Vermute Asperger Syndrom - wie sage ich es den Eltern?

  • Hallo,


    ich habe eine 1. Klasse und dabei fällt mir ein Junge besonders auf. Er ist sehr wunderlich, hat kaum Kontakt mit Klassenkameraden, schaltet sich im Unterricht oft aus, lebt dann in seiner eigenen Welt (summt, singt, spielt selbstvergessen mit dem Bleistift) und muss ständig von mir zurück geholt werden. In Freiarbeitsphasen schafft er gar nichts.


    Andererseits ist er ziemlich intelligent, begreift alles sofort - wenn er mal zuhört, und hat ein ausgeprägtes Spezialwissen in Punkto Eisenbahn.


    Seine Ausdrucksweise ist überdurchschnittlich, aber er spricht sehr undeutlich und nuschelt viel und leise vor sich hin.


    Der Mutter ist auch schon die schlechte Aussprache aufgefallen, aber die Kinderärztin meinte, das ist schon ganz normal so.... - ist es aber nicht!


    Ich grübele nun schon seit Wochen, was mit dem Jungen nicht stimmt, es ist kein typisches ADS (kenne mich damit recht gut aus), aber etwas passt nicht. Bin jetzt in Gesprächen mit Kollegen darauf gekommen, dass das auch ein Asperger Syndrom sein könnte. Habe dann im Netz gelesen und das passt in meinen Augen absolut perfekt.


    Nächste Woche habe ich nun ein Elterngespräch mit der Mutter und würde ihr gern vertickern, dass sie ihren Sohn mal daraufhin untersuchen lassen sollte. Aber wie mache ich das am geschicktesten, ohne dass die arme Mutter gleich umfällt? Sie weiß selbst, dass was nicht mit ihm stimmt, hat aber auch keinen Plan. Und Aussage des Vaters war: ach, so war ich auch als Kind... - ich liebe diese Sprüche. Na ja, der Vater ist jetzt Tierarzt, hat also sein Leben halbwegs gemeistert. Aber der Junge hat in der Klasse schon mit leichter Ausgrenzung zu tun und ich würde ihm das gerne ersparen.


    Habt ihr einen Tipp für das Elterngespräch?


    Grittigirasol

  • ich würde so etwas den Eltern gar nicht sagen - dafür bin ich nciht ausgebildet.
    Ich würde ihnen raten, aufgrund der Auffälligkeiten das Kind einem Kinderpsychologen oder einem SPZ vorzustellen.

  • Ja, das habe ich mir auch so zuerst gedacht, aber da der Vater das Verhalten seines Sohnes als ganz normal empfindet, fürchte ich, dass es für die Eltern keinen Grund gibt, zum Psychologen zu gehen.


    Und die Mutter hat mich letztens schon ausgequetscht, ob es ADS sein könnte, was ich aber erstmal weggeschoben habe, weil es nicht so richtig passt. Natürlich schon da mit der Bemerkung, dass ich kein Diagnostiker bin und mich da auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchte. - Und ich denke, die Mutter will was von mir hören, damit sie auch einen Grund hat, zum Psychologen zu gehen.


    grittigirasol

  • Verständlich, dass du dir Gedanken machst aber ich finde auch, dass du nicht die Richtige bist, um medizinische oder psychologische Diagnosen oder Vermutungen anzustellen.
    Du solltest den Eltern klar machen, dass aus deiner Sicht etwas nicht stimmt und ihnen dann eine Anlaufstelle empfehlen.
    Mehr von dir zu erwarten, finde ich falsch. Du bist nicht ausgebildet dafür.
    Von meinem Hausarzt erwarte ich auch, dass er mir einen Facharzt empfiehlt, wenn es zu speziell wird. Und der Hausarzt ist immerhin Mediziner. Wir sind Pädagogen.

