Aufsätze benoten - ich dreh am Rad!

  • Hallo ihr Lieben!


    Ich unterrichte seit längerem wieder Deutsch und das Fach wird mir immer unsympathischer :whistling: . Jetzt habe ich mit meiner 8. den ersten Aufsatz geschrieben. Thema: Inhaltsangabe mit eigener Stellungnahme. Das Korrigieren fällt mir sehr schwer. Na ja, so stimmt es nicht. Das Bewerten fällt mir nicht schwer, aber das Benoten! Vor jedem Aufsatz sitze ich wie der Ochs vorm Berg und überlege: 2,5? Oder doch 2,3, weil....? Oder eigentlich doch 2,7, denn schließlich...! Das macht mich wahnsinnig. Ich habe mir extra einen Bewertungsbogen angelegt mit Kriterien, die Sprache, Form und Inhalt berücksichtigen. Auch das bringt nicht die gewünschte Erleichterung. Wenn ich z.B. für Sprache 4 Punkte vergebe, muss ich ja wieder entscheiden, ob ich nun 1 oder 2 Punkte vergebe. Das macht bei insgesamt 12 Punkten einen Unterschied!
    Ich möchte nicht nach meinem subjektiven Empfinden benoten, nach "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht so sehr" und frage mich ernsthaft, ob das überhaupt möglich ist.
    Wie löst ihr dieses Problem?


    Liebe Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

    • Offizieller Beitrag

    Wenn ich z.B. für Sprache 4 Punkte vergebe, muss ich ja wieder entscheiden, ob ich nun 1 oder 2 Punkte vergebe.


    Vielleicht kannst du das noch mal differenzieren:
    1 Rohpunkt für xy
    2 Rohpunkte für YZ usw. ?

  • Ich unterrichte zwar kein Deutsch, aber Englisch und da stehe ich in den höheren Klassen vor ähnlichen Problemen. Für mich habe ich festgestellt, dass mir ein zu detailliertes Bewertungsraster auch nichts bringt.


    "Ketzerische" (?) Aussage eines meiner Profs an der Uni: "Die 100% objektive Note gibt es nicht." - Er hat meiner Meinung nach recht. Von daher wird ein gewisses (!) subjektives Empfinden immer eine Rolle spielen (der eine Lehrer findet gut konstruierte Schachtelsätze zumindest nicht negativ, der andere empfindet sie positiv und der dritte mag sie nicht ... wenn Du auf Sprache Punkte vergibst, wird es bei aller Mühe irgendwo einen subjektiven Rest geben - weil man z.B. abwägen muss, wie man bewertet, wenn einer viele Rechtschreibfehler hat, aber dafür auch versucht, treffende Wörter und schöne Nebensätze zu verwenden, während ein anderer einfache Sätze, einfaches Vokabular und dafür wenig Rechtschreibfehler hat).


    Und Aussage meines Seminarlehrers (ist schon länger her): "SIE müssen mit der Note, die SIE vergeben am Ende leben können."


    Ich achte sehr darauf, dass die Noten innerhalb der Klasse "stimmen", dass also ähnliche sprachliche Leistungen auch ähnliche Noten erhalten. Heißt, ich vergleich dann schon noch einmal und suche Gründe, warum der Schüler jetzt 1-2 Punkte weniger oder mehr bekommt ...

  • Ich gehe von der Notenskala aus und versuche, für jeden Teilbereich ein Globalurteil zu fällen, das sich an der Skala orientiert. Das funktioniert nach ein wenig Eingewöhnung m. E. insgesamt sehr gut und ist ökonomischer als das Aufstellen von Listen mit 50 Details, die man dann abhakt. Schlicht gesagt: Nimm die Notenskala als Richtpunkt und folge dann Deinem Gefühl beim Lesen - das klärt bereits die meisten Fälle. Dann bleibt Zeit für die genaue Betrachtung von Grenzfällen.


    Ich würde auch vorschlagen: Hör auf mit dem Teilnotenunsinn. Leg zuerst (!) ganze Noten für die Teilbereiche fest und heb Dir Nuancierungen für die Endnote (Gesamtnote) auf.


