Schüler wechselt Schule weil Schule zu locker

  • Hallo Kollegen!


    Ich habe einen Schüler, der seit mehreren Jahren schlecht steht (mindestens 4-5 mangelhaft auf jedem Zeugnis; sitzen bleiben ist bei uns abgeschafft). Er ist in der Regel stark abgelenkt im Unterricht. Hört fast nie zu und beschäftigt sich mit den anderen Störenfrieden in der Klasse. Er lernt für keinen Test, macht so gut wie nie Hausaufgaben und oft fehlt Material. Jetzt nach den Sommerferien mitten im Gesellschaftsunterricht stelle ich eine Frage zum Dreibund. Ruft ein anderer rein: "XYZ verlässt unsere Schule!"
    So hat sich dieser Schüler in den Ferien überlegt, dass er bei uns nicht lernen kann. Alles sei zu locker, es läge an der Schule, eine Chance nach der anderen, die Lehrer nicht streng genug etc. Okay, das ist meine Interpretation. Er sagt: Hier werde ich zu stark abgelenkt von den anderen Störenfrieden...
    Meine Diagnose:
    Er scheitert an sich und an dem chancenreichen System unserer Schule! Keine Konsequenzen für nichts. Eine Klassenkonferenz nach der anderen. Verwarnung, Verweis, Ausschluss vom Unterricht (für 3 Tage, für 4 Tage, eine Woche). Versetzung in eine parallele Lerngruppe wäre eine Zumutung für alle. Abschulung kommt bei uns fast nie vor. Egal wie viele 5er und 6er; es gibt immer eine Versetzung. Er hat sich selbst nicht im Griff und unsere Schule hilft ihm nicht mit einer Chance nach der anderen. Ich finde nun er ist schlau genug um zu erkennen, dass er es bei uns zu nichts bringt und möchte nun auf die nahe gelegene Katholische Schule.
    Die Eltern wie immer bei diesen Kindern: "Er hat sich dazu entschieden" etc. pp)


    Teilt ihr meine Einschätzung?


    Oder ist er allein an seinem Scheitern schuld?

  • Ich finde das absolut nachvollziehbar. Bist Du an einer Gesamtschule? Gestört wird ja auch woanders, aber wegen des Nicht-Sitzenbleibens kam ich darauf.


    Ich unterrichte auf einer Vertretungsstelle fast ausschließlich Musik, erlebe aber natürlich z. B. auch die Unterschiede zwischen Grund- und Erweiterungskursen in der Sek I.


    Es gibt Klassen, mit denen ich Popsongs aufführungsreif kriege, unter Beteiligung aller Schüler, und Doppelstunden mit klassischer Musik, Instrumentenkunde oder Musiktheorie füllen kann, ohne dass es unruhig wird. Es gibt andere Klassen, in denen während einer Doppelstunde eigentlich nichts passiert als Störung - Maßnahme - Störung - Maßnahme usw.
    In Vertretungsstunden haben manche Kurse (vorwiegend E-Kurse) intensiv an Mathe-, Deutsch- oder Englischaufgaben gearbeitet, andere Kurse (vorwiegend G-Kurse) konnte ich ruhighalten, aber wirklich gearbeitet wurde kaum. Ich schiebe das u. a. darauf, dass Fehlverhalten zu wenig Konsequenzen nach sich zieht. Ich hatte zuletzt mit einer 70%-Stelle etwa 180 SchülerInnen, jeweils für eine Doppelstunde - da ist es schwierig, bei eigenen Maßnahmen "dran zu bleiben". Die Abteilungsleitung war relativ locker und seitens der Schule gab es z. B. keinen Trainingsraum ...


    Mir tun viele SchülerInnen leid, die arbeiten können und möchten, die aber von ihren Mitschülern daran gehindert werden. Und es sind auch welche dabei, die dadurch an guten und befriedigenden Leistungen gehindert werden, zu denen sie in einem anderen Umfeld in der Lage wären. Wenn Dein Schüler zu dieser Gruppe gehört und das jetzt richtig erkannt hat, konnte er keine bessere Entscheidung treffen. Ob das tatsächlich der Fall ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

  • In Hamburg gibt es kein Sitzenbleiben mehr und es wird eine Stadtteilschule sein, denn neben dem Gymnasium gibt es keine anderen Schulformen in Sek1 mehr.

  • Dass Schüler die Schule wechseln, weil sie etwas lernen möchten, gibt es nicht nur an Stadtteilschulen in Hamburg.


    In unserer Nachbarschaft betreut eine Dame aus Rumänien im Wechsel mit ihrer Schwägerin einen älteren pflegebedürftigen Herrn, wodurch wir gelegentlich auch Einblicke in das Leben in deren Heimatdorf bekommen. Die ältere Tochter studiert Medizin, die jüngere ist noch schulpflichtig und hat letztes Jahr auf eine Schule im Nachbarort gewechselt, obwohl die Eltern für ihre Tochter als Ortsfremde dort Schulgeld zahlen müssen. Auch sie konnte an ihrer alten Schule nichts lernen, da es dort recht locker zugeht.


