Grenzen des Lehrerhandelns bei ADHS

  • Hallo zusammen,


    ich schreibe derzeit an meiner Staatsexamensarbeit, die sich mit ADHS beschäftigt. Ich möchte darin die Handlungsmöglichkeiten und Grenzen für Lehrer aufzeigen.


    Zu hilfreichen Maßnahmen finde ich einiges, jedoch bereitet mir der Teil der Grenzen erhebliche Probleme.
    Ich weiß beispielsweise nicht, wo ich mir einen Überblick über die existierenden verschiedenen Lehrer-Beobachtungsbögen verschaffen kann. Bei der Suche nach einer Quelle, die mich darüber aufklärt, was Lehrern im Umgang mit psychischen Auffälligkeiten geraten wird bzw. ob dies irgendwo erwähnt wird, komme ich auch nicht weiter..


    Hat jemand hier vielleicht hilfreiche Informationen? Kennt ihr vielleicht einen Verband oder eine Gesellschaft, die deutlich etwas dazu formulieren? Habt ihr persönliche Erfahrungen und könnt von Grenzen des Lehrerhandelns berichten?


    Ich bin für jegliche Hilfe sehr dankbar
    Liebe Grüße

  • Die Grenzen erlebst du ganz einfach in der Praxis, wenn du mehrere ADHS-ler hast.


    - vor dem Lehrer sitzen - können nicht alle


    - immer persönlich ansprechen - vergisst du immer wieder und geht auch schlecht, wenn´s viele sind


    - allein sitzen - kommt auf die Größe der Klasse und die Anzahl der Betroffenen an


    - Strukturen lernen - braucht auch die Hilfe des oft ebenfalls ADHS-betroffenen Elternhauses


    - klare Anweisungen, möglichst durchstrukturierter Unterricht, viel Einzelarbeit - steht der Forderung nach eigenverantwortlicher Arbeit, Gruppenarbeit, Stationentraining etc. entgegen


    ...


    Welche Beobachtungsbögen meinst du? Ich bekomme nur ab und an was vom behandelnden Kinderpsychologen.

  • Erstmal danke für deine Antwort.


    Ja genau diese Bögen meine ich. Es gibt viele verschiedene, die ich gerne erwähnen möchte u in den Anhang einfügen wollte.. Jedoch finde ich nicht viele u weiß auch nicht nach welchen Kriterien ein Psychologe sich für einen dieser entscheidet..


    Weißt du auch, ob der Umgang mit psychischen Auffälligkeiten in irgendwelchen Curricula oder Kernprofil des Lehrer-Professionshandelns Erwähnung findet?


    Danke für die Hilfe

  • Villeicht versuchst du mal, dich mit einem Kinderpsychologen in Verbindung zu setzen - von denen kommen ja die Bögen.


    Im Lehrplan wüsste ich jetzt für Bayern keine Stelle, wo ADHS explizit erwähnt wird, nur das:

    Die Hauptschule kümmert sich aber auch um Schülerinnen und Schüler mit verringerten


    Leistungsmöglichkeiten sowie Verhaltensdefiziten und integriert, wenn dies im Einzelfall


    möglich ist, auch Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf.


    Fortbildungen gibt es halt ab und an zu dem Thema.Da wird dann teilweise von einem ADHS-Therapeuten erklärt, was du mit dem EINEN ADHS-Kind machst. Was du machst, wenn es die Hälfte der Klasse betrifft, erklärt dir keiner.

  • Im Lehrplan wüsste ich jetzt für Bayern keine Stelle, wo ADHS explizit erwähnt wird


    Ich weiß jetzt nicht, ob das der offizielle Lehrplan ist (hab zum Förderschwerpunkt ES nichts anderes gefunden?), aber hier steht auf S. 2 zumindest ein kurzer Absatz darüber.

  • Schau mal hier rein http://www.kmk.org/fileadmin/v…otionale-soziale-Entw.pdf


    Das ist nicht spezifisch für Bayern, aber gilt bundesweit. Ob du da was zu ADHS findest, weiß ich aber nicht sicher. Es geht eher allgemein um Förderbedarf ES.