  • schließe mich den anderen an.
    sage klar und deutlich, dass herausgefunden werden muss, was mit dem jungen los ist, weil "es" sich auf sein arbeits- und sozialverhalten auswirkt. nur so kann eine passende therapie gefunden werden, die verhindert, dass es später (pubertät) noch schlimmer wird und gar nicht mehr in den griff zu bekommen ist. sage auch, dass du eine diagnose und ggf. professionelle tipps brauchst, um mit ihm richtig umzugehen.
    suche am besten schon mal adressen/nummern von psychologen und dem schulpsychologischen dienst heraus und reiche die liste den eltern dann direkt herüber.
    kann gut sein, dass du mit deiner diagnose richtig liegst. aber stell' dir mal vor, du liegst nicht richtig und ein untersuchender psychologe wettert vor den eltern so richtig gegen dich, dann kann das auch nicht zu gunsten des jungen sein.


    ich finde generell, wir müssen uns da schützen. wir sind nun mal keine psychologen und ergotherapeuten und logopäden etc. und es muss in der verantwortung der eltern liegen, die passenden stellen aufzusuchen, damit ihr kind hilfe bekommt - und wir in der schule dann ggf. auch, damit wir richtig mit dem kind umgehen können.

  • Ok, vielen Dank für eure Hilfe. Dann werde ich mich da ganz bewusst zurück halten. Aber mit der Liste der Psychologen - das ist eine gute Idee. Vielleicht schnackeln sie ja dann, wie ernst ich das Thema nehme.


    Ein schönes Wochenende euch noch.


    grittigirasol

  • Witzig, dass du das hier schreibst, denn das würde eigentlich auch auf mich passen. Denn ich habe auch einen Jungen bei mir, bei dem ich autistische Symptome vermute. Ich hatte schon ein Elterngespräch und habe dabei noch mehr erfahren, was mich in meinem Verdacht eher bestätigt hat. Allerdings habe ich es den Eltern auch nicht gesagt, denn schließlich bin ich keine Expertin. Mit solchen Urteilen sollte man schon vorsichtig sein.
    Die Eltern bei meinem Kind in der Klasse haben gesagt, dass sie schon eine Psychologin hätten, sie allerdings nur die Eltern im Gespräch hatte. Darauf habe ich gemeint, dass sie auf jeden Fall darauf drängen sollen, dass die Psychologin den Jungen anschaut. Und ich habe auch meine Vermutung geäußert, dass irgendetwas nicht ganz stimmt.
    Die Psychologin wollte dann mit mir eigentlich den Kontakt aufnehmen, hat es dann aber nicht getan.
    Diese Woche habe ich bei der Mutter mal nachgefragt und die meinte, dass sie nicht mehr zu ihr gehen würden. Sie wollte den Jungen 4 Wochen einweisen lassen!
    Da war ich erstmal geschockt! Doch mich auch widerum bestätigt, dass auch die Psychologin irgendetwas gesehen hat, was akute Behandlung oder eine genauere Diagnose erfordert.
    Leider möchte die Mutter im Moment niemand anderen suchen, da sie wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres umziehen werden.


    Im Unterricht hilft mir das natürlich nicht, aber ich hab mich einfach im Internet ein bisschen informiert und versuche hinsichtlich einen Kind mit Autismus zu agieren.
    Er macht z.B. in Sport nicht mit. Besser gesagt, er schafft es nicht. Er hält sich ewig in der Umkleidekabine auf und bis er dann mal kommt, dann setzt er sich freiwillig auf die Bank. Oder spielt mit den Türen in der Turnhalle, da er total "fasziniert" von Türen ist.


    Wie du sagst, würde ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber es en Eltern deutlich machen, dass etwas nicht in Ordnung ist.

    Verstehen kann man das Leben nur rückwärts,
    leben muss man es vorwärts. (Sören Kierkegaard)

  • Ich hatte mich (aus persönlichem Interesse) auch mal mit den Asperger-Autisten beschäftigt! Es ist wohl leider so, dass es selbst unter den Psychologen eine oft unbekannte Krankheit ist und viele das nicht diagnostizieren können!


    Vielleicht suchst du einen Spezialisten für Asperger heraus und setzt ihn oben auf die Liste?

  • Zu dem Tema Arzt:


    Der Hausarzt wird allerdings auch eine Vermutung für den nächsten Kollegen aufschreiben. Außerdem wird er aufgrund seines Verdachts einen bestimmten Facharzt empfehlen. Kein Hausarzt wird sagen, dass er jetzt auch nicht weiter weiß, irgendwas nicht stimmt und man möge doch bitte mal zum Internisten gehen. Hilfreicher ist es durchaus, wenn der Hausarzt sagt, welchen Verdacht er hegt und zu welchem Internisten (Kardiologe, Nephrologe, etc.) ich denn bitte gehen soll.


