Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg

  • Ich gehe einmal von 28 Schülern pro Klasse mit 32 Wochenstunden Unterricht pro Schüler aus, bei gleichzeitiger Lehrverpflichtung von 25 Unterrichtsstunden pro Woche für eine Vollzeitlehrkraft.


    Wenn man von falschen Prämissen ausgeht, kann die Statistik nur falsche Daten liefern. Du kannst nicht Zahlen aus deinem Umfeld des Gymnasiums auf die Gemeinschaftsschule übertragen, bei der sich ein großer Teil der Schǘlerschaft in der Grundschule befindet. In Baden-Württemberg liegt die Lehrverpflichtung für Grundschullehrer zudem bei 29 UE - die durchschnittliche Klassengröße jedoch bei 21 Schülern. Gemeinschaftsschulen erhalten zudem zusätzliche Förder- und Teilungsstunden und haben durch den Ganztagesunterricht sowieso völlig andere Basiszahlen als dein Gymnasium, das du so nett verallgemeinerst. Deine Rechnung peilt dermaßen ungenau über den Daumen, dass da gar nix mehr stimmt.


    Durch den hohen Frauenanteil an Grund- und Werkrealschulen gibt es zudem traditionell eine sehr hohe Zahl von Teilzeitbeschäftigten, weil sie Beruf und Haushalt unter einen Hut bringen wollen.
    Dass du aus deiner Rechnung den Schluss ziehst, dass die armen Kollegen vor lauter Arbeitsüberlastung an der Gemeinschaftsschule nur noch unterhälftig unterrichten, ist hahnebüchen und nur durch deine ideologische Sichtweise zu erklären - argumentativ ist das eine Nullnummer ;)

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

    • Offizieller Beitrag

    Auch wenn Mikaels Gerechne womöglich nicht stimmt, Alias, kannst du denn trotzdem glauben, dass es BL gibt, die Gemeinschaftsschulen eingeführt haben, in denen es wirklich nicht um die Verbesserung der Situation ging, sondern nur um Sparmaßnahmen?

    Bolzbold #5

    Gutmensch und Spaß dabei (= das GG und der Diensteid sind schon 'ne gute Sache 😉)

    "Und hast du die Ausrufezeichen bemerkt? Es sind fünf. Ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand die Unterhose auf dem Kopf trägt." (T. Pratchett)

  • Selbstverständlich geht es auch um Sparmaßnahmen. Werkrealschulen in Baden-Württemberg, die nur noch 12 Schüler für die 5.Klasse bekommen, wären zwar pädagogisches Schlaraffenland, aber bei überschuldeten Länder- und Gemeindehaushalten ist es verständlich, dass man dann schaut, wie man Schulen zusammenlegen kann. Wenn man im Zuge dieser notwendigen Umstrukturierung noch ein modernes pädagogisches Konzept einführt - was soll daran falsch sein?


    Im GEW-Thread wurde das englische, zweigliedrige Schulsystem als hervorragend bezeichnet - witzigerweise von jemand, der gegen die Gemeinschaftsschule argumentiert. Wenn im ländlichen Raum eine Gemeinschaftsschule ein wohnortnahes Angebot machen kann - was spricht dagegen? Abiturprüfungen werden weiterhin zentral gestellt - die wurden auch schon bisher oft von Leuten bestanden, die ihren Namen tanzen können ;)

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll


  • Wenn man von falschen Prämissen ausgeht, kann die Statistik nur falsche Daten liefern. Du kannst nicht Zahlen aus deinem Umfeld des Gymnasiums auf die Gemeinschaftsschule übertragen, bei der sich ein großer Teil der Schǘlerschaft in der Grundschule befindet.


    In allen Broschüren zur Gemeinschaftsschule steht aber, dass die Grundschule als Grundstufe a) keinen Ganztagsunterricht haben muss und b) dort alles bleibt wie bisher.

    In Baden-Württemberg liegt die Lehrverpflichtung für Grundschullehrer zudem bei 29 UE - die durchschnittliche Klassengröße jedoch bei 21 Schülern. Gemeinschaftsschulen erhalten zudem zusätzliche Förder- und Teilungsstunden und haben durch den Ganztagesunterricht sowieso völlig andere Basiszahlen als dein Gymnasium, das du so nett verallgemeinerst. Deine Rechnung peilt dermaßen ungenau über den Daumen, dass da gar nix mehr stimmt.


