Ich finde die Diskussion sehr anregend und in mancher Hinsicht beginne ich auch meinen eigenen Deutschunterricht zu überdenken. Schön, auch einmal zu erfahren, wie ein Oberstufenlehrer bestimmte Dinge betrachtet und erfährt. Wenn ich mich an meine Grundschulzeit erinnere, gab es nur den knallharten Frontalunterricht. Die Stunden waren alle durchstrukturiert. Z.B. Montag - Rechtschreiben, Dienstag - Grammatik, Mittwoch - Ausdruck, Donnerstag noch mal RS und Freitag Lesen (Die Reihenfolge der Rubriken soll jetzt nicht relevant sein). Manchmal, hab ich mich auch schon gefragt, ob es vielleicht besser wäre, wieder dahin zurück zu kehren. Ich habe es einmal versucht auszuprobieren, nur, ich konnte es mit dem Lehrwerk nicht so richtig vereinbaren. Vielleicht hätte es da mehr intensiver Vorbereitung bedurft. Wie sieht es in der Oberstufe aus? Gibt es dort die klare Trennung?
Da ich leistungsmäßig zu den stärkeren Schülern zählte, war es für mich auch nicht das Problem, dem Unterricht frontal zu folgen. Aber ich denke, dass die leistungsschwachen Schüler dadurch immer fallen gelassen wurden. Wer die Wörter nicht schreiben oder nicht lesen konnte, bekam die schlechte Zensur und das wars. Es hatte früher keiner groß nachgefragt, wo die Ursache liegen könnte. Heute soll und muss alles bis ins Kleinste diagnostiziert werden und die Schüler sollen dementsprechend gefördert werden. Auch werden wir zum Offenen Unterricht immer mehr verstärkt angehalten. Wobei meine Hauptseminarleiterin damals schon sagte, es ist leichter eine offene Unterrichtsstunde zu halten, als eine sehr gute frontale Unterrichtsstunde. Ich glaube, dass sie damals mit dieser Argumentation nicht falsch lag. Schließlich sollen alle "begeistert" werden und vermieden werden, dass sich welche langweilen, sich welche unterfordert oder überfordert fühlen.
Ich möchte noch ergänzen, dass ich die Rechtschreibung/Grammatik durchaus wichtig finde. Es ist nicht so, dass ich ständig ein Auge zudrücke und sage, ist nicht schlimm, dass du Oma mit zwei -m- geschrieben hast.
Ich denke, die Verschlechterung ist z.Z. ein Phänomen, was wir uns als Grundschullehrer selber nicht richtig erklären können. Vor gut 5-7 Jahren waren meine Schüler bei weitem nicht so schlecht, wie sie es heute sind, auch nicht die leistungsstarken Kinder der Klasse. Da musste ich nicht ständig Gelerntes wiederholen und neu aufgreifen. Die Merkfähigkeit lässt immer mehr nach.
Was tun die Grundschulen im Sprachunterricht?
-
-
Sehr interessante Diskussion.
Mein Kollegium hat da übrigens eine sehr eigene Meinung... vor allem die Lehrerinnen der ersten beiden Klassen finden, dass nicht wir die Kinder für die weiterführende Schule vorbereiten müssen, sondern dass die weiterführende Schule die Kinder halt so nehmen muss, wie sie von uns kommen. Und nicht wir müssen uns auf die weiterführende Schule einstellen, sondern im Gegenteil, die weiterführenden Schulen müssen sich nach uns richten und unsere Methoden und Konzepte weiterführen.
So zum Beispiel diese Rechtschreibwerkstatt von Sommer-Stumpenhorst. An meiner Schule wird damit gearbeitet. Aber das Konzept dieser Werkstatt ist angeblich auf sechs Jahre angelegt und nicht nur auf vier. das heißt, die Kollegen der weiterführenden Schule hätten eigentlich noch zwei Jahre dieses Konzept fort zu führen.
Das macht da keiner... aber wir können ja nicht in vier Jahren das komplette sechsjährige Konzept durchziehen. Finden die Kolleginnen. Also müssen die weiterführenden Schulen da mitziehen und noch zwei Jahre lang Rechtschreibunterricht nach Sommer Stumpenhorst machen. Finden die Kolleginnen.
Ich selbst sage nichts dazu... aber ich bin schon der Meinung, dass ich meine Schüler fit machen muss, damit sie in der weiterführenden Schule klar kommen. Und ich kann nicht erwarten oder gar verlangen, dass die weiterführende Schule genau so arbeitet, wie die Grundschule.... oder gar noch dieselben Unterrichtsmaterialien benutzt.
Die Kollegen der ersten beiden Klassen argwöhnen mittlerweile, dass in den dritten und vierten Klassen manchmal frontal unterrichtet wird... dass sogar manchmal alle Kinder dieselben Hausaufgaben aufbekommen... und haben sich schon bei der Schulleitung beschwert.
Ich fände es extrem wichtig, dass die Richtlinien aller Schulformen mal aufeinander abgestimmt würden... und man kann gerne den Sommer Stumpenhorst aus den NRW Grundschul-Richtlinien wieder rausstreichen und konventionell unterrichten. So MEINE Meinung dazu. -
Für den Bereich Grundschule fühle ich mich wirklich nicht kompetent; meine Schüler sind i.d.R. zwischen 16 und 20 Jahre alt, manche auch weit darüber. Aber ich bekomme die Folgen der familiären und schulischen Sozialisation natürlich genauso hautnah mit. Und da hat sich schon einiges geändert, mit den genannten Folgen.