    Also für die Sprache (ich spinn jetzt etwas drauflos):


    Note 1: Anforderungen sind in besonderem Maße erfüllt. - Die Inhaltsangabe ist flüssig und präzise geschrieben, es zeigt sich eine überdurchschnittliche Formulierungsgabe und ein sehr großer Wortschatz, mit dem auch Nuancen exakt ausgedrückt werden können.


    Note 2: Anforderungen sind voll erfüllt. - Die Inhaltsangabe ist flüssig und überwiegend präzise geschrieben, der Wortschatz differenziert und angemessen, sicher könnte man das eine oder andere noch etwas verbessern, aber insgesamt liegt ein angenehm zu lesender, informativer Text vor.


    Note 3: Anforderungen sind im Allgemeinen erfüllt: Eine nicht mehr wirklich flüssig geschriebene Inhaltsangabe, bei deren Sprache man ab und zu die Stirn runzelt - und der es doch gelingt, ihre Botschaft sprachlich so zu vermitteln, dass man sie nachvollziehen kann. Der Wortschatz ist nicht sehr differenziert, die Ausdrucksweise einfach.


    Note 4: Anforderungen sind noch erfüllt, aber es gibt Mängel: Es zeigen sich größere Unsicherheiten, Ausdrucksfehler, Sätze, die nicht ganz korrekt sind. Aber die Inhaltsangabe ist im Wesentlichen noch verständlich formuliert.


    Note 5: Die Anforderungen sind nicht erfüllt, aber es gibt Hoffnung auf Besserung: Die sprachlichen Defizite sind massiv, es existieren wiederholt Stellen, deren Formulierung Verständnisprobleme aufwirft. Ausdrucksfehler, Wortfehler, Fehler im Satzbau machen das Lesen schwierig.


    Note 6: O je. Der Text ist aufgrund von Fehlern und Ausdrucksschwächen sprachlich insgesamt nicht verständlich bzw. ist nur verständlich, wenn man massives Vorwissen investiert.

  • Wie du ja selbst gemerkt hast, bringt zu lange nachdenken nichts.
    Erst wird die Note ein klitzekleines Stückchen raufgesetzt, dann um dasselbe Maß plus einen Tick mehr nach unten. Dann doch wieder rauf. Und am Ende bist du dann doch bei der Note, die du am Anfang gegeben hast.


    Steck da nicht zu viel Zeit rein.
    Du gehst die Kriterien durch, die du anlegst und die Note, die dir in den Kopf kommt, gibst du.
    Nennt sich IGAMI (Ich glaube an meine Intuition), nachzulesen beim lehrerfreund und hat als Grundlage a) dass du als kompetente Lehrerin ein gutes Gefühl für die "richtige" Note hast (wobei, wie schon gesagt, es kein objektives richtig gibt, sondern einfach das, womit du "leben kannst") und b) dass der 0,1 Notenpunkt Unterschied, den du beim bisherigen Mehraufwand herausarbeitest, an der Endnote eh nichts ändert.

  • ob ich nun 1 oder 2 Punkte vergebe. Das macht bei insgesamt 12 Punkten einen Unterschied!

    Müssen's den 12 Punkte als Basis sein? Ich skaliere Klausurae gerne mit 100 Punkten. Dann kann man feiner dosieren und hat am Ende Prozente ohne rechnen.


    Bei aller Rechnerei sollte man aber nicht vergessen, die Gesamtleistung zu würdigen. Auch ein Aufsatz ist womöglich mehr als die Summe der Teile.


    In Zweifelsfällen lege ich Arbeiten auch Fachkolleginnen vor.


    Viel Erfolg.