    Recht hast du - und argumentierst trotzdem gegen dich selbst. Wenn nämlich die Unterrichtsverpflichtung HÖHER ist, dann arbeiten ja noch mehr LehrerInnen an Gemeinschaftsschulen TZ....



    Im GEW-Thread wurde das englische, zweigliedrige Schulsystem als hervorragend bezeichnet - witzigerweise von jemand, der gegen die Gemeinschaftsschule argumentiert.


    Lesen ist ganz offensichtlich eine Kunst. Ich habe gesagt, dass in England im zweigliedrigen System die Schüler besser abschneiden als im reinen Gesamtschulsystem. Dass ich das zweigliedrige System gut finde, hab ich mit keinem Wort erwähnt. Besser als komplett Gesamtschule ist es aber wohl.... Außerdem ist besonders an Gesamtschulen in zweigliedrigen Gegenden das sogenannte "streaming" häufig. Da werden die Schüler sehr bald in der 7. Jahrgangsstufe (nach einem Term an vielen Schulen) in drei bis vier Leistungsklassen eingeteilt und dementsprechend beschult. Eigentlich ist das System in so einer Gegend dann also vier- bis fünfgliedrig.

  • Eine Schule in meiner Nähe ist GMS.


    Die GMS-Lehrer haben eine 35x60min Woche und erledigen alle Aufgaben an der Arbeitsstelle.
    Im Wesentlichen erarbeiten sie das Material auf unterschiedlichen Kompetenz- und Niveaustufen (für HS, RS, Gym)
    gemäß Bildungsplan (glaube derzeit RS).


    Die Schulen sind wohl auch untereinander teils vernetzt, sodass Materialaustausch besteht. Altes Material (Schulbücher usw.)
    kann nur begrenzt eingesetzt werden, da diese nicht für das individuelle Lernen ausgelegt sind.


    An sich eine spannende Sache. Die Realschulen in der Nähe haben damit aufgrund des eingetretenen Schülerschwunds die meisten Probleme.


    btw.: auch interessant: http://www.spiegel.de/schulspi…klonen-will-a-869918.html

  • Nach langer, langer Zeit dann doch mal wieder ein Beitrag von mir, da mich das Thema wirklich umtreibt.


    Das Vorgehen der Landesregierung errinnert mich im Moment an jemanden, der ein altes Haus abreißen und dafür ein neues bauen möchte und gleichzeitig glaubt, dafür kein Geld ausgeben zu müssen.


    Ich finde es ja auch im Bildungssektor durchaus legitim, Sparpotentiale zu suchen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Ich finde es auch legitim, über tiefgreifende Reformen im Bildungssektor nachzudenken - beides gleichzeitig zu versuchen, führt aber in die Obdachlosigkeit - um beim Bild des Häuslebauers zu bleiben.


    Schlussendlich kann ich nicht erkennen, wie es auf realpolitischer Ebene jetzt und in Zukunft auch nur Ansatzweise die Mittel und Möglichkeiten geben soll, ein ambitioniertes Gemeinschaftsschulkonzept tatsächlich umzusetzen. Allein die baulichen Realitäten gehen doch völlig an den Notwendigkeiten vorbei.

  • Zitat

    Nach langer, langer Zeit dann doch mal wieder ein Beitrag von mir, da mich das Thema wirklich umtreibt.


    Das Vorgehen der Landesregierung errinnert mich im Moment an jemanden, der ein altes Haus abreißen und dafür ein neues bauen möchte und gleichzeitig glaubt, dafür kein Geld ausgeben zu müssen.


    Es handelt sich vielleicht um ein altes Haus. Dennoch handelt es sich um ein Haus, dem von fachkundigen Besuchern bei nahezu jeder Gelegenheit bescheinigt wird, eines der schönsten, funktionalsten und leistungsfähigsten Häuser der ganzen Straße zu sein.


    Das Verhalten der Landesregierung ist in jeder Hinsicht schlicht verantwortungslos. Es zeugt von keinerlei bildungspolitischer Vernunft noch Sachkenntnis und ist ausschließlich ideologisch motiviert.

  • Es handelt sich vielleicht um ein altes Haus. Dennoch handelt es sich um ein Haus, dem von fachkundigen Besuchern bei nahezu jeder Gelegenheit bescheinigt wird, eines der schönsten, funktionalsten und leistungsfähigsten Häuser der ganzen Straße zu sein.