Mehrere Jahre lange war ich 1x in der Woche zu einer Fördermaßnahme in verschiedenen Kindergärten eingesetzt und habe dort z.B. hautnah mitbekommen, dass sich die Kleinen in einer ständigen Unruhe und Hektik befinden, aus meiner Sicht hervorgerufen durch dieses offene Konzept, das in Kindergärten zunehmend gelebt wird, d.h. es gibt zwar Gruppen, aber alle Türen stehen ständig offen, jeder kann überall hin, jederzeit. Mag einigen Spaß machen; ich habe es aber immer wieder so erlebt, dass viele davon eher eingeschüchtert waren oder völlig überdreht-überfordert. Nicht nur die ganz Kleinen (die sowieso), sondern durchaus auch Vorschulkinder. Sitzkreise gibts offenbar kaum; ruhigere Spiele kennen sie nicht (keiner kannte z.B. sowas wie "Ringlein, Ringlein, du mußt wandern" - Konzentration, abwarten müssen, Spannung aushalten ......; ich habe das mal angeboten, sie waren total überrascht und (!) begeistert!)
Was mir auch auffiel: Für viele Eltern scheint es das Allerschlimmste zu sein, wenn das Kind mal äußert: "Mir ist langweilig!". Dann werden die Erzieher gefragt, was sie denn den ganzen Tag täten, und Eltern überschlagen sich darin, ihr Kind sofort wieder zu bespaßen, anstatt das Kind selbst kreativ werden zu lassen, damit es die unangenehme Situation meistert.
Will sagen: Keine äußere und damit auch keine innere Ruhe; keine Konzentration; kein Aushalten von unangenehmen/frustrierenden Situationen; kein Abwarten können in Gruppensituationen; keine Eigeninitiative und Verantwortung für sich selber.
Wenn ich lese, dass weder Kinder noch Eltern in der Grundschule wirklich Interesse daran zeigen, dass das Kind richtig schreibt, erkläre ich mir das ähnlich: Dafür braucht man Ruhe, Konzentration; man muß das "nervige" Geübe aushalten; als Eltern muß man das "nervige" Hausaufgabenmachen überwachen.
Ich erlebe im Sekundarbereich auch zunehmend in den letzten Jahren Rechtschreibkompetenzen, die mich manchmal fast schockieren. Aber das ist nur ein Teilbereich der Veränderungen im schulischen Verhalten. Offengestanden finde ich z.B. den allseits geforderten Methodenwahn (man verzeihe mir diesen Ausdruck, aber ich empfinde es manchmal so) manchmal eher absolut ungeeignet, um diese Verhaltensveränderungen aufzufangen. Sind dadurch die Jugendlichen wirklich selbständiger im Lernverhalten geworden? Diese Frage stelle ich mir immer öfter. Oder haben sie dadurch vielleicht noch verstärkt gelernt, dass ihnen alles, was ansonsten relativ frustrierend und unspannend ist, möglichst leicht dargebracht wird und schnelle, aber äußerst oberflächliche Ergebnisse offenbar reichen? Diese Einstellung haben sie nämlich zunehmend, wenn sie an unsere Schule kommen, und sind zumindest anfangs oft überrascht und auch überfordert von den Anforderungen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt natürlich nicht DIE Schüler; ich denke sogar, dass es eher der kleinere Teil der Schüler ist, der wirklich Probleme hat (und macht); aber auch dieser kleine Teil beeinflußt das Unterrichtsgeschehen maßgeblich.
-
nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: die kinder schreiben in klasse 1 und 2 lautgetreu. es wird irgendwann zwischen ende 1 und mitte 2 mit lernwörtern begonnen.
den kindern wird immer wieder deutlich gesagt: ich erwarte, dass du unsere lernwörter richtig schreibst.
und wenn texte "veröffentlicht" werden - an einer pinnwand, auf der homepage, in form eines briefes an jemanden außerhalb der klasse oder als geschichtenbuch, das in der klasse ausliegt, dann machen wir den kindern schon klar, dass es eine "erwachsenenschrift" gibt. eine norm, auf die man sich geeinig hat, damit jeder versteht, was die anderen geschrieben haben. anfangs schreibe ich die wörter richtig dazu oder tippe die texte ab. mehr und mehr müssen das richtige abschreiben dann aber die kinder übernehmen.
es wird ihnen also nicht vorgegaukelt "alles in ordnung, schreib' wie du willst", sondern: "konzentriere dich jetzt erst einmal auf den schreibprozess an sich und schreibe alles runter und damit deine oma den brief auch gut lesen kann, sehen wir nach, welche wörter wir noch in richtung erwachsenenschrift verbessern müssen". aber das halt sanft und schrittweise, damit die schreiblust nicht flöten geht.+edit: ich freue mich übrigens, dass hier in einem vernünftigen, sachlichen tonfall diskutiert wird und kein hauen und stechen einsetzt wie das in anderen threads der fall ist. hoffe, das bleibt so
-
Zitat
Montag - Rechtschreiben, Dienstag - Grammatik, Mittwoch - Ausdruck, Donnerstag noch mal RS und Freitag Lesen (Die Reihenfolge der Rubriken soll jetzt nicht relevant sein). Manchmal, hab ich mich auch schon gefragt, ob es vielleicht besser wäre, wieder dahin zurück zu kehren. Ich habe es einmal versucht auszuprobieren, nur, ich konnte es mit dem Lehrwerk nicht so richtig vereinbaren. Vielleicht hätte es da mehr intensiver Vorbereitung bedurft. Wie sieht es in der Oberstufe aus? Gibt es dort die klare Trennung?