    L. A

  • Was mir in der GS immer geholfen hat war das gemeinsame Lesen mit Parallelkolleginnen. Das dauert zwar, aber man ist nicht allein in seiner Entscheidung und wägt mit den Kolleginnen ab warum die Note passt oder nicht. Dabei habe z.B. den Aufsatz eines Schülers meiner Klasse vorgelesen und meine Kolleginnen (die den Schüler ja nicht kennen) haben erst mal frei von der Leber weg geäußert was ihnen gefällt oder auch nicht. Das habe ich mir notiert und dann haben wir uns einen Notenvorschlag überlegt, wobei natürlich die Entscheidung letztendlich bei mir lag.
    Dauert natürlich lang, nimmt aber etwas Verantwortung weg und macht auch mehr Spaß :)

  • IGAMI (Ich glaube an meine Intuition)


    :thumbup:


    Vielen Dank für eure Anregungen. Ich habe jetzt alle Aufsätze korrigiert. Was mir am meisten Bauchschmerzen bereitet ist das Gefühl, dass ein anderer Kollege ganz anders bewertet hätte. Gleichzeitig ist es für mich nicht einfach einen anderen Kollegen einzubinden. Durch viele Krankheitsvertretungen ist unser Kollegium derzeit am Limit und ich traue mich nicht, einen Kollegen mit Zusatzarbeit zu belasten. Ich begnüge mich also damit nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und hoffe, dass ich schnell an Erfahrung dazugewinne. Bis dahin gebe ich im Zweifelsfall die bessere Note :) .


    Liebe Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

  • Zitat

    Du gehst die Kriterien durch, die du anlegst und die Note, die dir in den Kopf kommt, gibst du.
    Nennt sich IGAMI (Ich glaube an meine Intuition), nachzulesen beim lehrerfreund und hat als Grundlage a) dass du als kompetente Lehrerin ein gutes Gefühl für die "richtige" Note hast (wobei, wie schon gesagt, es kein objektives richtig gibt, sondern einfach das, womit du "leben kannst") und b) dass der 0,1 Notenpunkt Unterschied, den du beim bisherigen Mehraufwand herausarbeitest, an der Endnote eh nichts ändert.


    Aber was macht dann der inkompetente Lehrer? :thumbup:


    Ich orientiere mich in der Regel am Zürcher Textanalyseraster. In Praxis Deutsch gab es das Modell auch mal als Textanalysebaum oder so ähnlich.

  • Ich habe das Züricher Raster gerade gegoogelt, das sieht sehr spannend aus, allerdings auch so stark ausdifferenziert, dass ich mich frage, wie lange man für die Korrektur damit braucht, wie praktikabel ist das in der Praxis? Besonders schön fand ich die Formulierungen: "Inhaltliches Wagnis" und "Inhaltliche Wegqualität", was auch immer mit letzterem gemeint ist.


    Ist es eine Nerdfrage, wenn ich wissen will, warum in dem Raster kein ß vorhanden ist? Gibt es das in der Schweiz nicht?

  • Aber was macht dann der inkompetente Lehrer?


    Der macht nicht IGAMI (Ich glaube an meine Intuiton), sonder GIAMI (Glaube ich an meine Intuition?) ^^


    Züricher Textanalyseraster? Da habe ich noch nie etwas davon gehört!
    Wisst ihr, was ich einfach nie und nimmer verstehen werde? Dass es für solche wesentlichen Fragen nicht ein einheitliches Fachkompendium gibt. Eine Bibel, die allgemein bekannt ist. Einen kleinsten gemeinsamen Teiler für alle Deutschkollegen in ganz Deutschland. Einen Standard, von dem aus sich jeder in seine Richtung bewegen kann.


    Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

  • Ich habe das Züricher Raster gerade gegoogelt, das sieht sehr spannend aus, allerdings auch so stark ausdifferenziert, dass ich mich frage, wie lange man für die Korrektur damit braucht, wie praktikabel ist das in der Praxis?

    "Obwohl
    das Zürcher Textanalyse-Raster für
    die angemessene Untersuchung eines grossen
    Korpus
    von Schüler- und Studienanfänger-Texten entwickelt worden ist und keineswegs
    – weil dies viel zu aufwändig wäre – tale quale für die
    Kommentierung von Schüler-Texten im Schulalltag
    verwendet werden kann, stellt es doch, wie wir meinen ii,
    sowohl den SchülerInnen als auch den
    LehrerInnen
    handliche und brauchbare Beschreibungskategorien und Beurteilungskriterien
    zur Verfügung."


    Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

  • Den Textanalysebaum zum Zürcher Textanalyseraster findet man sogar online:
    http://www.friedrich-verlag.de…B03AF95E5FEB7F7A6B9.0.pdf


  • Das einheitliche Fachkompendium und die Bewertungsbibel, zumindest in NRW, ist doch die ZAP ;( . Soetwas Großartiges gibt's doch auch in BW.


    Die Kategorien des Baums finde ich sinnvoll und letztendlich sind das auch die Beurteilungskriterien. Allerdings halte ich die Fragestellungen für wenig hilfreich, falls es ein Arbeitsblatt für die Schüler sein soll. Ich beurteile meine eigenen Texte immer als vollständig und auch meine Sachtexte sind amüsant, logisch aufgebaut und zum Zweck passend - bis mich jemand eines Anderen belehrt.


    Mir ist auch nicht klar wie ein Viertklässler zwischen inhaltlicher und sprachlicher Lesefreude unterscheiden können soll oder, wie in diesem Falle, eine achte Klasse, wobei mir dieser Aspekt ohnehin suspekt vorkommt: Wer soll denn die Lesefreude bei einem Schülertext wie beurteilen? Das Bäumchen ist mir zu global und nicht auf jede Textart anwendbar, für eine Orientierung zur Erstellung eines Erwartungshorizonts aber ganz nützlich, vielleicht auch mit den Schülern gemeinsam.

  • Ich orientiere mich in der Regel am Zürcher Textanalyseraster. In Praxis Deutsch gab es das Modell auch mal als Textanalysebaum oder so ähnlich.

    Solche Bewertungsraster habe ich auch einige.
    Da kann man jeden Aufsatz fünfmal hinterhereinander lesen, alle Kriterien durchgehen und schön seine Kreuzchen machen.
    Und dann kommt man zu dem Punkt, an dem man seine Note machen muss - und steht wieder genauso schlau da wie am Anfang.
    Der Aufsatz hat zwar viele Blätter am Zweiglein Verständlichkeit, aber fast keine am Zweiglein Sprache und so ein paar am Zweiglein Inhalt.
    Und jetzt?
    Okay, man hat immerhin ein paar Worthülsen für den Kommentar. Diese Bausteine á la "Die Sprache deines Textes ist angemessen, der Inhalt passt nicht zum Zweck". bringen zwar Worte aufs Papier, aber helfen keinem Schüler konkret weiter.

  • Zitat

    Der Aufsatz hat zwar viele Blätter am Zweiglein Verständlichkeit, aber fast keine am Zweiglein Sprache und so ein paar am Zweiglein Inhalt.
    Und jetzt?


    Im zugehörigen Text hieß es, dass Verständlichkeit im Bereich GS und SekI die höchste Priorität habe wohingegen Orthografie nur geringfügig
    Notenrelevanz haben solle. Wie man es gewichtet, bleibt aber einem selbst überlassen.Immerhin: Das Verfahren schafft Transparenz.


    Kennt ihr den Geschichtenrat? Mit diesem lassen sich auch die Kriterien des Zürcher Textanalyserasters in vereinfachter Form gut etablieren.



    siehe z.B. hier: http://www.freieschuleallgaeu.…/konzept59/konzept59.html
    und hier: http://www.google.com/url?sa=t…oI72TRGbpUiBUEhE5HpO_kDUA

  • Das einheitliche Fachkompendium und die Bewertungsbibel, zumindest in NRW, ist doch die ZAP ;( . Soetwas Großartiges gibt's doch auch in BW.


    ZAP? Davon habe ich noch nie gehört...muss ich gleich mal googeln.


    Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

  • Hallo!
    Aus Österreich gibt's auch einen Vorschlag: Das Melker Arbeitspapier für Germanisten:
    http://agn.pi-noe.ac.at/
    lg
    veggie

    Unter den Augen des fliegenden Spaghettimonsters...

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