Schwierige Klasse - brauche Rat

  • Ich habe vor wenigen Wochen in einer 4. Klasse angefangen. Es ist meine erste Stelle nach der Ausbildung, deshalb währe ich froh um Ratschläge.


    Kurz zu meiner Klasse (ich bin nicht Klassenlehrerin, arbeite aber am meisten in der Klasse). Wir sind in einem sozialen Brennpunkt mit fast 100%iger Fremdsprachenquote, sehr problematischen Elternhäusern und grosser Bildungsferne. Von den 21 Kindern sind 17 Verhaltensauffällig: diese Auffälligkeiten gehen von "diagnostizierten" ISF-Problemen über vermutete ADH(!)S bis hin zu den "üblichen" notorischen Störern. Ein grosses Problem ist, dass grundlegende Regeln des Zusammenlebens nicht funktionieren. Es herrscht ein grosses Gewaltpotential - leider. Die Kiner sind absolut immun gegen jede Strafe und jedes Belohnungssystem und haben nie gelernt, auch zuhause nicht, Regeln einzuhalten.


    Mein Vorgänger hat kapituliert... Ich möchte nicht aufgeben. Mir schwebt etwas vor, womit ich den Kindern ihr Verhalten bewusst machen kann. Einfache Regeln wie nicht hauen, nicht rumschreien (im Unterricht), aufstrecken lernen und ordentlich das Zimmer wechseln sind meine Primärziele. Ich dachte dabei an etwas wie einen Verhaltenspass oder einen Verhaltensspiegel. Mit der Zeit sollen die Kinder ihr Verhalten selbst beurteilen und kontrollieren lernen.


    Der Klassenlehrer meinte, ich könne ja mal ein Konzept ausarbeiten. Und genau danach suche ich. Kann mir jemand Tips geben oder hat jemand schon mal so etwas gemacht? Wäre echt froh, denn so zu unterrichten ist anstrengend und macht nicht so wirklich Freude. Vor allem, weil es im Moment ohne Strafen nicht geht und ich überzeugt bin, in der Klasse steckt ein ganz tolles Potential.


    Vielen Dank!!!

  • Hallo!


    Uii, mir reichen momentan die 5-6 Störer pro Klasse, das hört sich wirklich hart an!
    Es erfordert wirklich ein hohes Maß an Energie, dies täglich zu durchlaufen. Aber oft lohnt sich der Einsatz und du spricht ja auch von dem Potential der Klasse- also nur Mut!!


    Ich kann dir zu dieser Klasse nicht direkt einen Rat geben, aber ich habe mir vor kurzem dieses Heft bestellt: "Achtsamkeit und Anerkennung- Materialien und Förderung des Sozialverhaltens in der Grundschule" von der BZgA, vielleicht gehen die Beispiele darin in deine Richtung?! Kam innerhalb von 3 Tagen kostenlos mit der Post.


    Ansonsten würde ich Rollenspiele, warme Dusche (Ich mag an dir,...), Ämter verteilen, Verhalten spiegeln, ein Klassenspiel einsetzen, wenn Regeln besser befolgt werden...
    aber das ist jetzt nur ganz allgemein als Tipp.


    Viel Erfolg und nicht aufgeben!

  • Es stimmt, es ist nicht einfach, solch eine Klasse zu führen. Man muss wirklich von Null anfangen. Es kostet viel Kraft und Zeit. Oft bleibt das Gefühl, man schafft den Unterrichtsstoff nicht, weil man "erst einmal" täglich die notwendigen Grundlagen des Zusammenlebens vermitteln muss. Aber Silicium hat recht. Gerade wenn das Gewaltpotenzial so groß ist, nicht aus allem ein "Drama" machen. Trotzdem würde ich es nicht unter den Tisch fallen lassen. In einer ganz ruhigen Art würde ich es noch einmal mit dem Schüler/den Schülern kurz und knapp das Fehlverhalten persönlich klären. Auch nicht direkt nach der Auseinandersetzung. Warten, bis er/sie sich emotional herunter gefahren hat/haben. Dann ist die Einsicht besser.


