Die Lehrerrolle

  • Nach meinem heutigen Unterrichtsbesuch muss ich mir einfach den Frust von der Seele schreiben.
    Ich hatte einen völlig anderen Eindruck von der Stunde als meine Fachleiterin. Während ich den Eindruck hatte, dass die Schüler motiviert gearbeitet haben und sich auch die Schwächeren stark engagiert haben, meinte meine Fachleiterin, dass gerade die Motivation und die Schüleraktivierung schlecht funktioniert hätten. Sie begründet dies damit, dass ich schon zu Beginn zu viel erklärt hätte und dann auch noch während der Schülerarbeitsphase den Schülern zu sehr geholfen hätte.
    Anscheinend gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen meiner Vorstellung der Rolle des Lehrers und den Ansichten, die im Seminar vorherrschen. Wozu soll denn der Lehrer da sein, wenn nicht zum Erklären und Helfen? Soll meine Aufgabe nur darin bestehen, das Material zur Verfügung zu stellen und den Moderator zu spielen? Dafür bin ich mir ehrlich gesagt zu schade.
    Natürlich finde ich es wichtig, dass die Schüler auch selbst aktiv werden. Aber das geht doch in der Praxis nur unter Anleitung der Lehrer und auch nur in bestimmten Phasen. Außerdem ist ein Schüler auch aktiv, wenn er einen Text abschreibt oder dem Lehrer zuhört. Die Vorstellung, dass die Schüler sich fast alles selbst erarbeiten können (und dabei auch noch hochmotiviert sind) ist doch völlig realitätsfern.
    Außerdem stört mich in meinen Seminaren diese Fixierung auf den Konstruktivismus. Der Konstruktivismus wird als Fundament vorausgesetzt und überhaupt nicht hinterfragt. Andere Vorstellungen vom Lernen und didaktische Ansätze werden nicht - zumindest nicht ernsthaft - behandelt. Da habe ich manchmal den Eindruck, dass der Konstruktivismus für uns eine Art Religion sein soll, an welche wir glauben müssen.
    Das ist im Wesentlichen das, was mich im Moment bewegt. Jetzt bin ich gespannt auf Eure Ansichten und Erfahrungen zu diesem Thema.

  • Soll meine Aufgabe nur darin bestehen, das Material zur Verfügung zu stellen und den Moderator zu spielen?
    ...
    Die Vorstellung, dass die Schüler sich fast alles selbst erarbeiten können (und dabei auch noch hochmotiviert sind) ist doch völlig realitätsfern.

    Es gibt Fachleiter, die das genau SO sehen ... und zwar auch ganz extreme Exemplare ... hängt aber auch stark von der Schulform ab ... "SuS am Gy müssen DAS können!" ...


    Und ich weiß von Refs, die bei einem solchen FL "gelernt" haben, dass das tatsächlich funktionieren kann, dass die SuS wochenlang nach vorgegebenen Lernplänen (die im Vorfeld extrem arbeitsintensiv sind) arbeiten, selbst Buch über ihren Lernfortschritt führen usw. usw. ... die Leistungen danach sogar überduchschnittlich gut sein können ... aber dazu, dass das immer klappt, müssten die Rahmenbedingungen an den Schulen ganz anders sein, als sie meistens sind ... insofern stimmt auch das "realitätsfern".


    Aber es gibt auch Schulen (in NRW), die zeigen (zumindest weiß ich das von Mathe), dass das selbstständig erarbeiten weitestgehend funktionieren kann ... wenn die Umstände stimmen ... nicht so extrem, wie nach der "Lernplantheorie" ... aber man schaue sich mal "Das Mathematikbuch" von Klett an ... schon lange erfolgreich in der Schweiz, und in einigen wenigen Schulen in NRW auch seit max. 4 Jahren eingesetzt (es gibt eine NRW Ausgabe bis Klasse 8). Aber an einer "normalen" Schule ...


    Was der Lehrer dann tut ... das Material vorbereiten (extrem aufwendig, es sei denn, die Schule entscheidet z.B. in Mathe o.a. Buch zu verwenden - da ist alles drin) ... helfen, wenn notwendig (was aber extrem selten sein soll, wenn die Lerngruppe gut miteinander kann ... weil sich die SuS immer erst gegenseitig helfen sollen) ... die Lerntagebücher kontrollieren (um stets im Bilde zu sein, was wer wann tut bzw. getan hat) ... und um die "Problemfälle" kümmern (Förderung der sehr guten und sehr schlechten SuS).

