Gelten "normale" Arbeitnehmerrechte für Lehrkräfte nicht?

  • Auch wenn ich beispielsweise Siliciums Beiträge durchaus nachvollziehen und ihnen zustimmen kann, möchte ich ein Stück weit wieder zu der Ausgangsfragestellung des Threads zurückkehren. Hier ging es darum, ob Arbeitnehmerrechte nicht oder nur eingeschränkt für Lehrer gelten, bzw. ob diese nicht durch eine sehr hohe Erwartungshaltung an die Verfügbarkeit (seitens der Eltern, ich würde dieses noch um SL, KuK und Mitarbeitern, wie Schulsozialarbeit ergänzen wollen) von Lehrern immer wieder ausgehebelt werden.
    Ich stelle mir diese Frage auch immer wieder. Ein paar Beispiele:


    Ich bin an einer Ganztagsschule tätig (08:00 - 16:00 Uhr Unterrichtszeit). Oft genug kommt es vor, dass man an einem Tag, an dem man durchgängig Unterricht hat, neben einer planmäßigen Aufsicht noch zusätzlich (aufgrund von Ausfällen anderer KuKs) beispielsweise für die Mittagspause eingeteilt wird. Das bedeutet, dass man von 08:00 - 16:00 Uhr unter absolutem Dauerfeuer steht. Wie man sich danach fühlt, brauche ich hier niemandem zu erläutern.
    Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass dieses Vorgehen durch Arbeitnehmerrechte legitimiert ist. Dennoch ist es bei uns an der Regel. Im Durchschnitt sind mehrere KuKs pro Woche davon betroffen.
    Ich ziehe jetzt mal keinen Vergleich zu höheren Managerposten, sondern tendiere mal in die andere Richtung, indem ich mich an meine Studienzeit erinnere: Bevor ich erkannt habe, dass ich mit diversen "Computerjobs" wesentlich bequemer wesentlich mehr Geld verdienen kann, habe ich mein kümmerliches Studentenauskommen zuvor mit allerlei körperlich sehr anstrengenden Tätigkeiten aufgebessert. Beispielsweise mit Lagerarbeiten (LKW Be- und Entladung für eine große deutsche Spedition). Für die zahlreichen studentischen Aushilfskräfte gab es da Schichten von fünf Stunden. Selbstverständlich wurden auch den Aushilfskräften während dieser fünf Stunden (also bezahlt) zwei Pausen von etwa 15 Minuten zugestanden. (Im Übrigen war es später, als ich beispielsweise als Redakteur eines großen Online-Portals gearbeitet habe, nicht schlechter: Meine Hauptarbeit habe ich vom heimischen PC erledigt (4 Stunden von Montag – Freitag, was meine Zeiteinteilung war, ich hätte die 20 Stunden auch frei auf die Woche verteilen können), dabei in Teilzeit soviel verdient, wie viele Arbeitnehmer in Vollzeit. Ab und an (etwa vierteljährlich) gab es Teammeetings zu denen man anreisen musste. Selbstverständlich war die Anreise, das Meeting selbst und die Abreise (Reisekosten wurden erstattet) bezahlte Arbeitszeit - man vergleiche das mal mit Konferenzen!)
    Ein anderes Beispiel:
    Der "Durchschnittskollege" hat in den letzten drei Wochen vor den Ferien bei uns an der Schule an fünf Konferenzen (drei LKs + zwei Zensurenkonferenzen), wenn er auch noch in der Schulkonferenz ist, an sieben Konferenzen teilgenommen (müssen!!!), welche alle außerhalb der Unterrichtszeit stattgefunden haben. Nun ist natürlich offensichtlich, dass bei uns schulorganisatorisch etwas fürchterlich aus dem Ruder läuft. Geschenkt - das ist nicht mein Punkt. Es geht doch darum, dass die SL mit ihrer miesen Planung durchkommt, da die Dienstpflichten und deren Ausmaße bewusst so schwammig definiert sind, dass sie nahezu unbegrenzt ausdehnbar und interpretierbar sind. Geschickter Schachzug der Schulministerien - aber bei einer rechtlichen (beispielsweise am Arbeitnehmerrecht) Überprüfung nicht haltbar. Hier wird also wissentlich von staatlicher Seite der möglichen Ausbeutung gegenüber ihren Staatsdienern (die eigentlich - und ich müsste lachen, wenn es nicht so pervers wäre - einer besonderen Fürsorgepflicht unterliegen) Tür und Tor geöffnet. Das ist skandalös! Und - wie gesagt - gemessen an geltendem Recht: Unrecht!