    Ich habe damals mit einer Sozialleiter (1-10) gearbeitet. Jeden Tag gabs einen Sitzkreis am Ende des Tages. Die Schüler mussten sich selber einschätzen, die anderen konnten ihre Meinung zu dem Schüler sagen. Ist nichts gravierendes vorgefallen, dann durfte der Schüler mit Hilfe der Namenklammer einen Schritt nach oben wandern. Bei kleineren Vergehen blieb das Kind auf der Stufe, bei grobem Vergehen musste es einen Schritt zurück. (In solchen schwierigen Klassen lasse ich solche Sachen, wie z.B. mal einen Stift wegnehmen außenvor, da es im Verhältnis zu Schlägereien "harmlos" ist. Kommt eben wirklich auf die Klasse an!). Wer bei Nummer 10 ankam, bekam einen Wunsch erfüllt. Diese (3 Stück) habe ich zuvor von den Schülern notieren lassen und die Wünsche sichtbar nehmen die Sozialleiter auf einen Extrabogen kleben lassen. Ihnen aber vorher erklärt, dass es welche sein müssen, die man auch im Unterricht/Schulalltag realisieren kann. So wünschten sich manche, dass sie mal einen Tag lang Kaugummi bei mir kauen durften. War für mich völlig ok. Mir tut es nicht weh und der Schüler hatte sich durch ordentliches Verhalten seine Belohnung verdient. Oder eben auch solche Sachen, wie 1x Hausaufgabenfrei, ein Wahlspiel im Sportunterricht usw. Da muss man als Lehrer einfach entscheiden, ob man mit dem einen oder anderen Wunsch "leben" kann.


    Anfangs meint man zu verzweifeln, egal mit welcher Methode. Da hat man sich sowas Tolles ausgedacht und dann läuft es nicht. Das stimmt so aber nicht. Dran bleiben ist das Ziel. :thumbup: Spätestens, als "endlich" der Erste die 10 erreichte, spornte es doch den nächsten und dann wieder den nächsten Schüler an. Die eigene Reflexion wurde immer besser und jeder achtete zunehmend immer mehr auf sein Verhalten bzw. es wurde ihm bewusster, dass z.B. Treten/Boxen nicht richtig war.

  • @ Lunarra,


    das klingt wirklich böse. Im Grundschulbereich habe ich leider keine Erfahrung. Auf einer Fortbildung hat mir einmal eine Kollegin aus einer Grundschule von einer ähnlichen Situation erzählt. Dort wurde schließlich Folgendes eingeführt:


    Im Klassenraum wurde hinten eine Art Matratzenlager eingerichtet, auf diesem durften die Kinder jeden Morgen erstmal 2 Unterrichtsstunden schlafen. Weil sie nämlich in ihren problematischen Familien, aus welchen Gründen auch immer (die ganze Nacht TV u.ä., Streitereien, es mag jeder seine eigenen Phantasien benutzen ......) nicht zum Schlafen kamen und völlig übermüdet/überreizt/aggressiv zur Schule kamen. Nach dem Schlaf folgte ein gemeinsames Frühstück. Und erst danach konnte mit einem einigermaßen sinnvollen Unterricht begonnen werden.


    Ansonsten klingt für mich deine Beschreibung danach, dass du als Lehrkraft allein damit eigentlich überfordert sein mußt. Vielleicht hast du die Möglichkeit, dir Hilfe zu holen von Fachkräften, die mit den Kindern einzeln und im Klassenverband arbeiten. Ich weiß nicht, wie das bei euch geregelt ist mit Schulsozialarbeitern oder externen Einrichtungen, die in die Schule kommen. Versuch möglichst nicht, dir allein "den Schuh anzuziehen". Das ist m.E. allein nicht zu stemmen und braucht mehr als 1 Person. Es hat sicher auch viele, viele falschgelaufene soziale Beziehungen gebraucht, um 17 verhaltensauffällige Kinder hervorzubringen!!! Ich wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen. :)

  • Vielen Dank für alle Antworten und guten Worte! Ich lese fleissig weiter mit - vielleicht hat noch jemand bereits mit einer solchen Klasse "gekämpft" und kann aus seiner /ihrer Erfahrung berichten.

