Dyskalkulie

  • Artikel in der Zeit vom 14.7.11:
    http://www.zeit.de/2011/29/C-Dyskalkulie


    Nur einmal ein paar spontane Gedanken zu dem Artikel, natürlich völlig politisch unkorrekt:


    Zitat

    Eine Vier in Mathematik. Die Leistung ist ausreichend, heißt das. Für Lea Breitenbach und ihre Eltern ist sie weit mehr. Sie ist ein lange erkämpfter Sieg. Lea besucht die fünfte Klasse der Glauber-Realschule im unterfränkischen Karlstadt, und die Vier im Zwischenzeugnis ist die erste Mathe-Note ihres Lebens.
    ...
    Dabei ist das zierliche Mädchen mit den langen braunen Haaren eine passable Schülerin. Eine Eins in Religion, eine Zwei in Erdkunde, Dreier in Deutsch und Englisch.


    Deutsch, Englisch, Mathematik waren noch einmal was? Kernfächer? Aber zu Deutsch und Englisch gibt's weiter unten noch ein paar Infos. Es gibt ja nicht nur "Dyskalkulie"...


    Zitat

    Dyskalkulie ist das Fachwort für diese Rechenschwäche. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet sie als Teilleistungsstörung. Das heißt: Wer Dyskalkulie hat, bringt auf anderen Gebieten ausreichende Leistungen, ist mindestens normal intelligent.


    Aha... Dyskalkulie = "mindestens normal intelligent". Also alles nicht erkannte "Begabungen"...


    Zitat

    Ohne Mathe-Note keine Realschule. Dyskalkulie hin oder her. Lea dürfe aber zum Nachholtermin der Prüfung für eine nachträgliche Realschulzulassung antreten, lautet der Vorschlag. »Na ja, dann schaff ich das jetzt halt«, sagt Lea tapfer, als sie davon erfährt. Eifrig bereitet sie sich mit alten Prüfungsfragen vor. Schriftlich läuft es durchwachsen, doch im mündlichen Teil überzeugt Lea die Prüfer. Sie sei neugierig und weit über Hauptschulniveau. Sie bekommt eine Vier. Ausreichend für die Realschule.


    Und plötzlich klappt es doch mit Lernen... trotz Dyskalkulie... Sachen gibt's...


    Zitat

    Lea hat, wie mindestens 17 Prozent aller Dyskalkuliker, auch eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. Beide Teilleistungsstörungen sind von Kinder- und Jugendpsychologen bestätigt


    Also sogar doppelt "begabt" (siehe auch die Deutsch- und Englisch-Noten). Warum dann "nur" Realschule und nicht gleich Gymnasium?


    Zitat

    Eine Abiturprüfung in Mathematik hätte Andreas Kern* wohl seinen Traum vom Jurastudium gekostet. Der 19-Jährige hat gerade in Niedersachsen das Abitur bestanden – mit einem Durchschnitt von 2,9 –, obwohl auch Andreas die Welt der Zahlen nie verstanden hat.


    Klar, als Jurist muss man auch nichts von Mathematik verstehen. Am besten er wird gleich (Bildungs-)Politiker, von den Politikern sind sowieso die meisten Juristen...


    Zitat

    Ob einem Kind trotz Dyskalkulie die Zukunft offensteht, ist im Bildungsland Deutschland eine Frage des Einkommens. Eine Dyskalkulietherapie dauert in der Regel zwei bis zweieinhalb Jahre, für wöchentliche Einzelsitzungen können da pro Monat schnell 240 Euro anfallen. Die Krankenkassen kommen für die Therapiekosten nicht auf. Und die Hürden für eine finanzielle Förderung durch das Jugendamt werden immer höher.


    Also: Keiner will die Therapie bezahlen. Da hilft nur ein Erlass, welcher die Lehrkräfte dazu verpflichtet. Das ist erstens kostenneutral und zweitens genau richtig für diesen Halbtagsjob, um die Zeit rumzukriegen.


