Marco Maurer: "Ich Arbeiterkind"
ZitatZum ersten Mal begegnete mir Herr Proksch im Sommer 1991, auf der Hauptschule in Lauterbach, einem Dorf im bayerischen Teil von Schwaben. Er war ein stämmiger Mann mit breitem Gesicht, der gerne braune Pullover trug. Mein Lehrer, Klasse 6b.
An einem Montag im Frühjahr 1992 empfing er dann meine Mama. Es war Elternsprechtag. Im Klassenzimmer saß Herr Proksch leicht erhöht hinter seinem Pult, auf dem Bücher und Ordner lagen. Meine Mama hatte auf einem der Kinderstühle Platz genommen. Es ging darum, auf welche weiterführende Schule ich gehen sollte: Real- oder Hauptschule. Die wenigen Gymnasiasten, die es in unserem Dorf gab, hatten uns nach der vierten Klasse verlassen.
»Marco sollte auf der Hauptschule bleiben, Frau Maurer, die Realschule ist nichts für ihn.«
Der alleinerziehenden Mutter meiner Frau, einer frühpensionierten Oberpostsekretärin, wurde in den 70er Jahren auch bei der Beratung durch die Grundschullehrerin gesagt, dass sie doch besser nicht auf das Gymnasium gehen solle, das wäre nichts für sie, so unter all den Akademikerkindern. Meine Frau ist Alumna der Studienstiftung, promovierte Literaturwissenschaftlerin, Abteilungsleiterin der Abitur-Online Abteilung eines Weiterbildungskollegs.
Es ist immer wieder mal ratsam, sich bei der Diskussion um die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland nicht so sehr in theoretischen Höheflügen zu verlustieren und mit irgendwelchem in verschiedene Richtungen interpretierbarem statistischen Material zu hantieren, sondern sich ganz konkret in Erinnerung zu rufen, dass es da um die wirklichen Lebenswege wirklicher Menschen geht.
Nele