Nein, eine klare Trennung gibt es am Gym nicht. Wir machen auch "integrierten" Unterricht, d. h. verschiedene Themenbereiche zusammen und abwechselnd. Wenn also ein Buch gelesen wird, wird zwischendurch daran auch mal Grammatik geübt usw. Gerade bei den jüngeren Kollegen denke ich, dass die didaktischen Unterschiede zwischen Grundschule und Gymnasium nicht soooo groß sind. Was bei uns aber anders ist: Wir haben in Deutsch vermutlich weniger Stunden als die Grundschulen, es gibt mehr Fächer, mit denen die Kinder kämpfen, es gibt kein Klassenlehrerprinzip. Deshalb steht vieles unter größerem Zeitdruck und deshalb sind Räume für "selbstentdeckendes Lernen" kleiner - was ja vielleicht nicht das Schlechteste ist. Deshalb werden aber auch eher Kinder abgeschrieben, die nicht mitkommen. Der Frust der Deutschkollegen ist auch aufgrund der Rahmenbedingungen teilweise so groß: In ihren Köpfen spukt herum, dass an den Grundschulen gaaaanz viel Deutschunterricht stattfindet (was vielleicht gar nicht stimmt?). Und dann kommen die Kinder mit Defiziten zu uns und wir prügeln ihnen in maximal vier Wochenstunden den Stoff ein. Und der Stoff ist gerade in den Klassen 5 und 6 extrem umfangreich, es ist schon sehr eng.
Ich frage mich jedenfalls ganz unabhängig davon, ob das selbstentdeckende Lernen es immer bringt. Manchmal denke ich eben, es verwirrt die Kinder nur - und die Lehrer auch.
ZitatDie Kollegen der ersten beiden Klassen argwöhnen mittlerweile, dass in den dritten und vierten Klassen manchmal frontal unterrichtet wird... dass sogar manchmal alle Kinder dieselben Hausaufgaben aufbekommen... und haben sich schon bei der Schulleitung beschwert.
Hähä, das ist lustig. Naja, eigentlich nicht. Aber davon habe ich auch schon gehört. Offenbar gibt es manchmal nicht nur eine Kluft zwischen Gym und Grundschule, sondern auch Kämpfe innerhalb mancher Grundschulen: Die Lehrer der 1. und 2. Klasse gegen die Lehrer der 3. und 4. Ich hätte persönlich übrigens nichts dagegen, einen Grundschullehrgang fortzusetzen - von mir aus auch Sommer-Stumpenhorst (den ich nicht kenne). Wenn es mit den gymnasialen Rahmenbedingungen geht und wenn es effektiv ist - was ich beides ein bisschen bezweifle. Andererseits finde ich es schon bedenklich, wenn an vier Jahre umfassende Schulen 6jährige Lehrgänge verkauft werden und die Kollegen sich darauf zurückziehen. Nach dem Motto: Es steht doch sechs Jahre drauf, was interessiert mich die Zukunft der Kinder? SOLCHE Leute haben wir natürlich auch. Sie haben z. B. die Umstellung von G9 auf G8 nicht verkraftet und rennen nun immer durchs Lehrerzimmer mit dem festen Entschluss, von ihren Unterrichtsinhalten keinen Millimeter abzurücken. Was natürlich Quatsch ist.
ZitatMehrere Jahre lange war ich 1x in der Woche zu einer Fördermaßnahme in verschiedenen Kindergärten eingesetzt und habe dort z.B. hautnah mitbekommen, dass sich die Kleinen in einer ständigen Unruhe und Hektik befinden, aus meiner Sicht hervorgerufen durch dieses offene Konzept, das in Kindergärten zunehmend gelebt wird, d.h. es gibt zwar Gruppen, aber alle Türen stehen ständig offen, jeder kann überall hin, jederzeit.
Nun, wie gesagt, die Folgen dieser Praktiken konnte ich bei meinen neuen 5klässlern nun auch sehen. Wobei sich hier die Grundschulen sehr unterscheiden. Bei manchen Grundschulen kann man sehr böse sagen: Die Kinder kommen mit wenig Können, viel Selbstbewusstsein und viel schlechtem Benehmen. Das ist aber sehr scharf formuliert und nicht das Hauptproblem. Schwierigkeiten im Umgang können wir meist recht schnell lösen, die Kinder begreifen rasch, was gewünscht ist. Probleme im Können sind eher problematisch. Aber es erstaunt mich schon, wenn die Kinder es z. B. überhaupt nicht mehr gewohnt sind, zur Begrüßung aufzustehen. Oder wenn sie gar nicht merken, dass man mit dem Unterricht anfangen will. Ich lasse sie ja nicht aufstehen, damit sie mich anbeten. Sondern damit sie wissen: Es geht jetzt los. Aber irgendwie kommen manche Grundschulen offenbar ohne solche Rituale aus. Ich frage mich nur: Wie machen die das?
Zitatnur, damit wir uns nicht falsch verstehen: die kinder schreiben in klasse 1 und 2 lautgetreu. es wird irgendwann zwischen ende 1 und mitte 2 mit lernwörtern begonnen.
den kindern wird immer wieder deutlich gesagt: ich erwarte, dass du unsere lernwörter richtig schreibst.Ja, das ist schon klar. Trotzdem: Die sanfte, schrittweise Methode fördert bei Kindern, die nicht schriftaffin aufwachsen, vielleicht doch Missverständnisse. Auch wenn man jedesmal sagt: "Es gibt eine Erwachsenenschrift." Vielleicht denkt sich da mancher 3klässler: "Bis ich erwachsen bin, dauerts noch. Lass die mal reden..."
-
Zitat
Aber irgendwie kommen manche Grundschulen offenbar ohne solche Rituale aus. Ich frage mich nur: Wie machen die das?
Ich denke, sie kommen vielleicht einfach mit anderen Ritualen aus?
Bei mir stehen die Kinder in der Tat auch nicht auf zur Begrüßung, aber wir beginnen mit einem Begrüßungslied in mehreren Sprachen, so dass an dieser Stelle auch ganz klar ist: Wir haben uns gemeinsam begrüßt, nun beginnt der Unterricht.
Das funktioniert schon ab dem zweiten Schultag ganz hervorragend.Zur eigentlichen Frage.
Meine älteste Tochter hat in der Grundschule vier Jahre lang einen absoluten Frontalunterricht genossen, in dem gleichschrittig nach Buch gearbeitet worden ist.