    Zitat

    »Es geht ja nicht darum, aus dem Kind einen Einser-Kandidaten zu machen, sondern um die Teilhabe am Leben und in der Gesellschaft. Jemand, der nicht rechnen kann, gerät schneller sozial ins Abseits«, sagt Inge Palme vom BVL.


    INKLUSION und soziale Gerechtigkeit über alles. Warum gibt's da noch keinen Grundgesetz-Artikel für?


    Zitat

    Wer eine Therapie besucht, hat prinzipiell die gleichen Zukunftschancen wie normal Begabte. Deshalb müsse man die außerschulischen Therapien fördern und die Jugendämter mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstatten, fordert Inge Palme. Lehrer und Therapeuten könnten im Idealfall in Lernnetzwerken zum Wohl der Kinder kooperieren. »Aber davon sind wir Lichtjahre entfernt.«


    Siehe oben: Halbtagsjob...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ähm, also irgendwie entgeht mir der Sinn deines Postings Mikael. Willst du damit grundsätzlich sagen, dass du das Bestehen von Dyskalkulie anzweifelst? Der Artikel zu überzogen ist? Das man die LRS Erlasse auch gleich wieder abschaffen sollte, weil es ja zu schwierig ist, sich mit Problem-Kindern zu befassen? Oder das du den Artikel nicht verstanden hast?

  • Ich hatte / habe eine Teilleistungsschwäche in Musik: Ich kann nicht singen, ich kann kein Instrument spielen, ich kann keine Noten lesen. Wie nennt man die überhaupt? Dysmusikalität? Dystonie?


    Jedenfalls fühlte und fühle ich mich daher noch von vielen Dingen ausgeschlossen: Ich singe in keinem Chor mit, ich spiele in keiner Band mit usw. usf.


    Mich hat niemand inkludiert. Und sozial gerecht war und ist das auch nicht.


    Vielleicht habe ich deshalb heute noch ein Trauma deswegen. Bitte meine Reaktion auf diesen Artikel zur "Dyskalkulie" auch unter diesem Aspekt sehen. Inklusion sollte auch und gerade in lehrerforen.de gelten.

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Das ist wirklich traurig und ich werde eine Gedenkminute für dich einlegen. Beschäftige dich doch bitte mal neben deinem Sarkasmus ernsthaft mit dem Thema Dyskalkulie oder meinetwegen auch Störungen in der musikalischen Entwicklung. Es hilft keinem der Kinder dies ins Lächerliche zu ziehen.

  • Das ist wirklich traurig und ich werde eine Gedenkminute für dich einlegen. Beschäftige dich doch bitte mal neben deinem Sarkasmus ernsthaft mit dem Thema Dyskalkulie oder meinetwegen auch Störungen in der musikalischen Entwicklung. Es hilft keinem der Kinder dies ins Lächerliche zu ziehen.

    Aber wem hilft es, Noten zu verschenken, die so tun, als seien sie vergleichbar mit den Zensuren der Mitschüler? Das ist nämlich auch der Sinn von Noten: das Aufstellen einer Reihung mit der Vorgabe, dass der Schüler, der die Note 2 erhält, in den Bereichen dieses Faches (in Deutsch: Lesen, Schreiben, Grammatik, etc.) tatsächlich signifikant besser ist als der Banknachbar, der die 4 erhält. Wenn aber die 2 nur noch auf wenigen Teilbereichen des Faches beruht, ist das unfair. Traut sich keiner zu sagen, ist aber so.


    Spätestens der Arbeitgeber, der hier "reinfällt", wird die Praxis verfluchen, die momentan in den Schulen herrscht. Und jetzt sag nicht, dass ja in den Zeugnisbemerkungen die entsprechenden Hinweise drinstehen; das tun sie nämlich bei weitem nicht immer: In BY werden z.B. bei einer isolierten Lesestörung Hilfsmittel gestellt (z.B. werden dem Schüler alle Aufgaben von einer Lehrkraft vorgelesen und es gibt einen Zeitzuschlag bis zu 50%), eine Zeugnisbemerkung darüber bleibt aber aus.


