Der Oberschicht-Code

  • "Die Chancen eines Kindes hängen sehr stark vom Elternhaus ab. Das zeigen alle Statistiken, die danach fragen. Oberschichtkinder schaffen fast alle das Abitur und sehr viele von ihnen studieren. Selbst wenn man vergleicht, wie sich junge Leute nach einem mit gleicher Note bestandenem Studium entwickeln, schneiden Oberschichtkinder viel besser ab. Pfui, schimpfen alle! Gebt den anderen eine Chance! Dazu müsste man aber doch einmal nachdenken, was jeweils richtig oder falsch läuft, oder?


    ...


    Unser ganzes Verständnis von Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung, Mitarbeiterentwicklung, Führung und Ausbildung muss die positive eigenverantwortliche Grundhaltung stärker ins Zentrum rücken. Die neuen Berufe des Wissenszeitalters brauchen nicht mehr vorrangig Arbeitsdrohnen, die im Fließbandtakt funktionieren. Sie brauchen den voll erblühten Menschen. Unsere Schulen aber produzieren tendenziell Funktionsmenschen, die vorgeschriebene und eher dienende Rollen ausfüllen. Das kommt besonders gut in den Kopfnoten der Zeugnisse zum Ausdruck. Die werden immer wieder einmal verändert, aber der Geist der Schule hat immer noch diese Rubriken im Sinn:



    • Betragen
    • Fleiß
    • Mitarbeit
    • Ordnung
    • Zuverlässigkeit/Sorgfalt
    • Sozialverhalten


    Diese Wörter sind nicht mehr der richtige „Code“ für die neue Arbeitswelt. Sie sind nicht (mehr) die Zauberwörter für den Menschen, der die besten Chancen hat. Wie wären folgende Kopfnoten in der Schule?


    • Kreativität, Originalität, Sinn für Humor
    • Konstruktiver, freudiger Wille
    • Initiative, die auf andere ausstrahlt
    • Gemeinschaftssinn, der auch andere aktiviert
    • Gewinnendes Erscheinungsbild und Offenheit
    • Ausgewogenes Selbstbewusstsein
    • Vorfreude auf eine gute eigene Zukunft
    • Auch andere inspirierende Neugier
    • Positive Haltung zur Vielfalt des Lebens
    • Liebende Grundhaltung zu Menschen


    Wenn es einen „Code“ gibt, dann könnte es solch einer sein. Und dann sollten wir unser Verständnis von „guten Kindern“ neu ausrichten und nicht immer über Chancenungleichheit jammern nichts tun und paranoide Zugangsbeschränkungstheorien verschwörerisch diskutieren."


    Der ganze Artikel befindet sich bei: http://www.omnisophie.com/day_162.html


    Mit Video: http://youtu.be/2llC9pG1lFI?t=1h5m28s (und den Reaktionen von LehrerInnen :aufgepasst::aufgepasst: )

  • Man muss beim Dreschen von Phrasen aufpassen, dass das, was man drischt, wenigstens in sich selbst zusammenhängt. Der Code



    ist vollständig ein Mittel- und Oberschichtencode und er wird stets von Kindern der Mittel- und Oberschicht in besonderer Weise erfüllt werden. Wer dafür sorgen will, dass unterprivilegierte Kinder keine Chance haben, muss solche Worte benutzen und unbedingt noch "die positive eigenverantwortliche Grundhaltung" betonen, bezüglich der Kinder aus "unterprivilegierten Elternhäusern" besonders schlecht abschneiden - zumindest wenn damit gemeint ist, Kinder mit minimalen Vorgaben "einfach machen" zu lassen.