Ihre Rechtschreibung ist eine Katastrophe.
Da halfen auch keine Diktate in der Schule oder das Lernen, wie die Lehrerin es vorgesehen hat.Was ich damit sagen möchte ist: Ich denke nicht, dass die Unterrichtsmethodik zwangsläufig etwas damit zu tun haben muss, ob die Kinder zu guten oder zu schlechten Rechtschreibern werden.
Was ich aber auch denke ist: Man kann die Kinder nicht mit Rechtschreibung alleine lassen. Sprich: Es gibt einfach Unterrichtsinhalte, die lassen sich nicht unbedingt von alleine oder ausschließlich selbstbestimmt lernen.
Nachdem unsere Schule die Erfahrung gemacht hat, dass die Rechtschreibung in der Tat leidet, haben wir uns im vergangenen Jahr entschlossen, ein buchunabhängiges Rechtschreibkonzept für unsere Schule zu entwerfen, das ab dem zweiten Halbjahr in Klasse 1 greift.
Wir erhoffen uns davon, dass Rechtschreibung wieder mehr in den Fokus gerät und Kinder auch die Bedeutung von Rechtschreibung erfahren.Ganz allgemein sei gesagt, dass unsere Schulaufsicht immer gerne betont, dass wir keine Zulieferbetriebe für die weiterführenden Schulen sind und wenn, dann beide Schulformen sich aufeinander zubewegen müssen.
Hier vor Ort funktioniert das mit den weiterführenden Schulen sehr gut. Wir sind in einem regen Austausch und hospitieren auch gegenseitig.
Was mich persönlich aber nun interessieren würde, als Mutter mehr denn als Lehrerin, müssen am Gymnasium NRW denn Diktate geschrieben werden?
Meine Tochter ist in Klasse 6 und hat bislang kein einziges Diktat geschrieben. Sehr zum Glück für sie....Liebe Grüße
strubbelsuse -
Ich finde die Diskussion sehr anregend und in mancher Hinsicht beginne ich auch meinen eigenen Deutschunterricht zu überdenken. Schön, auch einmal zu erfahren, wie ein Oberstufenlehrer bestimmte Dinge betrachtet und erfährt. Wenn ich mich an meine Grundschulzeit erinnere, gab es nur den knallharten Frontalunterricht. Die Stunden waren alle durchstrukturiert. Z.B. Montag - Rechtschreiben, Dienstag - Grammatik, Mittwoch - Ausdruck, Donnerstag noch mal RS und Freitag Lesen (Die Reihenfolge der Rubriken soll jetzt nicht relevant sein). Manchmal, hab ich mich auch schon gefragt, ob es vielleicht besser wäre, wieder dahin zurück zu kehren. Ich habe es einmal versucht auszuprobieren, nur, ich konnte es mit dem Lehrwerk nicht so richtig vereinbaren. Vielleicht hätte es da mehr intensiver Vorbereitung bedurft. Wie sieht es in der Oberstufe aus? Gibt es dort die klare Trennung?
Da ich leistungsmäßig zu den stärkeren Schülern zählte, war es für mich auch nicht das Problem, dem Unterricht frontal zu folgen. Aber ich denke, dass die leistungsschwachen Schüler dadurch immer fallen gelassen wurden. Wer die Wörter nicht schreiben oder nicht lesen konnte, bekam die schlechte Zensur und das wars. Es hatte früher keiner groß nachgefragt, wo die Ursache liegen könnte. Heute soll und muss alles bis ins Kleinste diagnostiziert werden und die Schüler sollen dementsprechend gefördert werden. Auch werden wir zum Offenen Unterricht immer mehr verstärkt angehalten. Wobei meine Hauptseminarleiterin damals schon sagte, es ist leichter eine offene Unterrichtsstunde zu halten, als eine sehr gute frontale Unterrichtsstunde. Ich glaube, dass sie damals mit dieser Argumentation nicht falsch lag. Schließlich sollen alle "begeistert" werden und vermieden werden, dass sich welche langweilen, sich welche unterfordert oder überfordert fühlen.
Ich möchte noch ergänzen, dass ich die Rechtschreibung/Grammatik durchaus wichtig finde. Es ist nicht so, dass ich ständig ein Auge zudrücke und sage, ist nicht schlimm, dass du Oma mit zwei -m- geschrieben hast.
Ich denke, die Verschlechterung ist z.Z. ein Phänomen, was wir uns als Grundschullehrer selber nicht richtig erklären können. Vor gut 5-7 Jahren waren meine Schüler bei weitem nicht so schlecht, wie sie es heute sind, auch nicht die leistungsstarken Kinder der Klasse. Da musste ich nicht ständig Gelerntes wiederholen und neu aufgreifen. Die Merkfähigkeit lässt immer mehr nach.Irgendwie erkennt die Software hier keine verschiedenen Absätze. Muss ich mich so durcharbeiten.
Eine Trennung in Rechtschreibung und Grammatik hab ich in der Oberstufe so nicht mehr. Da gilt das mehr oder weniger als abgeschlossen und ich arbeite mehr mit Texten, Lektüren, mehr inhaltlich, fachwissenschaftlich. Klar werden die Fehler in Klausuren aufgezeigt, aber im Grunde dreht es sich dann darum, zu erkennen, wo da noch Schwächen sind und die Lücken selbst zu schließen.