    Die einzig praktikable Lösung wäre nach meiner Meinung: individuelle Förderangebote durch entsprechend ausgebildete Förderlehrer parallel zum Regelunterricht im entsprechenden Fach und komplette Streichung einer Zensur mit der Bemerkung: Im Fach Deutsch konnte wegen einer fachärztlich festgestellten Legasthenie keine valide Note gebildet werden.

  • Also Mikael du willst doch nicht ernsthaft Unmusikalität vergleichen mit Rechenschwäche oder LRS ?



    Du spielst kein Instrument, du Ärmster. Einer mit Dyskalkulie könnte sich u.U. nicht mal eines kaufen..... warum wohl?


    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Die einzig praktikable Lösung wäre nach meiner Meinung: individuelle Förderangebote durch entsprechend ausgebildete Förderlehrer parallel zum Regelunterricht im entsprechenden Fach und komplette Streichung einer Zensur mit der Bemerkung: Im Fach Deutsch konnte wegen einer fachärztlich festgestellten Legasthenie keine valide Note gebildet werden.


    Und wenn wir als langjährige Praktiker einmal alle ehrlich sind, dann wissen wir, dass genau dieses garantiert nicht passieren wird. Der schöne Schein will schließlich (kostenneutral) gewahrt bleiben.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Falls es einen interessiert, wie es nach der Kindheit weitergeht, hier mein Bericht. Ich hatte dasselbe schon mal hier im Eltern-Lehrer-Schüler-Forum geschrieben, deswegen die Anführungszeichen. Als ich aufwuchs, gab es natürlich gar keine Vorstellung von "Dyskalkulie". Es hieß nur: "Das Kind kann absolut nicht rechnen". LRS hatte ich aber nicht - im Gegenteil, da war ich als Schüler ziemlich unfehlbar.


