Was ist hier schief gelaufen? - Sechstklässler können fast nichts...

  • Hallo zusammen,


    Ich brauche nochmal euren Rat, weil ich mit einer Klasse ziemlich überfordert bin und keine Ahnung habe, wo ich anfangen soll. Ich unterrichte eine sechste Klasse (einstündig), mit der ich bis zu den Herbstferien quasi nichts geschafft habe. Die SuS sind mit den einfachsten Dingen hoffnungslos überfordert. Die Texte sind zu schwer (dabei habe ich sie schon sehr vereinfacht) und selbst das Abschreiben von vier (!) Sätzen klappt bei den meisten SuS nicht bzw. dauert ewig (nach 20 Minuten waren die Wenigsten damit fertig). Ein Unterrichtsgespräch ist auch nicht möglich, da sich von Anfang an die meisten SuS völlig ausklinken.
    Ich habe noch nie eine sechste Klasse erlebt, die so wenig kann. Konzentrationsvermögen ist den meisten SuS noch nicht einmal für 5 Minuten gegeben. Ich frage mich ernsthaft, was mit diesen Kindern in der Grundschule geschehen ist. Solch grundlegende Dinge wie etwas von der Tafel abschreiben und einfache Texte sowie Arbeitsanweisungen verstehen, müssten sie doch eigentlich können, oder? Ich habe ja auch einige Monate an zwei verschiedenen Grundschulen verbracht aber selbst die Drittklässler, die ich dort erlebt habe, konnten schon mehr. Ich bin übrigens nicht die Einzige, die in dieser Klasse damit zu kämpfen hat. Den Klassenlehrer habe ich schon darauf angesprochen, der will (aus diversen Gründen) aber nichts davon wissen :(
    Mir fehlt jeglicher Ansatz um angemessenen Unterricht mit dieser Klasse machen zu können, zumal ich sie nur eine Stunde die Woche sehe. Inhaltliche Arbeit ist quasi unmöglich. Ihre mangelnden Leistungen versuchen viele SuS (besonders die Jungs) mit schlechtem Benehmen zu kompensieren, was den Unterricht zusätzlich anstrengend macht. Wenn ich im Moment Noten vergeben müsste würden die sich alle zwischen ausreichend und ungenügend bewegen - das kann doch nicht sein.
    Schwierige Klassen hatte ich schon häufiger, aber da war immer irgendwo eine Möglichkeit zur sinnvollen Weiterarbeit. Die fehlt mir in dieser Klasse gänzlich.


    Kennt ihr das? Hattet ihr auch schonmal mit solchen SuS zu tun? Was kann ich (besonders in Hinblick auf die sehr begrenzte Zeit) machen um die Situation zu verbessern? Ich weiß, dass es schwer ist, aus der Entfernung Tipps und Ratschläge zu geben aber in der Schule kann ich nicht auf Hilfe hoffen...

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Finchen,
    anfangs dachte ich, du sprichst von meiner sechsten Klasse... ich habe ähnliche Probleme, nur dass meine (denke ich) sehr wohl könnten, wenn sie wollten. Aber alles muss immer Spaß machen und toll sein- und da mache ich eben nicht immer mit.
    Was heißt denn "ausklinken"?
    Hast du mit den Schüler denn schon darüber gesprochen, was man anders machen könnte? Welches Fach unterrichtest du denn in dieser Klasse?
    Mit den Eltern Kontakt aufgenommen? Bei uns ist nächste Woche Elternabend- und allein die Erwähnung dessen lässt meine Schüler kurz sehr brav werden.
    Liebe Grüße,
    Hermine

  • Aber alles muss immer Spaß machen und toll sein- und da mache ich eben nicht immer mit.

