Hallo ihr Lieben,
ich wende mich an euch, weil ich mich nicht ausreichend auf einen solchen Fall ausgebildet fühle und Hilfe/ Tipps von erfahrenen Kollegen brauche.
Ich erteile seit einigen Wochen Nachhilfeunterricht für einen Fünftkässler im Fach Deutsch. Schon recht früh hatte ich den Eindruck, dass der Junge evt. eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben könnte, bin mir jedoch nicht sicher. Als ich die Mutter darauf ansprach, erzählte sie mir, dass die Lehrer bereits seit der ersten Klasse den Verdacht äußerten, sie es aber nie testen lassen haben. Der Grund dafür liegt in der Angst der Eltern, dass der Junge eine Sonderstellung einnehmen könnte, nicht nur durch andere, sondern dass er sich auch selbst als minderwertig wahrnehmen könnte. Auf meine Bitte, das trotz allem überprüfen zu lassen, da es das Beste für das Kind sei, wurde bisher noch nicht reagiert. Nun frage ich mich, wie ich dem Kind die entsprechende Förderung geben könnte. Leider wurde ich in meinem Studium überhaupt nicht auf einen solchen Fall vorbereitet und weiß nicht, wie ich mit einer LRS umgehen kann - wenn es überhaupt eine ist.
Die Probleme zeigen sich vor allem bei Grammatikübungen. In einfachen Gesprächen mit mir ist er durchaus in der Lage sich auszudrücken und grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Auch in der Rechtscrhreibung sehe ich an sich nicht sooooo viele Probleme, weswegen ich nicht sicher bin, ob es überhaupt eine LRS ist. Problematisch ist es eher, wenn z.B. Verben konjugiert werden sollen. Abgesehen davon, dass er die Personalpronomen nicht kennt (außer ich, er/ sie/ es, wir) und im Englischen (hier gebe ich auch Nachhilfe bei ihm) teilweise auch das Wort "are" als Personalpronomen nennt, kann er auch die entsprechenden Endungen für die unbekannten Personalpronomen nicht nennen. Bitte ich ihn also darum, einen Satz mit "du" und "einen Brief schreiben" zu bilden, kann er das nicht korrekt ausführen. Noch schlimmer wird es, wenn es um die Vergangenheitsform geht. Wie kann ich dem Jungen hier helfen? Es bringt ja nichts, wenn er das jetzt stur auswendig lernt, oder?
Problematisch war letztes Mal auch die Wortbildung. In der Aufgabe ging es darum, dass viersilbige Wörter gebildet werden sollten - pro Zeile waren verschiedene Silben gegeben und es sollten sinnvolle Wörter gebildet werden. Wir saßen eine gefühlte Ewigkeit an der Aufgabe, weil er zwar Wörter bildete, diese aber keinen Sinn ergaben. Beispielsweise bildete er das Wort "Untersteine" (statt Unterhose). Oft bildete er aber auch "Wörter" (Silbenzusammenfügungen), die gar nicht existieren - er merkte das auch gar nicht, zumindest war das mein Gefühl. Leider fühlte ich mich in der Situation auch total überfordert und wusste nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich gab zwar semantische Hinweise (z.B. dass es um ein Kleidungsstück geht), doch das half gar nicht.
Im Englischen fiel mir auch noch etwas auf, das ich sehr seltsam fand. Wir lasen einen Text über Piraten, den er an sich wirklich gut verstanden hatte. Am Ende löste sich dann auf, dass die ganze Geschichte nur ein Traum war - wortwörtlich war das nicht formuliert, doch war es gut verständlich aus meiner Sicht. Nachdem wir diesen letzten Absatz übersetzt hatten (weil er ihn inhaltlich auch grob gar nicht erfasst hatte), verstand er die Pointe noch immer nicht. Erst nachdem ich ihn darauf aufmerksam machte, dass er alles träumte, verstand er die Semantik des Absatzes.
Und nun die Frage: Wie kann ich dem Schüler helfen? Wo ist sein genaues Problem? Wie kann ich ihn gezielt fördern; gibt es spezielle Förderaufgaben für solche Fälle? Und was kann man den Eltern raten?
Ich würde mich wirklich freuen, wenn jemand von euch schon Erfahrungen in diesem Bereich hätte, da ich langsam wirklich ratlos bin.