Werden akademische Leistungen heute noch selbst erzielt?

  • Hallo Kollegen,


    gerade heute hatte ich wieder eine Diskussion mit meinen Schülern, die schulische und spätere akademische Leistungen für nicht lohnenswert finden. Als Beispiele mußten die aktuellen Plagiatsfälle herhalten, Menschen "die den goldenen Löffel halt von Geburt an im A*** stecken haben" (Zitat der Schüler) und gegen die man im Konkurenzsystem nicht bestehen kan.


    Was ich mich nun frage, welche Ausmaße hat dies denn nun mittlerweile? Man hört ja einige dunkle Ziffern von nicht selbst geschriebenen Abschlußarbeiten. Immerhin werden dadurch ganze Karrierepfade eröffnet bzw. eingekauft. entsprechende Ghostwriter[unnötiger Link vom Moderator entfernt - jotto] werden sogar offen im Internet angeboten.


    Was sagen andere dazu?

  • 1.

    Werden akademische Leistungen heute noch selbst erzielt?

    2.

    gerade heute hatte ich wieder eine Diskussion mit meinen Schülern, die schulische und spätere akademische Leistungen für nicht lohnenswert finden.

    Sind für mich zwei verschiedene Fragen.
    Zur ersten Frage: Im Bereich Naturwissenschaft (Physik / Chemie) kann ich nach all dem, was ich zum Thema Zulassungs-, Diplom-, Master- und Doktorarbeiten bei uns in den Abteilungen gesehen habe sagen, dass die Leute da alle noch selber im Labor stehen und selbst ihre Ergebnisse erarbeiten. Diese werden dann mit der Literatur verglichen, aber es ist niemals ausschließlich Literaturarbeit.
    In Naturwissenschaft sind Plagiate oder gefälschte Ergebnisse prinzipiell natürlich auch möglich, aber deutlich schwieriger. Schließlich muss man in der Regel praktische Teile nachweisen:
    Zu einem neu synthetisierten Stoff gehört z.B. eine entsprechende spektroskopische Charakterisierung (NMR usw.). Diese Synthese sich nur auszudenken anstatt selber durchzuführen und dazu Datenreihen zu erfinden oder zu fälschen macht mehr Aufwand, als würde man die Untersuchungen durchführen.


    Ich denke es ist vornehmlich ein Problem in Fächern, in denen eigentlich nur über Fachliteratur geschrieben wird ohne, dass man selber aktiv forscht.
    (Ja ich weiß, sich zig Publikationen und Bücher durchzulesen und das ganze dann zusammenzufassen, umzuformulieren oder zu interpretieren, was andere geschrieben haben zählt auch als Forschung. Ich meine aber eben experimentelle Forschung wie sie in der Naturwissenschaft zu finden ist fehlt in diesen Fächern).


    Zum zweiten Punkt:


    Ja, ich glaube die Schüler haben leider recht. Wenn man sieht, wie teuer das Studium heutzutage ist durch die Langwierigkeit, den fehlenden Verdienst in der Zeit und so weiter und, dass viele Studiengänge (klassische Biologie, Philosophie, Ethnologie, Germanistik usw.) alles andere als ein Jobgarant sind und selbst dann auch entsprechend geringe Gehälter bieten, wenn man denn überhaupt direkt nach dem Studium unterkommt, denke ich, dass sich Hochschulbildung nicht wirklich lohnt.


    Es gab dazu auch ein Studie die nachwies, dass die wenigsten Fächer sich heutzutage noch finanziell amortisieren. Es geht also beim Studieren eher um Hobby und Selbstverwirklichung, also die Hoffnung etwas für seinen Horizont zu tun oder später eine Tätigkeit zu haben, die einem gefällt, als um finanzielle Vorteile durch ein Studium.


    Wo es zu meiner Elterngeneration noch so war, dass man mit einem Hochschulstudium verbesserte Berufsschancen und hohe Gehälter hatte, die die Verluste durch das Studium (mehr als) kompensierten, ist es heute eher ein Minusgeschäft. In Chemie haben wir zum Beispiel lauter Biologen, die Chemie auf Lehramt als Fach nachstudieren um Lehrer zu werden, weil sie als Diplombiologen nichts finden. Da wäre man in einem klassischen Handwerksberuf auf dem Arbeitsmarkt deutlich gefragter.