    Rund 75 % der Einwohner in ihrem Dorf gehören einer Bevölkerungsgruppe an, die zum Schulbesuch ein recht reserviertes Verhältnis hat. Deren Kinder kommen nur sporadisch zum Unterricht, oftmals nur gegen Monatsende, da den Eltern andernfalls der Entfall von Kindergeld droht. An einen kontinuierlichen zielgerichteten Unterricht ist somit überhaupt nicht zu denken.


    In den letzten Monaten zogen mehr als 6.000 Personen aus Rumänien in unsere benachbarte Großstadt. Für deren zahlreiche Kinder wurden Integrationsklassen eingerichtet, flankiert durch Presseberichte, wie glücklich diese Kinder seien, erstmals in ihrem Leben eine ordentliche Schule besuchen zu dürfen, was ihnen eine rosige Zukunft ermögliche. Auf einem der Fotos waren zufällig zwei Kinder aus dem Heimatort der Betreuerinnen unseres Nachbarn zu sehen, die sich bisher zu Hause meist ihrer Schulpflicht entzogen und dadurch dazu beigetragen hatten, dass mehrere Klassenkameraden die Schule gewechselt haben.


    Vorgestern berichtete die Schwägerin telefonisch, dass inzwischen die meisten Familien auf gepackten Koffern sitzen, um nach Deutschland umzuziehen, sobald ab 1. Januar 2014 die ersehnte Freizügigkeit mit Zugang zu den Sozialsystemen innerhalb der EU auch für Rumänen gilt. So ist zu hoffen, dass dort bald wieder ein geordneter Unterricht stattfinden kann.

  • Der Ausgangsthread bestätigt meine Ansicht, dass man seit den letzten Jahrzehnten in den Schulen versäumt, streng und hart durchzugreifen, wenn es erforderlich wird. Zu viele sentimentale, weiche und sozialträumerische Lehrer in den Kollegien, die als Steigbügelhalter mithelfen, die Kuschelpädagogikdiktatur weiter zu installieren, tragen zu den o.g. Verhältnissen ordentlich bei und diskreditieren (mittlerweile machtvoll) konservative Kollegen, die sich gegenüber Eltern und Schülern deutlich positionieren und mutvoll Flagge zeigen. 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • "Zu locker??"


    Verwarnungen, Verweise und sogar Schulausschluss haben stattgefunden..


    Er geht also (überspitzt gesagt..) von der Schule, weil man versäumt hat, ihn rauszuwerfen?? Und er redet sich als Begründung seiner schlechten Disziplin auf das Verhalten der Anderen heraus? Hm.

  • Ich kann Elternschreck nur zustimmen.


    Die Schüler münden zu einem frühen Alter in den Bildungsprozess ein und die Eltern geben damit ein Teil ihrer erzieherischen Autorität ab. Wenn dann der Schüler in seinem Handeln keinerlei Konsequenzen erleidet (im Sinne des Sitzenbleibens o.ä.), fehlt die erzieherische Haltung, die oftmals nur durch Konsequenzen ausgeübt werden kann.


    Eine offene erzieherische Handhabung lässt sich nur dann bewerkstelligen, wenn die Schüler als vollständig autonome Subjekte angesehen werden können und sie aus ihrer Selbstbestimmtheit - Wissensdrang, Neugierde - die Schule besuchen wollen. Vielmehr wird mit dem Schulzwang (Schulpflicht) diese Neugierde des Schülers abgesprochen, was dazu führt, dass Schüler, ob sie wollen oder nicht, die Schule besuchen müssen.


    Natürlich lässt sich dies nicht pauschal verallgemeinern. Es gibt auch solche Fälle, wo die offene erzieherische Handhabung durchaus funktioniert und Früchte trägt.

  • Ich habe früher als Vertretungslehrerin an einer Hauptschule (damals gab es die noch) in Berlin-Mitte gearbeitet. Dort hatte ich in den Klassen im Schnitt einen Schüler mit deutscher Muttersprache.
    Die Schüler mit Migrationshintergrund haben mir im persönlichen Gespräch oftmals gesagt, dass für sie Tadel, Verweise, Schulsuspendierungen oder Klassenumsetzungen keine Strafen sind.
    Am erfolgreichsten waren dort wirklich Anrufe zu Hause. Ich bin kein Anhänger von Prügelpädagogik, aber das Problem ist: Sind die von klein auf darauf konditioniert nur zu parieren, wenn es welche aufs Maul gibt, dann reagieren die auch nur noch darauf.
    Somit war dann der Anruf zuhause (bei denen ist nämlich der Lehrer eigentlich eine Respektsperson) die höchstmögliche Strafe, denn dann gab es Stress zuhause.
    Das Problem ist ingesamt, dass die Strafen, die wir aussprechen dürfen, den Schülern egal sind.
    Tadel? Was solls? Suspendierung? Juhu, ein paar Tage durchzocken ohne unentschuldigt zu fehlen.