    Genau das ist leider die Erwartungshaltung, die viele Schüler heute haben. Leider, so mein Eindruck, ist das auch der Trend der aktuellen Didaktik! Viele Lehrer und auch vor allem Fachleiter sind dem Irrglauben erlegen, dass man Schülern damit etwas Gutes tun würde!
    Nach deren Ansicht muss alles anschaulich, mundgerecht, spannend und mit Alltagsbezug aus der Lebenswelt der Schüler sein. Gerade wenn an Grundschulen dies noch zusätzlich mit Belohnungen für eigentlich selbstverständliche Leistungen und zu verspielter Herangehensweise von anfang an trainiert wird, erhält man eine Schülergeneration die sich mit komplexen, "langweiligen" Sachverhalten oder Texten nicht mehr auseinander setzen mag und auch gar nicht kann.
    Das entspricht genau dem Gesamttrend einer Gesellschaft, die sich in Zerstreuung und seichte Unterhaltung flüchtet. Man denke nur mal, wie schnell Actionfilme heutzutage geschnitten werden und wie bombastisch alles sein muss, damit es die Leute überhaupt noch als "nicht langweilig" anspricht.


    Es wird in vielen Schulen einfach nicht mehr trainiert sich mal durchzubeißen durch "trockene" Fakten, oder einen schnöden schwarz weißen Text einfach nur akribisch und anlytisch genau zu lesen ohne hinterher Inhalte des gelesen Texts nachzutanzen (oder mit Instrumenten zu vertonen oder ein Bild dazu zu malen) um auch "alle Sinne anzusprechen", wie es heutzutage in der Didaktik heißt.


    Auch Stillsitzen wird nicht mehr geübt. Da heißt es in der modernen Didaktik, man solle Bewegung in seinen (Physik!)Unterricht einbauen um dem Bewegungsdrang der Kinder gerecht zu werden.
    Wie läuft das dann später als Richter vor dem Gericht ab? Steht der dann auch alle 10 Minuten auf während einer Verhandlung weil er so hibbelig ist?


    Ein Kind muss lernen auch mal entgegen seiner Dränge zu agieren und seinen Bewegungsdrang dann eben mal für 45 Minuten am Stück zu underdrücken. Nur so lernt man das.
    Genauso die Konzentrationsfähigkeit! Das kann man nur schulen, wenn man da auch ein bisschen an die Schmerzgrenze geht und eben mal über längeren Zeitraum Konzentration abverlangt, auch WENN die ersten Kinder quängeln. Mir hat mal eine Lehrerin gesagt ein Kind könne sich gar keine 45 Minuten am Stück und das über 5 Schulstunden (mit Pausen dazwischen) konzentrieren.
    Das ist so ein Quatsch, natürlich kann man das, wenn man das trainiert! Man kann auch trainieren sich hundertstellige Zahlenreihen zu merken oder komplizierte räumliche Drehungen von Körpern im Kopf durchzuführen. Man muss es eben nur mit Schweiß lernen!
    Ohne Fleiß kein Preis. Leider denkt das die aktuelle Didaktik und fährt ein Schon- und Wohlfühlprogramm ! Von den Ergebnissen hört man hier ja berichtet im ersten Beitrag.


    Ich empfehle zu dieser Thematik das Querlesen im momentan aktuellen Thread:



    Heike Schmoll (FAZ) über die Grundschule

    4 Mal editiert, zuletzt von Silicium ()

  • Ach, Silicium, diese ewigen Predigten, was wer muss und was heute alles schrecklich ist - das hilft doch überhaupt nicht weiter. Die Kinder sind, wie sie sind. Davon, dass man findet, dass sie anders sein müssen, werden sie nicht anders. Die Grundschulzeit liegt nun mal hinter ihnen, daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern.


    Ich habe oft mit Klassen zu tun (allerdings Sek II), die insgesamt eher schwach sind und einfache Dinge wie Heftführung nicht können, mit der Konzentration ist es auch nicht weit her, und alles scheint sogleich vergessen.


    Das "etwas schaffen" ist so relativ. Manchmal kommt man im Stoff nicht voran und könnte verzweifeln - aber es bewegt sich doch ein bisschen. Schüler reifen heran. Ich lerne sie besser kennen, finde heraus, welche Stärken sie haben. Ich übe konsequent ein und dieselbe Sache solange bis sie sitzt. Frage immer wieder, bis es ihnen zu den Ohren rauskommt. Die Schüler raufen sich zusammen. Manche sind allerdings schlicht in der falschen Schulform. Und andere lassen sich runterziehen. Bis man das alles raushat, vergeht ein halbes Jahr. Für mich sind einige der neuen Klassen auch jetzt noch eine gesichtslose Masse.