    Leider muss man den Schülern also zustimmen, dass sich akademische Bildung nicht mehr wirklich lohnt. Lieber ein Ferienpraktikum in einem Betrieb machen oder Kontakte knüpfen, eine solide Ausbildung anfangen. Darüber bekommt man eher einen gutbezahlten Beruf, als durch ein Studium.
    Auf so einem Weg über eine Ausbildung lässt sich dann zum Karriereschub bei Bedarf noch ein Studium aufsatteln, schön bezahlt durch den eigenen Betrieb in dem man ja bereits arbeitet. Macht man es anders herum studiert man ewig, bekommt dafür nichts, nur um dann nach dem Studium Berufserfahrung unentgeltlich in Praktika zu sammeln in der Hoffnung irgendwann auch wirklich angestellt zu werden. Zumindest in Betriebswirtschaft scheint das oft so zu sein. Viele die ich kenne machen aus einer soliden Bankausbildung heraus ein BWL Studium, berufsbegleitend oder kehren dann nach einem nicht berufsbegleitenden Studium an die Bank zurück in gehobene Position.



    Ausnahme sind eventuell noch die MINT Fächer, deren Studium sich durchaus auch finanziell lohnen kann! Zu einem Studium dieser Fächer würde ich den Schülern aktiv raten und könnte auch guten Gewissens sagen, dass sich diese Form Hochschulbildung lohnt.
    In anderen Fächern wäre ich sehr ehrlich und würde den Schülern auch sagen, wenn Du etwas machen willst, was sich lohnen soll und was Du nicht nur aus Horizonterweiterung unter der Gefahr, dass es sich eben höchstwahrscheinlich nicht rentiert, mache lieber eine solide Ausbildung und betreibe Theater oder Walforschung usw. als Hobby!

    4 Mal editiert, zuletzt von Silicium ()

  • Ein guter Facharbeiter in einem Industriebetrieb, der sich berufsbegleitend zum Techniker oder Meister weiterbilden lässt, steckt die meisten Akademiker mit seinem Lebenseinkommen locker in die Tasche: Die mind. 7 Jahre Einkommensverlust nach der 10. Klasse (gymnasiale Oberstufe und Studium) holen nur Akademiker wieder auf, die eine Führungsposition auf mind. Abteilungsleiterebene erreichen. Und das schaffen die meisten Akademiker nicht. Im öffentlichen Dienst schon gar nicht. Da gibt's z.B. bei den Beamten noch bis zu 2 Jahre Referendariat auf "etwas über Hartz IV-Niveau" gratis dazu (es gibt ja bei Hartz IV nicht nur die ca. 360(?) Euro im Monat, sondern auch noch die Mietkostenübernahme und die Krankenversicherung).


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • in guter Facharbeiter in einem Industriebetrieb, der sich berufsbegleitend zum Techniker oder Meister weiterbilden lässt, steckt die meisten Akademiker mit seinem Lebenseinkommen locker in die Tasche

    Das ist korrekt, leider denken viele Akademiker es würde reichen zu einem gewissen Zeitpunkt das aktuelle Gehalt zu vergleichen und dann festzustelen, dass man mit 50 Jahren ein paar hundert Euro mehr im Monat verdient. Man muss natürlich immer das Lebenseinkommen berechnen und da sieht es für Akademiker sehr mau aus heutzutage. Genau diese Rechnung wurde von der Studie auch angestellt, nämlich Einbezug des gesamten Einkommens über die Lebensarbeitszeit. Da schlägt ein Studium + Promotion nach einem Zwangszivildienst / -wehrdienst für Männer schon ganz schön negativ in das Geld.