    Deine Vision ist eine Vision von Privilegierten für Privilegierte. Dagegen ist nichts einzuwenden. Man sollte aber nicht unter falscher Flagge segeln. Oder naiverweise meinen, man spräche wirklich im Namen der Unterdrückten, wenn man Mittelschichtenideale reproduziert. Dass die Pädagogik oft für die Unterprivilegierten spricht und für die Privilegierten handelt, lässt sich natürlich an zahlreichen Beispielen belegen (gerade aktuell: Aufhebung der verbindlichen Grundschulempfehlung). Offene Unterrichtsformen etwa unterliegen in besonderer Weise der Gefahr "eine Schereneffekts", da "Leistungsstarke in der Regel von situierten Lernumgebungen sehr viel stärker profitieren als Leistungsschwache" (bzw. Kinder mit Know-How stärker als solche ohne) (Zitat aus Krapp/Mandel: Pädagogische Psychologie, 635).

  • Das ist ja auch irgendwie klar - je mehr man eigenständig arbeiten muss, desto stärker greift der Matthäus-Effekt. Wenn ich nicht erst lernen muss, mich zu organisieren, dann kann ich mich halt gleich aufs Inhaltliche konzentrieren. Ich seh das bei Gruppenarbeiten auch bei Schülern bestimmter ethnischer Herkunft - da ist es kulturell nicht so gefragt mit Kreativität, Teamarbeit etc. Die tun sich dann schwer.

    • Offizieller Beitrag

    Dieser Artikel ist doch sehr einseitig geschrieben:
    Einerseits stehen dort die Kopfnoten "Betragen, Fleiß, Mitarbeit, Ordnung, Zuverlässigkeit/Sorgfalt, Sozialverhalten". Alleine diese Auflistung suggeriert doch, dass es hier nur um Äußerlichkeiten ginge. Allerdings liegt hier doch eine Überschneidung vor (Fleiß, Ordnung, Zuverlässigkeit/Sorgfalt) und ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem Bundesland alles diese Begrifflichkeiten benutzt werden, sondern dass hier ähnliche Begriffe nebeneinander gestellt werden. Das bedeutet doch nicht, dass darauf mehr Wert gelegt wird. (Sorry, ich kann heute am späteren Abend nicht mehr gut formulieren - bin gerade mit den Formulierungen nicht mehr völlig zufrieden.) Diese Auflistung ist somit doch sehr subjektiv gefärbt.


    Andererseits beinhaltet der Punkt "Sozialverhalten" doch viele der vom Schreiber gewünschten Verhaltensweisen (Gemeinschaftssinn, Grundhaltung...).


    Eine weitere Sache, die mich stört: Was ist denn "der Geist der Schule"? Was ist eigentlich "die Schule"? Besonders dann, wenn ich an den Unterricht meiner Kollegen denke, gibt es für mich da eine sehr große Vielfalt: Vom Kollegen, dem die Farbe des Unterstreichens und die Form der Arbeit wichtiger ist als der Inhalt bis zum Kollegen, der eher offen arbeitet und die Schüler mehr zum eigenständigen Denken anleitet, ist bei uns alles vertreten.


    Und zu dieser Chancengleichheit, die (angeblich) nicht besteht: Ich glaube immer noch, dass Kinder, die nicht aus Akademikerhaushalten kommen, aber viele positive Grundwerte, die richtige Arbeitshaltung und die nötige Intelligenz mitbringen, in der Schule gut mitkommen können. Ich kenne sehr viele Beispiele dafür und kann auch aus eigener Erfahrung sprechen.


    Schwierig wird es, wenn Kinder diese Dinge eben nicht mitbringen. In diesem Fall schaffen es die Kinder aus Akademikerfamilien vielleicht eher, weiterzukommen, weil die Eltern sie eher unterstützen können und sich mehr darum bemühen können, dass die Kinder gute Leistungen bringen.

  • Geht es denn in der Schule (nur) um die Vorbereitung auf die Arbeitswelt?


    Nicht nur aber zu einem bedeutenden Anteil. Die Arbeitswelt ist für die allermeisten nach Schule und Ausbildung nunmal ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Ich mache höflich und korrekt meinen Unterricht, nicht mehr, nicht weniger. Über gesellschaftliche Ungleichheiten, die immer schon existiert haben, oder wie unsere Gesellschaft sich weiterentwickeln wird, mache ich mir keine Gedanken (mehr).


