TV-Tipp (?) am Sonntag: Precht - "Skandal Schule"

  • Danke für den Link, Pintman.


    Ich habe gerade keine Geduld, das zu gucken, aber immerhin habe ich ein tolles neues Wort gehört:


    Potentialentwicklungscoach.


    Wow. Das brauchen wir. Und was macht der?


    Na?


    Natürlich holt der jedes Kind da ab, wo es steht.


    Das sind die wahren Weltretter, die da sprechen.


    Sorry, ich werde voll unsachlich. Ich mach jetzt lieber mal Sonntag :flieh:

  • Potentialentwicklungscoach.


    Natürlich. Jede Schule braucht einen. Am Besten sollte das ein Literaturwissenschaftler oder ein Philosoph sein. Also jemand, der sich mit Schule wirklich auskennt. Bloß kein Lehrer, die können ja nicht über ihren Klassenzimmer-Tellerrand hinausblicken.


    Und da das ein verantwortungsvoller Job ist, natürlich mindestens nach A15 bezahlt. Mit eigenem Büro und Ledersessel natürlich. Man will ja schließlich Experten für so einen Job gewinnen, da muss man schon etwas bieten. Soll ja keine Beförderungsstelle für Lehrer sein, die keine Lust mehr auf Unterricht haben...


    Finanzierung natürlich kostenneutral. Z.B. könnten alle Lehrer eines Bundeslandes kollektiv auf 5% ihrer Besoldung verzichten für so eine gute Sache. Sind ja schließlich die bestbezahlten Lehrer Europas / der Welt / des Universums (wenn man so rückständige Staaten wie die Schweiz, Luxemburg u.ä. ignoriert, aber die dürfen kein Beispiel sein, Hartz 4 und der Agenda 2010 sei Dank dafür). Oder die Lehrer akzeptieren auch für die Zukunft Reallohnverluste. Sind sie ja schließlich seit über 10 Jahren gewöhnt.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Natürlich. Jede Schule braucht einen. Am Besten sollte das ein Literaturwissenschaftler oder ein Philosoph sein.


    *Meld* Hier bin ich! Wo sind A15 und Ledersessel?


    Nele

  • Wozu hätte es einen Schulpraktiker am Tisch gebraucht? Einen Teich kannst du auch nicht austrocknen, wenn lauter Frösche mitdiskutieren würden.
    Und Lehrer sind ja wie Frösche, sehen immer nur was nicht(!) geht.


    Weiter so, Prof. Hüther und all die anderen, die sich um das Auflösen der verkrusteten Strukturen bemühen!

  • Wozu hätte es einen Schulpraktiker am Tisch gebraucht? Einen Teich kannst du auch nicht austrocknen, wenn lauter Frösche mitdiskutieren würden.

    Wenn Ideologen ihre Metaphern nicht mehr im Griff haben, entbirgt sich ihre Verachtung für das Bestehende und die Menschen, die in ihm leben. Warum sollte man ohne Not einen Teich trocken legen? Weil man gerne auf dem Trockenen sitzt? Oder gerne Ökosysteme zerstört? (Das viel zitierte Bonmot spricht von "Sümpfen" – danke für die verräterische Verschiebung!)

  • Mich stimmt sehr bedenklich, dass ich auf drei Internetseiten für Lehrer (u.a. Lehrerforen) nur Klagen über den Fernsehbeitrag lese - offenbar haben Lehrer mit der Sendung ein großes Problem. Schaue ich weiter auf anderen Seiten, wo sich nicht so viele Lehrer tummeln, finde ich überwiegend nur Zustimmung. Da frage ich mich, wer hat jetzt nun recht? Vermutlich die Lehrer! Natürlich :thumbup:


    Man möge mir die Verallgemeinerung "die Lehrer" verzeihen. Selbstverständlich gibt es solche und solche.