    Ich finde Herr M. stellt eine sehr wichtige Frage. Nämlich, wie man den Schülern glaubhaft machen kann, dass Bildung so unheimlich wichtig ist. Die Schüler zweifeln ja selbst daran, dass akademische Bildung sich lohnt, wie er schreibt.
    Gerade Gymnasiasten gegenüber finde ich es sehr schwer glaubhaft zu vertreten, dass sie bei mir die notwendigen Fähigkeiten erlernen müssen um in der Lage zu sein studieren zu können. Warum müssen sie das denn, wenn das Studium in den meisten Fällen ein weniger sicherer Weg zur Ernährung einer Familie darstellt?
    Und was bringt das Wissen aus dem Leistungskurs Physik in einer normalen Ausbildung? Wird Bildung überschätzt?


    Da gibt's z.B. bei den Beamten noch bis zu 2 Jahre Referendariat auf "etwas über Hartz IV-Niveau" gratis dazu (es gibt ja bei Hartz IV nicht nur die ca. 360(?) Euro im Monat, sondern auch noch die Mietkostenübernahme und die Krankenversicherung).

    Den Diplombiologen bei uns in Chemie, die nach dem kompletten Biologiestudium, teilweise anschließender Promotion, bei der Berufsberatung waren, weil sie absolut nichts gefunden haben, wurde geraten doch noch ein Fach wie Physik, Chemie oder Mathe auf Lehramt nach zu studieren und dann Lehrer zu werden.
    Wie machen das diese Hochschulabsolventen? Sie bekommen ja nicht einmal Hartz IV nach erfolgreichem ersten Studium, wenn sie sich dafür entscheiden, anstatt zuhause zu bleiben, der Aufforderung zu folgen noch ein zweites Fach zu studieren um ihre Arbeitskraft sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Wer immatrikuliert ist hat kein Recht auf Unterstützung durch den Staat. Wie machen die das also? Die schieben Nachtschichten als Barkeeper, fallen somit aus der Arbeitslosenstatistik und leben gerade mal auf Hartz IV Niveau, eher darunter.
    Soll man seinen Schülern also raten Biologie zu studieren, wenn sie da eine Begabung zeigen? Ich glaube eher nicht....
    In Fächern wie Germanistik oder Geographie wird es nicht anders aussehen.
    Wie und warum überhaupt soll man Schülern vermitteln, dass man danach streben sollte höchstmöglich gebildet zu sein, wenn Hochschulbildung in vielen Fällen (signifikant vielen Fällen!) sich gar nicht lohnt?
    Ich finde das eine sehr wichtige Frage.

  • Zitat Herr.M :

    Zitat

    gerade heute hatte ich wieder eine Diskussion mit meinen Schülern, die
    schulische und spätere akademische Leistungen für nicht lohnenswert
    finden.

    Diesbezüglich schließe ich mich den Ausführungen von Mikael und Silicium an !


    Allein unter dem Aspekt Geld lohnen sich akademische Leistungen heutzutage wirklich nicht mehr. Man sollte hier den Schülern klar machen, dass sie sich nur für den Menschentypus lohnen, die damit ihre Ideale und emotionale Erfüllung verwirklichen möchte und bereit ist, das Risiko einzugehen, dass der finanzielle Ertrag nicht die Höhe der Qualifikation erreichen wird. 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Ziemlich kurz gedacht, liebe Leute.
    Selbstverständlich hat ein Jungarbeiter, der mit 14 ins Berufsleben eintritt auf die 50 Jahre Berufsleben gerechnet eventuell dasselbe oder sogar ein höheres Lebenseinkommen, als jemand, der erst mit 30 nach Abitur und Hochschule seine erste Stelle antritt.
    Aber - kleines Rechenexempel:


    Der Autoklempner verdient im Schnitt 50 Jahre lang monatlich 1650 €, ergibt ein Lebenseinkommen von 1 Mio.
    Der Studierte erreicht gerade noch dasselbe Lebenseinkommen - hat aber im Schnitt 2400 € monatlich, damit er dasselbe Lebenseinkommen erzielt - in der Regel liegt dies jedoch um einiges höher. Den Unterschiedsbetrag kann man dann 35 Jahre lang in eine höhere Lebensqualität investieren - wobei ich die (spezielle) Lebensqualität -trotz finanzieller Einbußen - im Studium durchaus genossen habe :D


    Back to topic:
    Auch früher wurden Doktorarbeiten von Ghostwritern verfasst. Da hat man es nur nicht so leicht nachweisen können wie heute.
    Daher: Es werden heute wohl MEHR Leistungen selbst erzielt.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Ich sehe es wie alias und möchte dies den Schülern auch vermitteln.
    Das Studium einfach nur als Weg zum Ziel zu sehen, als harte, verdienstlose oder -arme Zeit, durch die man sich "halt durchbeißen" muss, um danach einen tollen Akademikerjob zu kriegen, von dem man reich wird, war früher wie heute das falsche Denken.