    "Achtung, hier erzählt der Dyskalkuliker selber, nämlich ich:
    Ich gehe jetzt auf die 60 zu und bin mein Leben lang Dyskalkuliker gewesen - allerdings gab es diesen Begriff noch nicht, als ich zur Schule ging. Ich musste also wie alle anderen Betroffenen selber lernen, wie ich mit dem lebensnotwendigen Rechnen klarkomme. Meine Eltern hatten mir mal eine Nachhilfestunde organisiert. Die brachte überhaupt nichts außer Tränen bei mir und Verständnislosigkeit beim Nachhilfelehrer, und das war das Ende des Nachhilfeversuchs.
    Ich kann 1a räumlich sehen und kam in Geometrie (anschaulich!!) immer tadellos zurecht. Aber Algebra und Arithmetik (nicht sichtbar!!) gingen gar nicht. Bis heute habe ich Schwierigkeiten, zweistellige Zahlen (z. B. 29) korrekt hinzuschreiben, weil meine Hand die zuerst gehörte/gesprochene Zahl (9) zuerst schreiben will und mein Gehirn dagegen an korrigiert ("das sollst du doch nicht, du sollst es doch anders herum machen") und ich diesen Konflikt nie zu lösen geschafft habe. Ich schreibe meist 9 und setze die 2 dann nachträglich davor. Bei 30 schreibe ich natürlich die 3 zuerst, bei 31 wieder anders herum, und so mache ich es nach Gehör und zugleich vermischt bzw gestört von antrainierten Selbstkorrigierversuchen; oft genug endet das mit Zahlendrehern, die mir gar nicht auffallen. Weil ich das ich weiß, kontrolliere ich meine Rechenergebnisse mehrmals, bis sie mehrmals übereinstimmen.
    Ich weiß auch, was Multiplizieren bedeutet, aber ich kann es nur auf additivem Wege (9x27 : ich schreibe die 27 neun Mal untereinander und addiere dann. Das geht flott, weil ich ja in der Schule die Siebenerreihe und die Zweierreihe auswendiglernen musste. Auswendiglernen konnte ich immer super. 7x8 war schon immer 56, das hör ich doch am auswendiggelernten Klang, dass das richtig ist. Wir mussten damals das kleine und das große Einmaleins auswendiglernen. Dafür bin ich heute regelrecht dankbar.
    Dividieren: zum Beispiel mit dem textilen Maßband. Das falte ich in drei gleichlange Teile, dann kann ich an der Zahlenskala SEHEN, wieviel 70 geteilt durch drei ist.
    Klar, für 27x18 müsste ich endlos lange addieren - aber ich weiß ja, wie man das mit einem Taschenrechner macht. Das Taschenrechnerergebnis ist immer überraschend ("was, das kommt dabei raus?"), da ich im Gegensatz zu anderen nicht im Geringsten vorher abschätzen kann, was da so ungefähr herauskommen könnte - ich habe keine Ahnung, ob bei 27x18 etwas unter hundert oder über hundert oder vielleicht sogar über zweihundert herauskommt - ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Ich habe auch keine Vorstellung davon, ob meine Stammtankstelle 50 oder 500 Meter von der Kreuzung da vorne entfernt ist. Das sind für mich aber keine Probleme.
    Meine Dyskalkulie war nur in der Schule ein Problem, aber nicht in meinem Leben. Ich habe es nämlich gelernt, meine Finanzen ganz allein in Ordnung zu halten, Möbel, die ich baue, sind korrekt geplant und vermessen, und ich mache meine Steuererklärung nicht nur ganz alleine, sondern auch völlig korrekt - nur bewältige ich die Rechnerei eben auf meine eigene Art, die ich mir selbst zurechtgelegt habe. Mathematische Erklärungen von anderen kann ich bis heute nicht nachvollziehen.
    Der Taschenrechner (Billigmodell mit wenig Rechenarten und großen Tasten) ist mir da eine wertvolle Hilfe. Ich weiß ja, wie der Rechenweg sein muss, ich kann nur nicht selber rechnen.
    Kochrezepte finde ich machmal knifflig, wenn ich Rezepte verändern möchte (Wieviel ist denn die Häfte von 125 g) aber ich habe ja schließlich den Taschenrechner!
    Das war's auch schon - anders macht sich die Sache im meinem Leben nicht bemerkbar.
    Meine Mathenoten waren immer unterirdisch und die sehr bemühten Mathelehrer sind immer an mir verzweifelt, aber ich hatte immer Ausgleich in genug anderen Fächern."
    Gruß,
    putzi

    "I think it would be a great idea." (Mohandas Karamchand Gandhi when asked what he thought of western civilization)

  • Und wenn wir als langjährige Praktiker einmal alle ehrlich sind, dann wissen wir, dass genau dieses garantiert nicht passieren wird. Der schöne Schein will schließlich (kostenneutral) gewahrt bleiben.

    Da hast du wohl recht. Nur, um das nochmal klarzustellen: Ich meine das in keiner Weise abwertend oder sarkastisch. Ich denke tatsächlich, dass diese Lösung - individuelle, maßgeschneiderte Förderung bei gleichzeitigem Verzicht auf eine Zensur - für alle Beteiligten das Beste wäre. Klar tun sich dann auch wieder Probleme auf: Drückt sich der faule Schüler vor Mathe, indem er sich irgendwo ein Gefälligkeitsgutachten besorgt? Oder ist er wirklich betroffen? Dafür bräuchte man hieb- und stichfeste Nachweisverfahren. Gibt's die?