  • Was ich auch nicht schlecht fand ... meine Pädagogische Mitarbeiterin hatte eine Prüfung zum Streitschlichter abgelegt. So haben wir uns einmal in der Woche (freitags) die Zeit genommen und immer eine alltägliche Situation nachgespielt. Z.B. das Anstellen beim Mittagessen, wo von hinten gedrängelt wird; das Verlassen des Raumes, wo meist gerannt und geschubst wird; die Zwischenrufe im Unterricht uvm. Anschließend haben wir diese Situation reflektiert, nach Alternativvorschlägen gesucht und die Situation noch einmal mit der anderen Variante gespielt.
    Schon die Erkenntnis, dass man Auseinandersetzungen auch mit Worten klären kann, war schon ein kleiner Schritt nach vorn. Vielleicht hilft dir das ja etwas weiter.


    Angefangen hatten wir sogar damit, dass die Kinder "Gefühle" darstellen sollten. Einer durfte sich zur Tafel drehen. Danach bekam er ein "Gefühl" ins Ohr geflüstert, z.B. verliebt/wütend/ängstlich usw. schauen/demonstrieren (ohne Worte). Er sammelte sich kurz, drehte sich danach um und zeigte/demonstrierte es. Die anderen Schüler mussten erraten, was gemeint war. Es war erstaunlich, dass doch so einige manches gar nicht darstellen konnten.


    Ich denke, so lernt man aber auch sein Gegenüber besser zu verstehen, wenn man selber Gefühle zulassen und zeigen kann. Das mussten einige Schüler wirklich erst lernen.
    Für uns ist es verständlich, dass ein Schlag dem anderen weh tut, für manche Schüler muss das (leider) erst begreifbar gemacht werden.

  • Hallo!
    Mir fällt gerade noch nach dem letzten Beitrag "Faustlos" ein.
    Das würde sich doch als Anschaffung an der Schule lohnen, sofern es nicht schon vorhanden ist. Es geht darum um das erlernen von Empathie, Gefühle der anderen erkennen, spüren, Konflikten begegnen... kann ich nur empfehlen!!


    Gute Nacht und einen schönen Start in die Woche morgen!

  • @ Manu 1975: Mich würde interessieren, welche Wünsche die Schüler noch so hatten? Habe auch ein Belohnungssystem eingeführt und es wäre natürlich toll, wenn ich noch ein paar Ideen bekäme, was man außer den üblichen Sachen noch als Belohnung anbieten könnte..das Kaugummikauen find ich zB super, weil es an sich keinen stört (wenn man nicht schmatzt) und ja eigentlich eh die Denkleistung positiv beeinflussen soll (oder?)


    Lunarra: Vielleicht könntest du einführen, dass jeder zB am Wochenende oder so im Sitzkreis sagn kann, was ihn geärgert hat oder über was man sich gefreut hat, also dass die Kinder auch lernen, in ICH-Botschaften zu sprechen..?

  • Ich hatte mal eine ähnliche Klasse und habe mir auch sehr viel Zeit genommen.


    Geholfen hat mir dabei das Buch: Die 1 2 3 Methode


    Guckst du hier: http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_i_0_9/277-6084606-2060149?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=search-alias%3Daps&field-keywords=die+1+2+3+methode&sprefix=die+1+2+3&tag=lf-21 [Anzeige]


    Auch Rollenspiele habe ich gemacht und ein super Anti-Aggressionstraining (Selbstbehauptungskurs) mit einem Trainer von außerhalb


    i-gsk , gibt es glaub ich D`land weit.


    guckst du hier: http://www.i-gsk.de/fortbildun…rliste/florian-punke.html


    Teamtraining und Kooperationsspiele im Sportunterricht haben sehr viel gebracht.


    Ich finde es toll, dass du nicht aufgeben willst. Daumen hoch für dich! Du schaffst das!!!! :thumbup:

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Lunarra,


    "Faustlos" ist ein Gewaltpräventionsprogramm.
    Hier findest du unter anderem Infos: http://www.h-p-z.de/faustlos/index.asp


    Nachteile des Programms:
    - es ist ziemlich teuer
    - es blockiert IMHO jede Woche Unterrichtsstunden. Das muss nicht schlecht sein, wenn es hilft.
    Aber mit dem Kosten- und Zeitargument wurde es bei uns in der Schule abgelehnt. Okay, wir sind auch auf dem Dorf.


    kl. gr. Frosch

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