    Das Studium ist (mit den richtigen Einstellungen) eine geile Zeit und der Job, den man danach macht, ist ein Job, der geistig anspruchsvoll ist bzw. sein sollte und mehr Herausforderungen bietet als Knochenarbeitsjobs.

  • hmm, wenn selbst an Gymnasien der Sinn eines Studiums einzig an dem Einkommen erläutert werden kann stimmt dies schon nachdenklich. An den Hauptschulen sagen wir unseren Schülern immer, sie sollen ihren Berufswunsch anhand ihrer Fähigkeiten und Interessen wählen - ein Tipp, den ich auch auf die Frage gebe, was soll ich studieren.

  • Zitat Ummon :

    Zitat

    Das Studium ist (mit den richtigen Einstellungen) eine geile Zeit und
    der Job, den man danach macht, ist ein Job, der geistig anspruchsvoll
    ist bzw. sein sollte und mehr Herausforderungen bietet als
    Knochenarbeitsjobs.

    Und das übermittelst du allen ernstes Deinen Schülern ?
    Die (gutbezahlten) Facharbeiter und Handwerker, die ich kenne, setzen Maschinen ein. Dass sich z.B. Mitarbeiter im VW-Werk körperlich verausgaben, wäre mir neu. Sicherlich gibt es noch einzelne Berufe, wie z.B. Fliesenleger, die körperlich anstrengen. Aber selbst als Maurer ist es nicht mehr so anstrengend wie es früher einmal war (Hab früher nach dem Abi selbst auf dem Bau gehandlangert).


    Hinter dem Begriff Herausforderung befindet sich nach meiner Meinung eine vermessend anmutende Leerfloskel, die alles oder nichts besagt. Was ist überhaupt eine Herausforderung ? Und wer bestimmt, was eine Herausforderung ist ? Empfindet das nicht jeder individuell ? Gibt es irgendeinen objektiven Nachweis dafür, dass z.B. ein Akademiker, der irgendwo in Archiven nach Akten kramt, die eh keinen normalen Menschen interessieren, eine herausforderndere Arbeit leistet als ein Maurer, der nach Plan ein komplettes Haus hochzieht ? Oder erlebt der professionelle Hundetrainer nicht größere Herausforderungen als alle Akademiker zusammen ? Oder ist letzendlich das Betreiben eines Toilettenhauses auf Schützenfesten nicht doch noch herausfordernder ?


    Ich denke, geehrter Ummon, als Schulstubenmeister, die die Arbeitswelt draußen nicht so richtig kennen und beurteilen können, dürfen wir uns nicht zu definieren anmaßen, was herausfordernd ist oder nicht. Durch diese Definitionen können ganze Berufsgruppen und Menschen, zu denen einige Schüler evt. gehören möchten, diskriminiert und abgewertet werden.


    Für mich könnte ich allenfalls mutmaßen, ob dieser oder jener Beruf mein (!) Ding wäre oder nicht. Und viele akademische Berufe finde ich im Gegensatz zu vielen nichtakademischen Berufen nicht unbedingt herausfordernd.8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    • Offizieller Beitrag

    Ich glaube es nicht: vollste Zustimmung mit Elternschreck...


    Vergessen wir nicht, dass die Gesellschaft alle Berufe braucht und alle Menschen unterschiedlich sind.


    Chili

  • Ja, Elternschreck, das vermittle ich allen Ernstes meinen Schülern, um deinen Pathos aufzugreifen.
    Ich habe selbst schon solche Jobs gemacht, bei denen die körperliche Arbeit im Vordergrund stand.
    Du hast völlig Recht, vieles wird von Maschinen übernommen.
    Aber für mich ist es egal, ob ich selbst ein Zahnrad feile oder ob ich es in eine Maschine hineinlege, die das übernimmt.
    Ich empfand es trotzdem als geistig abstumpfend.