    Komme wir zur Erwartungshaltung von unterschiedlichen Seiten:


    Wir sind hierbei wieder an meiner Schule, wieder steht ein Arbeitstag von 08:00 – 16:00 Uhr ins Haus und glücklicherweise steht in der Mittagspause (diese beträgt knapp eine Stunde) nichts an: Sowohl die SL als auch die Schulsozialarbeit sieht diese Zeit, als einen frei für Gespräche zu nutzenden Zeitraum an. Dieses scheint für die beiden genannten Parteien so selbstverständlich zu sein, dass angesäuert (SL) bis persönlich beleidigt (Schulsozialarbeit) reagiert wird, wenn von Seiten der Lehrkraft nicht spontan und lächelnd einem solchen Gespräch zugestimmt oder dieses gar abgelehnt wird. Das ist schon eine sehr befremdliche Auffassung darüber, wer und in welchem Maße über die Freizeit von Lehrkräften zu bestimmen hat!


    Ein letztes Beispiel bezüglich der Erwartungshaltung:


    Anrufe von Eltern (aber auch Behörden (Jugendämter) und Einrichtungen) in Pausen und zwar bewusst zu diesem Zeitpunkt. Wieder sind wir an meiner Schule, wieder steht ein atemraubender Arbeitstag bis 16:00 Uhr an und dieses Mal bin ich auf der Sonnenseite des Lehrerlebens, weil ich keine Aufsicht habe. In der Majorität geht es bei diesen Anrufen nicht um wirklich Wichtiges (dann fände ich es ausnahmsweise auch akzeptabel), sondern diese haben eher jene Qualität: "Ja, schönen guten Tag, Herr Sobchak! Der Keven vermisst seit einiger Zeit seinen Tuschkasten. Können Sie, als sein KL, mal eben in den Kunstraum gehen und nachsehen und dem Keven den Tuschkasten geben!? Der ist so grün mit Punkten drauf!“ Tja, was soll man dazu sagen? (In diesem gepflegten Forum besser nichts das, was angezeigt wäre.) Die Häufigkeit solcher Anrufe zeigt jedenfalls, mit welcher Selbstverständlichkeit bezüglich der Verfügbarkeit von Lehrkräften diese Eltern anrufen. Ich bin mir sicher, sie meinen das nicht "böse", sondern gehen davon aus, dass dieses ok sei. Das ist es nicht!


    Schließen möchte ich mit einem Zitat von Karl Jaspers: "Es ist das Schicksal eines Volkes, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achtet."


    Da ist wohl was dran!

    Die Wahrheit liegt im Blickwinkel des Betrachters.

    Einmal editiert, zuletzt von Walter Sobchak ()

  • Ich habe nur die erste Seite gelesen, aber ich kann nur Modal Nodes und Melosine zustimmen, anders gesagt:


    Niemand wird dazu gezwungen Lehrer zu sein oder zu werden. Jedem steht es frei zu gehen! In der "freien Wirtschaft" warten sie händeringend auf die jammernden und moralisch überqualifizierten Lehrer dieses Forums. Nur zu!

  • Ich habe nur die erste Seite gelesen, aber ich kann nur Modal Nodes und Melosine zustimmen, anders gesagt:


    Und das qualifiziert dann zu dieser Aussage:

    Niemand wird dazu gezwungen Lehrer zu sein oder zu werden. Jedem steht es frei zu gehen! In der "freien Wirtschaft" warten sie händeringend auf die jammernden und moralisch überqualifizierten Lehrer dieses Forums. Nur zu!


    Respekt!

