So wie ich euch verstehe, ist es bei euch mehr ein gradueller Unterscheid zwischen "Rechenschwierigkeiten" und "Dyskalkulie" als ein prinzipieller?
Eine solche Abgrenzung nach dem Schweregrad ist ja ok und sicherlich hilfreich. Nur den Begriff "Dyskalkulie" sehe ich immer noch kritisch, weil er eben für ein bestimmtes ätiologisches-medizinisches Konzept steht (hinter dem sicherlich nicht alle Leute stehen, die den Terminus verwenden).
Dyskalkulie
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Ich muss zugeben, dass ich nicht genau weiß, wo man da die Grenze ziehen sollte zwischen Rechenschwierigkeiten und Dyskalkulie. Plattenspieler, du bist mitten im Studium und beschäftigst dich damit, vielleicht kannst du es genauer definieren? Ich bin in meinem Studium (wie vielleicht viele Grundschullehrer) nicht damit in Berührung gekommen und hab mir halt etwas angelesen, als ich mit dem Problem konfrontiert war.
Mir fällt aber leider in der Praxis auch auf, dass es keinen Unterschied macht, ob man die Diagnose Dyskalkulie hat oder nicht. Das in meinem ersten Beitrag beschriebene Mädchen wurde tagelang an der Uni getestet. Ich bekam anschließend einen 10seitigen Bericht, der gespickt mit psychologischen Fachbegriffen war und der eben die ausgeprägte Dyskalkulie bescheinigte. Da die Familie von Hartz-4 lebt, ging die Mutter mit dem Testergebnis zum Jugendamt, um Förderung für das Kind zu bekommen. Ich schrieb dazu noch eine mehrseitige Abhandlung über das Lern- und sonstige Verhalten des Mädchens. Letztlich rausgekommen ist, dass die Förderung nicht bezahlt wird, da das Kind (noch) keinen seelischen Schaden aufgrund seiner Rechenschwäche genommen hat. Die Mutter hat da wohl einen ziemlichen Riss gemacht und gefragt, ob sie die Meinung der Psychologen und der Klassenlehrerin in Frage stellen wollten, bekam darauf aber nur ein Schulterzucken.
So murkse ich eben weiter mit dem Kind herum, versuche zu fördern, wo es geht (was meist nicht geht, denn da ist Einzelbetreuung gefragt und die Förderstunde wurde mir gestrichen) und lasse sie ansonsten in Ruhe. Mathenote ist bis auf weiteres ausgesetzt, aber ich habe mit der Mutter vereinbart, dass wir versuchen, sie in Klasse 4 zumindest auf eine ganz schlechte 4 zu bekommen...
Das war jetzt etwas ot, aber ich werde jedenfalls keine Anstrengungen mehr unternehmen, um irgendwelche Diagnosen für Kinder zu bekommen. Letztlich ist es mir wurscht, ob das Dyskalkulie oder einfach schwaches Rechnen ist. Die Förderung bleibt doch gleich (und die mangelnde Unterstützung auch).
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stehen im Allgemeinen eben für den medizinischen Ansatz, der weitgehend als überholt und wenig sinnvoll gilt,
interessant - Kannst du dafür wissenschaftliche Quellen angeben - oder ist das deine persönliche Ansicht? Wurden die diesbezüglichen Fachbereiche und Lehrstühle abgeschafft?
Bislang wurde von Dyskalkulie oder Legasthenie gesprochen, wenn eine Teilleistungsstörung vorlag - sprich: Das Kind zeigt in allen anderen Feldern normale bis sogar überdurchschnittliche Leistungen - nur die die Verschriftlichung oder der Umgang mit Zahlen funktioniert nicht. Falls sowohl Dyskalkulie UND Legasthenie sowie Merkfähigkeitsprobleme in den anderen Fächern vorliegen ist das Kind eben dumm. Das gibt es auch.
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Bislang wurde von Dyskalkulie oder Legasthenie gesprochen, wenn eine Teilleistungsstörung vorlag - sprich
Das ist nicht ganz korrekt. Es gibt viele Fachdidaktiker die diesen Begriffe nicht nutzen sondern eher von Rechenstörung oder Rechenschwäche sprechen, da es kein geeignetes Diagnoseinstrument gibt, um wirklich eindeutig einem Kind eine Dyskalkulie anzudichten. Was man durch geeignete qualitative Diagnoseinstrumente sieht, sind nur Symptome, die zeigen, dass ein Kind schwächen im mathematischen Bereich hat.interessant - Kannst du dafür wissenschaftliche Quellen angeben
Es gibt viele Mathematikdidaktiker an Universitäten und Lehrkräfte, die sich in diesem Bereich auskennen, die dies sehr kritisch sehen, z.B. Wilhelm Schipper, Jens Holger Lorenz, Michael Gaidoschik, Bernd Ganser, usw. Es gibt diverse Literatur auch von diesen Personen zu dem Thema. -
Den Link zu einem sehr erhellenden Text von Valtin aus der Deutschdidaktik habe ich darüber hinaus weiter oben schon gepostet.
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Mich hat das Buch "Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern" (Armin Born, Claudia Oehler) weitergebracht, auch wenn ich als Montessori-Lehrerin den Autoren nicht zustimme, was sie über Montessori/Reformpädagogik schreiben. Diesbzgl. habe ich ein anderes Montessori-Bild. Aber das "Selbstentdeckendes Lernen" bei manchen Kindern nicht weiterführt und diese sich lieber der Automatisierung widmen, nachdem man ihnen einen leichten Weg eröffnet hat und dankbar für somit neue Erfolgserlebnisse sind, kann ich bestätigen. Ich arbeite viel mit Lernmaterialien vom bracht verlag, weil die sich erstmal nur aufs Wesentliche beziehen, auch vom Layout her (ohne "hier noch ein Sternchen, da noch ein Clown..."). Wenn der Rechenweg verstanden ist, dann lass ich Aufgaben erfinden oder bette die Anwendung in "Sachaufgaben", also Probleme des Alltags ein. Oder umgekehrt. Also dass ein Alltagsproblem einen neuen Rechenweg erfordert, den ich mit Material veranschauliche.
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