Lieber Tamburker,
1. Ob das Unterrichten im Laufe der Jahre eintönig wird, hängt wohl sehr vom Unterrichtsfach und der Einstellung hierzu ab. Wenn ich beispielsweise in der Fachstufe Bilanzanalysen oder Rechnungslegung nach HGB und US-GAAP behandelt habe und dann wieder in der Grundstufe mit den Grundlagen der Buchhaltung beginnen muss, beschleicht mich manchmal schon ein Gefühl der Leere, aber auch eine gewisse Befriedigung zu sehen, was man doch in zwei Jahren erreichen kann. Arbeits- und Steuerrecht hingegen ist niemals langweilig, weil es laufend Änderungen und neue Gerichtsurteile gibt und man selbst immer am Ball bleiben muss, um aktuell unterrichten zu können. Gleiches gilt eigentlich auch für Volkswirtschaftspolitik, wobei da inzwischen wohl keiner mehr richtig durchblickt. Da bleiben fast nur noch Keynes und ansonsten Märchenstunden, wo ich das, was ich im Studium gelernt habe und was noch in den Lehrbüchern steht (‚Wenn die Zinsen steigen, sinken die Aktienkurse!’), genüsslich zerpflücke sowie aktuelle Zeitungsartikel bespreche, wobei sich von einer Woche zur nächsten sowieso vieles wieder geändert hat. Was soll man da noch in einer Klausur abfragen? ‚Machen Sie drei sinnvolle Vorschläge zur Lösung der Euro-Krise und begründen Sie diese ausführlich!’ Jeder bekommt von mir im Zeugnis eine 2 und ist
zufrieden. Andernfalls kann er sich freiwillig in die mündliche Prüfung melden.
2. Ich war 15 Jahre im Ausland, allerdings nicht als Lehrer an einer Schule, sondern als Berater und Dozent an Hochschulen. Ich wurde von Deutschland bezahlt und konnte mich damit recht gut über Wasser halten. Wenn du allerdings längerfristig eine Lehrtätigkeit im Ausland anstrebst, solltest du dir überlegen, ob du dein Studium nicht sinnvollerweise gleich darauf ausrichtest, d. h. deinen jetzigen Fach-Studiengang in Deutschland abschließt und dann in England oder Schottland eine einjährige pädagogische Ausbildung (PGCE bzw. PGDE) draufsattelst (in Schottland kostenlos), um nach einem Probationer Year den QTS bzw. Registered Teacher Status zu bekommen. Aufgrund der
EU/EWR-Lehrerverordnung (siehe google) wird dir diese Ausbildung (teilweise allerdings mit Auflagen) europaweit anerkannt. Ob du damit in Deutschland verbeamtet wirst, hängt von der allgemeinen Einstellungssituation ab, und die sieht nicht allzu rosig aus. Du hast jedoch darüber hinaus weltweit Einsatzmöglichkeiten, denn viele internationale Schulen verlangen von ihren Lehrern den QTS, können aber mit dem 2. Staatsexamen wenig anfangen. Die Bezahlung an diesen Schulen im Ausland ist durchweg gut, manchmal sehr gut (z.B. Golfstaaten). Näheres findest du unter www.tes.co.uk (Jobs). An einer von Deutschland geförderten Auslandsschule wird es mit einem Ortsvertrag finanziell eng. Man sollte dort mindestens als Bundesprogrammlehrkraft tätig sein, besser aber als Auslandsdienstlehrkraft, was allerdings die lebenslängliche Verbeamtung und Unterrichtserfahrung im innerdeutschen Schuldienst voraussetzt. Der Einsatz ist dort stets zeitlich begrenzt, also nicht auf Dauer angelegt (siehe www.auslandsschulwesen.de).
3. Dieser Aspekt traf mich glücklicherweise nur während meiner Referendarzeit, als ich mich in Jungangestelltenklassen mit Verkaufskunde oder bei angehenden Einzelhändlern
mit Textilwarenkunde herumschlagen durfte (fachfremd und den Schülern immer eine Stunde voraus), und das hat mich damals schon etwas genervt. Ansonsten war und bin ich ausschließlich in der Erwachsenenbildung tätig. Keine Disziplinprobleme, kein Stress mit Eltern und keine Pausenaufsichten. Gelegentlich erlebe ich die Problematik noch bei Unterrichtsbesuchen, wobei mich oft noch mehr als der Geräuschpegel die dort inzwischen teilweise zu beobachtende Ausdrucksweise der Schüler untereinander irritiert (‚Ich bring dich um!’ ‚Fick deine Mutter ins Knie!’). Eine Kollegin, die ich darauf ansprach, beruhigte mich allerdings: ‚Das darf man nicht wörtlich nehmen. Das meinen die nicht so.’) Nun ja. Wohl alles Gewohnheitssache.