    "Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer - weil man die Liebe zur Wissenschaft von Heranwachsenden noch nicht erwarten kann."


    Erasmus von Rotterdam



  • Cool bleiben, Felix!


    Mir ist es ähnlich gegangen wie dir. Vor allem die Frage, ob ich jetzt eigentlich Konstruktivismus-gläubig werden muss, habe ich mir und auch die den Ausbildern gestellt.


    Die FL sieht etwas anders auf den Unterricht als du. Manche Ausbilder haben unrealistische Ansprüche, klar. Und natürlich sollst und musst du was erklären. Und ja, diese Besuche sind Nervensache. Man gibt sich viel Mühe und kriegt hinterher nur Kritik zurück. Jedenfalls kommt es einem so vor.


    Trotzdem, wenn ich im Nachhinein auf die Ausbildungszeit zurückblicke, muss ich sagen, dass ich eins vor allem gelernt habe: Loszulassen. Den Mund zu halten. Die Schüler machen zu lassen. Erst heute wieder hatte ich eine Stunde, die anders als geplant, aber ganz von selbst lief. Die Schüler waren auf einmal in eine sehr konstruktive Diskussion verstrickt. Die brauchten mich gar nicht. Das war toll, wirklich.


    Im Nachhinein sehe ich auch die Entwicklung, die ich in der Ausbildungszeit durchlaufen habe. Wenn man mittendrin steckt, ist es schwer. Irgendwann wird es klarer und macht Sinn.


    Wie gesagt. Cool bleiben. Das wird schon.

  • Mit etwas zeitlichem Abstand habe ich mich auch wieder beruhigt.
    Ich denke im Moment, dass es das Beste ist, diese Ausbildung einfach über sich ergehen zu lassen. Am Ende winkt schließlich das Beamtentum. Spätestens wenn ich diesen Status erreicht habe, kann ich mich auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen und die Lehren der Didaktiker aus den Elfenbeintürmen ignorieren.
    Außerdem spiele ich ja sowieso mit dem Gedanken, in die Didaktik zu gehen, um etwas mehr Realitätssinn dorthin zu bringen.

  • Nun, dann wünsche ich dir noch ein paar mehr Unterrichtsbesuche, die verlaufen wie der geschilderte. Es täte dir gut, etwas von deiner Hochnäsigkeit abzulegen und das zu erwerben, was du von deinen Schülern auch erwartest: Lernfähigkeit.

  • Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es richtig ist, auf eine solch niveaulose Provokation einzugehen. Dennoch werde ich mich äußern, da ich denke, dass ein generelles Problem angesprochen werden sollte.
    Es ist bezeichnend für unsere Gesellschaft, dass Menschen, die Charakter zeigen oder stolz auf ihre Leistungen sind, als arrogant gelten. Ich habe im Leben jetzt schon Vieles erreicht, auf das ich stolz sein kann. Das wäre mir sicherlich nicht gelungen, wäre ich nicht so äußerst lernbereit und zudem auch lernfähig.
    Meinen gesunden Menschenverstand werde ich mir weiterhin bewahren sowie bei meinen Unterrichtsbesuchen gelassen bleiben und meinen Ausbildern das zeigen, was sie sehen wollen.


  • Ich denke im Moment, dass es das Beste ist, diese Ausbildung einfach über sich ergehen zu lassen. Am Ende winkt schließlich das Beamtentum. Spätestens wenn ich diesen Status erreicht habe, kann ich mich auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen und die Lehren der Didaktiker aus den Elfenbeintürmen ignorieren.


    Juhu, solche Lehrer braucht das Land noch mehr ... :rolleyes:




    Außerdem spiele ich ja sowieso mit dem Gedanken, in die Didaktik zu gehen, um etwas mehr Realitätssinn dorthin zu bringen.


    Die warten dort bestimmt schon alle auf dich und die phänomenalen Erkenntnisse ...

    • Offizieller Beitrag


    Anscheinend gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen meiner Vorstellung der Rolle des Lehrers und den Ansichten, die im Seminar vorherrschen. Wozu soll denn der Lehrer da sein, wenn nicht zum Erklären und Helfen? Soll meine Aufgabe nur darin bestehen, das Material zur Verfügung zu stellen und den Moderator zu spielen? Dafür bin ich mir ehrlich gesagt zu schade.