Zum Frontalunterricht: ich finde es tatsächlich auch einfacher, offene Stunden zu gestalten als frontale. Mir fällt für mich selbst aber auch auf, dass es mir im Sprachenunterricht besser gelingt, offene Stunden zu gestalten und es mir mit zunhemendem alter der Schüler im naturwissenschaftlichen Unterricht schwerer fällt, die nicht frontal zuzuballern. Das liegt aber meiner Meinung tatsächlich am fachlichen, weil ich in Deutsch interpretieren und herausarbeiten lassen kann an Texten und man darüber diskutieren kann. In der Naturwissenschaft kann ich aber über Tatsachen nicht diskutieren, die sind wie sie sind. Um sinnvoll die Schüler etwas erarbeiten zu lassen, muss ich im Regelfall erst mal stundenweise Input geben. Das heißt oft, Bilder und Grafiken zu beschrieben, zu interpretieren, zu hinterfragen, Inhalte zu notieren, um dann sinnvoll Aufgaben dazu bearbeiten zu können. Sich da Wissen selbstr zu erarbeiten ist schwierig. Mann kann vielleicht noch versuchen, was man im Plenum neigt zu machen in Kleingruppen zu geben, zusammenzutragen und zu hinterfragen, um dann sich Notizen anzufertigen. Aber dann endet es fast schon, weil Experimente da sicher auch erhellend sein können, oft aber am aufwand und dem nicht vorhandenen Material zu scheitern drohen. Fazit: im Spracheunterricht finde ich offene Formen immer wieder in der Oberstufe und wenn es nur Gruppen- oder Partnerarbeit ist. Allerdings finde ich nach oben hin immer weniger differenziertes Arbeiten, wobei dann vielleicht auch irgendwann die Frage erlaubt sein muss, ob in der Oberstufe nicht irgendwann die innere Diffferenzierung auch mal ein Ende haben muss, weil sie alle in der 13 das gleiche Abitur schreiben müssen.
-
Guten Morgen !
Wir nehmen in unseren 5ern (Realschule) auch immer häufiger wahr, dass sie hinsichtlich Lesen und Rechtschreibung fast nichts können. Ich behaupte, dass die Schüler an den Grundschulen vor ca. 20-30 Jahren in der 2. Klasse auf den gleichen Stand waren wie heutzutage Fünftklässler.Die Grundschullehrer müssen dringend ihre Methodik überdenken !
-
Die Grundschullehrer müssen dringend ihre Methodik überdenken
Wie oben schon von Strubelsuse geschrieben liegt es nicht zwangsläufig an der Unterrichtsmethode. Durch die neuen Lehrpläne und Bildungspläne in den letzten Jahren
gibt es in der Grundschule sehr viel mehr Kompetenzen zu lernen. Es kann durchaus sein, dass zu Lasten der Rechtschreibung die Zeit in andere Kompetenzen gesteckt wurde, die
wir in der Grundschule für wichtiger erachtet haben (freies Schreiben zum Beispiel).Vielleicht müssen die weiterführdenen Schulen genauer hinschauen oder sich mit den Grundschulen austauschen, von denen sie Kinder bekommen, welche Kompetenzen die Kinder mitbringen, um die Stunden entsprechend anzupassen.
Schwierig wird es natürlich, wenn weiterführende Schulen die Kompetenzen (z.B. Selbstständiges Lernen) nicht zu schätzen wissen, dann bleibt es wohl bei diesen Grabenkämpfen.
Aber natürlich nehmen wir solche Wahrnehmungen bezüglich Rechtschreibung ernst, aber auch wir haben nur begrenzt Stunden zur Verfügung und die Ansprüche an
mehr Kompetenzen sind halt für die Kinder in der Grundschule gestiegen und das können wir nicht unberücksichtigt lassen. -
Ein sehr interessanter Thread! Auch ich wünsche mir dringend mehr Kommunikation mit den weiterführenden Schulen und ja: wir sind kein Zulieferbetrieb. Wie sollten wir das auch schaffen? Dann müsste mir vom ersten Schuljahr an klar sein, auf welche Schulform ein Kind nach der vierten Klasse wechselt. Ab Klasse 2/3 sehen wir das an der Grundschule zwar schon deutlich, aber der Elternwille entscheidet ja oft anders. Leider erleben wir es häufig, dass die Kollegen der Realschule und der Gymnasien das Empfehlungszeugnis gar nicht lesen und dann irgendwann staunen - wenn denn ein Gespräch stattfindet - dass wir das Kind schon genau so erlebt haben und es ja auch eigentlich eine Empfehlung für eine andere Schulform hatte. Wirklicher Austausch findet nicht (mehr) statt. Vor einigen Jahren wurde uns mitgeteilt, dass die Grundschullehrer nicht mehr an den Orientierungsstufenkonferenzen teilnehmen dürfen. Meine Kollegen sind dort immer gerne hingegangen.
Die gemeinsamen Fachkonferenzen für Englisch gab es bei uns auch und es endete fast genauso wie oben beschrieben. Die Vorwürfe waren uns schnell zu viel. Dafür haben wir einfach keine Kapazitäten frei, denn die Grundschulen haben auf der anderen Seite ja auch noch die Kindertagesstätten und dort ist der Beratungsbedarf sehr sehr groß! Ohne jetzt in die Tiefe gehen zu wollen, das Problem beginnt in der KiTa. Ich bin seit vielen Jahren im ersten und zweiten Schuljahr eingesetzt und beobachte zunehmend, dass die Kinder mit immer weniger Kompetenzen eingeschult werden. Wir sind Monate damit beschäftigt, diesen Kindern mittels Ritualen und festen Regeln eine Struktur zu geben, damit Lernen überhaupt möglich wird. Es gibt dann leider auch zunehmend Elternhäuser, in denen solche Strukturen keine Rolle spielen. Die erziehen wir dann mit - wenn es geht, denn meistens geht es eben nicht.
An Rechtschreibung - ganz ehrlich - denke ich zwar oft, aber das ist nicht mein Hauptanliegen, wenn ich (im Durchschnitt) auf 24 orientierungslose Sechsjährige schaue.