    Weiter würde der Verzicht auf eine Benotung eines ganzen Faches auch zugleich den Ausschluss bestimmter Ausbildungs- oder Studienrichtungen bedeuten. Aber ob ein Legastheniker wirklich Sprachen studieren sollte oder jemand mit Dyskalkulie ein guter Bauingenieur wäre - ich weiß nicht recht. Aber vermutlich ist das total schrecklich und diskriminierend und würde vom EuGH für Menschenrecht sofort verboten... schöne neue Welt.

  • Den Artikel habe ich auch mit sehr gemischten Gefühlen gelesen. Einerseits denke ich natürlich auch, dass man Kinder mit einer Rechenschwäche früh und gezielt fördern sollte. Und sicher ist es toll, wenn in diese Richtung geforscht wird und überlegt wird, auf welchen Wegen man Grundlagenkenntnisse vermitteln kann. Und ich glaube auch, dass Schule da ganz viel kaputtmachen kann. Ist das Mathetrauma erst mal da, dann ist das offenbar nicht mehr zu reparieren.


    Andererseits bringt es mich immer wieder in Rage, wenn mathematische Grundkenntnisse als irgendwie entbehrlich angesehen werden und die Mathelehrer als Monster erscheinen, die völlig überzogene Ansprüche stellen. Wie kommen nur Jugendliche mit einer Beton-5 in Mathe dazu, einen Schwerpunkt auf Technik oder Wirtschaft legen zu wollen? Wird man diskriminiert, wenn man mit einer 5 in Mathe für ein Medizinstudium nicht zugelassen wird? Oder geschieht das nicht eher zum Wohl der Menschheit? Die Koketterie, mit der Leute sich schmücken, die in Mathe "ja immer schlecht" waren, ist noch lange nicht ausgestorben. Und das in einer Welt, die immer mehr am Tropf der Mathematik hängt - keine politische Entscheidung lässt sich ohne Aein qualifiziertes Interpretieren von Zahlen fällen.


    Der Vergleich mit Musik hinkt überhaupt nicht. Die Note in einem Fach spiegelt einerseits Fleiß und Disziplin - aber eben auch Talent. Das gilt für alle Fächer. Wenn jemand z. B. kein räumliches Sehen hat, was sich ja auch ärztlicherseits attestieren ließe, ist er in Sport und auch in Kunst definitiv benachteiligt. Soll man da jetzt auch die Note streichen? Ist so jemand benachteiligt, weil er vom Pilotenberuf ausgeschlossen wird und nicht mal Taxifahrer werden kann? Ist es nicht überhaupt schrecklich ungerecht, dass manche stinkfaulen Schüler auf Grund ihrer schnellen Auffassungsgabe bessere Noten bekommen als andere, die sich furchtbar anstrengen, ohne jemals auf einen grünen Zweig zu kommen?


    Ich finde es schwierig, und ich finde es auch schwierig, bei dem Thema nicht zynisch zu werden.

  • Was mich an der ganzen Dyskalkulie-LRS-Sache stört, ist die inzwischen wirklich inflationäre Verwendung dieser Begriffe:
    Sobald es in Mathe oder Deutsch auch nur ansatzweise Schwierigkeiten gibt, suchen sich Eltern zunehmend einen Psychologen, der eine entsprechende Diagnose stellt. An meiner Schule beobachte ich immer mehr, dass bei ganz normalen Durchschnittskindern, die mal eine 3, mal aber auch eine 4 in Rechtschreibarbeiten schreiben oder beim Abschreiben recht viele Fehler machen, gleich eine Teilleistungsstörung vermutet wird. Die wenigsten Eltern scheinen sich noch damit abfinden zu können, dass ihr Kind vielleicht nicht fürs Gymnasium geeignet sein könnte. Also wird halt die Rechtschreibnote ausgesetzt...


    Sicherlich gibt es Kinder, die professioneller Hilfe bedürfen, aber man sollte diese doch auch mit Bedacht auswählen und nicht gleich jedes Kind zur Therapie schicken. Ist doch klar, dass die Kosten dann ins unermessliche steigen und die Hilfe nicht mehr dort ankommt, wo sie wirklich benötigt wird.