  • Das Problem, das hier die meisten mit solchen Sendungen haben, ist nicht, dass es solche Sendungen gibt, sondern dass in solchen Sendungen wieder einmal selbsternannte "Bildungsexperten" über die Köpfe der Betroffenen hinweg unausgegorene, realitätsfremde "Ideen" entwickeln, deren Scheitern für jeden Praktiker absehbar ist. Und als Praktiker bekommt man natürlich auch gleich die "Sündenbock"-Rolle zugewiesen, wenn eine dieser tollen neuen "Ideen" ("Neues Lernen" / Inklusion / ...) scheitert: "Es könnte so schön funktionieren, wenn sich die "faulen Säcke" nur etwas mehr anstrengen würden" (wobei "Anstrenung" = mehr Abend-/Nacht-/Wochenendarbeit, wie in dem einen Thread zur Inklusion in einem Zeitungsartikel anhand der "vorbildlichen Lehrer" in einer "Muster-Inklusionsschule" treffend berichtet wurde) oder auf ihre "fetten" Gehälter / Pensionen / ... verzichten würden, denn der Staat ist leider nicht in der Lage die tollen neuen "ideen" mit den vorhandenen Mitteln zu finanzieren, da er das Geld für wichtigerer Dinge braucht (Banken, ESM, Afghanistan,...).


    Sorry, aber mit solchen "Pseudo-Diskussionsrunden" nähern wir uns immer schneller DDR-Verhältnissen an. Dort entschied das Polit-Büro über "Sachfragen" unter Ignorierung der Praxis, heute sind es selbsternannte Pseudo-Experten. Aber was ist schon die Praxis oder Sachverstand wert, wenn es um höhere Ziele geht. Das wusste man in der DDR auch schon. Hat letztendlich nur nicht funktioniert.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen


  • Bei Precht müsse es "Fühlosophie" heißen, kommentiert da jemand. :thumbup: Genau meine Meinung, viel zu viel Pathos. Klar sind da richtige Inhalte drin, aber alles nichts Neues. Schade.

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

    • Offizieller Beitrag

    Kuschlerin: wenn ich eine Diskussion zu einem Thema höre, wo ich nicht direkt involviert bin, kann ich auch sagen "Ey, dem stimme ich zu". Aber vielleicht sollte man bei der Bewertung eines Themas lieber die fragen, die sich mit auskennen.


    kl. gr. frosch

    • Offizieller Beitrag

    ICh hab mir die Sendung zum Teil angetan - und muss dem Spiegel recht geben:

    Zitat

    Philosophie? Für das ZDF eine klare Sache: Zwei Männer stellen mit großen Gesten steile Thesen auf. So sieht die neue Prestige-Sendung mit Richard David Precht aus. Die Premiere mit dem Krawall-Neurologen Gerald Hüther erinnert an eine Talk-Satire: zwei Stühle, eine Meinung.


    und

    Zitat

    Premierengast der vorab aufgezeichneten Sendung ist Gerald Hüther. Auch der hat es schon in die "Gala" gebracht. Das mag daran liegen, dass der Göttinger Neurowissenschaftler es versteht, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse derart allgemeinverständlich zu präsentieren, dass man nicht nur kein Studium braucht, um sie zu begreifen, sondern auch keines, um sie zu äußern.


    Hüthers erfolgreiches Buch "Was wir sind und was wir sein könnten" lässt sich auf zwei Binsenweisheiten herunterkürzen. Erstens: Der Mensch kann mehr, als man glaubt (irgendwie bekannt aus der Scientology-Werbung). Zweitens: Ohne Begeisterung geht gar nichts (irgendwie bekannt von Jürgen Klopp).


    und



    Dem hab ich nix hinzuzufügen. Das hatte mit Philosophie genau nix zu tun, noch nicht mal mit Erörterung.

  • Die These, dass es Schule in dieser Form schon in sechs Jahren nicht mehr geben wird, mag steil sein. Den übrigen Teil der Diskussion, die keine Diskussion war, sondern nur darin bestand, dass sich zwei gegenseitig bestätigt haben, fand ich überwiegend banal. Was Hüther über die Hirnforschung und den Bildungsbegriff sagte, habe ich im Kurs Erziehungswissenschaften gelernt. Dass es nicht nur darauf ankommt, Faktenwissen zu horten, gehört doch längst zum Allgemeinwissen. "Potentialentfaltungscoaching" ist ein recht umständlicher Begriff für individuelle Förderung. Dass sich besser einprägt, was man mit Begeisterung lernt, ist ja klar. Und dass soziale Herkunft über die Bildungschancen in D entscheidet und dass dies ein sehr beklagenswerter Zustand ist - das ist bekannt. Dass niemand daran etwas ändern will, ist nicht wahr.


