Kind zurück in die 1. oder mitziehen?

  • Ich brauche mal eure Denkanstöße:
    Ich habe ein Migrantenkind in meiner 2. Klasse, dessen erste Sprache nicht Deutsch ist. Er wurde "normal" eingeschult und in der ersten Klasse gings auch ganz gut. Nun kommt er zwar in Mathe wohl noch gut mit (durchschnittlich auf 3), Deutsch ist allerdings katastrophal. Sprechen und Zuhören liegt er im schlechten 3er Bereich, Lesen und mit Texten umgehen ebenfalls. Schreiben und Texte verfassen liegt er im 4er. Diktate waren bis jetzt alle so schlecht, dass ich sie nicht werten konnte. Freie Texte schreiben geht gar nicht. Mit Rechtschreibregeln kommt er nicht klar. Seine Redebeiträge im Unterricht (rege Beteiligung) passen selten zum Thema und ob er seine Hausaufgaben selber macht kann ich auch nicht wirklich sagen. Er kann sich schlecht organisieren, arbeitet zwar relativ selbständig (also mit wenig Hilfe von mir), guckt aber gern beim Nachbar und wenn die Möglichkeit nicht besteht, ist das Meiste falsch.
    Jetzt stellt sich für mich die Frage, ob es ihm helfen würde ihn in die erste Klasse zurück zu geben oder ob ich ihn weiter durchziehen soll? An der Schule konnte mir so richtig keiner helfen (irgendwie haben die alle selber mit ihren Sachen zu tun grad). Auch die Konrektorin, die Mathelehrerin in meiner Klasse ist, hat nur gesagt "dann würde er zu mir in die Klasse kommen".Mhh
    Die Eltern kriege ich nicht in die Schule zum Gespräch. waren nicht auf dem Elternsprechtag, obwohl ich dringenden Gesprächsbedarf angekreut habe. Wenn ich anrufen, versteht mich keiner und niemand hat Zeit. Die Bitte im Merkheft einen Termin mit mir auszumachen, wird nur unterschrieben. So richtig weiß ich nicht weiter. Den Eltern wärs wahrscheinlich egal, ob er wiederholt.

  • Die Frage ist, bringt ihn das zusätzliche Jahr noch weiter oder wird das Problem an die nächste Lehrerin übertragen?


    Ich habe einen ähnlichen Fall in meiner Klasse.
    Den versuche ich, so weit es geht, durch die Grundschule zu schleusen.
    Wenn es möglich ist: zieldifferentiertes Arbeiten - meist geht es um Erweiterung des Wortschatzes
    Ist nicht so einfach, ist das 1. Migrantenkind mit richtigen Sprachproblemen seit langem auf unserer Dorfschule.
    Daher haben wir nur wenig Material.


    Ich nutze zwei LÜK-Hefte, und demnächst eine Software, aus dem Cornelsen-Verlag.
    Wenn das Kind einigermaßen lesen kann, geht das mit den LÜK-Kästen ganz gut.

  • in Mathe wohl noch gut mit (durchschnittlich auf 3), Deutsch ist allerdings katastrophal. Sprechen und Zuhören liegt er im schlechten 3er Bereich, Lesen und mit Texten umgehen ebenfalls. Schreiben und Texte verfassen liegt er im 4er.

    Also notenmäßig ist doch alles in Ordnung! Katastrophal hört sich das nicht gerade an. Eine 4 ist eine ganz "normale" Note. Erst bei einer schwachen 4 oder einer 5 wird es kritisch. Aber wenn die Tendenz fallend ist, muss man natürlich schon aufmerksam bleiben.

    Diktate waren bis jetzt alle so schlecht, dass ich sie nicht werten konnte. Freie Texte schreiben geht gar nicht. Mit Rechtschreibregeln kommt er nicht klar. Seine Redebeiträge im Unterricht (rege Beteiligung) passen selten zum Thema

    Das hört sich allerdings wiederum eher nach einer 5 an.


    Welche Sprache spricht der Schüler denn? Bei mir an der Schule haben wir eine Integrationshelferin, die bei Gesprächen übersetzen kann. Vielleicht habt ihr auch einen Lehrer, der diese Sprache unterrichtet. Er kann doch einen knappen Text übersetzen. In unserer Stadt gibt es die RAA, an die man sich bei Verständigungsschwierigkeiten wenden kann.
    Ich würde dann aufschreiben, dass das Kind Schwierigkeiten hat und einen Termin vorgeben, an dem die Eltern erscheinen sollen. Oder zwei Termine und die Eltern müssen ankreuzen, wann sie können. Außerdem würde ich aufschreiben, dass sie einen Übersetzer mitbringen müssen. (Falls du keinen organisieren kannst.) Sonst hat das Gespräch ja wenig Sinn.


    Es wäre hilfreich wenn du herausfindest, warum der Junge langsam lernt. Liegt es nur an der Sprache oder liegt eine kognitive Einschränkung vor.
    Nur so lässt sich hinterher gezielt fördern.


    Eine Empfehlung (in der Klasse lassen - Rücktritt) kann dir hier im Forum keiner geben. Wir kennen deinen Schüler nicht. Wie sollen wir das beurteilen? Vielleicht kann deine Schulleiterin den Jungen zur Probe in ihre Klasse für ein oder zwei Wochen aufnehmen, um zu überprüfen wie er dort zurechtkommt.

  • Ich weiß nicht, ob es das bei euch gibt, aber hier ist es möglich, dass Sonderschullehrer vom MSD einmal (oder auch mehrmals) in die Grundschule kommen, um sich ein Kind in der Gruppen- und Einzelsituation anschauen, um ihre Einschätzung (Schuljahr wiederholen, Umschulung, besondere Fördermaßnahmen etc. pp.) abzugeben, ohne dass sie gleich ein sonderpädagogisches Gutachten schreiben müssen.
    So etwas wäre vielleicht auch eine Möglichkeit (am besten der MSD einer Sprachheilschule?) ...