    Viel Erfolg bei deiner Arbeit!

    Schöne Grüße,
    dzeneriffa



    Am Ende wird alles gut! Wenn´s noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende =)

  • Grenzen auf die ich derzeit stoße sind gegeben durch extrem beengte Räumlichkeiten ohne Freiflächen und hohe Schülerzahlen pro Klasse, sprich man kann Maßnahmen die das Kind entlasten nicht durchführen (Einzelsitzplatz und/oder Tisch einzeln rücken, ablenkungsfreie Umgebung, frei Sicht auf Tafel und Lehrer, Rückzugszonen, Stille in Arbeitsphasen usw.)


    Gruß Jenny

  • Danke für eure ganzen Rückmeldungen.


    Die Empfehlungen von der KMK waren auch das einzige, was ich bisher gefunden hatte.


    Den SDQ Fragebogen habe ich nun auch gefunden, danke auch dafür. Vielleicht werde ich exemplarisch einige aufzeigen, da m. E. zu viele existieren und wahrscheinlich je nach Situation der angemessene gewählt wird. Schließlich geht es mir darum aufzuzeigen, dass bei der Diagnostik die Meinung von Lehrer zwar gefragt ist, sich jedoch auf die Fragebögen beschränkt ist, da laut SGB § 35a die Diagnose von Ärzten, Therapeuten und Psychotherapeuten vorgenommen werden muss.


    Vielleicht kann man versuchen allgemein zu argumentieren, dass die Problematik allgemein beim Thema Inklusion besteht und, dass zur angemessenen Förderung erstmal angemessene Bedingungen hergestellt werden müssen. Denn wenn ihr beschreibt, dass die Interventionschancen da aufhören, wo man mehrere ADHS-Schüler beispielsweise hat, dann müsste im Prinzip ja auch daran gearbeitet werden, es sei denn man billigt den Schülern einen sonderpädagogischen Bedarf zu, sodass sie nicht mehr an allgemeinen Schulen unterrichtet werden müssten.. Das widerspricht jedoch den Anforderungen der Inklusion, oder?


    Liebe Grüße

  • Vielleicht komme nur ich kognitiv nicht mit, aber mir scheint, du wirfst einiges durcheinander und solltest dich erst einmal mit grundlegenden Begrifflichkeiten auseinandersetzen:


    - Was ist Inklusion? Welche (länderspezifischen) Konzepte zur schulischen Umsetzung werden momentan diskutiert?
    - Was ist sonderpädagogischer Förderbedarf? Wann kann er diagnostiziert werden und welche Konsequenzen hat die Zuerkennung?
    - Von welcher Form der Diagnostik sprichst du? Medizinische Diagnostik muss natürlich von Ärzten vorgenommen werden, schulische (Verhaltens-)Diagnostik ist selbstverständliche auch Aufgabe der Lehrkräfte.


    Generell erscheint mir manches etwas schwarz-weiß gedacht. Es gibt auch Schüler mit AD(H)S, die - auch ohne medikamentöse Behandlung - keine besonderen Schwierigkeiten im Unterricht haben/bereiten; andererseits gibt es auch viele Schüler, die ohne die offizielle Diagnose ADHS (die ja auch nicht unumstritten ist!) ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen.

  • Hallo Plattenspieler,


    vielleicht versuche ich nochmal zu konkretisieren, was ich gemeint habe. Mir hilft der Austausch mit euch nämlich gedanklich weiter zu kommen..


    Wenn meine Informationen richtig sind, dann habe folgendes verstanden:


    Inklusion ist ein "Konzept", welches den Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderungen ermöglichen soll. Wenn ich verhaltensauffällige Schüler (also auch ADHS-Schüler) miteinbeziehen darf, dann darf man doch sagen, dass hier ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, dieser jedoch in allgemeinen Schulen stattfinden soll, es sei denn die Eltern des Kindes beantragen selber den Besuch einer Förderschule für ihr Kind.