    Und mit (fest angestellten) Arbeitskollegen, die mir vorgerechnet haben, wie lange ich arbeiten müsse, um das "aufzuholen", was sie während der Zeit, in der ich studiere, an Geld verdienen, hatte ich genau solche Diskussionen. Genau diese Leute lebten nur für die Freizeit, fürs Wochenende. Am Dienstag malten sie sich schon aus, was sie am Wochenende machen, nur das Durchhalten mit Blick auf den Feierabend bzw. das Wochenende war wichtig, die Arbeit selbst einfach ein notwendiges Übel.
    Und das ist etwas, das ich gegen die Jobs abgrenze, die ich meinen Schülern empfehle.


    Es geht nicht um Hochschulstudium vs. schnöde Ausbildungsberufe (mit den Schmalspur-Bachelor-Studiengängen verschwimmt die Grenze zwischen akademischem Grad und Ausbildung sowieso zunehmend), sondern um die Einstellung schnell Geld verdienen vs. langwieriges Studium, die ich zu materiell gedacht sehe.
    Ich bleibe dabei und bekräftige das gerne nochmal - das Studium war eine geile Zeit, in der man sich selbst entfalten konnte und Möglichkeiten hatte, die man danach nicht mehr bekommt. Hier einfach danach zu fragen, ob sich eine akademische Bildung noch "lohnt", lässt diesen (zweifellos subjektiven) Betrachtungsaspekt komplett außen vor.

  • Genau diese Leute lebten nur für die Freizeit, fürs Wochenende. Am Dienstag malten sie sich schon aus, was sie am Wochenende machen, nur das Durchhalten mit Blick auf den Feierabend bzw. das Wochenende war wichtig, die Arbeit selbst einfach ein notwendiges Übel.

    Und Du meinst das sei auf handwerkliche Berufe oder andere nichtakademische Berufe beschränkt? Es gibt mit Sicherheit eine riesige Anzahl von Akademikern, insbesondere Lehrern, die genauso denken wie die von Dir zitierten Arbeitskollegen.
    Hier im Forum? Vielleicht auch, aber eher weniger, so sind in Foren doch vor allen diejenigen aktiv, die sich eben gerade auch über die reine Arbeit hinaus mit dem Beruf beschäftigen.
    Deine Arbeitskollegen von damals waren sicher auch nicht jeden Tag in einem Handwerksforum unterwegs, wenn sie diese Einstellung zur Arbeit hatten.
    Ich bin mir aber sehr sicher, dass gerade in Burnout Berufen wie dem Lehrerberuf sich extrem viele mit Durchhalteparolen bis zum ersehnten Wochenende durchkämpfen.
    Das betrifft eigentlich alle Berufe.

    Ich bleibe dabei und bekräftige das gerne nochmal - das Studium war eine geile Zeit, in der man sich selbst entfalten konnte und Möglichkeiten hatte, die man danach nicht mehr bekommt. Hier einfach danach zu fragen, ob sich eine akademische Bildung noch "lohnt", lässt diesen (zweifellos subjektiven) Betrachtungsaspekt komplett außen vor.

    Du hast vollkommen recht, dieser Aspekt zählt auch dazu! Es gibt viele Leute, die die Studienzeit total schön empfinden und nach dem Studium zufrieden sind. Es gibt aber auch welche, die sich im Studium schon hoch verschulden, das Studium zäh empfinden und danach vor dem Nichts stehen: Menschen, die dann auf ihr Studium zurück schauen es bereuen.
    Wie man das Studium subjektiv empfindet kann in beide Richtungen gehen.
    So kann es auch mit einer Banklehre sein. Dem einen macht es Spaß, der andere findet es schrecklich.