    Zitat Kuschlerin :

    Zitat

    Pfui, schimpfen alle! Gebt den anderen eine Chance! Dazu müsste man aber doch einmal nachdenken, was jeweils richtig oder falsch läuft, oder?

    Die lasse ich ruhig schimpfen. Ich denke, jeder der Ehrgeiz und Biss hat, kann es zu etwas bringen. Chancen gibt es mehr als genug (Vielleicht schon zuviel?). Deshalb lasse ich faule Ausreden (soziale Herkunft etc.) nicht gelten. Komme selbst aus der Arbeiterschicht und habe es zu was gebracht. Und damals war es noch schwieriger als heute. Noch Fragen ?


    Und man muss wieder die Erkenntnis zulassen, dass es unterschiedlich intelligente Menschen gibt.


    Zitat Referendarin :

    Zitat

    Und zu dieser Chancengleichheit, die (angeblich) nicht besteht: Ich glaube immer noch, dass Kinder, die nicht aus Akademikerhaushalten kommen, aber viele positive Grundwerte, die richtige Arbeitshaltung und die nötige Intelligenz mitbringen, in der Schule gut mitkommen können. Ich kenne sehr viele Beispiele dafür und kann auch aus eigener Erfahrung sprechen.

    Sehe ich auch so. Könnte auch eine ganze Tüte voller Oberschichtskinder benennen, die in der Schule/Leben kläglich gescheitert sind. Es kommt eben auf die Leistungsbereitschaft und Intelligenz an.:thumbup:

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    4 Mal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

    • Offizieller Beitrag

    Just my two cents und deshalb auch ein bisschen kurz:
    Das ist für mich nichts Neues. Nach meinen Beobachtungen geht es aber in erster Linie hier um Erziehung und damit um Zeit, die die Eltern mit den Kindern verbringen.
    Ich habe gerade in meiner Klasse ein Bürschchen (eindeutig Oberschicht, Eltern sogar ziemlich reich), der wird bei uns an der Schule scheitern, weil die Eltern sich vor lauter Geld scheffeln nicht mehr mit ihrem Nachwuchs beschäftigen. Der ist dann auch noch verhaltsauffällig.
    Im Gegensatz dazu habe ich aber Kinder aus ärmeren Familien, wo die Mütter sehr viel Zeit in ihre Kinder investieren- die machen bei uns oft ein sehr gutes Abitur.
    Liebe Grüße, Hermine


  • Nicht nur aber zu einem bedeutenden Anteil. Die Arbeitswelt ist für die allermeisten nach Schule und Ausbildung nunmal ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens.


    Ich stimme dir zu! Ich finde, die Grundlage dafür, seinen Horizont zu erweitern und eine wirkliche Neugier der kulturellen und natürlichen Welt um sich herum zu entwickeln, ist doch ganz wesentlich wirtschaftliche Stabilität und Ordnung im Leben. NATÜRLICH geht es in der Schule ganz wesentlich um die Vorbereitung auf die Arbeitswelt, weil es eine ganz wesentliche Lebenskompetenz ist, sicher seinen Weg in unserer marktwirtschaftlich definierten Welt zu finden und da Erfolg zu haben. Dass das nicht der Endpunkt ist und sein darf, ist klar - aber das kulturelle Leben baut auf dem wirtschaftlichen Leben auf! Ich gehe da ganz und gar mit dem guten alten Brecht d'accord: "Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral." Gerade die jungen Leute in problematischen Lebenssituationen, bei denen es darum geht, ob sie überhaupt eine Chance auf einen Schulabschluss oder eine Lehrstelle haben, brauchen in allererster Linie Strukturen, nicht humboldtsche Bildungsideale. Aus meiner Erfahrung in der Abendrealschule weiß ich, dass es darum geht, dass sie überhaupt im Unterricht anwesend sind und dass sie verlässlich Stift, Papier und Lehrbuch mitbringen.


