Anspruchsvolle Eltern

  • Hallo zusammen,


    in meiner Klasse 1 gibt es sehr viele Einzelkinder mit sehr anspruchsvollen Eltern. Sie fördern ihre Kinder, wo es nur geht und wollen in jedem Fall (wer will das nicht), dass alles beim Kind perfekt ist. Wenn ich in Gesprächen irgendwo nur eine kleine Schwäche des Kindes erwähne, fragen sie natürlich sofort nach möglicher Förderung, suchen Psychologen auf...


    Eigentlich ist solch ein Enagement ja wünschenswert, aber mir geht das momentan ein wenig weit, denn dahinter steckt die Auffassung, man müsse nur individuell fördern und schon sind alle Schwächen weg... Das ist das eine. Man braucht also nur das richtige Rezept. Wenn es trotzdem nicht hilft und das Kind weiterhin Schwachstellen hat, war das das falsche Rezept, die Förderung nicht individuell genug und die Lehrkraft ist schuld (also ich).


    Heute hatte ich ein Gespräch mit einer Mutter, deren Tochter PRobleme in Mathe und bei der visuellen Wahrnehmung hat. Sie hat sich über die Osterferien zahlreiche Fachliteratur gekauft, gelesen und für zu Hause ein eigenes Förderkonzept für ihr Kind erstellt. Grundsätzlich ist das ja nett, aber nun kommt sie ständig und sagt mir, wie ich ihr Kind zu fördern habe und warum das... und das... nicht stattfindet. Außerdem wirft sie mit Fachwörtern und Theorien um sich, die ich so speziell zugegebenermaßern nicht gelesen habe. Ich stecke halt eher in der Praxis und im "Großen und Ganzen".


    Ich habe die Mutter darauf hingewiesen, dass die Zeit im Unterricht begrenzt sei, dass ich die gesamte Klasse im Blick haben muss, dass wir auch gemeinsame Unterrichtsphasen haben zu unterschiedlichen Themen, die auch bewerkstelligt werden müssen.


    Wie geht ihr mit dieser Thematik um? Ich habe viele solcher Eltern uns stehe da besonders im Blick auf die einsetzenden Zensuren im 2. Schuljar vor großen Problemen. In jedem Fall werde ich einen Elternabend zum Thema Leistungsbeurteilung gleich zu Beginn des 2. Schuljahres machen und dort auch die Grenzen der Förderung und den Blick auf die Individualität des Einzelnen bewusst machen.


    Alema


    PS: Bei mir hat jedes Kind eine individuelle Fördermappe und wir arbeiten täglich ca. 15-20 Minuten darin. Ich unterrichte meine Klasse an 4 Tagen mit 10 Stunden insgesamt.

  • Hallo Alema,


    machmal ist es in "schwierigen" Gegenden doch einfacher als in "besseren".


    Ich persönlich finde es wichtiger, dass man mehr Zeit für die Schulkinder als für deren Eltern hat.
    Leider hast du da eine doch sehr anspruchsvolle Elternschaft erwischt.


    Mein Standartspruch für eigentlich fast alle Situationen ist:
    "Schön, dass Sie sich so sehr für ihr Kind engagieren. Nicht jedes Kind hat dieses Glück"
    Oder ein:
    "Ich kann Ihre Sorge/ Ängste gut verstehen"
    Das nimmt oft schon mal den ersten WInd aus den Segeln.


    Im von dir beschriebenen Fall würde ich der Mutter sagen,
    dass es für das Kind prima sei, dass sie es fördern möchte,
    denn so individuell, wie sie es einfordern würde, könntest du das gar nicht leisten.


    Du tust das, was du im Rahmen deiner Möglichkeiten leisten kannst.
    Und dieser Rahmen sieht eben vor, dass du eine begrenzte Anzahl an Stunden in der Klasse bist,
    dass es nicht nur Mathe gibt und dass es vor allen Dingen auch noch 20 (oder sind es sogar mehr) andere Kinder in der Klasse gibt,
    die deine Aufmerksamkeit und Unterstützung ebenfalls und das auch in anderen Fächern brauchen.


    Wie viel Zeit/Raum du jedem einzelnen Kind einräumen kannst, dass müsse die Mutter bitte dir überlassen,
    denn du bist schließlich die studierte Lehrerin, der man das Unterrichten seit dem Ablegen zweier Staatsexamen zutraut.