    Als dann die Sprache auf die Länderhoheit kam, wurde mir aber auch klar, dass es in bayerischen Schulen anders zugeht als z. B. hier in NRW. Dass die Lösung für die Probleme darin besteht, dass Bildung bundespolitisch geregelt wird, glaube ich nicht.


    Dass "die falschen Leute" unsere Kinder unterrichten, wurde nicht belegt - wie kommt der Precht eigentlich darauf? Plumpes Lehrerbashing.


    Während die Methoden an Schulen immer vielfältiger werden, scheint mir das Studium immer starrer auf Bulimielernen ausgerichtet zu werden. Welche Methoden der Herr Hüther wohl in seinen Vorlesungen anwendet?

  • Hört hort,
    100.000 Stunden Unterricht haben die Kinder am Ende ihres Schullebens hiner sich gebracht.
    Na das sollte er aber mal vorrechnen. Das funktioniert nur bei mehr als 20 Unterrichtsstunden am Tag, und dies dann aber
    ohne schulfreies Wochenende und ohne Ferien. Aber so was kommt vor, wenn die falschen Leute mit den
    falschen Gästen im Fernsehen über Zahlen plaudern. :D :D :D :D

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Hört hort,
    100.000 Stunden Unterricht haben die Kinder am Ende ihres Schullebens hiner sich gebracht.
    Na das sollte er aber mal vorrechnen. Das funktioniert nur bei mehr als 20 Unterrichtsstunden am Tag, und dies dann aber
    ohne schulfreies Wochenende und ohne Ferien. Aber so was kommt vor, wenn die falschen Leute mit den
    falschen Gästen im Fernsehen über Zahlen plaudern. :D :D :D :D


    Naja, was die Sendung wirklich geleistet hat, ist wieder einmal das Klischee zu bestätigen, dass wir Geisteswissenschaftler nichts als Schwätzer sind, mit einer Meinung zu allem und jedem aber darüber hinaus ohne wirkliche Kompetenzen und sei es das Rechnen mit ganzen Zahlen. :rolleyes:


    Abgesehen davon - natürlich verkrustet viel des Schülerwissens und die im Unterricht erreichten individuellen Lernziele einzelner Stunden verschwinden scheinbar zur größeren Zahl. Das ist einerseits aber überhaupt nicht anders als im Schulunterricht vergangener Zeiten, als man noch "richtig etwas gelernt hat" und als "Bildung noch einen großen Stellenwert" hatte. Man möge einschlägige Schulromane wie z.B. "Professor Unrat", "Die Feuerzangenbowle", "Die Deutschstunde" oder die "Memoiren eines mittelmäßgen Schülers" konsultieren, um das als Topos wiederzufinden. Precht missversteht offenbar, dass die Summe des Schulunterrichts schon immer der Erwerb von Kompetenzen am exemplarischen Beispiel ist - und da funktioniert Schule im Regelfall, wenn man nicht den Scheuklappenblick auf die sozial in der Tat problematischen Schulverweiger fixiert wie das Kaninchen auf die Schlange. Der Durchschnittsschüler quer durch die Schulformen kann am Ende seiner Schulzeit sehr viel mehr als zum Beginn und ist auch im Regelfall in der Lage, seinen weiteren Lebensweg zu verfolgen, bzw. sogar - OHO! - ein Hochschulstudium aufzunehmen.


    Was soll also die populistische Panikmacherei? ?( (Außer vielleicht, den marktwirtschaftlichen Absatz eines neuen Buchproduktes vorzubereiten?)


    Nele

  • Dass die 100.000 Stunden in vielen Beiträgen der Presse unkritisiert kolportiert werden, lässt tief blicken.


    Nach meiner Rechnung ergeben sich bei 40 Schulwochen pro Jahr mit 30 Unterrichtsstunden und 13 Schuljahren knapp über 15.000 Schulstunden - etwa 11.000 Zeitstunden. Da hat der gute Precht wohl eine Null doppelt gesehen. 10.000 Stunden kommen etwa hin - bis zum Abi. Die Meisten haben weniger abzuleisten.


    Vermutlich handelt es sich um eine prophetische Prognose zukünftigen Lehrerdaseins: 100.000 Schulstunden entsprechen bei einem Deputat von 30 Stunden und 40 Schulwochen der Zeit, die wir Lehrer in Zukunft in der Schule verbracht gehabt werden haben sollen - knapp 83 Jahre von Einschulung bis Deckelzu. :rolleyes:

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

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