    Und was den Oberschichten-Code angeht, den Unteruns weiter oben behandelt hat: wer hat denn diese Forderungen verfasst - das ist doch nicht die Jacqueline Koslowski, die im Laden nebenan putzt, und das ist auch nicht die Ayse Özdemir, die Arzthelferin bei meinem Hausarzt ist. Das sind irgendwelche studierten Leute aus gutbürgerlichem Hause, die ihre Sprache und ihre Weltvorstellung projizieren. Wenn man es recht bedenkt, ist das etwas anmaßend.


    Hier in diesem Forum sind wir allesamt gesellschaftlich privilegiert - bestenfalls abgesehen von den Leuten, die sich mit harter Arbeit über den zweiten Bildungsweg einen Weg zum Studium und Lehramt gebahnt haben. Unsere kulturellen Vorteile bestimmen auch unsere Wahrnehmung und diese Vorstellungen setzen implizite Prämissen voraus, die bei diesem Thema niemals vergessen werden dürfen!


    Nele

    3 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Ich gehe da ganz mit dem alten Carlo Schmidt d'accord: Bildung braucht man zum Widerstand gegen die Verzweckung des Lebens.


    Gruß


    putzi

    "I think it would be a great idea." (Mohandas Karamchand Gandhi when asked what he thought of western civilization)

  • Übrigens mal ganz konkret, wie so ein Idealweg aussehen kann:


    Einer meiner Freunde ist unser Weinhändler. Der kommt aus kleinen westfälischen Verhältnissen, hat als schulische Bildung einen Hauptschulabschluss und ist nach einer abgebrochenen Elektrikerlehre in eine Einzelhandelslehre in einem Weinladen übergewechselt. Da hat er seine Berufung gefunden und ist jetzt, nach erheblichen wirtschaftlichen Anstrengungen, Inhaber einer sehr erfolgreichen mittelständischen Weinhandlung. Jetzt, mit sechsig Jahren, ist er fest in der Dortmunder Selbständigenszene etabliert, ist aufgrund seiner Geschäftsverbindungen mit der kulturellen Szene in Dortmund vernetzt, sehr an dem kulturellen musikalischen Leben und dem Theaterleben interessiert und spricht, anders als die Mehrzahl der Gymnasialabgänger in Deutschland!, ein flüssiges und gangbares Französisch. Gespräche mit ihm sind immer äußerst bereichern, denn er durchdenkt alles, was um ihm herum passiert, und bildet sich zu allem eine wohlüberlegte Meinung. Seine Tochter hat einen Gymnasialabschluss, sein Enkel zeigt die allerbesten Anlagen für einen äußert erfolgreichen Gymnasialabschluss und eine weitere Karriere.


    Könnte ein Bildungsgang besser verlaufen? Ich habe größten Respekt vor diesem Mann, denn ich glaube nicht, dass ich in der Lage gewesen wäre, von diesem Ausgangspunkt aus einen derartigen Lebenserfolg zu haben. Aber hier zeigt sich, dass der Bildungserfolg auf dem wirtschaftlichen Erfolg aufbaut.


    Nele

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Ich gehe da ganz mit dem alten Carlo Schmidt d'accord: Bildung braucht man zum Widerstand gegen die Verzweckung des Lebens.


    Geschwafel. Carlo Schmid war Sohn eines Privatgelehrten an der Universität Toulouse und selber Jurist und Rechtsanwalt. Seine Privilegierung vor dem 3. Reich hat unmittelbar zur Privilegierung nach dem 3. Reich geführt. Wenn der eigene Brotkorb sicher erreichbar ist, ist es leicht, über Bildung zu reden.


    Nele

  • Mir geht dieses Eingedresche auf die nicht klar definierte, aber natürlich bornierte Oberschicht hier genauso auf den Geist wie die verwendeten Stereotype. Ayse, die Arzthelferin, kann sich angeblich nicht mit bestimmten Kategorien identifizeren. Warum eigentlich nicht? Weil türkischer Name identisch ist mit Unterschicht oder benachteiligt? Vielleicht ist sie die Tochter eines durchaus wohlhabenden türkischstämmigen Vaters, der einen eigenen Betrieb hat? Und wo bitte hängt denn unser Brotkorb? Doch sicher auch gut erreichbar. Sollten wir deshalb schön den Mund halten, wenn es um Bildung geht?!