    Wenn das Maß der Förderung der Mutter nicht reiche,
    stehe es ihr selbstverständlich frei, ihr Kind weiter zu fördern.
    Ich gebe an so einer Stelle allerdings immer noch zu Bedenken, dass man aufpassen muss,
    dass man einem Kind das Lernen nicht durch zu viel Föderung verleidet.


    Ach entschuldige, habe mich wohl in Rage geschrieben.
    Aber solche Eltern lenken vom wesentlichen Aspekt - der Arbeit mit den Kindern und für sie - ab.
    Das ist so kontroproduktiv.


    Bin gespannt, was andere meinen.
    LG
    try


    PS: Ich frage mich, ob diese Mutter einem Polizisten, einem Anwalt oder Arzt auch so deutlich sagen würde, was diese zu tun haben.

  • Trys PS finde ich ganz wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Eltern oft einmischen, wenn man es ihnen gestattet. Mein Rat an dich, alem, wäre daher: Freundliche, aber bestimmte Distanz wahren, deutlich machen, wer der Profi ist und zu große Einmischung freundlich zurückweisen. Der berühmte "kleiner Finger-ganzer Arm"-Spruch gilt leider auch für die Elternarbeit. Daher musst du (wie deinen Schülern) wohl auch deren Eltern eindeutige Grenzen setzen.
    Viel Erfolg :)

  • Trys PS finde ich ganz wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Eltern oft einmischen, wenn man es ihnen gestattet. Mein Rat an dich, alem, wäre daher: Freundliche, aber bestimmte Distanz wahren, deutlich machen, wer der Profi ist und zu große Einmischung freundlich zurückweisen. Der berühmte "kleiner Finger-ganzer Arm"-Spruch gilt leider auch für die Elternarbeit. Daher musst du (wie deinen Schülern) wohl auch deren Eltern eindeutige Grenzen setzen.
    Viel Erfolg


    Hallo,


    genau dafür suche ich ganz dringend praktische Beispiele, Sprüche etc., evtl. auf den oben beschriebenen Fall bezogen.


    Alema

  • Bei mir zieht immer folgendes Vorgehen:


    1. Lob der Eltern für ihr Engagement
    2. Betonen, das du dich als der Anwalt des Kindes verstehst, der nur das Beste für das Kind will, verbunden mit der Frage, was sie sich für ihr Kind an BESTEM für sein Leben wünschen: Geliebt zu sein, wie es ist, oder immer einem fremd gegebenen Ziel (Leistungsanspruch der Gesellschaft) hinterherzujagen.


    Danach kommen wir dann meist in die entspannte Diskussion darüber, was eigentlich wichtig ist im Leben. Nette, zuverlässige Freunde, viele lächelnd verlebte Stunden oder Geld, Geld, Geld, Karriere mit Leistungsdruck oder so. Diese Diskussion geht dann (bisher immer) dahingehend aus, dass sich die Eltern für ihr Kind wünschen, dass es glücklich ist und sie sehen ein, dass Glück eben nicht mit Geld (gutem Abitur) zu kaufen ist.


    Danach kann ich dann immer sehr entspannt auf die kleinen Defizite kommen, die das Kind hat, die es aber, wenn man ihm Zeit gibt und ein gutes Selbstbild, bald kompensieren kann (in ernsthafteren Fällen verweise ich hier aber auch auf die Ergotherapie oder Dyskalkulietherapie oder so=. Wir haben alle unsere Defizite, die wir aber gelernt haben, in unsere Persönlichkeit zu integrieren (in diesen Momenten erzähle ich davon, was ich nicht kann - ich mache auch gerne zu viele Baustellen auf und habe gelernt, mich nur auf eines zu konzentrieren- oder wie meine Mutter verzweifelte, wenn ich selbstzufrieden war mit meiner 4 im Deutschaufsatz - und aus mir ist auch was geworden...) und diese Integrationsarbeit hat unser Selbstbild und unser Selbstbewusstsein gestärkt.


    Mitunter empfehle ich aber auch bewusst, die Ergotherapie als Nachhilfe, auch um die Mutter-Kind-Dynamik zu entlasten, die unter Förderstress stehen kann. Ich empfehle den Müttern, gerade ihr eigenes Kind nicht zu "therapieren", denn das gerät in Rollenkonflikt. Ja, Sie wollen das Beste für Ihr Kind. Ja, das ist schätzenswert, aber ihr Kind möchte von Ihnen einfach nur geliebt werden - so wie es ist.

Werbung