    Und dann ... in einigen Klassen macht man eigentlich mit 5 Leuten Unterricht und merkt kaum, wie viele nicht mitkommen. Wenn nun diese "Leuchttürme" fehlen, dann entsteht der Eindruck, "nichts" geschafft zu haben.


    Nimm es nicht persönlich, denke in kleinen Schritten. Aber dass da schulseits und kollegenseits nichts passiert, ist schon doof.

  • Kommt mir irgendwie alles sehr bekannt vor. Aber auch diese o.g. Schüler werden wahrscheinlich am Ende der 4. Klasse Super-Zeugnisse mit guten bis sehr guten Fachnoten sowie Belobigungen für ihr Sozialverhalten bekommen haben.-Ich stell das auch immer nach den Sommerferien fest, wenn wir neue 5.Klässler empfangen.


    Zitat Silicium :

    Zitat

    Auch Stillsitzen wird nicht mehr geübt. Da heißt es in der modernen Didaktik, man solle Bewegung in seinen (Physik!)Unterricht einbauen um dem Bewegungsdrang der Kinder gerecht zu werden.


    Wie läuft das dann später als Richter vor dem Gericht ab? Steht der dann auch alle 10 Minuten auf während einer Verhandlung weil er so hibbelig ist?

    Deshalb möchte ich auch nicht in ca. 20 Jahren im Gerichtssaal sitzen und von so einem Richter zur Bewegungs-Haft verurteilt werden ! 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    • Offizieller Beitrag

    Wir haben das Problem neuerdings auch. An meiner jetzigen Schule ist es tatsächlich ein neueres Problem und die höheren Klassen sind in der Regel noch deutlich leistungsstärker. Bei uns liegt es allerdings daran, dass inzwischen die Schulformempfehlungen nicht mehr verbindlich sind und dass, seit es das Hintertürchen der "eingeschränkten Empfehlungen" gibt, an Realschulen immer mehr Schüler mit Hauptschulempfehlungen oder eingeschränkter Empfehlung landen und diese in so großen Klassen und mit den Realschullehrplänen oft hoffnungslos überfordert sind. :( Die eigentlichen Realschüler sind inzwischen oft am Gymnasium (und dort z.T. ebenso überfordert :().
    Du bist aber doch an einer Gesamtschule, oder? Kann das irgendwie mit der geänderten Schulformwahl zu tun haben? Wobei es hier so ist, dass die Gesamtschulen von G8 profitieren, da viele Gymnasialeltern ihren Kindern G8 ersparen wollen und durchaus leistungsstarke Kinder zur Gesamtschule schicken. Ich weiß aber nicht, ob das an allen Gesamtschulen so ist.

  • Erstmal danke für eure Antworten!


    @ Hermine: Mit "ausklinken" meine ich, dass sie dem Unterricht überhaupt nicht mehr folgen und sich komplett mit anderen Dingen beschäftigen - meistens machen sie irgendwelchen Quatsch (und das ganz unabhängig von der Unterrichtsform...). Ich kenne die SuS kaum und daher weiß ich nicht, ob sie wirklich nichts können oder nicht wollen.


    In der Klasse (ich unterrichte an einer Gesamtschule) haben ALLE SuS eine Hauptschulempfehlung - also nicht wie von Elternschreck vermutet. Wir nennen uns zwar Gesamtschule aber arbeiten auf dem Niveau einer Hauptschule, da diese Zusammensetzung keine Ausnahme ist. Ein Großteil der SuS (ca. 70 %) hat einen Migrationshintergrund und Deutsch ist nicht Muttersprache.
    Mit Elterngesprächen ist leider nicht viel zu machen. Viele Eltern sprechen kaum oder überhaupt kein Deutsch und schicken dann ältere Geschwister vor. An Elternabenden und Elternsprechtagen erscheinen die Wenigsten (und dass sind dann meistens nich die, bei denen es am wenigsten nötig wäre...). Da komme ich also auch nicht weiter ;(

  • Hallo, Finchen,


    das klingt ja wirklich schlimm...
    Du schreibst, du seist nicht die einzige, die mit dieser Klasse ihre Probleme hat. Hast du dich schon mit den anderen Fachlehrern abgesprochen, wie sie mit dieser Situation umgehen? Wenn schon von Seiten der Eltern keine Unterstützung zu erwarten ist, dann ist es umso wichtiger, dass ihr schulintern alle an einem Strang zieht. Mit einer Stunde in der Woche ist natürlich nicht viel zu machen, aber wenn genug Lehrer dieser Klasse ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen, dürfte der Erfolg wahrscheinlich höher ausfallen.
    Denkst du denn, deine Kollegen wären an einer Zusammenarbeit interessiert oder teilen sie eher die Einstellung des Klassenlehrers?