  • Zitat

    Mir geht dieses Eingedresche auf die nicht klar definierte, aber natürlich bornierte Oberschicht hier genauso auf den Geist wie die verwendeten Stereotype.


    Es geht nicht darum, auf jemanden einzudreschen, sondern darum, dass unterschiedliche Bildungskonzepte unterschiedlichen Biographien unterschiedlich gut entsprechen. Mit Stereotypen hat das weniger zu tun als mit Lebenswirklichkeiten, die auch empirisch gut erforscht sind. Es geht darüber hinaus darum, bestimmte Bildungskonzepte nicht dadurch salonfähig zu machen, dass man ihnen Wirkungen zuschreibt ("Chancengleichheit!", "sozialer Aufstieg!"), die sie mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht haben werden.


    Zitat

    Sollten wir deshalb schön den Mund halten, wenn es um Bildung geht?!


    Das ist nicht das Thema. Man sollte aber imho auch nicht Hochwertwörter aneinanderreihen, die vor allem bestimmte soziale Segmente ansprechen (und auch hierher kommen) und dann behaupten, die eigene Zielgruppe sei eine ganz andere.


  • Geschwafel. Carlo Schmid war Sohn eines Privatgelehrten an der Universität Toulouse und selber Jurist und Rechtsanwalt. Seine Privilegierung vor dem 3. Reich hat unmittelbar zur Privilegierung nach dem 3. Reich geführt. Wenn der eigene Brotkorb sicher erreichbar ist, ist es leicht, über Bildung zu reden.


    Nele

    Rousseau hat auch die Erziehung seiner Kinder in anderer Hände gegeben, trotzdem hat uns "l'Émile" was zu sagen, und Stanislavski ist auch nicht für seine eigene Schauspielkunst berühmt, sondern nur für seine Schriften darüber.
    Mich hat es beeindruckt, dass jemand überhaupt einen Ausdruck für die "Verzweckung des Lebens" gefunden hat, und seitdem arbeite ich daran, mein eigenes Leben vor der Verzweckung zu bewahren. Ohne Bildung ginge das nicht... aber das alles nur am Rande.
    Gruß
    putzi

    "I think it would be a great idea." (Mohandas Karamchand Gandhi when asked what he thought of western civilization)

  • Rousseau hat auch die Erziehung seiner Kinder in anderer Hände gegeben,


    Sehr elegant ausgedrückt 8o In ein Waisenhaus hat er die abgeschoben! Man sollte die Intellektuellen des 18. Jh. cum grano salis nehmen, die waren gut darin, große Worte zu schwingen. Mit ihren eigenen Ansprüchen konnten sie in der Realität normalerweise nicht mal annähernd mithalten. :)


    Egal. Ich denke, was man an diesem Thread insgesamt sehen kann, ist, dass bei vielen das Bewußtsein verloren ist, dass das bürgerliche Bildungsideal mit Rousseau, Humboldt und Co. von Anfang ein Bildungsideal einer materiell arrivierten gesellschaftlichen Elite war, ein OBERSCHICHTENdiskurs. Ebenso das Bewußstein dafür, dass wir allesamt, die wir hier schreiben, Proponenten dieses Diskurses sind.


    Um es nochmal zu wiederholen - man muss höllisch aufpassen, diese Vorstellungen so mirnichtsdirnichts zu verabsolutieren. Die sind schlicht und ergreifend, für jeden historisch einigermaßen Belesenen völlig offensichtlich nur auf einer gesicherten materiellen Grundlage denkbar. Das war in der Lebensrealität schon immer so und das wird auch so bleiben. Wenn wir hier über Bildungsideale für eine neu entstehende Unterschicht reden, dann können wir die materielle Absicherung nicht so einfach implizit voraussetzen - der Weg zur materiellen Absicherung führt aber nuneinmal über den Arbeitsmarkt.


