guter Unterricht trotz Unruhe?

  • Hier, das habe ich gefunden und das passt so gut in den thread!



    Die permanente Unruhe
    Der Fall
    In diesem 3. Schuljahr einer Berliner Grundschule sind weder Provo- kationen noch aggressive Verhaltensweisen und auch keine Desmoti- vationen zu beobachten, wohl aber ausgesprochen unruhige Schüler/innen. Dabei lassen sich kaum einzelne als solche identifizie- ren, obgleich Kai, Anselm, Refik und Stojan auf Seiten der Jungen sowie Christina und Dijana bei den Mädchen extrem hibbelig bzw. konzentrationsgestört sind. Aber auch Frau T. strahlt keine Ruhe aus: Sie redet viel und schnell; ihre Lokomotion im Klassenraum vollzieht sich als ein permanentes Herumlaufen kreuz und quer; und präver- bal stahlt sie eine Hektik aus, die eher verstärkend auf die hyperkine- tischen Kinder wirkt. In der anschließenden Besprechung der Stunde wird sie dem Beobachter sogar glauben machen wollen, „die heutige Generation“ würde immer unruhiger und könne sich kaum noch auf irgend etwas konzentrieren. Die folgende Szene ist typisch für diese Klasse: In der 38. Minute „schlägt“ Refik, der aus Bosnien kommt, plötzlich auf Stojan (aus Mazedonien) ein, wohl aber weniger aus aggressiven, sondern aus Bewegungsbedürfnissen heraus und weil sie laut werden wollen. Denn im Nu ist ein Geschimpfe und Gezerre im
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    Gang, das sich sofort auf die ganze Klasse überträgt. Die Lehrerin schreit in das Chaos hinein: „Ich würde doch mal um Ruhe bitten!“ Es bleibt bis zum Gong unruhig. Und während in anderen Klassen die Pausen voller Motorik, Lautstärke und kleineren Blödeleien gekennzeichnet sind, herrscht hier eine fast beklemmende Stille - nachdem Frau T. den Raum fluchtartig verlassen hat.
    Die Deutung
    ‘Du kannst nicht Ruhe lehren, wenn du selber nicht Ruhe bist!’, so möchte man, im Anschluß an Maria Montessori, dieser Lehrerin zunächst einmal zurufen. Wohlgemerkt: Ruhe bist (nicht Ruhe hast)! Natürlich ist bei vielen dieser 9- oder 10jährigen Kinder der Medien- konsum extrem, die Colatrinkerei kaum einzuschränken, die Salzzu- fuhr exorbitant ... Daran wird Frau T. nur langfristig (über eine gezielte Elternarbeit) etwas ändern können. Ändern kann man unmittelbar und direkt nur sich selbst. Wer aber sich ändert, ändert auch seine Beziehungen zu anderen und zu seiner Umgebung. Frau T. muß zunächst ihren eigenen Ruhepol finden, wenn sie ihre 24 „Zappelheinis“ zur „Polarisation der Aufmerksamkeit“ hinführen möchte. Wie aber kann dies geschehen?
    Die Empfehlung
    Zunächst einmal besprachen wir mit Frau T., ob sie Möglichkeiten der eigenen Ruhefindung als notwendige Voraussetzungen akzeptie- ren kann. Dies war der Fall, und so verabredeten wir den Besuch eines Kurses (in der Volkshochschule) über Autogenes Training. Par- allel dazu lernte sie (in einer kollegiumsinternen Fortbildung) einfa- che Konzentrationsübungen, die sie mit allen Schülern mehrmals während eines Schultages durchführen kann. 1. Übung: „Hände auf den Tisch (oder die Oberschenkel) legen! Kinn auf die Brust! Bis 5
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    zählen!“ 2. Übung : „Hände auf die Ohren legen! Kinn auf die Brust! Bis 10 zählen!“ 3. Übung: „Hände vor die Augen legen! Kinn auf die Brust! Bis 15 zählen!“ Diese Übungen tragen die Kinder in ein Re- gelheftchen ein, zeigen es den Eltern und lernen so allmählich, jene Mitte zu finden, die ihnen - umgeben von einer auf Beschleunigung getrimmten Gesellschaftsmaschinerie - abhanden gekommen oder erst gar nicht aufzubauen gelungen ist. Selber zur Ruhe kommen (etwa durch AT), psychovegetative Verfahren der Entspannung (von der Atemgymnastik bis hin zur Eutonie) und eine Wiederent- deckung didaktischer Langsamkeit (von der Phantasiereise bis hin zu regelmäßigen Übungssequenzen), so lauten die hier nur gerafft wie- dergegebenen Empfehlungen. Mit Tricks und Techniken ist inmitten einer permanenten Unruhe nichts zu machen, wohl aber mit der Bereitschaft, Schule wieder als s’cholé, als schola zu begreifen, als Stätte der Muße und des ruhigen Nachdenkens.
    Der Literaturtip: Gabriele Faust-Siehl u.a.: Mit Kindern Stille entdecken. Frank- furt/M.: Diesterweg 3.1992. 25,80 DM. Und: Gerhard Krombusch: Mit Kindern auf dem Weg in die Stille. Drensteinfurt: Impulse Musikverlag 2.1992 sowie die dazu hergestellte MC oder CD „Komm mit zur Quelle“. 16,80 DM bzw. 19,80 DM.