    Die Wahrheit liegt im Blickwinkel des Betrachters.

  • Achso, dafür bekommt man wohl im Lehrerberuf einen professionellen Tröster von Berufswegen an die Seite gestellt so, dass in diesem Beruf nicht das soziale Umfeld zum Auffangen der Sorgen herhalten muss? Praktisch, macht das dann der Schulpsychologe? :D


    Du wirst vielleicht lachen, aber das machen die Kids, die vor dir sitzen, schon selbst.

    Das freut mich für Dich. Es gibt aber auch viele, denen es genau anders herum geht: Leute, die aus der Schule in die Wirtschaft (oder Schulbehörde) wechseln wollen, weil sie dem schulischen Druck nicht mehr gewachsen sind. Ich denke, dass ist auch ein bisschen typabhängig. Wenn ich z.B. aus meinem Bekanntenkreis die Berufseinsteiger in der Wirtschaft mit den Referendaren vergleichen, so ist zweitere Gruppe viel deutlicher die, die auf dem Zahnfleisch kriecht und unter ständigem Druck lebt.


    Es wird immer Leute geben, die das eine dem anderen vorziehen und die Seite aus den angegebenen Gründen wechseln. Es ist jedoch die Frage, ob diese Entscheidungen immer informiert getroffen wurden. Für einen fundierten Vergleich müsste man nämlich beide Situationen schon mal eigenen Leib erlebt haben, um sich einen Vergleich zutrauen zu können. Als LAA stehst du genauso unter Bewertungsdruck, wie als Trainee in der Wirtschaft. Es wird dir nur nicht immer so klar, weil die Konkurrenz nicht so sichtbar ist wie bei den Studienseminartreffen einmal in der Woche. Aber wenn dir dann bei den regelmäßigen Evaluations- und Perspektivsitzungen die Beobachtung deines Umfeld aufgetischt werden und sie dir deine "Entwicklungsdimensionen" näher bringen, ists auch nicht anders wie in den Lehrproben-Besprechungen.

    "A lack of planing on your side does not constitute an emergency on my side."

  • Auch wenn Arbeitnehmer mehr Privilegien genießen mögen, so hat der Lehrerjob im Gegensatz zur freien Wirtschaft wesentliche Vorteile. Insbesondere können wir im Gegensatz zu den Mitarbeitern in der freien Wirtschaft nicht einfach vor die Tür gesetzt werden, wenn die Firma pleite geht oder wir zu alt werden / nicht mehr so leistungsfähig sind. . Wenn die Schule geschlossen wird, werden wir versetzt.
    Ich möchte meinen Lehrerjob auf keinen Fall gegen einen in der freien Wirtschaft tauschen. Wer lieber die Privilegien der freien Wirtschaft haben möchte, der kann gerne in diese wechseln.

  • Auch wenn Arbeitnehmer mehr Privilegien genießen mögen, so hat der Lehrerjob im Gegensatz zur freien Wirtschaft wesentliche Vorteile. Insbesondere können wir im Gegensatz zu den Mitarbeitern in der freien Wirtschaft nicht einfach vor die Tür gesetzt werden, wenn die Firma pleite geht oder wir zu alt werden / nicht mehr so leistungsfähig sind. . Wenn die Schule geschlossen wird, werden wir versetzt.
    Ich möchte meinen Lehrerjob auf keinen Fall gegen einen in der freien Wirtschaft tauschen. Wer lieber die Privilegien der freien Wirtschaft haben möchte, der kann gerne in diese wechseln.


    Seit wann ist eine definierte Pause ein Privileg?
    Jeder Bauarbeiter muss einen Gehörschutz tragen - bei Lehrern kümmert die Lärmbelastung keinen Menschen. Es liegt schon einiges im Argen.


    Wie soll sich was ändern, wenn stets so argumentiert wird: Du kannst ja was anderes machen? Was für ein Totschlagargument. Das passt doch immer und überall.

  • Seit wann ist eine definierte Pause ein Privileg?
    Jeder Bauarbeiter muss einen Gehörschutz tragen - bei Lehrern kümmert die Lärmbelastung keinen Menschen. Es liegt schon einiges im Argen.