    Vor allem muss bei all dem darauf achten, dass man nicht auf bloße Stichworte hin naiv in einkonditionierte Gerechtigkeitsreflexe verfällt, wie es oben anscheinend Eugenia passiert ist, vor allem nicht, wenn man an der eigentlichen Argumentation vorbeigeschrammt ist, weil man die Sache wohl nicht richtig durchdacht hat...


    Nele

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Entschuldige, dass ich offenbar das hohe Niveau dieser Diskussion nicht erfasst habe. Formulierungen wie "naiv einkomditionierte Gerechtigkeitdreflexe" fallen übrigens für mich unter die Kategorie Geschwafel, um es mit neleabels Worten auszudrücken. Damit verabschiede ich mich aus dieser Diskussion. Ich will nicht selbet weiter zum Proponenten werden. Und das habe ich extrem gut durchdacht!

  • Was mich (zunehmend) an den Interventionen von Dueck nervt, ist der Umstand, dass er Schule so beschreibt, wie ich sie selbst – als Lehrer und als Schüler – allenfalls aus den "Lümmel"-Filmen der 1970er Jahre kenne. Mit meinem Alltag hat das nichts zu tun. Hier wird ein Popanz der vermeintlichen Paukschule von 1910 aufgebaut, den es vermutlich nirgends mehr so gibt. – Und das lässt die vermeintliche Bildungsutopie doch sehr schäbig aussehen, dass sie es nötig hat, sich einen solchen Popanz herzurichten, um dann selbst im Glanze des Neuen dazustehen.


    Der heutige "daily dueck" ist ähnlich schlimm; da hat er sich Unterrichtsinhalte vorgenommen. Es fallen die üblichen Sentenzen (Wer braucht "Faust II" oder Horaz?), vorgeschlagen wird stattdessen, mehr praktische Kenntnisse in Jura/Psychologie/Wirtschaft an den Schüler zu bringen. Und zur Aufmunterung gibt's dann für die Schüler Wissensfelder wie Jediritterkunde, vergleichende Smartphone-Studien und das Dinosaurier-Diplom, weil Kinder ja darin schon Experten sind. Wie originell! Wenn wir in Philosophie in der 5. Klasse über Helden und Vorbilder sprechen, bringen die Kinder von alleine ihre Jediritter mit, und wenn wir dann in der 6. Klasse das "Leben in einer Medienwelt" reflektieren, ergeben sich die vergleichenden Smartphone-Studien wie von selbst. Und wenn @wilddueck den "Faust II" mal läse, dann wüsste er womöglich, dass er randvoll ist mit Beobachtungen zu Psychologie und Wirtschaft, die man mit den Schülern auch gemeinsam aufsuchen könnte.


    Wenn man freilich nur auf TED-Konferenzen und Sommerakademien der Studienstiftung herumhängt, hat man natürlich keinen belastbaren Einblick in Schulalltag. Aber warum auch? Um die "Teiche trocken zu legen", um die Kuschlerin aus einem anderen, aber ähnlich gestrickten Thread zu zitieren, muss man kein Frosch sein oder mal einen Teich gesehen haben. Biotope kann man auch ohne Sachkenntnis zerstören.

  • Zitat

    Mit meinem Alltag hat das nichts zu tun. Hier wird ein Popanz der vermeintlichen Paukschule von 1910 aufgebaut, den es vermutlich nirgends mehr so gibt.


    Eine eng befreundete Kollegin wurde vor etwa einem Jahr Schulleiterin in einer Grundschule. Nach und nach hatte sie sich den Unterricht von allen Kolleginnen angesehen und sie war entsetzt. Sie sagte einmal, sie fühle sich stark an ihre eigene Schulzeit nach dem Krieg erinnert.


    Jeder nimmt nur das als Realität war, was er sehen will, worin er Erfahrung gesammelt hat.

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