Eskalation - weiß nicht mehr weiter - sorry, gaaaaanz langer Text!

  • Ich unterrichte in einer 8. Klasse einer LE/ES-Schule in einem sozialen Brennpunkt und finde das mittlerweile ziemlich unerträglich. Ein Großteil der Schüler hält sich nicht an die einfachsten Grundregeln. Das fängt bei unterrichtsfremden Gesprächen und Beschäftigungen an, geht über in-die-Klasse-rufen, zu-spät-Kommen, vom Platz aufstehen, durch die und aus der Klasse laufen, sexualisierte Äußerungen/Gesten bis hin zum Abhauen, kompletten Ignorieren meiner Ansprache und teilweise sehr respektlosen Äußerungen/Provokationen. Manchmal dauert es 15 Minuten, bis ich überhaupft mit dem Unterricht starten kann. Und dann ist es weiterhin sehr unruhig und wird schnell chaotisch.
    Es ist auch sehr schwierig, die Schüler zur Mitarbeit zu bewegen, obwohl sie eigentlich alle das Ziel haben, zur Hauptschule zu gehen. Aber viele der Schüler sind sehr schnell an ihrer Leistungs- und Belastungsgrenze (viele schaffen es nicht, zwei Unterrichtsstunden am Stück zu arbeiten).
    Teilweise kam es sogar schon zu Prügeleien zwischen Schülern, die so schnell in der allgemeinen Unruhe eskalierten, dass ich sie nicht verhindern konnte.
    Bei der Klassenlehrerin ist alles schon deutlich besser, aber immer noch so, dass ich sagen würde, dass es so eigentlich nicht laufen sollte.
    Ich muss dazu auch sagen, dass ich an unserer Schule kein "Einzelfall" bin, sondern viele dieser Störungen (bei Klassenlehrern oft in abgeschwächter Form, bei Fachlehrern oft in ähnlicher Form wie bei mir) auch in anderen Klassen vorkommen. Viele meiner Kollegen sehen das alles als belastend, aber "normal" für unsere Schülerklientel an (was ich nicht so sehe - habe schon an anderen LE-Schulen und einer ES-Schule gearbeitet und es war nirgendwo vergleichbar) und sehen meiner Meinung nach auch oft weg, um sich vermeidbaren Stress zu ersparen (das formulieren sie auch so), was es vielleicht für den Moment erträglicher macht, aber meiner Meinung nach auf Dauer kontraproduktiv ist.
    Ich versuche schon, so oft es geht auf Störungen einzugehen. Die Maßnahmen, die ich bisher an anderen Schulen/in anderen Klassen ergriffen habe (und die dort auch funktionierten), scheinen aber oft an unserer Schule und bei unseren Schülern nicht zu greifen oder ich kann eine Maßnahme gar nicht erst durchführen, weil sie fast die ganze Klasse betreffen müsste und ich befürchten müsste, die Maßnahmen nicht durchsetzen zu können (die Schüler machen einfach, was sie wollen und es gibt quasi keine Unterstützung der Lehrkräfte durch die Eltern). Auch positive Verstärkungen haben keinen Effekt, sie interessieren die Schüler einfach nicht.
    Ich habe mittlerweile auch das Gefühl, dass viele Schüler etwas gegen mich haben (das äußern einige auch) und mich bewusst zu provozieren versuchen, so dass die Situation immer weiter eskaliert. Sie schaukeln sich dabei auch gegenseitig hoch und bestätigen sich. Ich kann nur vermuten, dass es daran liegt, dass ich eben nicht weggucken will und kann und dass ich Fehlverhalten kritisiere und - soweit möglich - versuche, darauf zu reagieren. Jedenfalls reagieren die Schüler auf Kritik und "Nachbohren" oft sehr aggressiv, genervt und respektlos und halten es kaum aus. Wenn ich sie kritisiere, sage ich zwar deutlich, was ich von ihrem Verhalten denke und dass ich so für sie keine Perspektive an der Hauptschule sehe (weil es ja den Tatsachen entspricht und ich es für wichtig halte, dass sie das realistisch gespiegelt bekommen, auch wenn es hart ist), bleibe aber immer sachlich, respektvoll und werde nicht persönlich. Bin mir insofern also "keiner Schuld bewusst".
    Ich weiß nicht mehr, was ich tun kann, um meine Beziehung zu den Schülern zu verbessern und die ganze Situation wieder erträglich zu gestalten. Ich frage mich, ob es doch an mir liegt und ich etwas falsch mache bzw. zu hart mit ihnen ins Gericht gehe. Aber ich kann doch auch nicht so tun, als ob alles okay wäre, wenn es eben nicht so ist. Ich fühle mich der Situation wirklich hilflos ausgeliefert. Vielleicht müsste ich in Anbetracht der Voraussetzungen unserere Schüler alles (wie viele meiner Kollegen) etwas lockerer sehen, aber das gelingt mir einfach nicht, wenn ich zusehe, wie sich die Schüler ihre letzten Chancen verbauen und mir gegenüber jeglichen Respekt missen lassen.