    Privileg = Geschäftsessen, Dienstwagen etc.
    Ich meinte damit keine Pausen.

  • Zitat

    Wer lieber die Privilegien der freien Wirtschaft haben möchte, der kann gerne in diese wechseln.


    Ich wage einmal zu behaupten - als eine, die beide Seiten kennt - dass so manche Lehrer in der "freien Wirtschaft" einen anhaltenden Praxisschock erleiden würden.
    - 19 Jahre in der vielgepriesenen freien Wirtschaft, die letzten 15 davon bei einem angesehenen Mittelstandsunternehmen, das sogar! tariflich zahlte. Dafür nahm es sich die Freiheit heraus, seine Angestellten übertariflich auszubeuten. 15 Jahre - ein kleines Fazit: ordentliches Gehalt, in etwa Ingenieurniveau. Täglich (täglich) ca. 2-3 Überstunden, mit dem Gehalt abgegolten. Jede zweite Woche Sonntagsdienst, zwischen 8 und 10 Stunden, fürstlich entlohnt mit pauschal 75 Euro (brutto) sowie einem freien Tag in der Woche, den man schätzungsweise nach einem Jahr mal nehmen konnte (aufgrund der üppigen Personaldecke). Regelmäßige Samstagseinsätze, ob für Sonderprodukte oder für Marketingaktionen, entgolten mit einem feuchten Händedruck oder gar nichts (doch, in 14 Jahren gab´s zweimal vom Verlegersöhnchen eine Pizza für die ganze Belegschaft spendiert, für jeden EINE, aber man gönnt sich sonst ja nichts). Was noch - Dienstwagen? Ha, ha. Geschäftsessen? Klar, die Arbeitszeit durfte man abends ranhängen. Recht auf Teilzeit? Lach, lach, O-Ton meines Exchefs: "Junge Mütter kommen entweder ganz wieder oder gar nicht." Wurde mit betrieblichen Zwängen begründet und durchgewunken, Ende der Fahnenstange. Was weiter... Dienstreisen? Klar, auf eigene Kosten und natürlich mit einem Urlaubstag als Dreingabe (der war zu opfern, was sonst, ist ja Privatvergnügen). Jeden Mittwochmorgen VOR DIENSTBEGINN Rapport mit Wochenkonferenz, um sich regelmäßig ordentlich absauen zu lassen. Als dann der Direktkonkurrent auf einen Schlag noch 300 Mitarbeiter schasste, war denn alles klar: Duck dich, halts Maul, ackere - oder flieg raus.
    - Ich selbst flog mit Mitte 40 kurz vor dem letzten Gehaltssprung. Weil mein paranoider Psychochef rausgefunden hatte, dass ich mich auf Lehrerin umorientieren und kündigen wollte. Lieber Scholli, manche hier wissen echt nicht, wovon sie reden. Mein heutiger Job - ist stets befristet, an einem traumhaften Gymnasium, mit traumhaften Schülern, ich habe weniger die Hälfte meines früheren Einkommens und bin zehnmal glücklicher und vor allem von dem Gefühl erfüllt, etwas Sinnvolles zu tun. Ja, ich habe 13 Wochen Urlaub im Jahr und kann mich immer noch nicht an diese wahnsinnigen Zeiten gewöhnen. Unsicherheit durch Zeitverträge? Nach meinem fristlosen Rauswurf nach 15 Jahren Schufterei kann ich mich darüber wirklich totlachen.
    (Rausgeworfen werden ohne Grund? Doch, das geht. Es geht verdammt viel im deutschen Arbeitsrecht, auch das lernte ich staunend noch im gereiften Alter neu.)


    Mein Exarbeitgeber war übrigens nicht einmal ein Extrembeispiel - gut, schon ein krasses Beispiel, aber keine Ausnahme. Das weiß ich aus meinem weiten Bekannten- und Freundeskreis.
    Ich war übrigens ca. 10 der 15 Jahre durchaus sehr glücklich in meinem Beruf. Ich dachte allerdings auch, das sei alles normal. :-))


    Wer als Lehrer Beschwerde fühlt, sollte sich vielleicht einmal nur drei Wochen für ein Praktikum in ein ganz normales mittelständisches Unternehmen begeben.
    - Gehabt euch wohl, mich kriegt niemand mehr aus der Schule raus.