Im zweiten Schuljahr diktiere ich übrigens zum Abprüfen am Ende jedes Sprachbuchkapitels die Lernwörter - unangekündigt. Ich erhalte ein sehr gutes Bild, wer zu Hause übt und wem das völlig fremd ist. Das hält sich bei den meisten (trotz Beratung der Eltern) bis ins vierte Schuljahr. Die Beherrschung der Lernwörter und -texte bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die Rechtschreibung gesichert ist. Das sind stur auswändig gelernte Wörter. Erst die Anwendung macht den Rechtschreiber sicher und da fehlen uns in der Grundschule zwei Jahre ... -
Die Beherrschung der Lernwörter und -texte bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die Rechtschreibung gesichert ist. Das sind stur auswändig gelernte Wörter. Erst die Anwendung macht den Rechtschreiber sicher und da fehlen uns in der Grundschule zwei Jahre ...
Woher kommt es deiner Meinung nach, dass auswendig gelernte Worte in der Anwendung nicht reproduziert werden? Ich mache die gleiche Erfahrung zwar mit abstrakten grammatischen Regeln, die zwar reproduziert werden, in der freien Anwendung überhaupt nicht angewandt werden. Aber warum wäre das so bei Lernwörtern - die ja nur auf dem Papier in ihren Buchstabenmustern reproduziert werden?
Nele
-
Ein wirklich interessanter Thread!
Da ich noch ganz frisch dabei bin (Grundschule), würde mich mal interessieren, was denn "früher" konkret im Rechtschreibunterricht anders war, falls man das sagen kann. Die reine Unterscheidung frontal-offen ist ja doch etwas schwammig. Hat man mehr Zeit investiert? Mehr Wert auf die Rechtschreibung gelegt? etc.
Wenn ich Unterlagen aus meiner eigenen Grundschulzeit anschaue (bin Ende 20) finde ich nur bestätigt, was hier schon gesagt wurde. Vielleicht gibt es hier erfahrene Kollegen, die die Unterschiede etwas konkreter beschreiben können?!? -
Ich schließe mich dem an und denke, es liegt nicht (nur) an der Methodik. Ich habe alle Varianten versucht auszuprobieren und gesehen, dass alles seine Vor - und Nachteile hat.
Ich habe derzeit wieder eine 1.Klasse (letztes Jahr auch schon) und mache morgens immer einen 10min Sitzkreis. Dort lasse ich die Kinder erzählen, was sie bewegt oder er dient thematisch für die Stunde. Gelegentlich mache ich mir hinterher kurze Notizen über sprachliche Auffälligkeiten. So stelle ich fest, dass einige Kinder noch in "Babysprache" sprechen, andere bestimmte Laute beim Sprechen gar nicht "kennen". Z.B. "Ich krinke gern Milch." (=> trinke). Auch habe ich festgestellt, dass viele dem/den überhaupt nicht mehr unterscheiden. >=> "Ich gehe an DEN Haus vorbei". Verbessere ich die Kinder und lasse es nachsprechen, sind nicht alle mehr dazu in der Lage und sagen weiterin "Ich gehe an DEN Haus vorbei." Oder auch solche Sachen wie: Ich gehe bei DIE Oma heute". Das -die- rückt aus welchen Gründen auch immer, immer mehr in den Vordergrund.
Auch verwenden immer mehr Kinder falsche Präteritumsformen "Ich gehte gestern ins Kino.", aber auch falsche Satzstellungen "Morgen ich gehe mit meinen Eltern zu den Hund.", als es vor einigen Jahren war. Ich denke, es ist auch ein Aspekt mit, dass es zunehmend schwerer fällt, den Kindern die richtige Rechtschreibung/Grammatik beizubringen. Manche verstehen einfach nicht, was ich von ihnen will, da sie es ja zu Hause nicht anders sprechen.Ja, und manchmal komme ich mir mittlerweile auch mehr wie ein Sozialpädagoge vor so, wie es Talida schon beschrieben hat. Regeln, Normen, Rituale, strukturierte Tagesabläufe ... vieles kennen Kinder kaum oder gar nicht mehr.
-
Ich schließe mich manu und Talida ebenfalls an.
Diese Sprachauffälligkeiten und falsche Grammatik- und Satzbauformen haben deutlich zugenommen. Und das betrifft Kinder, die Deutsch als Muttersprache haben.
Außerdem braucht man unglaublich viel Zeit, um mit den Kindern Dinge einzuüben, die früher selbstverständlich waren. Rituale, Regeln, Sozialverhalten...
das kostet enorm viel Zeit.
Und wir haben nicht mehr Unterricht als früher... also gehen all diese Dinge von der normalen Unterrichtszeit weg. dazu noch all das, was jetzt auch noch zum Grundschulunterricht gehört. Klassenrat, Schülerrat, Medienerziehung, PC-Training, Sozialkompetenztraining... und so viel mehr. Dafür gibt es ja keine extra Stunden... das hat man gefälligst in die normalen Stunden irgendwie zu integrieren.
Ich glaube, früher hatte man schlicht mehr Zeit für Rechtschreibung. Und für Rechtschreibtraining. -
Ich denke, wenn wir einmal von den Unterrichtsmethoden absehen - die imho auch Teil des Problems sind - liegt eine Schwierigkeit genau hier:
Zitatdie Ansprüche an
mehr Kompetenzen sind halt für die Kinder in der Grundschule gestiegen und das können wir nicht unberücksichtigt lassen.ZitatWir sind Monate damit beschäftigt, diesen Kindern mittels Ritualen und festen Regeln eine Struktur zu geben, damit Lernen überhaupt möglich wird.