    Natürlich muss jeder das individuell entscheiden. Aber so wie es denjenigen gibt, der auch dann noch Ethnologie studieren würde, wüsste er, dass er ziemlich sicher danach kaum einen Job bekommt, gibt es auch denjenigen, den so eine Erfahrung in die Depression treiben würde, wenn er nach dem Studium eigentlich wieder bei Null anfangen kann auf dem Arbeitsmarkt.
    Ich denke es ist einfach wichtig, dass man vorher weiß, auf was man sich einlässt.
    Geht man heutzutage auf einen Tag der offenen Tür wird in jedem Fach nur das Tollste erzählt. Über die negativen Aspekten wie drohende Arbeitslosgkeit und geringe Gehälter wird sich ausgeschwiegen.
    Ich denke da ist es wichtig, dass junge Menschen reinen Wein eingeschenkt bekommen, zur Not vom Lehrer.

  • Geehrter Ummon,
    ich würde den Begriff Herausforderung hinsichtlich Berufswahl ganz streichen. Es gibt ja auch Menschen, die gar keine Herausforderung im Beruf wollen. In diesem Schuljahr möchte ich z.B. auch keine großartigen Herausforderungen bestehen müssen und stattdessen mit bequemer Routine meinen Job erfüllen und Geld verdienen.


    Ich würde eher auf den Begriff Zufriedenheit setzen und daher die Schüler dazu animieren, dass sie intensiv in sich reinhorchen, wie sie in beruflicher Hinsicht Zufriedenheit erlangen könnten. Da gibt es unter den Schülern die unterschiedlichsten Typen. Die einen wollen herausfordende Berufe, die anderen hätten es gerne ein wenig bequemer und würden dafür sogar finanzielle Einbußen in Kauf nehmen.


    Ob ein Beruf etwas Herausforderndes hat oder nicht, sollte meiner Meinung nach nicht als Qualitätsmerkmal dargestellt werden, sondern den Aspekten eigene Vorstellung und angestrebte Zufriedenheit untergeordnet werden. Der eine ist zufrieden wenn er an einer Elite-Uni später als Professor Vorträge halten kann, der andere träumt von einem Toilettenhäuschen auf Schützenfesten. Und niemand kann ernsthaft behaupten, dass das Betreiben eines Toilettenhäuschens oder Bratwurstbude für die Menschheit weniger wichtig wäre. 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Also ich kann von meinen beiden Studien (Nachrichtentechnik FH sowie Aufbaustudium Berufspädagogik und Informatik Uni) sagen, dass sie mir bisher reichhaltige berufliche Perspektiven und Einblicke ermöglicht haben.
    Zu den Perspektiven zählt m.E. auch, dass man als Ingenieur eine breitere Auswahl an beruflichen Tätigkeiten hat als z.B. als Facharbeiter.
    Außerdem hat man als Ingenieur immer die Möglichkeit sich selbstständig zu machen, da kommt meines Wissens nach keiner mit Meisterzwang und ähnlichem Gedöns.
    Letztlich studiert man für sich, nicht für das liebe Geld, auch wenn ein anständiges Einkommen aus meiner Sicht dazugehört.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • gerade heute hatte ich wieder eine Diskussion mit meinen Schülern, die schulische und spätere akademische Leistungen für nicht lohnenswert finden. Als Beispiele mußten die aktuellen Plagiatsfälle herhalten, Menschen "die den goldenen Löffel halt von Geburt an im A*** stecken haben" (Zitat der Schüler) und gegen die man im Konkurenzsystem nicht bestehen kan.


    Was ist das denn für eine sonderbare Argumentation? Es lohnt sich nicht zu studieren, weil


    a) einige Leute von Geburt an reich sind und
    b) einige Leute ihre Karriere wegen nachgewiesener Plagiate beenden müssen


    ?


    Gegen diese Leute kann man "nicht bestehen"? Wieso denn?


    Soll man lieber Friseur oder Schreiner werden, weil man auch mit einem BWL-Studium höchstwahrscheinlich nicht in die Vorstandsetagen der Deutschen Bank vorrücken wird und weil es geklaute Abschlussarbeiten gibt?


    Ich würde mal mit den Schülern über den Ausdruck "sich lohnen" sprechen. Was haben die Leute für eine Vorstellung, für Wünsche, für Ansprüche an ihr Berufsleben? Wird man glücklich, wenn die Kasse stimmt? Wie wichtig ist mir ein *interessanter* Job und meine persönliche Entwicklung, wie wichtig ist es mir, dass ich mich beruflich verändern kann, wenn ich das wünsche?