  • Wer als Lehrer Beschwerde fühlt, sollte sich vielleicht einmal nur drei Wochen für ein Praktikum in ein ganz normales mittelständisches Unternehmen begeben.
    - Gehabt euch wohl, mich kriegt niemand mehr aus der Schule raus.

    Ich finde diese Aufrechnerei etwas albern und sie bringt auch nicht weiter. Ich kenne auch beides. Freie Wirtschaft in einer wenig zimperlichen Branche in ganz guter Position, zudem habe ich in meiner Zeit der Selbständigkeit als Trainerin viel Einblick in unterschiedliche Branchen und Firmen bekommen.


    Die Belastungen und Berufsrisiken sind - banale Erkenntnis -ebenso wie die Vorzüge und Freuden einfach sehr, sehr unterschiedlich.


    Zwei fundamentale Unterschiede gibt es allerdings: In Schulfragen sind alle Experten, weil jeder schon einmal eine Schule von innen gesehen hat. Das kann nerven, weil so viel Unreflektiertes und Subjektives einfließt und Debatten verflachen lässt und so selten Produktives entsteht.
    Der andere Unterschied: Die wolkigen Vorstellungen vom Lehrer aus Berufung, von pädagogischem Eros etc., die einer Professionalisierung des Lehrerberufs eher im Weg stehen und Erwartungen wecken, dass man als Berufener gar nicht anders kann, als im Dienst zu sein, folglich auch keine Pausen o.ä. benötigt, weil ein Kinderlachen Dank und Erfüllung genug sind. Das ist ja auch eine ungemein praktische Grundlage für Schulpolitik.


    Da schließt sich für mich der Kreis zum Gewerkschaftsthread. Ich finde es bedauerlich, dass gerade unter Lehrern oft so unerbittlich diskutiert wird. Und jedes Erwähnen einer Belastung gleichbedeutend mit Jammern ist und gleich diejenigen auf den Plan ruft, die immer alles und jeden im Griff haben. Es gibt doch eine Menge Zwischentöne. Im Jammern zu verharren, ist sicher zu wenig, aber gelegentlich braucht es auch ein Ventil und außerdem die Möglichkeit, sich über Belastungen klar zu werden, um dann auch über Lösungen nachzudenken. An den Punkt kommt man aber nie, wenn immer erst die Wahrnehmung des anderen in Zweifel gezogen und korrigiert werden muss, statt sie einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen.

  • ... sondern um eine realistische Einordnung in heutige Tatsachen auf dem Arbeitsmarkt, die leider in vielerlei Hinsicht und breit über die Branchen verteilt im Argen liegen.

  • Ich verfolge diesen Thread nun seit geraumer Zeit und finde, es gäbe hier sehr viel konstruktiv zu diskutieren und insbesondere auch zu fordern.
    Statt dessen bricht hier eine Neiddiskussion vom Feinsten aus. Und wieder freut sich der Arbeitgeber, weil der Druck in die vollkommen falsche Richtung geht.
    Ich habe 12 Jahre in der freien Wirtschaft gearbeitet und arbeite mittlerweile seit über 4 Jahren als Seiteneinsteiger in der Schule.
    Mein persönliches Fazit: Ich habe noch nie für so wenig Geld so viel gearbeitet wie in der Schule. Auf der anderen Seite hat mir die Arbeit aber auch noch nie so viel
    Spaß gemacht. Ich möchte ungern in die freie Wirtschaft zurück, trotz der dort (zumindest in meiner vorherigen Arbeitswelt) bestehenden Privilegien (Firmenwagen, Handy, Spesen, Luxushotels etc...) und neben dem privat nutzbaren Firmen PKW noch rund 500 Euro netto mehr in der Tasche.