Über diesen beiden Aussagen schließt sich für mich kein Himmel. Damit meine ich nicht, dass ich Euch nicht glaube. Sondern ich meine, dass das einfach nicht zusammenpasst. Ich habe ja oben schon geschrieben, was meine Kollegen sich wünschen: Dass die Kinder lesen, rechnen, (recht)schreiben können und grundlegende Sozialkompetenzen haben. Wenn man natürlich stattdessen PC-Kenntnisse, Medienerziehung, Referate halten, Grundschulenglisch (das in der Fläche doch eher wenig effektiv zu sein scheint) usw. trainiert, ist es nicht verwunderlich, dass die Basics nicht da sind. Mir ist schon klar, dass die Grundschule keine "Zulieferbetrieb" ist und dass die "Wünsche" der Gymnasien für den Grundschullehrplan nicht entscheidend sind. Übrigens bewegen sich die Gymnasien natürlich auch auf die Grundschulen zu, es geht nicht anders und außerdem sind uns unsere Schüler auch wichtig - auch wenn wir ein anderes Image haben . Aber ich habe mir gestern auch mal die Grundschullehrpläne NRW angesehen und auf mich wirkt das teilweise so, als würden hier hohe Türme auf Sand gebaut.
Übrigens ist das natürlich - wieder! - nicht NUR ein Grundschulproblem. Denn teilweise wiederholt es sich an den weiterführenden Schulen. Z. B. PC-Kenntnisse: Muss ich in Klasse 5 und 6 auch unterrichten. Und ich halte es für eine totale Katastrophe. Es ist einfach nicht sinnvoll, eine Unterrichtsstunde pro Woche in PC-Arbeit zu investieren, wenn die Kinder nicht vernünftig lesen, schreiben und rechnen können. Während sich die Unterrichtsfächer um Stunden streiten, weil alle den Eindruck haben, dass sie ihren Stoff nicht mehr vermittelt bekommen, sollen Elfjährige, die am PC vielleicht mal eine halbe Seite schreiben, das Zehn-Finger-System lernen. Kinder, die den PC von zuhause kennen, langweilen sich vor dem Bildschirm, Kinder, die ihn nicht kennen, lernen in zwei Jahren Unterricht etwas, das sie später irgendwann ohnehin lernen würden, und zwar in wenigen Tagen.
ZitatEs kann durchaus sein, dass zu Lasten der Rechtschreibung die Zeit in andere Kompetenzen gesteckt wurde, die
wir in der Grundschule für wichtiger erachtet haben (freies Schreiben zum Beispiel).Ja, das verstehe ich natürlich und es entspricht ja auch dem (gerechtfertigten) Image der Grundschule, besonders innovativ zu sein. Aber ich muss doch noch mal einen Punkt von oben erwähnen: Diese einfache Umverteilung scheint mehr zu sein als nur die Neuverteilung von Unterrichtszeit. Denn es könnte eben sein, dass diese Umverteilung nur für bestimmte Gruppen von Schülern positive Effekte bringt, während gerade die sozial "Unterprivilegierten" verlieren, ohne an anderer Stelle zu gewinnen. "Freies Schreiben" ist eine wichtige und tolle Sache, aber es ist nicht toll, wenn damit die Ausbildung von grundlegenden Fähigkeiten in die Familien abwandert und bestimmtes Wissen damit automatisch nur noch bestimmten Schülern zur Verfügung steht ODER wenn es in die fünfte Klasse wandert, wo die Kinder schon aufgeteilt sind oder plötzlich ganz andere Sorgen haben (Vokabeln lernen z. B.). Natürlich ist damit nicht gesagt, dass man freies Schreiben nicht praktizieren soll, ich meine eben nur, dass man nicht aus den Augen verlieren kann, dass die Grundschulen in ein Gesamtsystem eingebunden sind. Und dass insofern beachtet werden muss, was es bedeutet, wenn Rechtschreibung immer noch als Top-Kriterium für Gymnasial- oder Realschultauglichkeit gilt, aber gleichzeitig im Unterricht an Bedeutung verliert.
Unterm Strich ist es so, dass Grundschule und weiterführende Schulen ein Problem zu teilen scheinen - zumindest erleb ich das so: Den Eindruck, man habe einfach zu wenig Zeit für das, was man machen müsste.
Mare:
Nur zwei Zahlen: Der NRW-Lehrplan von 1969 legt fest: Kinder der Klasse 4 sollen mindestens 2500 bis 3000 Wörter fehlerfrei schreiben können. Der Lehrplan von 1985 hat diese Zahl bereits auf 1000 gesenkt. Der aktuelle Lehrplan enthält, glaube ich, gar keine Zahl mehr, es ist aber gut möglich, dass ich mich verguckt habe.