    Wann geht ihr von einer LRS aus/ ab wann ratet ihr Eltern, einen Profi hinzuzuziehen?

  • Bei Dyskalkulie:
    Wenn ich merke, ein Kind hat massive Probleme nicht nur beim räumlichen Denken (das alleine kann auch schon ein Defizit sein), sondern :


    absolut keine Vorstellung von Mengen
    zweistellige Zahlen werden ständig verwechselt
    das zählende Rechnen nimmt einfach kein Ende, der Schüler benutzt auch am Ende der ersten Klasse noch Material um über den Zehner zu gehen.
    Rückwärts zählen, Minusaufgaben gehen überhaupt nicht.
    Fehlende Fähigkeit, Aufgabenstellungen zu transferieren.


    Dazu muss man noch sagen, dass diese Kinder in den anderen Fächern meistens gut bis sehr gut sind. Sprich: Transferleistungen können in MNK zb. durchaus geleistet werden. In Deutsch sind diese Kinder oft sowohl im Diktat als auch beim freien Schreiben (Aufsätze gibt es ja im AU noch nicht) durchschnittlich bis sehr gut!


    DAS sind dann für mich untrügliche Zeichen für Dyskalkulie, die ich aber nicht "diagnostiziere" sondern ich schicke die Eltern zu Außenstellen. Frühförderstellen zb.



    LRS:


    Massive Leseschwierigkeiten, Buchstabenverdrehungen (oft Auslassungen). Verwechslung von zb. b / d oder p / q und n/ u
    Wobei die Akustische Wahrnehmung UND Verarbeitung meistens stimmt! Es geht nur um das "Auf das Papier bringen" und entnehmen.


    In den anderen Fächern sind die Kinder oft ebenso durchschnittlich. In Mathe gibt es natürlich Probleme mit Sachaufgaben. :(




    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Ich kann Panama nur zustimmen!!
    Mich stört an dieser Diskussion massiv, das mal locker davon ausgegangen wird, dass es von faulen Schülern nur so strotzt und das diese sich nur auf den Hintern setzen müssen, um ihre Defizite auszugleichen. Diese Kinder gibt es natürlich auch, aber in der Grundschule am Anfang, in der 1. Klasse wo diese von Panama beschriebenen Defizite auftauchen, gib es so gut wie keine Simulanten, diese Kinder haben Probleme und werden diese nicht erkannt, werden Sie lange Zeit damit zu kämpfen haben. Das sagt meine Erfahrung, die vieler meiner Kolleginnen und die Forschung, die es zu diesem Thema gibt.
    Und ehrlich gesagt verstehe ich eure Probleme nicht. Kinder die Dyskalkulie oder eine Rechenschwäche haben, werden später bestimmt keine Berufe ergreifen, wo solche Kenntnisse gebraucht werden, sie träumen also bestimmt nicht davon Pilot zu werden.... Diese Kinder sind aber auch nicht dumm. Begabungen auf anderen Gebieten sollten daher erst gar nicht gefördert werden? Eine ziemlich zynische Einstellung. Ich finde es ehr erschreckend in welche Richtung unsere Abituranforderungen rutschen. Ein elender Einheitsbrei, den jeder Wissen und Können muss. Es gibt übrigends eine ganze Reihe Menschen die LRS hatten und es ist trotzdem was aus ihnen geworden, manche sind tatsächlich ziemlich berühmt...

  • raindrop, was ist denn nun dein Argument zum Thema?