    Trotzdem ist es nicht verkehrt, wenn man mal ein Auge darauf wirft, wo Arbeitnehmerrechte der Lehrer nicht ausreichend gewürdigt werden. Ich nehme in meinem Umfeld nämlich folgende "Randerscheinungen" war, die wahrscheinlich der Preis dafür sind. (Und soviel verdienen wir nicht, dass es Wert ist diesen "Preis" zu zahlen)
    Beobachtungen:
    - Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten nach dem 45. Lebensjahr mit einer deutlichen Stundenreduzierung. Unterhält man sich mit diesen Kollegen, so geschieht dies selten, weil man es nicht mehr nötig hat mehr zu arbeiten. Vielmehr verzichten diese Kollege auf vieles, weil sie sich nicht mehr in der Lage fühlen, die vollen 28 h Unterrichtsdeputat durchzuhalten.
    - Viele Kollegen werden dennoch vorzeitig pensioniert. Auch hier beobachte ich, dass dies meist unter hohen finanziellen Verlusten geschieht und die Kollegen lange Zeit noch verbisssen versuchen, diesen Weg nicht zu gehen.
    - Erkrankungen mit Stressbezug (Herz-, Kreislauf, Tinnitus, Depression) sind überproportional vertreten.


    Auf der anderen Seite gibt es Arbeitnehmerrechte, die in der brutalen "freien Wirtschaft" (die durchaus brutal sein kann, aber aus anderen Gründen)
    eine Selbstverständlichkeit sind.
    So ist der AG beispielswiese verpflichtet zu jedem Arbeitsplatz eine Gefährdungsanalyse zu erstellen. In NRW ist man jetzt (Jahre nach Erstellung der Rechtsgrundlage) jetzt dabei durch die sog. Copsoq Untesuchung die dafür nötigen Daten zu erfassen. Im zweiten Schritt ist jedoch, aufgrund der gewonnen Erkenntnisse ein Maßnahmenkatalog zu erstellen. Ich bin dann einmal gespannt, ob die starke Lärmbelastunge, die als Störfaktor von vielen Kollegen identifiziert wurde, nun zu baulichen Änderungen führen wird.
    Eigentlich müssten die Ergebnisse (nur mal auf diesen speziellen Bereich angewendet) dazu führen, dass die Bezirksregierungen nunmehr Druck auf die Träger ausüben, damit die Gebäude in Sachen Lärmdämmung endlich mal auf den Stand der Technik gebracht werden. Ausgehend von diesem Beispiel gibt es noch viele Weitere, die in Bezug auf Wahrung der Arbeitnehmerrechte noch deutlich ausbaufähig sind. Hier hätte ich mir von diesem Thread (und den Forumsteilnehmern) gewünscht, dass am Ende eine entsprechende Forderulungsliste entsteht. Statt dessen versucht hier jeder darzustellen wie gut es ihm doch geht, weil er einen kennt dem es dreckiger geht :cursing:

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • bei Lehrern kümmert die Lärmbelastung keinen Menschen.


    Lärmbelastung? Als guter Lehrer wird man doch wohl in der Lage sein dafür zu sorgen, dass die Kinder ruhig sind, oder? (Wenn Hinz und Kunz nur wüssten..... s.u.)


    paranoider Psychochef


    Ich komme aus einer Familie die über drei Generationen ein mittelständisches Unternehmen mit sehr gutem Ruf in der Branche geleitet hat. Solche Sprizenzien, wie du berichtest, hat es dort nicht gegeben. Ohne Arbeitnehmer kein Betrieb. Daher wurde von jeher auf ein gutes, respektvolles Betriebsklima geachtet und - oha - übertariflich bezahlt. Es geht auch anders....


    Zwei fundamentale Unterschiede gibt es allerdings: In Schulfragen sind alle Experten, weil jeder schon einmal eine Schule von innen gesehen hat. Das kann nerven, weil so viel Unreflektiertes und Subjektives einfließt und Debatten verflachen lässt und so selten Produktives entsteht.
    Der andere Unterschied: Die wolkigen Vorstellungen vom Lehrer aus Berufung, von pädagogischem Eros etc., die einer Professionalisierung des Lehrerberufs eher im Weg stehen und Erwartungen wecken, dass man als Berufener gar nicht anders kann, als im Dienst zu sein, folglich auch keine Pausen o.ä. benötigt, weil ein Kinderlachen Dank und Erfüllung genug sind. Das ist ja auch eine ungemein praktische Grundlage für Schulpolitik.