  • Hallo zusammen!
    Das ist wirklich spannend querzulesen! Ich selber stelle mir nämlich auch gerade die Frage, ob ich "streng" genug bin, ob meine Akzeptanz bzw. Toleranz nicht an manchen Stellen zu weit geht.
    Ich selber bin unter 30 und könnte definitiv als Oberstufenschüler durchgehen, meinem Erscheinungsbild nach. Ich bin ebenfalls sehr quirlig :)
    Ich habe in den älteren Klassen (9 und 10) eine andere Art mit den Schülern umzugehen, als in den unteren Klassen. Bei mir läuft sehr viel auf der Beziehungsebene, in bestimmten "Zwischenphasen" - Arbeitsblätter austeilen oder ähnlichem, bin ich auch für Späße oder Austausch zu nichtfachlichem zu haben.
    Ich arbeite auch oft mit Methoden wie Kartenabfragen, Museumsgang oder ähnlichem, wo die Schüler sich absolut normal verhalten dürfen und nicht total leise sein müssen.
    Wenn ich sage: Jetzt will ich zivilisiertes U.gespräch kann man aber auch eine Stecknadel fallen hören.
    Und die Schüler wissen, dass ich eine Sache hasse wie die Pest: Andere Mitschüler zu "dissen". Wer das tut, bekommt sofort eine Konsequenz.
    Dennoch frage ich mich, ob ich so eine Atmosphäre schaffe, wodurch die Schüler lernen. Die Tests sind gut ausgefallen, kreatives Arbeiten - die Schüler sollten einen Ratgeber zu einem Thema gestalten - waren absolut spitze und die Schüler mögen mich (meiner Lehrerevaluation nach) total gerne.
    Aber: Mögen sie mich, weil ich so, locker bin, oder mögen sie mich, weil ich eine angenehmere Art für sie habe den Unterrichtsstoff zu vermitteln?
    Zeitgleich habe ich eine 5. Klasse (leider in den letzten beiden Stunden des Tages - halb 2 bis 3), in der bei der Lehrerevaluation auch einmal zurückkam: "sie bekommen uns nicht leise". Die Lehrer, die bei mir Hospitierten, sagen aber: das ist vollkommen normal bei einer 5 in den letzten beiden Stunden...
    Ich bin derzeit wirklich verwirrt. :(


    VG

  • Da ich noch Student bin, kann ich zu dem Thema nur über Erfahrungen aus meiner Schulzeit und meinem Schulpraktikum berichten.


    Aber gerade weil ich in meinem Praktikum Unterricht unterschiedlicher Lehrer gesehen habe, hat mich dieses Thema interessiert, weil ich mich gefrat habe wie man es besser macht.
    Ein Lehrer hatte seine Klasse zum Beispiel total im Griff ("Stecknadelatmosphäre") und alle haben gearbeitet und 90% haben sich auf die Fragen gemeldet, das fand ich schon wünschenswert.
    Allerdings habe ich auch andere Lehrer erlebt, bei denen ich so i Inneren dachte: Da müsste man doch mal was sagen, wenn die Schüler in der Pasue im Klassenraum Fußball spielen oder sich kloppen bzw. diese Lehrer waren viel Toleranter, wodurch es im Unterricht auch lauter war. Allerdings hatte ich hier das Gefühl, diese Lehrer sind auch beliebter und dadurch ebenfals respektiert.


    In meiner Schulzeit habe ich Lehrer erlebt, die Ihre Schüler bei HA-Vergessen, Unterrichtsstörung usw. Gedichte zum auswendig lernen aufgegeben haben. Das hat aber auch zu optimalem Unterrichts- und Lernklima (Konzentration durch Ruhe und fast alle haben HA) geführt, was man sich als Lehrer ja wohl wünscht. Bis zu meinem Praktikum war ich davon überzeugt, dass das eine bewerte Methde ist. Jetzt habe ich auch gesehen, dass es anders geht, weiß aber nicht, ob das durch Lautstärke nicht stressiger für Lehrer und Schüler ist, wie das ja auch schon geschrieben wurde.


    Suiram

    • Offizieller Beitrag

    Woher kommt eigentlich diese idiotische Gleichung totenstill = effektiv ? Bzw. lebendiger Austausch = ineffektiv?


    Es gibt totenstille Unterrichte, in denen die Schüler sich in einer Angst- oder Langeweilelähmung befinden... über Stunden ...

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    Einmal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • Dopamin82:


    Zitat

    "sie bekommen uns nicht leise". Die Lehrer, die bei mir Hospitierten, sagen aber: das ist vollkommen normal bei einer 5 in den letzten beiden Stunden.


    1. Ja, das ist vollkommen normal bei einer 5 in den Endstunden :).


    2. Wenn mir Schüler mitteilen "Sie bekommen uns nicht leise", würde ich mal mit ihnen reflektieren, in wessen Verantwortung es eigentlich liegt, dass eine angemessene Lautstärke herrscht. Natürlich muss man als Lehrer dafür sorgen, dass eine angemessene Arbeitsatmosphäre herrscht, aber die Schüler müssen auch lernen, dass es nicht nach dem Motto geht: Sehen Sie mal zu, dass wir leise sind!


    Grüße Eugenia

  • @ Meike: Dieses Pauschalisieren hatten wir schon. Ich denke keiner hier hat dieses schwarz-weiß-Denken gemeint und wenn, dann hat man sich gegenseitig missverstanden gehabt.
    Wenn wir schon bei schwarz-weiß sind, dann hast du in deiner Gleichung vergessen, das "Stille" auch nicht immmer gleich "Angst" ist :rolleyes:

    They'll never know the lovely dance,
    Can never feel the touch of night,
    For tame birds sing a song
    Of freedom while the wild birds fly.

  • Ich sehe das nicht als Stille aus Angst, sondern aus Respekt oder Akzeptanz sowohl gegenüber dem Lehrer wie gegenüber den Mitschülern!

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