    Übermäßiges Helfen kann auch als Indiz für zu wenig Auseinandersetzung mit der Lerngruppe und ihrem Leistungsvermögen, zu wenig Reflexion über den Unterrichtsgegenstand und ggf. für eine hier für die Lerngruppe und den Lerngegenstand ungeeignete Methode betrachtet werden.
    Und das ist nicht ausschließlich eine Frage des Standpunkts. Da gibt es durchaus objektivierbare Kriterien. Einige davon sind Deine aktuelle für Dich geltende Ausbildungsordnung, sowie die entsprechenden Vorgaben für Deine Fächer.


    Zitat


    Natürlich finde ich es wichtig, dass die Schüler auch selbst aktiv werden. Aber das geht doch in der Praxis nur unter Anleitung der Lehrer und auch nur in bestimmten Phasen. Außerdem ist ein Schüler auch aktiv, wenn er einen Text abschreibt oder dem Lehrer zuhört. Die Vorstellung, dass die Schüler sich fast alles selbst erarbeiten können (und dabei auch noch hochmotiviert sind) ist doch völlig realitätsfern.


    Im Referendariat wird aber genau eine solche Vorgehensweise bzw. werden solche Laborstunden von Dir erwartet. Und ob man es glaubt oder nicht - in solchen Stunden sind die meisten Schüler hoch motiviert und reißen sich für den Referendar ein Bein aus.


    Zitat


    Außerdem stört mich in meinen Seminaren diese Fixierung auf den Konstruktivismus. Der Konstruktivismus wird als Fundament vorausgesetzt und überhaupt nicht hinterfragt. Andere Vorstellungen vom Lernen und didaktische Ansätze werden nicht - zumindest nicht ernsthaft - behandelt. Da habe ich manchmal den Eindruck, dass der Konstruktivismus für uns eine Art Religion sein soll, an welche wir glauben müssen.


    Der Konstruktivismus gilt momentan als "state of the art". Letztlich wird er in der Geschichte der Lerntheorien ebenso teilweise ein Durchbruch, teilweise aber eben auch nur ein Trend bzw. eine Modeerscheinung sein bzw. bleiben wie die das Berliner Modell, das Hamburger Modell, Klafki alt und neu etc. Mit Religion hat das wenig zu tun.


    Zitat


    Am Ende winkt schließlich das Beamtentum. Spätestens wenn ich diesen Status erreicht habe, kann ich mich auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen und die Lehren der Didaktiker aus den Elfenbeintürmen ignorieren.
    Außerdem spiele ich ja sowieso mit dem Gedanken, in die Didaktik zu gehen, um etwas mehr Realitätssinn dorthin zu bringen.


    Sorry, aber das IST ebenso arrogant wie stammtischhaft. Du wärst nicht der Erste, der hier vermeintlich selbstbewusst postuliert: "Achtung, hier komme ich. Macht Platz, denn ich verändere die Welt zum Guten und zeige den ganzen Vollpfosten da draußen mal, wie es richtig geht."
    Es ist das Privileg der Jugend, dass sie so denkt (und handelt), es ist aber auch die Unsitte der Unbelehrbaren, der Starrsinnigen, die auch in späteren Jahren noch davon überzeugt sind.


    Zitat


    Es ist bezeichnend für unsere Gesellschaft, dass Menschen, die Charakter zeigen oder stolz auf ihre Leistungen sind, als arrogant gelten. Ich habe im Leben jetzt schon Vieles erreicht, auf das ich stolz sein kann. Das wäre mir sicherlich nicht gelungen, wäre ich nicht so äußerst lernbereit und zudem auch lernfähig.


    Soll ich jetzt in diametraler Gegenposition zu Winterhoff meinem Dreijährigen auch einen "starken Willen" attestieren und nach jedem Wutanfall von ihm stolz sein, weil er doch "Charakter" gezeigt habe?
    Sollen wir uns jetzt in Selbstkritik ergehen, weil wir einfach unfähig sind zu erkennen, was für ein toller Hecht Du doch bist?


    Nein.
    Nein.


    Und ja, Du kommst arrogant rüber. (Und ja, das kann ich auch 8) )


    Gruß
    Bolzbold

    • Offizieller Beitrag

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    Bolzbold #5

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