    Und wie sehr lasse ich mich von den Medien beeinflussen, die natürlich gern Skandale und Skandälchen heraushauen und dabei den Anschein erwecken, es würde nur noch gelogen und betrogen? Lohnt es sich nicht mehr, etwas zu kaufen, weil andere klauen?


    Wenn bei der Diskussion herauskommt, dass ein Studium ohne ein fachliches Interesse tatsächlich für den erwähnten A* ist, egal wie golden die dort bereits vorhandenen Löffel sind, dann wäre das ein gutes Resultat. Ich glaube, diese Art Diskussionen werden von Schülern geführt, die nicht wissen, wo sie hinwollen. Es gibt ja auch welche, die das sehr genau wissen und nur den Weg dahin noch suchen.


    Was ich manchmal bei Schülern vermisse, ist Anstrengungsbereitschaft. Ich meine jetzt gar nicht so sehr in der Schule selbst, sondern mit Blick auf die Zukunft. Wenn ein begabter junger Mensch sich nicht dort vervollkommnen will, wo er richtig gut ist, sondern eher danach guckt, was am chilligsten ist - dann stimmt mich das bedenklich.


  • zu b)
    Ich habe die Schüler so verstanden, dass sie den Eindruck haben, dass Leistung gar nicht so sehr entscheident für Erfolg ist. Wenn also bei jemandem in hoher Position irgendwann einmal nachgewiesen wird, dass seine Doktorarbeit ein Plagiat ist, dann wird ja deutlich, dass diese Person anscheinend nicht in so hohe Position gekommen ist, weil sie wissenschaftlich so viel geleistet hat. Die Person hat ja gar nichts Neues gefunden oder Bahnbrechendes geleistet, im Endeffekt eigentlich hat sie ja gar nichts geleistet damals zur Promotion. Trotzdem ist die Person in so eine hohe Position gekommen und eben das vermutlich nicht durch die inhaltliche Leistung der Arbeit, sondern durch den Dr. Titel allein oder, weil er die entsprechende Kontakte hatte die wichtiger waren als Leistung. Vielleicht auch einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und das ist eben Glück, etwas, das man nicht durch Anstrengung erreicht.


    Das beobachtet man doch oft. Es muss ja nicht einmal ein Plagiat sein. Oftmals haben die Leute in den größten (bestverdienensten, angesehensten) Positionen die inhaltlich schwächsten Doktorarbeiten und manch einer, der wirklich eine super Doktorarbeit liefert bleibt ein kleines Würstchen.
    Der Zusammenhang Leistung und Erfolg ist im wirklichen Leben (vor allem in Deutschland) nicht wirklich sehr groß. Auch, wenn man eigentlich denkt es müsste anders sein.


    Da kann ich irgendwo schon verstehen, dass Schüler frustiert sind, wenn sie es nicht durch Leistung vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen können. Du kannst ja auch der beste, am härtesten arbeitende Lehrer sein und trotzdem wirst Du nie reich wie die Geissens, oder was auch immer die Schüler schauen, werden. Im Gegenteil, der faule Kollege, der aber gesundheitlich besser drauf ist und verbeamtet ist verdient sogar mehr, obwohl der nicht den Bruchteil des Engagements zeigt.


    Ich sehe das ja an auch in anderen Berufen bei Bekannten. Da hätten wir ein Mädel, die vollbefriedigend im ersten Jura Staatsexamen abgeschlossen hat und sich mühsam durchs Jura Ref. kämpft wohl wissend, dass ihr Berufseinstieg zwar sicher mit den Noten ganz gut wird, aber sie sich dennoch von unten hocharbeiten muss.
    Anders wohl ein Kommilitone von ihr, der laut ihr zwar nur Ausreichend hätte aber dessen Vater auch Jurist ist und ihn durch Connections zu Praktika in Großkanzleien schickt, von denen sie trotz ihrer (für Jura!) deutlichst besseren Noten nur träumen kann und sogar abgelehnt wurde, als sie dort zum Praktikum angefragt hat.


    So ist das Leben, ja!