  • Hallo,



    ich kenne das, hatte auch so eine "Problemklasse."


    Ich habe die Schüler selbst etwas erarbeiten lassen mit Terminplanung. Wer sich nicht an die Abgabezeiten hält, hat dann 0 Punkte. Funktioniert! Bis auf ein paar, die der Meinung sind, dass es für sie Sonderregeln zu geben scheint.
    Regeln einführen. Sitzplan ändern.


    Frühmorgens aufstehen lassen bis sie ruhig, dann dürfen sie sich erst hinsetzen. Ist es danach wieder laut, wieder aufstehen lassen. So lange durchziehen, bis sie es kapiert haben.


    Und wichtig: Motivieren mitzumachen, Anreize schaffen......Unterricht interessant gestalten, Lebensbezüge herstellen (die Schüler sind in dem Alter in einer komplett anderen Dimension). Entspannungsübungen machen (Autogenes Training mit Musik).


    Wichtig: Zeig, dass du der Boss bist, natürlich ohne dabei zu streng zu wirken (innerlich). Du hast die Zügel in der Hand. Nur so gewinnst du den Respekt der Schüler.


    Wenn alles nicht klappt: Gemeinsame Klassenrunde (Stuhlkreis) mit dem Klassenlehrer. Dort Vereinbarungen unterschreiben lassen, die den Eltern zugehen. Diese mit einbeziehen und ruhig die Kollegen um Rat fragen. Manche haben gute Konzepte.

  • Hallo,
    du hast ja schon gute Tipps bekommen. Ich finde es auch noch wichtig, dass du dich selbst motivierst. Freu dich über jeden noch so kleinen Fortschritt und du wirst positiver in die Klasse gehen. Das ist gut fürs zwischenmenschliche Klima.
    Viel Ausdauer und Kraft für dich
    M.

  • Zitat

    Es ist auch sehr schwierig, die Schüler zur Mitarbeit zu bewegen, obwohl sie eigentlich alle das Ziel haben, zur Hauptschule zu gehen.


    Haben die Schüler das Ziel, oder derne Eltern oder irgendeine Institution, die die Schüler zu euch schickt, oder vielleicht du?


    Diese Frage solltest du klären. Die Antwort hilft beim Umgang mit einer derartigen Situation. Außerdem sollte dir die Antwort zeigen, ob und an welcher Stelle Änderungen sinnvoll sind.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Du möchtest mit deinen Schülern zusammenarbeiten.
    Erläutere deinen Schülern, deinen Wunsch.
    Sammle ihre Ideen, wie sie lernen möchten.
    Setzt sie gemeinsam um.


    Ich gehe davon aus, dass dies ein neuer Anfang sein könnte.



    Monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

  • Manche Schüler halten keinen ganzen Schultag aus. Gibt es bei euch die Möglichkeit ausgewählte Schüler nur stundenweise zu beschulen? Oder eine Auffangklasse, damit die, die Arbeiten wollen dies auch wirklich machen können?

  • Vielleicht ein kleiner Tip an den Threadersteller und den einen oder anderen Antworter.
    :D



    Wie wäre es mit der Ergänzung des Profils?


    Bundesland?
    Welche sonderpädagogische Richtung?
    Fächer?


    und
    "anonym" macht sich im Profil nicht wirklich gut.

  • :wacko: Als ich vor 3 Jahren meine jetztige 10 bekam, ging es bei mir ähnlich. Die Klasse wurde neu bunt zusammen gemischt. Sechs Schüler bekam ich frisch aus der Hauptschule. Inzwischen ist es so, dass mit Ihnen größtenteils sehr gut arbeiten kann ( eigentlich aber nur, wenn ich da bin) , weil ich als Klassenlehrerin erheblich mehr Einfluss habe. Dann kommt es auch sehr darauf an, wie deine Schulleitung zu bestimmten Maßnahen steht. Ich kann jederzeit meine Schüler entweder in den Flur, vors Rektoriat setzen oder, wenn es nicht anders geht, nach Hause schicken. Die Schüler haben bei mir mehrere Möglichkeiten, für die sie sich entscheiden müssen.
    1. Am liebsten ist mir, sie verhalten sich regelkonform und arbeiten gut mit. ( Gibt + Punkte)
    2. Sie sind im Klassenzimmer stören nicht und machen nicht mit. ( Wird auch notiert)
    3. Sie sitzen im Flur und arbeiten alleine.
    4. Sie sitzen im Flur und chillen.
    5. Sie sitzen mit Arbeitsmaterial vor dem Rektoriat
    6. Wenn alle Sticke reißen, werden die Eltern verständigt, eine Aktennotitz verfasst und sie müssen, mit Arbeitsmaterial nach Hause.
    7. Bei hartnäckigen Fällen gab es eine Teilkonferenz mit festgelegten Maßnahmen.


    Soche Maßnahmen, muss die Schulleitung natürlich unterstützen. Da ist zum Glück bei mir der Fall.