    Einige Schulen an denen ich gearbeitet habe, haben hingegen noch mit Strafarbeiten wie Hausordnung oder Sätze schreiben oder auch Nachsitzen gearbeitet. Das war deutlich effektiver, weil das ja den Schüler an sich betraf, er merkte etwas von der Strafe.

  • und die Eltern verhalten sich wie die Schule selbst: Sie geben dem Kind achselzuckend freie Hand. "Wenn er es doch will?" Das Kind ist doch damit alleine überfordert.
    Ich als Klassenlehrer werde einen faulen Störenfried los, der woanders seine Mitschüler vom Lernen abhält. Was für eine Vorstellung von Erziehung... Wo sind wir angekommen mit soviel "Selbstbestimmung" und "Eigenverantwortung". Das sind nur hohle Floskeln die vorgeschoben werden um sich aus der erzieherischen Verantwortung zu stehlen. Ein Trauerspiel.

    • Offizieller Beitrag

    Hier finde ich interessant: Was genau - also konkret - hättest du dir gewünscht, dass es die Schule tut? Und was hättest du als Klassenlehrer gerne noch tun können?


    Ich fände es interresant, das möglichst konkret zu hören.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Hallo Meike!


    Ich als Klassenlehrer hätte mir gerne gewünscht, dass nicht die Lehrer allein für das Gelingen des Unterrichts (Stoffvermittlung, Disziplin im Unterricht, Lernatmoshäre im Klassenraum) zuständig ist. Sondern auch unsere Schule als Institution etwas für diese Parameter tut. Wir unterrichtenden Lehrer sind am Ende mit hochpubertären, bildungsaversen und sich selbst überlassenen Schülern (Institution Schule und Eltern) überfordert. Der Schüler kennt sich selbst gut genug um zu wissen, dass er nicht die genügende Eigendisziplin aufbringen kann um sich aus diesem Sumpf zu ziehen wenn die Institution Schule nicht den entsprechenden Rahmen bietet. Als Klassenlehrer sich bei der Abteilungsleitung zu beschweren bedeutet, dass man schlecht angesehen ist, "wenn man die Klasse nicht genug im Griff hat". Unsere Schulleitung verbringt den ganzen Tag in seinem Büro vor dem PC. Er hat keinen Schülerkontakt.


    Heute fragte der Schüler mich, ob er nicht wiederholen könne, da er ja so viel Stoff verpasst hat. Ich musste ihm antworten, dass das ja von der Hamburger Schulbehörde VERBOTEN ist. Das geht nur mit einem besonderen Antrag, den eine anderer Vater einer anderen Schülerin meiner Klasse schon einmal gestellt hat. Dieser wurde abgelehnt.
    Er muss in die Lernförderung gehen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich verstehe schon. Aber hier beschreibst du wieder die Situation wie sie jetzt ist. Die Frage, die mich interessiert hätte wäre gewesen: was hättest du gerne, dass deine Schule es tut/tun könnte? Was hättest du gerne mit dem Schüler getan, i.e. warum findest du seine Entscheidung zu gehen nicht gut - was hättest du tun können, wenn er geblieben wäre?

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    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
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  • Heute fragte der Schüler mich, ob er nicht wiederholen könne, da er ja so viel Stoff verpasst hat. Ich musste ihm antworten, dass das ja von der Hamburger Schulbehörde VERBOTEN ist. Das geht nur mit einem besonderen Antrag, den eine anderer Vater einer anderen Schülerin meiner Klasse schon einmal gestellt hat. Dieser wurde abgelehnt.
    Er muss in die Lernförderung gehen.


    Welch ein Wahnsinn.......


    *kopfschüttel*
    Raket-O-Katz

  • Ich verstehe schon. Aber hier beschreibst du wieder die Situation wie sie jetzt ist. Die Frage, die mich interessiert hätte wäre gewesen: was hättest du gerne, dass deine Schule es tut/tun könnte? Was hättest du gerne mit dem Schüler getan, i.e. warum findest du seine Entscheidung zu gehen nicht gut - was hättest du tun können, wenn er geblieben wäre?


    Ich würde mir von der Schule das gleiche wünschen was der Schüler sich von der Schule wünscht: Mehr Parameter, die es einzulösen gilt. Und zwar von der Institution und nicht von mir als Lehrer. Echte Sanktionen, Konsequenzen bei Fehlverhalten etc. etc. Nicht tausend Chancen und ständig nur Fördern. Aber kein Fordern. ...
    Keine Ahnung was Du meinst.

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