    Ich habe "medizinische" Diagnostik gemeint, das ist richtig. Worauf ich hinaus wollte war folgendes: Um ADHS festzustellen gibt es ja keinen "eindeutigen" medizinischen Test, der einfach durchgeführt wird und ein Ergebnis liefert. Vielmehr sind eine Reihe von Untersuchungen erforderlich. Ohne eine Wertung vornehmen zu wollen, wollte ich aufzeigen, dass eine Grenze darin besteht, dass Lehrer nicht in der Lage sind ADHS zu diagnostizieren.


    Kannst du mir vielleicht mehr Informationen über schulische Verhaltensdiagnostik geben? Ich kenne mich damit garnicht aus, aber im Prinzip müsste doch auch sowas bei ADHS oder allgemein bei Verhaltensauffälligkeiten Anwendung finden?


    Danke für die Anregungen und liebe Grüße

  • Sonderpädagogischer Förderbedarf L oder E ist oft nicht gegeben, da das Verhalten oft noch im Rahmen ist bzw. die Intelligenz durchaus zum Besuch der Regelschule ausreicht.


    Ich habe eine Klasse mit 14 Schülern, davon 6 mit Diagnose und noch vier weitere äußerst verdächtig. ;) Das sind eigentlich Traumbedingungen von der Klassengröße her - nur verteile mal zehn Zappler neben vier ruhige Schüler - Stichwort - einen ruhigen Banknachbarn geben. Einzeln sitzen geht natürlich, aber es gibt keine "Puffer" dazwischen. Alle vor dem Lehrerpult wäre auch seltsam. ;) Kein Fensterplatz geht natürlich, heißt aber, dass alle "Normalos" am Fenster sitzen. ;)


    Alle in die Förderschule ausquartieren ist zum einen unsinnig und außerdem unser Todesurteil in dieser Stufe - in der Parallelklasse sieht es ähnlich aus.


    Die Miniklassen haben wir übrigens nicht wg. ADHS sondern aufgrund des hohen Migrantenanteils, was irgendwie witzig ist, weil alle prima Deutsch können aber aufgrund anderer Probleme von der kleinen Klassengröße profitieren.


    Was mir wirklich Bauchgrimmen macht ist eigentlich meine Ausbildung - DARAUF bin ich nicht wirklich vorbereitet, bzw. man schwimmt irgendwie und macht halt so, wie man denkt.


    Gelernt als Ziele habe ich mal: Partner- und Gruppenarbeit schulen, freie Arbeitsformen einüben, viel Schüleraktivität - Lehrer nimmt sich zurück, Methodenvielfalt erreichen, differenzieren, konsequent sein etc.


    Das ist aber schwierig,besonders ab der 3. Stunde - meine Schüler brauchen ganz viel Bezug, ganz enge Führung, ganz viel Rückmeldung und ganz viel Ruhe des Lehrers. Außerdem brauche ich gar nicht einen Tag voller anspruchsvoller Stunden zu planen - das halten sie nicht durch, eher brauchen sie berechenbare Routine. Auch in dieser Kleingruppe ist es schwierig, sich einem einzelnen SS zuzuwenden, da der Rest ohne wachsames Auge sofort Käse macht - und drohen und rumschreien brauchst du dann auch nicht - dann ist es ganz aus.


    Bei Fortbildungen wird dann immer davon gesprochen, wie du den EINEN ADHS-ler integrierst - bei der letzten gab es nahezu tumultartige Szenen, da das ganze so restlos an der Realität vorbeiging und wir uns etwas vera... vorkamen.


    Mir fehlt irgendwie so ein bisschen "Anleitung" - wobei es mir egal sein könnte, ich bin bereits lange verbeamtet - aber es ist mir nicht egal, ich möchte das schon gut machen - aber viel Hilfe bekommst du nicht.

  • Liebe Tina,


    was ist mit sonderpädagogischer Förderbedarf L und E gemeint?


    Die Ziele, die du genannt hast verwirren mich ein wenig. Im Prinzip habe ich in meinem Studium ähnliches gelernt, jedoch musste ich feststellen, dass bei der Förderung von Schülern mit ADHS eher weniger Reize besser wirken. In der Literatur finde ich Vorschläge den Schülern beizubringen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, was bei zu viel Methodenvielfalt wohl erschwert wird und nicht gut gelingt.. Deine Erfahrungen bezüglich einer anspruchsvollen Unterrichtsplanung bestätigen dies doch im Prinzip, oder?