    Niemand bestreitet, dass Kinder mit Dyskalkulie gefördert werden sollen. Es ging doch darum, ob man zum Beispiel eine Note einfach nicht erteilt - und das ist ein Riesenproblem, das haben nicht irgendwelche Leute hier im Forum, das ist eine ganz grundsätzliche Frage. Was ist ein Abitur wert, wenn man es bekommen hat, ohne "die Welt der Zahlen" verstanden zu haben, mit anderen Worten, die Grundrechenarten nicht beherrscht? Wo ist die Grenze zwischen "gering begabt" (im Sinne von: "kann das halt nicht so gut") und "behindert" (im Sinne von: darf nicht diskrimiert werden)?


    Gibt es überhaupt dumme Kinder?


    Darf man sagen, dass manche Kinder faul und unbegabt sind - oder ist das zynisch?


    Ich hätte gern etwas mehr Klarheit in diesen Fragen. Der weinerliche Artikel in der ZEIT hat mir da nicht weitergeholfen.

  • Ich finde es ehr erschreckend in welche Richtung unsere Abituranforderungen rutschen.

    Stetig nach unten?


    Das Abitur ist die Bestätigiung der allgemeinen Hochschulreife, also das Attest, dass man in der Lage ist das Studium für beliebige (nicht an weitere Zulassungsbeschränkungen gekoppelte) Studiengänge aufzunehmen. Und was passiert im Studium? Ob Psychologie, BWL, oder sonst was, überall werden die nötigen Mathematikvorlesungen an den Anfang des Studiums gesetzt, weil die Universitäten gemerkt haben, dass hier die Schüler die gravierensten Defizite mitbringen und man denjenigen, die das Studium nicht packen können, ersparen möchte das erst im 8. Semester zu merken.


    Niemand hat hier gefordert, dass Schüler mit Rechenschwäche nicht gefördert werden sollen. Es geht einzig und allein um die zunehmende Tendenz vieler Eltern, jedes Problem ihres Kindes am besten sofort mit einem Attest (LRS, Dyskalkukie, hochbegabt) erklärt haben zu wollen, verbunden mit der Einstellung, daraus jetzt besondere Forderungen ableiten zu können, wie die Nichtbewertung der Matheleistung. Echte Probleme und Gefälligkeitsatteste kann man als Lehrer kaum noch unterscheiden.


    Als ich das letzte mal eine 5. Klasse als Klassenlehrer übernommen habe, sind in den ersten Wochen 7! verschiedene Eltern zu mir gekommen, weil sie aus verschiedenen "medizinischen" Gründen wünschten, dass ihr Kind ganz vorne im Klassenraum sitzen solle. Mein Highlight war die "stark schwankende Sehstärke" - noch sieht sie gut, es könnte aber sein, dass sich das in den nächsten Jahren ändert und vorsichtshalber sollte sie schon mal in die erste Reihe.


    Man kann sein Abi bekommen, indem man 4 mal in Mathe einen Punkt einbringt, dass kann fast jeder schaffen, wenn er sich entsprechend reinhängt. Wenn dann nicht mal das möglich ist oder wenn dann noch andere Problemfächer dazu kommen, muss man vielleicht auch einfach mal anerkennen, dass das Anstreben des Abiturs vielleicht zu viel verlangt ist, denn so jemand wird aller Voraussicht nach auch in den meisten Studiengängen scheitern (ist also ganz sicher nicht "allgemein Hochschulreif"). Die Argumentation, dass so jemand ja vielleicht in speziellen anderen Fächern eine besondere Begabung hat, geht an der Sache vorbei, denn beim Abitur geht es eben um die (ich weiß ich wiederhole mich) allgemeine Hochschulreife.
    Und es ist ja nicht so, als dass es für Menschen mit anders gelagerter Begabung keine Alternative gibt. Es gibt Fachhoschlureife oder fachgebundene Hochschulreife, so dass man sich durchaus auf Bildungsgänge ausrichten kann, die weniger Mathematikkenntnisse verlangen und trotzdem ein Hochschulstudium ermöglichen.
    Viele Eltern wollen sich damit aber nicht abfinden, es soll unbedingt das Abitur sein.


    Grüße,
    Moebius

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