Auf Integration getrimmt?

  • wenn wir dazu gezwungen werden so zu arbeiten?


    Und wenn sich herausstellt, dass Kinder tatsächlich von selber und miteinander lernen?
    Für mich hat sich herausgestellt: Kinder lernen nicht in kleinen Schrittchen, nicht der Reihe nach, nicht gleichzeitig und schon gar nicht das Gleiche.
    Dabei können Kinder unterschiedlichster Reichweiten, mit unterschiedlicher Ausdauer, mit unterschiedlichem Sprachschatz und mit unterschiedlichem IQ in gleichen Lernumgebungen arbeiten und lernen und miteinander reden.
    Dabei kann jedes Kind alles erreichen was ihm erreichbar ist.
    Andere Menschen sind der Meinung, Kinder ikönnten nur durch Unterricht lernen, müssten dabei still sein, zuhören, Aufträge ausführen, Ergebnisse abliefern und Bewertungen hinnehmen.
    Dass sich dabei immer herausstellt, wie viel nicht verstanden wird, wieviel nicht ausgeführt wird, wie sehr Aufträgen und Anweisungen ausgewichen wird, wie sehr Kinder gegen das Verbot miteinander reden oder sonstwie kommunizieren, wird offensichtlich von vielen Leuten beklagt und als bedauerliches Übel hingenommen.
    Man nennt das dann mangelnde Begabung, Dummheit, Disziplinlosigkeit, Frechheit, Erziehungsschwierigkeit oder ADHS oder sonst eine Störung.
    Und fordert Medikamente, Therapien, wirksamere Methoden, andere Bedingungen usw...
    Dabei könnte man Kinder, auch ganz verschiedene, einfach lernen lassen.
    Das Beispiel mit dem Jungen, dem alle gesagt haben er sei hochbegabt und der angeblich ohne andere schneller lernt, rührt mich dabei gar nicht. Er hat in dem Fall offensichtlich gemeint, er hätte einen Auftrag alleine schneller ausführen können.

  • Zitat

    Original von bohememaedchen91
    Ohje, Monika, das artet jetzt in Stigmatisierung aus. Eigentlich wollte ich
    doch nur wissen, ob man geistig Behinderte mit Kindern, die keinerlei
    Förderbedarf haben ... gemeinsam beschulen kann...


    Im gehe davon aus, dass bestimmte Antworten auf Grundsatzfragen
    bestimmte situative Entscheidungen ausschließen. Das Konzept
    GEMEINSAM OFFEN LERNEN – mit dem ich seit Jahren erfolgreich arbeite –
    lebt u.a. von "Alles Einschließlich" (Inklusion) und "Alle Einschließlich"
    (Integration).


    Aus meiner Sicht gibt es weder die "geistig Behinderten", noch
    Kinder, "die keinerlei Förderbedarf haben". Was Schulkinder voneinander
    unterscheidet und oft zu ihrer Last wird, ist der Abstand zur
    "normentsprechenden Leistungsfähigkeit". Laut Bildungsplänen sollen
    Schulen aber nicht bloß letztere ausbilden, sondern darüber hinaus
    Merkmale wie Eigeninitiative, Eigenständigkeit, Sozialkompetenz,
    Verantwortungsbereitschaft, Akzeptanz gegen andere, … Verantwortliche
    in Leitungsfunktionen von Bildungsplanbehörden haben im Kontext einer
    veränderten Lernauffassung deshalb vom Paradigmenwandel für
    schulisches Lernen und der Rolle des Lehrers gesprochen. Würde man
    damit ernst machen, wäre es tatsächlich möglich, alle Möglichkeiten zu
    lernen einzuschließen und so alle Kinder zu integrieren. Ich kenne und
    praktiziere Konzepte, die dies ermöglichen. Deshalb antworte ich mit Ja auf
    Deine Frage.


    Hält man jedoch am Unterrichten fest, wird Integration nicht gelingen
    können. Unterrichten macht die Gräben zwischen den Schülern tiefer,
    Abstände zur Norm stigmatisieren Kinder und Jugendliche, etikettieren sie
    als begabt oder unbegabt, …


    Etiketten, die nicht zu dem passen, was man sieht, wenn Kinder lernen.
    Wir schaffen erfindungsreich Bezeichnungen, wenn es darum geht
    Nonkonformisten auf Abstand zu halten.


    Monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

  • Ich habe schon ein Kind mit Down-Syndrom in meiner Klasse gehabt. Das funktioniert mit einer fitten Integrationshelferin, die auch mal selbstständig das umsetzt, was die engagierte Förderschullehrerin (in Nds. hat die 5 Stunden pro Woche für ein I-Kind) und Klassenlehrerin ihr auftragen. Die Eltern müssen auch mitziehen. Die lebenspraktischen Dinge, die in der GB-Schule mehr betont werden, kommen nicht so häufig vor. Dafür lernt das I-Kind viel von den anderen Kindern. Berührungsängste gegenüber Behinderten sollte man als Lehrer natürlich nicht haben. Für die Kinder wird der Umgang mit Behinderten zur Normalität. Ich persönlich habe nur positive Erfahrungen gemacht. (Allerdings ist GB auch nicht gleich GB; das Kind sollte schon in der Lage sein, sich über weite Strecken in den Schulalltag zu integrieren.)


    Was die da gerade in Nds. als "Inklusion" planen, finde ich trotzdem die Härte. Ich bin nun mal keine Förderschullehrerin. Das ist einfach nur ein Sparmodell um auf lange Sicht die Förderschulen abzuschaffen.

  • Hallo,
    ich arbeite seit 1979 als Sonderschullehrerin. In den letzten 20 Jahren an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Meine Schule ist in NRW, eine Schule mit sehr guten Erfolgen bei der beruflichen Integration unserer Schüler. Seit Jahren arbeiten wir in Kooperation mit einer Hauptschule zusammen. Es wird Förderdiagnostik durchgeführt und in interativen Lerngruppen gearbeitet, Rücküberweisungen, bei Aussicht auf Erfolg, finden ebenfalls statt. Nun wird auch in unserem Land die Inclusion vorangetrieben.Grundsätzlich finde ich den Gedanken der gemeinsamen Beschulung, speziell für Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen, sehr gut. Allerdings nur, wenn die Bedingungen stimmen. Ich erfahre es im Moment so, dass hier auf Biegen oder Brechen der zweite vor dem ersten Schritt gemacht wird. Erst schicken wir mal die Kinder ins Regelschullsytem: ohne Konzept, ohne rechtliche Absicherung der Kollegen,ohne die entsprechende Fortbildung der Kolleginnen und Kollegen im “Normalschulsystem”, mit einigen Stündchen der Sonderschullehrer. Die Realität sieht so aus, dass es keine vernünftigen räumlichen, materiellen und personellen Voraussetzungen gibt, um die betroffenen Kinder angemessen zu fördern. Da sitzen geistig behinderte Kinder, die eigentlich im lebenspraktischen Bereich gefördert werden müssten, in einer Grundschulklasse und malen den ganzen Tag Hohlbuchstaben oder Zahlen nach, weil die erforderlichen Therapie- und Unterrichtsräume gar nicht vorhanden sind und die Sonderschullehrer nur gelegentlich für sie da sind. Ist das individuelle Förderung? Hyperaktive, lernschwache Kinder, die enorm den Unterricht stören, bringen die Grundschulkollegen an den Rand der Belastbarkeit. Die gelegenliche Anwesenheit der Förderschulkollegen bringt nur wenig Hilfe. Gefördert wird in dunklen, fensterlosen Räumen oder auf dem Flur, weil keine Förderräume vorhanden sind. Der Erziehungsauftrag unseres Berufes bleibt hier vollkommen auf der Strecke. Die Erfolge unserer Arbeit beruhen zum großen Teil auf unserer erzieherischen Bemühungen in Kooperation mit vielen anderen Instiutionen. Wie kann ich im integrativen Unterricht Talente und Stärken fördern? Viele unserer Schüler sind bei uns regelrecht aufgeblüht, haben Verantwortung übernommen, sind viel selbstbewusster geworden. Sie wären im “Normalschulsystem” durch Netz gefallen. Inclusion ja, aber nicht zum Nulltarif und nicht auf Kosten der Städte und Gemeinden. Erst die Voraussetzungen schaffen und dann erst das Schulsystem verändern. Dann gibt es da noch eine andere Seite der Medaille. Was mutet man hier den Sonderschullehrern, spezielle auf dem Lande, zu? Fahrt schön mit dem eigenen PKW zum “Includieren”, auch in 30km entfernte Orte. Wenn ihr einen Unfall auf dem Weg dahin habt, dann müsst ihr die Kosten, die dadurch entstehen selbst tragen. Ihr könnt euch aber auch auf eigen Kosten dagegen versichern. Die Fahrtzeit wird euch natürlich nicht als Arbeitszeit angerechnet. Das könnt ihr schön in euren Pausen beim Pendeln zwischen der Stamm- und Inculsionsschule verbringen. Pausen braucht ihr ja nicht, ihr könnt euch ja beim Fahren erholen. Alle diese Probleme sind vorhanden und nicht geregelt. Da gibt es einen neuen Studiengang ” Entwicklung und Inclusion” an der Uni Siegen. Angedachte Arbeitsorte sind u.A. Grund- und Hauptschulen.Werden wir und unser KNOW HOW überfüssig? Machen die anderen, neuen Kollegen, die Arbeit zu einem kleineren Gehalt? Das Problem der Diskriminierung ist bei Förderschülern zweifellos vorhanden. Wird sie aber durch Inclusion abgeschafft? Werden diese Schüler nicht auch hier vielleicht noch mehr ausgegrenzt? Wird diesen Schülern auch so eine hervorragende Berufsvorbereitung angeboten?