    So kann auch nur argumentieren, wer Tag für Tag mit der Crème de la Crème der Schüler zu tun hat und nicht sieht, wie viele Verlierer das System produziert.

  • Es handelt sich vielleicht um ein altes Haus. Dennoch handelt es sich um ein Haus, dem von fachkundigen Besuchern bei nahezu jeder Gelegenheit bescheinigt wird, eines der schönsten, funktionalsten und leistungsfähigsten Häuser der ganzen Straße zu sein.


    Richtig! Den Punkt hatte ich vergessen.

  • So kann auch nur argumentieren, wer Tag für Tag mit der Crème de la Crème der Schüler zu tun hat und nicht sieht, wie viele Verlierer das System produziert.


    Ich sehe sehrwohl, dass das alte Haus - um beim Bild zu bleiben - auch seine Schadstellen hat. Ich finde deshalb den Gedanken eines 2-Säulen-Modells im Sinne von Werkrealschule plus Gymnasium nicht falsch. Die Hauptschule war unter den gegebenen Bedingungen vielleicht wirklich nicht zu retten.


    Grundsätzlich würde ich mich bei allen Reformen aber am realpolitsch Machbaren orientieren. Alles andere führt in die Überforderung auf allen Seiten. Die Energie und das Geld, das man nun in den Aufbau einer nicht funktionierenden Gemeinschaftsschule steckt, könnte man viel sinniger in einer spührbare Verbesserung des bestehenden Systems investieren. Damit wäre aus meiner Sicht auch den jetzigen "Verlierern" deutlich mehr geholfen. Grundvoraussetzung wäre beispielsweise eine deutliche Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen den 2 (oder 3) Säulen. Hier wurde in den vergangenen Jahren wohl viel verschlimmbessert (Sprachenfolge etc.). Grundvoraussetzunge wäre auch eine deutlich verbesserte sozialpädagogische Betreuung abseits des reinen Unterrichts. An meinem Schulstandort stehen in nächster Nachbarschaft bspw. zwei weitere Schulen. Zusammen kommen wir wohl auf über 1500 Schüler. Aktuell verfügt keine der drei Schulen über einen ausgebildeten Beratungslehrer, ganz zu schweigen von Schulsozialarbeitern.


    Außerdem: Wir haben an unserer Schule aufgrund eines speziellen Profils durchaus Schüler, die ich zu den Verlierern des Bildungssystems zählen würde. Die praktische Erfahrung im Umgang mit diesen pädagogisch sehr anspruchsvollen Kindern/Jugendlichen zeigt aber, dass sowohl die große Mehrheit der anderen Schüler als auch unsere "Spezialkunden" unter den realpolitisch gegebenen Bedingungen eben gerade nicht davon profitiert, dass ich gezielt leistungs- und sozialverhaltens(!)heterogene Gruppen herstelle. Schlussendlich stellt sich die Frage, welches System unterm Strich mehr "Verlierer" erzeugt. Nicht umsonst haben sich ja gerade massiv eine große Zahl an Sonderschulpädagogen und betroffener Eltern gegen eine Auflösung dieser Schulform gestemmt.


    Und damit ich nicht missverstanden werde: Inklusion und gemeinsames Lernen ist ein toller Gedanke. Ich kann mir durchaus eine Schule vorstellen, in der leistungs- und verhaltensheterogene Schüler gemeinsam lernen. Ich sehe aber nicht, dass die Politik bzw. die Gesellschaft jetzt und in Zukunft bereit wären, hier die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit das tatsächlich erfolgversprechend umsetzbar wäre. Damit ist für mich die Gemeinschaftsschule zum Scheitern verurteilt.

  • So kann auch nur argumentieren, wer Tag für Tag mit der Crème de la Crème der Schüler zu tun hat und nicht sieht, wie viele Verlierer das System produziert.


    Und die "Crème de la Crème" ist nach der Inklusion keine "Crème" mehr? Oder wie soll ich das verstehen? Gibt's dann nach der Inklusion nur noch "Verlierer"? Oder nur noch "Gewinner"? Darf eine inklusive Schule überhaupt noch nach "Gewinnern" und "Verlierern" differenzieren, z.B. durch Abschlusszertifikate oder durch Noten? Wenn ja, ändert sich dann am "Output" von Schule überhaupt irgendwas? Wenn nein, gibt's im Anschluss auch die inklusive Gesellschaft und die inklusive Arbeitswelt?