-
Nele
Dieses Phänomen beschäftigt mich seit geraumer Zeit - nicht nur bezüglich Rechtschreibung. Eine wirkliche Erklärung habe ich noch nicht. Meine Versuche mich in die Gehirnforschung einzulesen, liegen derzeit aus Zeitgründen brach. Herhalten muss deshalb noch die Vermutung, dass unsere Kinder einfach zu vielen Reizen ausgesetzt sind, ohne dass sich die dafür notwendigen Verarbeitungsfilter im Gehirn mitentwickelt haben. Die Technik ist schneller als die Evolution.Ein Beispiel aus dem Deutschunterricht des vergangenen Schuljahres habe ich noch:
Eine Schülerin (2. Schuljahr, eher lernschwach, aber immer lernbereit) schrieb die Wörter der ersten drei Grundwortschatz-Diktate immer genau in der Reihenfolge auf, in der sie im Sprachbuch aufgeführt waren. (Ich diktiere natürlich in veränderter Reihenfolge.) Es unterliefen ihr dabei wenig bis keine Fehler. Nachdem ich ihr endlich klar machen konnte, dass sie die Wörter in der diktierten Reihenfolge schreiben soll, gab es kaum noch ein Wort ohne Fehler. Sie hatte also zu Hause immer nur diese feste Reihenfolge geübt und sich dabei das Gesamtbild eingeprägt bzw. Teilbilder, die sich beim Abschreiben ergaben. Waren diese Wörter Teil von kurzen Sätzen, erkannte sie sie ebenfalls nicht wieder. Zu dieser Übertragung sind aber im zweiten Schuljahr nur wenige Kinder ohne Anleitung fähig. Deshalb ist der Rechtschreibprozess langwierig und darauf angewiesen, dass das Kind die jeweilige Entwicklungsstufe erreicht hat um z.B. die Lernwörter in eigenen kurzen Sätzen richtig anwenden zu können. Lernen im Gleichschritt bringt da nicht viel, aber genau dort stoßen wir an unsere Grenzen und müssen Leistungen beurteilen, die aufgrund unterschiedlicher entwicklungsbedingter Voraussetzungen erbracht wurden. Lernfleißige Kinder mit entsprechendem Elternhaus können das kompensieren, sind aber erfahrungsgemäß wenig selbständig und können kaum Transferleistungen erbringen. Diese Kinder hat man früher gerne zur Realschule empfohlen, heute werden sie von den Eltern aufs Gymnasium gezwungen - so die Beobachtungen in meinem Umfeld.Ich beobachte ebenso, dass gute Leser auch gute Rechtschreiber werden. Kinder, denen schon immer viel vorgelesen wurde, fällt der Leselernprozess viel leichter. Wer gut lesen kann - und in meinem zweiten Schuljahr sind einige Kinder, die bereits überschauend und betont lesen können - verarbeitet auch beim Schreiben Wörter und Laute anders und besser. Meine Kolleginnen, die teilweise schon 25 Jahre und mehr im Schuldienst sind, bestätigen das. Der gesamte Prozess beinhaltet jedoch so viele Details, auf die wir achten müssen, die wir diagnostizieren und anschließend fördern, dass uns manchmal einfach die Zeit davon läuft. Es gibt ja auch noch Mathe und all die fachübergreifenden Kompetenzen und so ganz nebenbei habe ich auch noch Förderkinder in der Klasse sitzen, die noch mal andere Bedürfnisse haben.
Ich möchte den schwarzen Peter jetzt nicht weiterreichen, aber ich denke wirklich, dass es an der Zeit ist, die Ausbildung der Erzieherinnen verpflichtend an die Fachhochschulen zu bringen. Es fehlt in den KiTas nicht nur das Personal (U3-Gruppen ohne Zusatzkräfte kostet zur Zeit auch die fähigsten Erzieherinnen die letzte Kraft), sondern auch eine fundierte Ausbildung, damit schneller und effektiver Fördermaßnahmen angebahnt werden können. Es scheitert an Zeit und Personal, dass viele Erstklässler den Umgang mit Schere und Stift nicht mehr beherrschen und sich sprachlich oft kaum noch verständlich machen können. Hinzu kommt, dass die meisten Eltern sich von einer Erzieherin nicht mehr beraten lassen wollen. Diese Berufsgruppe hat einen ganz schweren Stand und so werden viele Probleme weitergeschoben und landen im ungünstigsten Fall in der weiterführenden Schule. -
So stelle ich fest, dass einige Kinder noch in "Babysprache" sprechen, andere bestimmte Buchstaben beim Sprechen gar nicht "kennen". Z.B. "Ich krinke gern Milch." (=> trinke).
Buchstaben sind doch graphische Einheiten - wie kann man sie sprechen?!Ich denke, generell muss man bei deinen Beispielen unterscheiden, wo die "Fehler" durch den Dialekt oder allgemeine sprachliche Schludrigkeit erklärt werden können (auch bedingt durch den sozialen Hintergrund) und wo eine ernsthafte Sprachentwicklungsstörung vorliegt. Hilfreich beim Rechtschreiberwerb ist sicherlich beides nicht.
-
Es scheitert an Zeit und Personal, dass viele Erstklässler den Umgang mit Schere und Stift nicht mehr beherrschen und sich sprachlich oft kaum noch verständlich machen können. Hinzu kommt, dass die meisten Eltern sich von einer Erzieherin nicht mehr beraten lassen wollen. Diese Berufsgruppe hat einen ganz schweren Stand und so werden viele Probleme weitergeschoben und landen im ungünstigsten Fall in der weiterführenden Schule.
Es scheitert nicht nur an Zeit und Personal... Es scheitert m.E. schon am/im Elternhaus.
Das Problem verschiebt sich einfach.
Die Weiterführenden Schulen schimpfen auf die Grundschule, die Grundschule schimpft auf den Kindergarten, der Kindergarten schimpft auf die Eltern.
Und genau bei denen ist m.E. die Kritik angebracht, bei sonst keinem. -
Eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sommer-Stumpenhorst und dem Konzept "Lesen durch Schreiben" findet sich hier:
-
Zitat caliope :
ZitatIch glaube, früher hatte man schlicht mehr Zeit für Rechtschreibung. Und für Rechtschreibtraining.
Dann verstehe ich nicht, dass man heute viel zu wenig Zeit dafür einräumt und den Schülern kein intensives Pauken mehr zumutet.
Ich meine, das, was die Schüler heutzutage in den 5. Klassen (auch an Gymnasien) an Lese- und Rechtschreibfähigkeiten aufweisen, ist einfach nur höchst peinlich und ein Hinweis auf ein (verschleiertes) Analphabetentum, das in (erleuchteten) pädagogischen Kreisen schöngeredet und unter dem Teppich gekehrt wird.Ach ja, die unvermeidliche Kompetenzorientierung ! D.h., man versucht bei Schülern, denen nicht mehr genügend Lesen und Schreiben beigebracht wird, Kompetenzen zu erweitern, obwohl sie nicht einmal die einfachsten Texte verstehen, geschweige denn richtig schreiben können ?
Warum stellen Lehrer nicht einmal die kritische Frage, ob es sich bei der "Kompetenzorientierung" nicht einfach um ein fremdbestimmtes und technokratisches Hirngespinst handeln könnte ?
Ich denke, es wird Zeit, dass in der Pädagogik endlich mal wieder der gesunde Menschenverstand einkehrt und Schüler wieder was Vernünftiges lernen !
Werbung