    Soll man lieber Friseur oder Schreiner werden, weil man auch mit einem BWL-Studium höchstwahrscheinlich nicht in die Vorstandsetagen der Deutschen Bank vorrücken wird und weil es geklaute Abschlussarbeiten gibt?

    Ich glaube darum geht es gar nicht. Das sind ja extrem unterschiedliche Berufe mit extrem unterschiedlicher Bezahlung. Aber warum zum Beispiel BWL studieren, wenn man als Generation Praktikum endet anstatt eine Bankausbildung zu machen? Warum sein Talent für Quantenphysik in einer inhaltlich total schwierigen Promotion vergeuden (dabei vllt. sogar Spaß haben), wenn man dann doch sein Geld mit so einem Orchideenfach später kaum verdienen kann und dann den Quereinstieg in die Schule wagen muss?


    Oder warum sich als Lehrer durchs Referendariat quälen, wenn man auch Facharbeiter beim Bosch werden könnte und dasselbe verdient. Da überlegt man durchaus schon mal, ob sich Leistung und Ertrag in einem Verhältnis stehen.


    Es ist eben die Frage, ob es sich für einen Schüler lohnt ein 1,0 Abi hinzulegen, wenn er mit einem 2,0 Abi denselben Studienplatz bekommt und es nachher eh kein Schwein interessiert was er für ein Abi hatte, da er ja eh nur Lehrer wird oder etwas studiert, wo nachher nur auf das Studium geschaut wird.


    Klar macht man auch für sich selbst gerne ein gutes Abi, unabhängig von dem was mit damit erreichen kann.
    Aber je öfter man sieht im Leben, dass man mit weniger Leistung dasselbe Ziel erreicht und mit mehr Leistung nicht etwa höhere Ziele erreicht werden, dann kommt tatsächlich irgendwann die Erkenntnis, dass man vielleicht einfach ein bisschen weniger machen könnte.
    Selbst, wenn es einen interessiert.
    Man siehe einen anderen aktuellen Thread, in dem davon berichtet wird, dass die Fachleiterposition ausgeschlagen wurde, weil es unter anderem einfach nur mehr Arbeit macht, aber keine bessere Bezahlung oder sonstige Annehmlichkeiten.
    Klar, manch einem mag die Tätigkeit sehr erfüllen und man mag dafür dann durch die Gegend gondeln, andere denken eben, dass sich dies einfach nicht lohnt.



    Wenn ein begabter junger Mensch sich nicht dort vervollkommnen will, wo er richtig gut ist, sondern eher danach guckt, was am chilligsten ist - dann stimmt mich das bedenklich.

    Mal abgesehen davon, dass ich das Lebenskonzept "Arbeiten um zu Leben anstatt anders herum" als durchaus legitim ansehe, wundert mich das nicht. Was steht einem wirklich guten Schüler heute denn schon an Wegen offen in dieser Wirtschaftslage?
    Welche Karrie macht ein Schüler, der unheimlich talentiert ist mit der Oboe oder der Klarinette?


    Idealismus ("ich strenge mich an und hole alles aus mir raus") und Talent fällt leider ziemlich schnell der Realität in Deutschland (und anderswo) zum Opfer. Schnell stellt man fest, dass es auf ganz andere Dinge im Leben ankommt als auf Talent und Leistung. Vitamin B, ein gutes Aussehen, das nötige Glück, Ellenbogen und Dreistigkeit, all das ist viel wichtiger. Leider mag man sagen.
    Aber auch Schüler realisieren das recht schnell.

  • Zitat Silicium :

    Zitat

    Vitamin B, ein gutes Aussehen, das nötige Glück, Ellenbogen und Dreistigkeit, all das ist viel wichtiger.

    So gesehen werden unsere Schüler nicht für das reale (!) Leben draußen vorbereitet. Unter dem Bereich Sozialkompetenz versucht man bei den Schülern die o.g. Attribute
    und Eigenschaften auszutreiben und sie zu sozialfähigen Menschen zu erziehen. So gesehen lassen sich nur dumme Schüler darauf ein, während die dreist gebliebenen Ellenbogentypen mit Seilschaftsanknüpfungsfähigkeiten sich später im Leben die größten Stücke aus dem Kuchen grabschen. 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

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