    Alle diese Probleme gehen mir in letzter Zeit oft durch den Kopf. Ich sehe unser Kollegium, dass zum Wohl der Kinder unserer Schule, den Spagat vollbringt, die Standards an unsere Schule zu halten und gleichzeitig, die von oben verordnete Inclusion zu verwirklichen. Das bedeutet Konzepte entwicklen, das keine vorhanden, an beiden Schulen an Konferenzen und Teambesprechungen teilnehmen, für Material zu sorgen usw. Ausgeschriebene Stellen für Sonderschullehrer bleiben unbesetzt, weil keine Kollegen auf dem “Markt” sind. Seiteneinsteiger werden eingestellt, die weder testen noch abgeordnet werden dürfen.Sie können studieren,ja, aber auf Kosten des Stundenkontingents der Schule. Leider wird im Moment kein Aufbaustudium an den UNis durchgeführt. Also wieder nichts.Unser enorm hohes Engagemant bekommt langsam Risse, weil die Vielfalt der Aufgaben eigentlich nicht zu bewältigen ist, wenn man seinen Beruf liebt und ernst nimmt.


    Inclusion zum Nulltarif ist nicht zu haben. Sie kostet viel, viel Geld und benötigt viel Personal. Warum besetzt man nicht alle Klassen mit Förderschullehrern doppelt, schafft die benötigten räumlichen Voraussetzungen, baut Barrieren ab, bildet entsprechend aus und fort? Das alles in Kooperation und unter Einbeziehung des NOW HOWS der Förderschullehrer. Dann wäre der Traum von Inclusion vielleicht machbar. Sicher nicht von heute auf morgen, aber auf lange Sicht vielleicht. Was hier im Moment statt findet ist reine Augenwischerei, die keinem etwas nützt: Nicht den Kindern mit Förderbedarf, nicht den “Normalschülern”, die auch ein Recht auf Bildung und Förderung haben. Bildung ist teuer und muss sich nicht im wirtschaflichen Sinne rechnen.


    Armes Deutschland

  • rotherstein, tolles Statement und mir aus tiefstem Herzen gesprochen ...
    DANKE für den Nagel auf dem Kopf!

  • Zitat

    rotherstein, tolles Statement und mir aus tiefstem Herzen gesprochen ...


    Dito!!! =)

    Man muss nicht immer jeden da abholen, wo er steht - manchmal ist es auch wichtig jemaden da zu lassen, wo er sein will!

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