    Das kostete mich sehr viel Kraft und Nerven, bis die Schüler wussten, wie das läuft. Ganz wichtig war: Sie hatten immer die Wahl und mussten selbst entscheiden, welche Möglichkeit sie wählten. Klappte es nicht, kam die nächste Stufe dran. Nach dem Motto: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ich glaube,dass es in einer Oberstufe der einzige Weg ist, ein Bein auf die Erde zu bekommen.


    Anfangs habe ich mich auch schon mit einer Zeitung und einer Kaffeetasse in die Klasse gesetzt. Dann kamen die Nachfragen: Machen wir heute keinen Unterricht? Und die Antwort, wenn ihr soweit seid, dann schon. Natürlich gab es auch Belohnungen für Schüler, die es geschafft hatten eine betimmte Zeit ruhig zu bleiben ( Sanduhr). Was bei mir garantiert immer in die Hose geht, ist, wenn mir die Hutschnur platzt und ich herum brülle. Am bewährtesten ist die Methode, wenn ich einfach gar nichts sage. Dann werden sie meistens von alleine ruhig oder ermahnen sich gegenseitig. Ich habe auch einen Ordner in der Klasse: Für jeden SS ein Blatt drin, wo ich alle guten und schlechten Dinge notiere und sie dann auch beim Beschreiben der Kopfnoten verwende. Auch ganz gut für Teilkonferenzen, weil ich dann die Dinge mit Datum usw. vorlegen kann . Ist aber sehr anstrengend alles nachzuhalten.


    Ich glaube, dass ganz entscheidend die Erkenntnis was, dass ich Ihnen nichts Böses wollte und sie anfingen, Vertrauen zu mir und vor allen Dingen zu sich selbst zu fassen. Die 6 ehemaligen HS waren so demotiviert und wollten eigentlich nur chillen und die Schule als Bespaßungsanstalt verstehen. Heute sitzen die gleichen Schüler über Matheaufgaben und diskutieren über Ergebnisse. Ich bin der Überzeugung, dass Förderschularabeit, Beziehungsarbeit ist. Zur Belohnung durften "die Lieben" auch schon mal in der Pause in der Klasse bleiben und Karten spielen. Meinem Oberchaoten habe ich Gitarrengriffe beigebracht, die er in der Pause üben durfte. Heute spielt er schon fast besser als ich. In meinem Fall ganz wichtig war es, dass ich ihnen etwas zugetraut habe und sie erst genommen habe. Besonders im Mathe sind die Leistungsunterschiede enorm ( Von Grundrechenarten bis Hauptschulniveau) Die Kinder bekamen Spaß an der Arbeit, weil sie festgestellt haben, dass sie doch nicht so "doof" sind. Ein Mädchen hat die totale Rechenschwäche, kann aber sehr gut singen. Sie ist in der Schülerband die tragende Sängerin. Ein anderes Mädchen, dass sehr organisert ist, bekam verantwortungsvolle Aufgen übertragen ( Listenführung, Anwesenheit) Das hat sie sehr stolz gemacht, weil sie sonst nicht viel kann.


    Ich habe natürlich gut reden. Als Klassenlehrer hat man immer mehr Einfluss. Wir fahren deshalb ein Teammodell. Jede Klasse hat einen Teamapartner unter denen die Stunden in der Regel aufgeteilt werden. Das klappt, wenn kein Lehrer ausfällt, ganz gut. Das Kollegium hat sich darauf geeinigt, dass wir den Klassenlehrern sofort Rückmeldung über auffällige SS geben ( zeitweise klebten mehrere Zettel täglich an meinem Platz im Lehrerzimmer). Das habe ich dann mir der Klasse thematisiert. Zum Teil wurden bei Kindern verkürzter Unterricht gefahren ( z..B. nur bis 12,30Uhr und dann mit Hausaufgaben oder Wochenplänen) nach Hause. Das muss aber die Zusammenarbeit mit dem Klassenlehrer und Schulleitung sehr gut sein und von allen getragen werden. Die Aussage, dass es "normal" sei, finde ich auch sehr gewöhnungsbedürftig. Das ist auch in eine L Schule nicht normal. Das Klientel haben alle LB Schulen. Ich glaube, dass diese Probleme in Großstädten noch viel schlimmer sind. Ganz wichtig für mich ist auch das Motto: Jeder Tag ist ein neuer Anfang. Also gib nicht auf. An dir liegt es bestimmt nicht.( bewährt hat sich der Spruch auf "Ich kann Sie nicht leiden- "Du musst mich ja nicht heiraten" Außerdem muss man auch keinen Lehrer lieben, sodern ihm nur höflich und respektvoll begegnen. Auch das müssen die Kids lernen. Bewährt hat sich auch der Spruch, wenn die Kinder Unlustäußerungen bezüglich Unerrichtsinhalten lautstark äußern: Erzähl das deinem Frisör.


    Gib nicht auf!!!!! Gut Dingen will Weile haben und der Kampf lohnt sich. Es ist täglich ein neuer Kampf :thumbup:

Werbung