So, hier ein Thema aus dem Giftschrank: Was tun die Grundschulen im Sprachunterricht? Aus aktuellen Anlässen wird es bei uns inzwischen eigentlich mit jeder neuen Jahrgangsstufe 5 diskutiert. Ich habe jetzt gerade eine neue 5. Klasse - gut, sie konnten am Anfang nicht pünktlich sein und rannten immer im Klassenraum herum, das waren sie anscheinend so gewohnt. Ist kein Beinbruch und sagt über "die" Grundschulen sicher nichts aus. Was mich aber doch irritiert ist: Sie haben wenig Ahnung von Rechtschreibung... Nicht alle natürlich, aber doch sehr viele. Sie schreiben natürlich nicht alles falsch, aber an vielen Stellen fragt man sich, ob jemals ein systematischer Rechtschreibunterricht stattgefunden hat. Zum Beispiel scheinen viele Kinder wirklich keinerlei Ahnung davon zu haben, dass es Regeln für die Groß- und Kleinschreibung gibt. Sie scheinen also zu wissen, dass man manche Wörter großschreibt (vielleicht, weil sie die Wörter kennen?) Aber dass es Klassen (!) von Wörtern gibt, die man großschreibt - das haben viele offenbar nicht verinnerlicht.
Von der Handschrift will ich gar nicht reden. Ich erinner mich dunkel, dass ich noch Schwungübungen gemacht habe, als ich zur Schule ging. Das ist bei "meinen" 5klässlern sicher nicht so gewesen, und man sieht es.
Um es sehr zugespitzt und böse zu sagen: Die Kollegen wollen eigentlich nur vier Dinge von den Kindern in Klasse 5: Dass sie ungefähr wissen, wie Schule funktioniert und dass es Regeln gibt. Dass sie lesen, (recht)schreiben und rechnen können. Die Kinder müssen keine Folien auflegen können, nicht mit Powerpoint arbeiten können, nicht den Kreativitäts-Nobelpreis gewinnen können usw. Aber irgendwie klappt das mit den Wünschen von Gymnasium und Grundschule offenbar nicht, sie passen nicht mehr zusammen. Z. B. gibt es an den Grundschulen in unserer Gegend offenbar teilweise keine Diktate mehr. Die schreiben wir aber weiterhin. Die Kollegen gehen fluchend durchs Lehrerzimmer und fragen sich, wie ein Kind, das beim Abschreiben (!) eines kurzen Textes dutzende Fehler macht, eine Gymnasialempfehlung bekommt.
Jetzt las ich eine Studie von Steinig et. al., die Texte von Grundschülern aus den Jahren 1972 und 2002 aus Dortmund und Recklinghausen verglichen haben. Die Ergebnisse sind nicht (!) repräsentativ. Aber das Fazit ist:
- Die Gymnasiasten können 2002 besser als 1972: Erzählen, kreativ schreiben. Sie können deutlich schlechter: Rechtschreiben.
- Real- und Hauptschüler können 2002 besser als 1972: Gar nichts. Jedenfalls nicht in Relation zu den Gymnasiasten. Dafür können sie aber etwas deutlich schlechter: Rechtschreiben.
Steinig et. al. fordern auf der Basis übrigens eine Abschaffung des gegliederten Schulsystems oder mehr Förderung für schwächere Kinder in der Grundschule...
So, um das jetzt noch klar zu sagen: Ich erwarte natürlich nicht, dass ein 5klässler perfekt rechtschreibt. Und dass die Kinder große Erzählqualitäten haben (zumindest viele) erkenne ich vollkommen an. Ich weiß auch, dass an den Grundschulen sehr harte Arbeit geleistet wird und denke, dass es insgesamt gute Arbeit ist. Ich würde auch nie einfach (wie manche meiner Kollegen sich das vorstellen) Forderungen stellen und sagen: Die Grundschulen müssen, sollen blabla. Dafür weiß ich zu wenig darüber, was dort passiert.
Aber interessieren, wie das Ganze sich aus Grundschulsicht darstellt, würde es mich doch. Für mich stellt sich die Situation so dar, dass ich jetzt erst einmal monatelanges Rechtschreibtraining machen werde. Es wird sehr frontal werden, sehr langweilig und mit sehr viel Druck funktionieren. Sehr "undidaktisch" also. Was man den Kindern vielleicht in der Grundschule erspart hat, kommt also jetzt. Einige werden an der Rechtschreibung scheitern - nicht nur, aber wesentlich auch. Dafür werde ich den Stoff, den ich machen sollte, nicht machen.
Wie also sieht es im Sprachunterricht der Primarstufe aus? Ein bisschen Aufklärung wäre super, damit ichs besser verstehe.