    Da ich die Klasse nicht kenne, kann ich dir leider schwer konkrete Ratschläge geben. Auf jeden Fall viel Glück mit den Kleinen - du hast mein Mitgefühl...


    Lg, Kato

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Finchen,
    da bedauere ich dich wirklich, wenn von keiner Seite und erst recht nicht vom Klassenleiter Unterstützung kommt, ist das schlimm. Was für Gründe hat denn der KL für seine Verweigerungshaltung?
    In meiner Klasse habe ich mit ein paar Hinweise an die Eltern was lösen können, das scheint bei dir auch nicht zu gehen.
    Was ich auch regelmäßig mache, wenn bei mir Schüler den Unterricht stören, ist, ihnen Zusatzarbeiten zu geben.
    Hast du denn schon Tests geschrieben? Ich habe mir nämlich vorgenommen, den Schülern mal anhand eines Tests (keine Klassenarbeit) zu zeigen, wo sie wirklich stehen- und da dann anzusetzen.
    Bei meinen steht nämlich die Arroganz im Vordergrund- es reicht wohl, am Gymnasium zu sein, das Lernen erledigt sich dann schon irgendwie von allein.
    Halt die Ohren steif!
    Liebe Grüße,
    Hermine

  • Danke nochmal für eure Antworten! Jetzt nur eine kurze Antwort, weil ich gleich weg muss...


    @ Friesin: Unterschiedlich, je nachdem, was sie gemacht haben. Ich habe sie schon häufiger in der Pause nacharbeiten lassen (weil sie ja im Unterricht nicht gearbeitet haben).


    In den letzten beiden Stunden hatte ich die Nase so voll, dass ich nur noch Aufgaben reingegeben und ihnen gesagt habe, dass sie zu bearbeiten sind und am Ende der Stunde eingesammelt und benotet werden. Die Ergebnisse sind verheerend (beste Note ein befriedigend und das mit Augen zudrücken) und einige SuS haben einfach am Ende der Stunde ein leeres Blatt abgegeben. Als ich sie darauf ansprach, haben sie geschimpft, ich hätte ihnen "das ja nicht richtig erklärt", der Text sei "zu schwer" und deshalb sei ich Schuld daran, dass sie nicht gearbeitet haben.


    Zum Klassenlehrer mag ich mich hier nicht weiter äußern. Er ist im Prinzip Opfer unserer (internen) Systems...

  • In den letzten beiden Stunden hatte ich die Nase so voll, dass ich nur noch Aufgaben reingegeben und ihnen gesagt habe, dass sie zu bearbeiten sind und am Ende der Stunde eingesammelt und benotet werden. Die Ergebnisse sind verheerend (beste Note ein befriedigend und das mit Augen zudrücken) und einige SuS haben einfach am Ende der Stunde ein leeres Blatt abgegeben. Als ich sie darauf ansprach, haben sie geschimpft, ich hätte ihnen "das ja nicht richtig erklärt", der Text sei "zu schwer" und deshalb sei ich Schuld daran, dass sie nicht gearbeitet haben.

    Auf den "nicht richtig erklärt"-Vorwurf würde ich entgegnen: "Was habe ich getan, damit du es verstehst? Ich habe - als Beispiele - den Sachverhalt erklärt, es an mehreren Beispielen geübt, Bilder dazu gezeigt und was sonst noch alles.
    Was hast du getan, um es zu verstehen? Hast du bei mir nachgefragt? Hast du deine Mitschüler gefragt? Hast du es im Schulbuch nachgelesen?"
    Auch bei den anderen Vorwürfen wie zu schwer würde ich die Schüler auf ihre Verantwortung hinweisen und den "Sie haben Schuld"-Vorwurf nicht auf mir sitzen lassen.


    Sarek

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