Gedichte, wozu brauchen wir das

  • Die Titelwahl ist kein Zufall, ich schließe mich mal Azami an, äquivalent dazu aus dem Fach Deutsch, liegt mir schon lange auf der Zunge/der Tastatur.


    Wie beantwortet ihr diese Frage?


    Ich versuche zu erklären, dass Gedichte komprimierte Sprache sind; jedes einzelne Wort ist wichtig, man muss Bedeutungsnuancen erkennen - warum steht da jetzt dieses Wort und nicht dieses Wort, das doch eigentlich ein Synonym ist, zumindest fast.
    Wenn man mit Gedichten umgehen kann, kann man mit der deutschen Sprache allgemein umgehen und sie auch richtig anwenden, im Alltag, um Leute zu überzeugen, seinen Standpunkt zu vermitteln oder auch einfach um gut anzukommen.


    Aber so richtig kann ich die Schüler davon nicht überzeugen.


    Was ist euer Erklärungsansatz, wozu man Gedichte interpretieren können muss?


    P.S. "Weil's im Lehrplan steht" stimmt zwar, ist aber immer so ein Totschlagargument :)

  • Schwierig ... ich bin kein Deutschlehrer, sondern unterrichte Englisch und da kommen Gedichte an sich weniger häufig vor.


    In der "Einstiegsstunde" erkläre ich den SuS, dass wir einen Liedtext besprechen werden - aber bevor wir den Song hören. Dann teile ich "Richard Cory" von E.A. Robinson aus - das ist ein Gedicht, aber ein gut verständliches ...


    Nachdem wir den Text besprochen haben, lass ich die SuS den gleichnamigen Song von Paul Simon hören, der einen großen Teil des Gedichts übernommen hat, aber an entscheidenden Stellen verändert.


    Den SuS fällt der Unterschied meist auf und wir sind beim Thema: Gedichte im Unterschied zu Songtexten (man muss den SuS kaum erklären, warum es interessant ist, Songtexte näher zu betrachten - jetzt haben sie hoffentlich die Erfahrung gemacht, dass Gedichte nicht beißen).
    Und anschließend kann man besprechen, wieso Simon nicht einfach den kompletten Text übernommen hat - und das hat auch damit zu tun, dass er das Gedicht selbst auf bestimmte Art interpretiert ... und mit Glück hat ein Schüler es vor dem Hören von Simons Song anders oder auch so interpretiert - und so sehen die SuS, dass man verschiedene Interpretationen haben kann und das u.a. das Spannende ist ... selbst den Sinn eines Gedichtes für sich selber mitschaffen zu können.


    Mir geht es also weniger um "warum müssen wir?" als um "warum kann das auch für mich interessant sein?".
    Wenn man geeignete Gedichte gefunden hat (sprachlich nicht zu schwer), ist es für die SuS unheimlich spannend, zu sehen, ob sie auch schon in der Sitution waren, die der Dichter beschreibt, was sie tun würden, welche Seite ihres Lebens der Dichter ihrer Meinung nach berührt (man muss hier allerdings viele Interpretationen gelten lassen - solange sie nachvollziehbar sind).

    • Offizieller Beitrag

    Auf diese Frage habe ich schon mal geantwortet: Damit du nicht rausgehst und auf den Hof scheißt."


    Dann versuche ich zu erklrären, dass Bildung immer mehr ist als das, was sie glauben zu brauchen. Denn in der Endlogik dieser Frage könnten die Schüler spätestens nach der 7. die Schule verlassen.


    Weiterhin besteht Bildung ja wohl aus Inhalten, die alle Bereiche der geistigen Möglichkeiten ansprechen und fordern soll. Damit de mensch alle Möglichkeiten hat, auszuwählen, selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln.


    Und, wie gesagt, wenn ihnen das zu viel ist, dann empfehle ich den Übergang ins Berufsleben.