    Jap. Genau so ist es. Weil jeder in der Schule war, gibt es eben auch nur zwei Schulexperten: Hinz und Kunz.


    Abgesehen davon: Ich habe in der abgelaufenen Woche bei einer Party voller kreativer Köpfe unserer Stadt diverse Einblicke in das Leben von Menschen gewinnen können, die in der freien Wirtschaft tätig sind. Da bleibe ich lieber beim Lehrerberuf und zeige nervigen Eltern etc. wenn nötig die Grenzen auf.


    Grüße vom
    Raket-O-Katz *baldsindferienjuhu!*

  • Der andere Unterschied: Die wolkigen Vorstellungen vom Lehrer aus Berufung, von pädagogischem Eros etc., die einer Professionalisierung des Lehrerberufs eher im Weg stehen und Erwartungen wecken, dass man als Berufener gar nicht anders kann, als im Dienst zu sein, folglich auch keine Pausen o.ä. benötigt, weil ein Kinderlachen Dank und Erfüllung genug sind. Das ist ja auch eine ungemein praktische Grundlage für Schulpolitik.


    Genau! Und leider ist diese Vorstellung auch bei SEHR VIELEN Kolleginnen und Kollegen weit verbreitet, was einer echten Professionalisierung des Lehrerberufs entgegensteht. Mit dem Argument "Aber es kommt doch den Schülern zugute!" werden Arbeitsbedingungen verschlechtert, Rechtsvorschriften missachtet und jegliche Kritik abgebügelt. Aber es gibt offensichtlich genug Lehrkräfte, die es genau so wollen.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Zitat Mikael :

    Zitat

    Und leider ist diese Vorstellung auch bei SEHR VIELEN Kolleginnen und
    Kollegen weit verbreitet, was einer echten Professionalisierung des
    Lehrerberufs entgegensteht.

    Die Professionalisierung ist mir in meinen letzten Tacken eigentlich immer mehr wurscht geworden. Viel schlimmer ist, dass die Vorstellung der "SEHR VIELEN Kolleginnen und Kollegen" dem Zuwachs meines Gehaltes, u.a. auch Wiedereinführung des komletten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes und der Erleichterung an meinem Arbeitsplatz entgegenstehen. 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    Einmal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • Nur weil hier so viel über die Arbeitszeit der Lehrer diskutiert wurde:
    Ich habe heute eine interessante Entdeckung gemacht. Bei Google Maps in meinem Smartphone kann man den Wohnort (die Adresse) und den Arbeitsort (Adresse der Schule) eingeben. Das habe ich vor einigen Monaten gemacht. Heute entdecke ich hier eine Statistik die das Smartphone ohne es zu wollen für mich geführt hat. Das Ergebnis im "Standortverlauf":


    Durchschnittlich 46 Stunden pro Woche war ich: Zu Hause.
    Durchschnittlich 43 Stunden pro Woche war ich: Bei der Arbeit
    Durchschnittlich 13 Stunden pro Woche war ich: Unterwegs



    Vielleicht habt ihr ja auch so´ne Funktion im Handy. Und vielleicht könnten das verlässliche Werte sein. Ich meine so als Basis für eine Diskussion.
    Objektive Zahlen.


    Gruss :D

  • Durchschnittlich 46 Stunden pro Woche war ich: Zu Hause.
    Durchschnittlich 43 Stunden pro Woche war ich: Bei der Arbeit
    Durchschnittlich 13 Stunden pro Woche war ich: Unterwegs


    UNd was hilft dir diese Austellung jetzt? Was sagt sie dir über Arbeitszeiten aus? Wieviel du zu Hause gearbeitet hast? Denn das ist doch oft der springende Punkt.