    Grübel, grübel...

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ob an Gymnasien tatsächlich nur die Creme de la Creme vertreten ist, mag mal dahingestellt sein. Sicherlich haben sich die Kollegen dort jedoch weit weniger mit Milieuerscheinungen auseinanderzusetzen wie an den HS und WRS. Die beachtliche Anzahl an Schülerwanderpokalen stellt uns immer wieder vor die Frage, wie man mit solchen jungen Menschen sinnvoll den Tag verbringen soll, die sich nicht im klassischen Unterricht belehren lassen wollen. Der herkömmliche Unterricht zwingt mich bspw. dazu, einem solchen Schüler mit Verweigerungshaltung in Deutsch zu untersagen, sich den Weltatlas anzusehen, da ja jetzt Deutsch sei.


    Vermutlich dürfte das Thema Inklusion gerade an traditionellen Schulen ein Problemfaktor sein, bei welcher wir mit Lernern mit unterschiedlichsten Voraussetzungen im Gleichschritt versuchen durch die Bildungslande zu ziehen. Der Forderung nach Inklusion kann m. E. nur durch den Weg der Individualisierung des Lernens begegnet werden können. Wie eine optimale Umsetzung individualisierten Lernens aussieht, suche ich jedoch auch.

  • An sich eine spannende Sache. Die Realschulen in der Nähe haben damit aufgrund des eingetretenen Schülerschwunds die meisten Probleme.


    btw.: auch interessant: http://www.spiegel.de/schulspiegel/ruetl…l-a-869918.html


    Ja, Gesamtschule kann tatsächlich funktionieren. Allerdings muss man dann genau hingucken und sich z. B. folgenden Textabschnitt aus dem Spiegel-Bericht zu Gemüte führen:


    Denn 6 Millionen Euro hat alleine der Bau der Halle gekostet, bezahlt vom Senat, zum Teil gefördert durch Gelder aus den EU-Regionalfonds. Weitere 30 Millionen Euro werden noch in die nächsten Bauabschnitte fließen. In vier Jahren soll dann alles fertig sein.


    Für das Geld würden in meinem Bundesland ca. 7-8 Realschulen gebaut. Was alles geht, wenn es politisch opportun und entsprechend medial aufbereitet wurde, ist immer wieder interessant. Im Elternbeirat versuchen wir in unserer Kleinstadt gerade, der Stadt Geld für einen Ausbau von ca. 20.000 € aus den Rippen zu leiern. Wird mit der Begründung abgelehnt, dass ja gerade erst Nassräume renoviert wurden (nach ca. 20 Jahren, in denen alle Beteiligten einen fast unerträglichen Gestank in genannten Räumen hingenommen haben). Nur so als Vergleich...

  • Zitat

    So kann auch nur argumentieren, wer Tag für Tag mit der Crème de la Crème der Schüler zu tun hat und nicht sieht, wie viele Verlierer das System produziert.


    Du wirst nicht erwarten, dass ich Deine immer gleich lautenden Zweizeiler oder Deine ex-cathedra-Belehrungen aus dem Hauptseminar ernst nehme.


    Dir fehlt jede Erfahrung in der alltäglichen Arbeit von 90% der Lehrer und jede Erfahrung darin, welch große Rolle administrative Rahmenbedingungen spielen, die in BW zurzeit massiv verändert werden. Dass die akademisch Ausbildung, mit der Du hier regelmäßig hausieren gehst, große Lücken aufweist, ist allerdings mehr als peinlich. Die notorisch guten Resultate des baden-württembergischen Schulsystems - zuletzt in der Untersuchung zu Bildungsauf- und absteigern - lassen sich nicht mit emotionalisierenden Plattitüden wegwischen.


    In der Stadt, in der ich arbeite, ist das Gymnasium die Regelschule (worunter leider unsere Realschule sehr leidet). Wir arbeiten mit 70% bis 80% jedes Jahrgangs und wir kämpfen um (fast) jeden Schüler, ohne (!) das Ziel aufzugeben, die Schüler lebens- und studierfähig zu machen. Moralisch kannst Du werden, wenn Du einmal selber diesen Kampf über Jahre geführt hast.

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