  • Förderbedarf L = lernbehindert, Förderbedarf E = ??? - weiß ich jetzt gar nicht - umgangssprachlich verhaltensgestört - ich glaube emotionale und soziale Entwicklung oder so. Ich habe ganz intelligente Schüler mit ADHS, auch ganz angenehme, da wäre eine Beschulung an der Förderschule blanker Unsinn.


    Das sind doch die allgemeinen Ziele - ich bin ja keine ADHS-Lehrerin, ich bin ganz normale Hauptschullehrerin und das waren wichtige Kriterien in meiner Ausbildung und sind es auch heute noch, wenn ich beurteilt werde. Ich kann das grundsätzlich auch - ich hatte schon ganz toll geschulte Klassen, auch einmal mit 32 - aber das waren ganz andere Kinder. Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass zuviel "Tamtam" der Klasse gut tut. Einer z.B. kann einfach keinen Banknachbarn haben - normalerweise bemüht und fleißig, arbeitet gut mit, kann auch gut selbstständig arbeiten - und sobald jemand daneben sitzt mutiert er zum Zombie, zappelt, wirft mit Radiergummistücken etc. . Das ist natürlich ideal für Gruppenarbeit. Ein anderer schafft wie ein Wilder vor sich hin, solange er an seinem Platz gepappt ist und ich mich irgendwo davor bewege. In allen praktischen Fächern einschließlich Sport spielen sich regelmäßig Dramen ab. Da sind wir dann von freiem Arbeiten noch ein Stück entfernt. ;) Der nächste kann sich einfach nicht an Gesprächsregeln halten - aber was er sagt ist immer zum Thema. Forderst du sie massiver ein geht das über Bocken bis zu Weinattacken - da mache ich dann halt etwas Zugeständnisse oder wir machen "Deals" - irgendeine Belohnung für 15 Minuten Gesprächsregeln einhalten. Das sieht aber für Außenstehende so aus, als könne man sich nicht durchsetzen - aber mir ist lieber ein interessiertes Kind das ohne Melden redet als ständige Wallung und Streit.


    Nur in der Ausbildung möchte ich in so einer Klasse nicht sein. ;)


    PS: Oder was noch interessant ist - ich habe zwei Förderstunden, in der ein Kollege als Zweitbesetzung eingeteilt ist. Anfangs wollten wir einfach die Klasse teilen und ich wollte z.B. in Englisch oder Mathe mehr Freiarbeitsmaterial einsetzen, Spiele, Dominos etc.


    Konntest du vergessen - was vorher brav gelernt hat lief halbiert out of control - ging einfach nicht - Aufregung pur. :ohh: Jetzt bekommt er halt nur einen mit, maximal zwei - dann funktioniert der Rest brav weiter. :sterne:

  • Förderbedarf L = lernbehindert, Förderbedarf E = ??? - weiß ich jetzt gar nicht - umgangssprachlich verhaltensgestört - ich glaube emotionale und soziale Entwicklung oder so. Ich habe ganz intelligente Schüler mit ADHS, auch ganz angenehme, da wäre eine Beschulung an der Förderschule blanker Unsinn.


    Richtig, E ist der Bereich emotionale und soziale Entwicklung. Ich unterrichte E-Schüler, und diese haben durchgängig ganz normale und auch einige überdurchschnittliche Intelligenz. Sie werden auch nach dem normalen Hauptschullehrplan unterrichtet. Gut, aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten werden die Nebenfächer stofflich schon reduziert, oder wir suchen uns die Inhalte, die uns interessieren, ob diese nun im Lehrplan stehen oder nicht.


    Meine haben alle einen Einzelplatz und es herrscht fast immer eine sehr ruhige und angenehme Lernatmosphäre. Als blanken Unsinn würde ich die Beschulung meiner Schüler also nicht bezeichnen.

  • hallo danone 123, bist du bereits fertig mit deiner Arbeit oder interessiert dich das Thema noch?

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