4. Bei der Unterrichtsvor- und nachbereitung gehe ich nach dem ökonomischen Prinzip vor und versuche, die Ziele mit einem Minimum an Aufwand zu erreichen. Für Arbeitsrecht habe ich eine selbst zusammengestellte Sammlung von 60 Fällen zu dem gesamten Stoff (Kündigung, Urlaub, Entgeltfortzahlung, Jugendarbeitsschutz,
Mutterschutz usw.) mit Angaben zu der jeweiligen Rechtsnorm. Die Schüler müssen anhand von Gesetzestexten, Tarifverträgen bzw. Urteilen einzeln oder mit Partner Lösungen erarbeiten, die dann gemeinsam besprochen werden. Einführungen in die Materie gibt es im bewährten Frontalunterricht. Dass dieser, insbesondere in Verbindung mit sturem Auswendiglernen von Definitionen und Grundbegriffen, bestens funktionieren kann, konnte ich jahrelang im Ausland beobachten, und das klappt auch hier recht gut. Die Schüler in diesem Alter kommen freiwillig in die Schule, haben klare Zielvorstellungen, wollen etwas lernen und nicht bespaßt werden.
Auch wird von mir keiner dort abgeholt, wo er gerade steht, sondern er muss sich schon selbst dorthin bemühen, wo ich anfange. Das ist zuweilen schon recht weit unten, wenn ich feststelle, dass selbst Abiturienten mit deutscher Muttersprache einen Gesetzestext nicht fehlerfrei ablesen können (oftmals mein Hinweis: ‚Das Schwarze sind die Buchstaben!’), geschweige denn, den erlesenen (nicht gelesenen) Text mit eigenen Worten wiederzugeben.
Klausuren werden korrekturfreundlich konzipiert und können über Jahre mit minimalen (Datums-) Änderungen erneut eingesetzt werden. Beispiel: Ein junges Pärchen will gemeinsam am 01. Juli in Urlaub fahren. Sie: 17 Jahre, Azubine im 1. Ausbildungsjahr in einem Kleinbetrieb (Urlaub nach Jugendarbeitsschutzgesetz), Er: 19 Jahre, Azubi im 3. Jahr, Urlaub nach Bundesurlaubsgesetz oder Tarifvertrag. Wann müssen die beiden nach ihrem Urlaub jeweils spätestens ihre Arbeit wieder aufnehmen? Da müssen zwei Daten stehen. Die sind entweder richtig oder falsch. Entsprechend: ‚Wann verjährt die Forderung?’ ‚Wann muss die Kündigung spätestens zugehen?’ Das ist natürlich ebenfalls vom Fach abhängig. Ein Deutschaufsatz lässt sich sicher nicht so einfach korrigieren.
Ich tummle mich häufig in Arbeitsrechtsforen im Internet, um zu sehen, was dort so gefragt wird, um das in den Unterricht einzubauen. Dazu drucke ich einzelne Fragen aus und lasse sie als Hausaufgabe beantworten, was meistens nicht funktionieren kann, weil in den Fragen oft wichtige Angaben fehlen (Gilt ein Tarifvertrag? Gibt es einen Betriebsrat? Wie viele Mitarbeiter? Wie lange schon im Betrieb?). Wenn das von den Schülern erkannt und künftig von ihnen beim Prüfen der Fälle berücksichtigt wird, ist schon viel gewonnen.
Insgesamt bereite ich wenig neu für den Unterricht vor, sondern überlege nur, was ich in den nächsten Stunden behandle. Habe ich eine gute Gruppe in der Spanisch-AG,
lasse ich auch mal einen Vergleich zwischen Teilgebieten des deutschen und spanischen Arbeitsrechts machen. Dazu lese ich mich dann auch mehrere Stunden
ein.
Ganz wichtig erscheint mir, dass man als Lehrer fachlich fit ist. Wer sich auf jede Stunde erst inhaltlich vorbereiten muss, hat in der Tat weniger Freizeit.
Insgesamt gesehen habe ich nicht bereut, Lehrer geworden zu sein. Vor allem die Auslandserfahrungen in fünf verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Kulturkreisen waren für mich und meine Familie prägend. Unsere Kinder sind mehrsprachig aufgewachsen, haben zwar keine Wurzeln, aber Flügel bekommen.
Ich hoffe, ich konnte dir einige Denkanstöße geben. Deinen Fragen entnehme ich, dass du ähnliche Überlegungen anstellst, wie ich das seinerzeit getan habe. Alles Gute für dich.
Jorge