    • Offizieller Beitrag

    Ich komme dann gerne mit der Statistik, dass über 60% aller Jugendlichen unter 18 schonmal selbst Gedichte / mindestens ein Gedicht geschrieben haben. Und frage die Schüler zurück, was denn an dieser Textform dann so offensichtlich verführerisch ist, so als Form des Selbstausdrucks.
    Die kommen dann auf so viele Ideen, dass die Frage, warum man diese geniale Textform dann auch verstehen muss, nicht weiter gestellt bzw als hinreichend geklärt betrachtet wurde... :)


    Ich gebe ihnen auch ganz gerne mal diese Texte zum Disutieren, reflektieren...


    http://www.stiftikus.de/material/int_gelf.doc




    und


    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    3 Mal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • Wow, Meike, schöne Texte! Die werde ich gleich mal in meiner Oberstufe testen! Danke!!! ;)

  • Zitat

    Gedichte, wozu brauchen wir das


    Diese Frage habe ich mir zu Schulzeiten auch öfter gestellt... und es hat mich damals auch ziemlich angenervt diese Dinger immer (naja, einige davon) auswendig zu lernen.


    Im Rückblick betrachtet habe ich das, wie so vieles andere, nie wieder gebraucht. Allerdings hätte ich das im damals mit Blick auf die Zukunft sicher nicht abschätzen können.
    Insofern sehe ich da schon ein Stück lernen auf Vorrat um sich einfach Perspektiven zu eröffnen.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Zitat

    Diese Frage habe ich mir zu Schulzeiten auch öfter gestellt... und es hat mich damals auch ziemlich angenervt diese Dinger immer (naja, einige davon) auswendig zu lernen.


    Ich kann mich nicht erinnern, mal in der Schulzeit danach gefragt zu haben, wozu ich das "brauche". Ich habe das immer so hingenommen. Einige Sachen waren langweiliger als andere, aber lernen musste man das halt. War halt Schule. Am Nachmittag konnte ich ja wieder machen, was ich wollte.


    Vielleicht ist das keine sehr aufgeklärte Haltung, aber mir dürfte das die Schulzeit doch in gewissem Maße erleichtert haben. Dieses störrische "Das braucht doch keiner" frisst nur Energie. Mich fragten schon Schüler allen Ernstes, wozu man denn Bruchrechnung braucht. Das ist also durchaus kein Deutsch-spezifisches Problem. Und übrigens auch keines, was nur an allgemeinbildenden Schulen auftritt.


    "Braucht" man den Herrn von Ribbeck zu Ribbeck im Havelland mit seinem Birnbaum?


    Ja, doch. Man braucht ihn. Man kann allen Besitz verlieren, aber nicht das, was man im Kopf und im Herzen trägt. Das ist Reichtum. Das merkt man nur nicht gleich, und das ist schwer zu vermitteln.


    Und kurzfristiges Zweckdenken ist heute so der Trend. Das macht es noch schwerer. Ich glaube, ich würde mich gar nicht so sehr in die Diskussion um den Zweck verstricken lassen. Da ist Hawkeyes Antwort schon passend: Es muss wohl schon möglich sein, Schülern zu sagen, dass sie in ihrem jugendlichen Alter manches noch nicht überblicken können und sich auf ihre Lehrkräfte verlassen müssen.

  • Danke für die Texte, Meike.
    Ich könnte mir vorstellen, bei der gleichen Klasse im nächsten Jahr damit was in Richtung Texterörterung zu machen und dann nochmal eine kleine Einheit Lyrik hintendranzustellen.

  • Zitat

    Original von Ummon
    Aber so richtig kann ich die Schüler davon nicht überzeugen.


    P.S. "Weil's im Lehrplan steht" stimmt zwar, ist aber immer so ein Totschlagargument :)



    Genau wie die Tatsache, dass man auch sehr gut ohne zurechtkommen wird.


    Ich sage immer, dass man alles nach der 8ten Klasse nicht mehr im Leben brauchen wird, sofern man es nicht vertiefend einsetzten möchte. Immerhin will man Abitur machen, dazu muss man halt zeigen, dass man abstrakter Denken kann. Dazu gehören nun mal die Gedichte, oder aber auch in der Mathematik die DGLs. Oder hat jemand schon einmal im Privatleben von Euch ein LGS gelöst? Das ist Stoff der 8ten Klasse im Mathematikunterricht.


    Ich finde die Frage nach dem Warum sollte es nicht geben. Klar stellt man sie sich, aber warum? Damit man Zeit gewinnt, in der man nicht lernen muss? Damit man testen kann, wie gut man im Argumentieren ist?


    Meiner Meinung nach sollte man also nicht begründen, wozu man Gedichte braucht, sonst muss man das bei jedem Thema erneut machen, sondern viel mehr das Große und Ganze beurteilen und bewertend vergleichen.

Werbung