Da ich ja schon länger mitlese, habe ich mich heute mal hier angemeldet.
Seit dem laufenden Schuljahr arbeite ich als Förderschullehrerin an einer kooperativen Gesamtschule / Schwerpunktschule (hier werden Förderschüler an einer Regelschule gesammelt). Seit der ersten Unterrichtswoche ist diese Arbeit nur frustrierend. Ach ja ich habe nur L-Schüler und ein K-Kind, dass aber sonst normal mitkommt.
Folgende Situation finde ich vor:
- In der schulformübergreifenden Orientierungsstufe wird schon für die Regelschüler nicht differenziert. Es heißt friss oder stirb. Wer nach zwei Jahren nur 5 und 6 im Zeugnis hat, wird dann in den Hauptschulzweig einsortiert.
- Die Schulleitung baut gerade eine Oberstufe auf und ist damit völlig ausgefüllt und zufrieden. Die Schwerpunktschule wollte der vorherige Schulleiter, die jetzige Schulleitung hat kein Interesse an Schülern mit aller Art von Schwierigkeiten (z.B. auch Legasthenie). Die Außenwirkung einer Oberstufe ist als Gesamtschule in Konkurrenz mit dem örtlichen Gymnasium einfach besser als bei Förderkindern...
- In den Klassen, in denen ich fördern soll, wird ausschließlich frontal gearbeitet. Selten findet Partnerarbeit statt.
- Ich bin mit 8 Stunden (Mathe und Deutsch) in zwei Klassen (davon eine Hauptschulklasse) und mit 4 Stunden (Englisch) in einer anderen Hauptschulklasse. In den Nebenfächern gibt es grundsätzlich keine Förderung. Hier steht auch auf dem Zeugnis, dass der Schüler zielgleich unterrichtet wurde und eben die Note 5 erhält.
- Die Regelschullehrer wissen grundsätzlich alles besser. Sie entscheiden die Themen und auch deren Dauer und deren Umsetzung. Das ist ja auch grundsätzlich ganz richtig so, aber meine Schüler bräuchten oftmals länger und eine andere Schwerpunktsetzung.
- Ich darf die Schüler nicht bzw. nur unter großem Protest in Kleingruppen außerhalb des Klassenraumes fördern. Dabei spielt es keine Rolle, was ich als Sonderschullehrer in dem Moment für angebracht halte.
- L-Schüler haben an der Förderschule in der Regel mehr Deutsch- und Mathematikunterricht. Diesen gibt es bei uns nicht. Daher reicht die Zeit nicht mal ansatzweise aus, um an ihren Schwierigkeiten zu arbeiten. An Themen wie Rechtschreibung, Satzbau, Kopfrechenfähigkeiten u.ä. kann ich mit den Schülern nicht arbeiten, da die Zeit fehlt. Am freiwilligen Förderunterricht wollen die I-Kinder nicht teilnehmen und laut Schule kann man sie dazu auch nicht zwingen, da sie ihre Wochenstundenzahl erfüllt hätten.
- Ich werde von der Mehrheit der beteiligten Lehrer noch nicht mal rechtzeitig über die Unterrichtsinhalte informiert und "fördere" daher überwiegend spontan, d.h. als bestbezahlter Nachhilfelehrer. Ich habe bei einigen das Gefühl, dass sie ihren Unterricht oft gar nicht wirklich vorbereiten und nur mal eben so aus dem Buch machen.
- Die I-Kinder sind zwar formal "integriert" in ihren Klassen, aber sie suchen sich ihre Freunde fast ausschließlich unter ihresgleichen (Haupt- und andere I-Schüler). Echte Freundschaften gibt es nur selten.
- Das körperbehinderte I-Kind erhält keinen Sportunterricht, dafür steht auf dem Zeugnis Attest. Die Sportlehrer können ihr keinen Sportunterricht bieten (scheitert schon an der Barrierefreiheit) und die Förderlehrerstunden werden für andere Fächer gebraucht. Das kanns doch auch nicht sein. An der K-Schule müsste sie immer am Sportunterricht teilnehmen! Na ja dafür hat sie eben zwei Freistunden...
- Last but not least: Jegliche fachliche "Beratung" meinerseits wird als persönliche Kritik aufgefasst. Man müsse außerdem an die Regelschüler denken, die ja in der Mehrheit in der Klasse sind und daher auch mehr Rechte haben. Die I-Kinder müssen da einfach das Nachsehen haben. Wenn ihnen das nicht passt, sollten sie bitte auf die L-Schule gehen, die Schulleitung hat da wohl nicht wirklich ein Problem mit wechselwilligen Schülern. Leider sind die Eltern in der Regel nicht so wechselwillig.
Sorry, für das Chaos meiner Gedanken. Aber ich könnte grad so kotzen. Ich bin jung, ambitioniert und habe auch gute Ideen. Aber so WILL und KANN ich nicht noch 30 Jahre oder mehr arbeiten.
Und an die Inkulions-Verfechter: Bitte beschreibt mir mal ganz konkret ein Beispiel, wie inklusiver Unterricht ALLEN gerecht werden kann (auch den Lehrern!) und wie so eine Mathestunde auf unterschiedlichen Niveaus konkret aussehen soll!!!
Danke und liebe Grüße.