scheint jedoch bei der Lehrerausbildung viele Seminarleiter zu geben, die normal vorgetragene sachliche Rückfragen bzgl. Sinn und Unsinn eines Vorgehens oder Methode - oder einfach empirische Belege - als Majestätsbeleidigung auffassen. Und die leben das auch voll aus !
Ok, man kann Argumentieren, dass es hier gilt die Zähne zusammen zu beißen - um das Stundenpensum zu schaffen aber vor allem auch um keine "falschen" Fragen zu stellen. Dennoch ist das ganze System, falls es so stimmt, ungeheuer frustrierend und absurd. Meine Fragen daher:
1. Es gibt sicher auch sehr viele menschlich gute Seminarleiter (ich nehme an die weitaus meisten). Das Problem der Verblendung bzgl. der Methodik bleibt jedoch ungelöst. Wird man daher generell das Problem haben, dass man nur mit Feuerwerksstunden die Lehrproben übersteht und sachliche Rückfragen ein großes NO-GO sind?
2. Wie verhalte ich mich, falls ich an einen selbstherrlichen oder missgünstigen Serminarleiter gerate? Anbiedern entspricht nicht gerade meinem naturell. Wie bei den meisten.
3. Wie sind denn nun die Durchfallquoten beim 2. Staatsexamen? 10%? Oder unter 5%? Hängt das auch von der Fächerkombination ab?
So langsam könnte das erste Jahr mich verschrecken es mit dem Lehramt zu versuchen, und ich rede hier nicht vorrangig von der zeitlichen Belastung.