  • Seit 5 Jahren arbeite ich jetzt in Hamburg und war zu Beginn zunächst einmal geplättet von der vielen Arbeit an einer Hamburger Stadtteilschule (früher Gesamtschule). Ich war der Meinung, dass mein Unterricht schlechter wurde durch die vielen Arbeitsstunden im Vergleich zu einer NRW-Hauptschule. Dann habe ich auf 80% reduziert um wieder mehr Zeit für mich aber auch für den Unterricht zu haben. "Bist Du bescheuert?" sagte ein Kollege. "Mach lieber schlechteren Unterricht! Das ist doch nicht deine Schuld. Am Ende knappen sie Dir das von Deiner Pension ab."
    Dann habe ich nachgedacht und wieder 100%. Dann lieber wurschteln und zwischendurch mal Türklinkenpädagogik praktiziert.


    Damit will ich sagen: Bei der wöchentlichen Belastung von 43 anwesenden Std.pro Woche im Durchschnitt kommt man nur gut klar wenn man sich mit Türklinkenpädagogik rettet. Wer diesen Job mit all den oben beschriebenen Anforderungen ernst nimmt und sich auch noch um seine Familie (evtl. mit Kleinkind) kümmern will KANN diesen Job am Ende nur mittelmäßig machen.
    Die Konsequenz: Zuhause wird nicht mehr viel gemacht, denn die Aufzählung der Stunden im Handy beweist. Es ist schon genug gearbeitet worden in der Schule. Die Pflichtstundenzahl ist erfüllt. Besser geht nicht. Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr. das hab ich mir abgewöhnt.
    Gut bin ich nur weil ich Profi bin. Nicht durch viel Arbeit.

  • "Bist Du bescheuert?" sagte ein Kollege. "Mach lieber schlechteren Unterricht! Das ist doch nicht deine Schuld. Am Ende knappen sie Dir das von Deiner Pension ab."


    Dann habe ich nachgedacht und wieder 100%. Dann lieber wurschteln und zwischendurch mal Türklinkenpädagogik praktiziert.

    Der Kollege hat recht ;)


    Bei der wöchentlichen Belastung von 43 anwesenden Std.pro Woche im Durchschnitt kommt man nur gut klar wenn man sich mit Türklinkenpädagogik rettet. Wer diesen Job mit all den oben beschriebenen Anforderungen ernst nimmt und sich auch noch um seine Familie (evtl. mit Kleinkind) kümmern will KANN diesen Job am Ende nur mittelmäßig machen.

    Und man sollte ihn meiner Meinung nach dann auch nur mittelmässig machen. Je mehr möchtegern Superpädagogen quasi unbezahlt Überstunden schieben um trotz der Bedingungen ein hohes Niveau zu fahren, desto eher wird das als selbstverständlich vorausgesetzt auch für andere Kollegen.
    "Wie, Sie schaffen keine Hausbesuche und zig Telefonate mit den Eltern zeitlich? Kollegin XY schafft das auch alles, sie müssen sich nur beser organisieren"
    (Dass Kollegin XY den Beruf auch noch nebenher als Hobby betreibt interessiert den Schulleiter dann wenig, er fordert es von allen ein)


    Wenn alles funktioniert wie geschmiert, dann gibt es auch von höherer Stelle keinen Grund etwas zu ändern. Im Gegenteil, dann kann man den Lehrern noch mehr aufbürden, denn die momentane Arbeitsbelastung scheint ja dann nicht so hoch zu sein, wenn alles qualitatitiv höchstwertig funktioniert.


    Besser geht nicht. Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr. das hab ich mir abgewöhnt.

    Herzlichen Glückwunsch, die Erkenntnis ist für die eigene Gesundheit immens wichtig. Als angehender Lehrer mag ich mich bedanken, dass die Messlatte dadurch nicht utopisch hochgelegt wird und man mir dadurch nicht erzählen kann, dass ich auch wie bekloppt ackern müsste, weil es "doch alle so tun".
    Gute Arbeit abliefern und durch diese zeitlich "relativ" stark eingespannt sein ja, aber nur in zum Gehalt verhältnissmässigem Umfang und nicht darüber hinaus!

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