    Ansonsten hört sich die Beschreibung für mich gar nicht so katastrophal an. Diktate (klassische?) in der zweiten Klasse halte ich sowieso für absurd. Zu diesem Zeitpunkt gibt es meiner Erfahrung nach auch genug Kinder, die noch keine Rechtschreibregeln anwenden können. Kann er denn - weitgehend - phonetisch richtig verschriften? Lesen scheint ja einigermaßen zu funktionieren (3er-Bereich)? Hat er mit den sprachlichen Strukturen des Deutschen (Morphologie, Syntax, Phonologie) im mündlichen Sprachgebrauch größere Probleme?


    Eine Wiederholung der ersten Klasse ohne besondere Fördermaßnahmen könnte, denke ich, eher seine Motivation nehmen, und an seinen Leistungen änderte sich vermutlich auch nicht viel. Nur "mitziehen" halte ich allerdings auch nicht für besondere sinnvoll, wenngleich vielleicht nur der Terminus nicht ganz glücklich gewählt ist.
    Ich bekomme bei deinem Beitrag generell so etwas den Eindruck, ihr seid eine Grundschule in einem recht gut situierten Viertel und habt mit Kindern mit Migrationshintergrund nicht allzu viel Erfahrung ...?
    Aber klar, Ferndiagnostik funktioniert nicht, deshalb schau, wie du an fundierte Hilfe kommst!

  • Habe ein ähnliches Kind wie du es schilderst in meiner 2. Klasse: spricht zu Hause kein Deutsch, hat große Schwierigkeiten im Sprachverständnis, kann eigene Geschichten nicht einmal erzählen geschweige denn schreiben. Kind ist (auf mein mehrmaliges Auffordern hin) jetzt zumindest im Hort angemeldet, geht aber nicht regelmäßig hin, Hausaufgaben werden nur unvollständig angefertigt.


    Ich war mir auch unsicher, ob (und wann?) ich das Kind am besten zurückstelle. Deswegen war neulich die Schulpsychologin bei mir, hat mit dem Kind gearbeitet und das Kind im Unterricht beobachtet.


    Ihr Tipp war: ein Wiederholen wird früher oder später kommen. Zum momentanen Zeitpunkt wird es ihr wenig bringen, da sie und die Eltern sich dann eher ausruhen würden "das packt sie schon, das macht sie ja jetzt extra zum zweiten mal" und nicht als ein "diesmal muss es aber klappen" und "wir müssen schauen, dass die Basis gesichert ist". Sie und ihre Eltern bräuchten die Anforderungen, dass der Stoff in großen Schritten weiterschreitet, selbst wenn sie nur einen Bruchteil davon mitnimmt wäre das eine gute Anregung, Förderung - und Herausforderung für die Eltern, aktiv zu werden. Tatsächlich haben die Eltern jetzt - als es die Fünfer gab - tatsächlich mal eine Nachhilfelehrerin engagiert... Ein Wiederholen würde die Schulpsychologin möglichst weit nach hinten rausschieben, um "hinten raus" Luft zu haben, z.B. wenn das Kind in der achten Klasse aufeinmal "aufwacht" und dann feststellt, dass jetzt was getan werden muss.


    Sicherlich nicht auf jedes Kind übertragbar, mich hat diese Meinung für dieses Kind aber überzeugt - und ich werde sie auch für die Zukunft mir merken.

  • Ich hoffe ich bekomme alles beantwortet und kann euch noch mehr Überblick verschaffen. Natürlich erwarte ich keine Empfehlungen von euch, Cambria, sondern wollte nur neue Denkanstöße (wie ja geschrieben).
    @ Cambria: Unsere zweiten Klassen bekommen ja noch keine Ziffernnoten, somit wird bei uns die Leistung von A (Kompetenz sehr ausgeprägt) bis D (Kompetenz gering ausgeprägt) ausgewiesen. Ich hab versucht das zu übertragen, war wohl nicht so glücklich. Also in allen Bereich liegt er im Durchschnitt bei C-, wobei ja die Bereiche noch weiter unterteilt werden.
    der Schüler spricht türkisch. Obwohl wir eine 3-zügige Stadtgrundschule sind, haben wir keinen Integrationshelfen. Ich weiß auch nicht wovon das abhängt, ob/ das man einen bekommt.
    termine habe ich den Eltern zwei zur Auswahl vorgegeben. Die Mitteilung wurde einfach nur unterschrieben ohne etwas auszuwählen. Wahrscheinlich hat niemand verstanden worum es geht. Komischerweise war der ältere Bruder, jetzt 5. Klasse, ebenfalls bei uns und war recht gut in Deutsch!
    @ Plattenspieler: Ich glaube das gibt es bei uns auch. Ob die gleich ein Gutachten machen müssen oder nicht, danach müsste ich mich erkundigen. Der Schüler hatte Ende der 1. Klasse Förderunterricht bei einer Förderschullehrerin. Leider gabs das zum zweiten Schuljahr nicht mehr. Hier wurde festgestellt, dass er 17 von 40 Graphemen richtig schreibt und das er meist nur gut hörbare Laute richtig notiert. Ohne Vorwarnung war diese Kraft dann leider weg, so dass ich keine Rücksprache halten konnte, wie ich das am besten auffange.
    Und jetzt wirst du sicher lachen: Wir haben fast 50% Migrantenkinder! Allerdings die meisten Deutschsprachig und ohne große Probleme, da hier die Familien ganz fundiert und engagiert sind.

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