    Wieso soll man als Lehrer denn nicht auch sagen, dass der Verdacht besteht, es könnte sich um Asperger handeln? Ich äußere einen Verdacht, diagnostiziere doch aber nicht. Und um einen Verdacht zu äußern, braucht es meiner Meinung nach kein Medizinstudium. Für die Diagnose dann schon.


    In unserer Stadt gibt es übrigens keinen Kinderpsychologen, der gleichzeitig Aspergerexperte ist. Der nächste ist ca. 30 km entfernt und hat lange Wartezeiten. Als Elternteil, dass von der Lehrkraft allgemein die Empfehlung bekommt zum Kinderpsychologen zu gehen, würde ich dann mit großer Wahrscheinlichkeit aus Unwissenheit genau diesen Arzt nicht wählen.


    Muss das denn sein? Kann ich als Lehrer nicht so viel A**** in der Hose haben und sagen, welche Gedanken ich mir mache? Wäre es so schlimm, wenn es am Ende nicht Asperger ist, ich den Verdacht aber geäußert habe?



    Bibo

  • ich würde auf mein gefühl vertrauen. so wie du schreibst scheint die mutter ja ebenso besorgt. ich könnte mir auch vorstellen, dass ich etwas ausdrucken würde oder einen link weitergeben würde und die mutter fragen würde, ob sie ihren sohn dort wiederfindet.
    flip

  • Zitat

    Original von elefantenflip
    ich würde auf mein gefühl vertrauen. so wie du schreibst scheint die mutter ja ebenso besorgt. ich könnte mir auch vorstellen, dass ich etwas ausdrucken würde oder einen link weitergeben würde und die mutter fragen würde, ob sie ihren sohn dort wiederfindet.
    flip


    Das wäre auch eine Idee...

  • Ich habe in einem ähnlichen Fall - allerdings ging es da um ADS- den Eltern ein paar Merkmale aufgeschrieben und habe dazu gesagt, dass ich festgestellt habe, dass nahezu alle Punkte auf ihr Kind zutreffen. Bin mit den Eltern die Liste grob durchgegangen und habe gefragt, ob sie ihr Kind dort auch wiederfinden... Letztendlich habe ich sie gebeten, dies von Experten untersuchen zu lassen.

  • Zitat

    Na ja, der Vater ist jetzt Tierarzt, hat also sein Leben halbwegs gemeistert


    :D



    Schon mal daran gedacht, dass das Kind auch hochbegabt sein könnte? Würde aber auch keine Eigendiagnose abgeben, sondern nur Wahrnehmungen schildern und einen Gang zum Psychologen empfehlen.

  • "Schon mal daran gedacht, dass das Kind auch hochbegabt sein könnte? "


    Ja, habe auch schon wegen Hochbegabung überlegt. Das ist auch nicht abwegig, findest sich auch im Asperger Syndrom wieder. Noch ein Punkt, der überein stimmt.


    Aber nur Hochbegabung ist es nicht, denn wie gesagt im Punkto Freiarbeit ist er absolut unselbstständig und nicht fähig, irgendwas zu tun. Er arbeitet nur nach totaler Ansage und immer wieder Ermahnungen, summt zwischendurch und singt und verschwindet in seiner eigenen Welt. Dazu klopft er monoton mit dem Bleistift vor sich hin.


    Ausdrucksweise ist überdurchschnittlich, aber man versteht ihn schlecht: monotones Nuscheln.


    Verweigert sich auch oft bei der Arbeit, traut sich nichts zu: brubbelt dann immer monoton: das kann ich nicht, das kann ich nicht ....


    Ein Kind, welches "nur" hochbegabt wäre, blüht auf, wenn es "Hirnfutter" gibt - zumindest in der Schulanfangszeit, wenn noch nichts mangels Nichterkennens "versaut" ist.


    Alles was ich bis jetzt zum Asperger Syndrom gefunden habe, kann ich 200%ig unterstreichen. Für mich ist es eineindeutig. Aber da ich ja natürlich "nur" Lehrerin bin und Mutter eines ADHS-Kindes mit Hochbegabung(!) darf ich die Diagnose nicht stellen, sondern würde lediglich einen Verdacht äußern und der Mutter empfehlen, diesbezüglich einen Psychologen aufzusuchen.


    Na ich muss mal mit meiner Chefin reden, wie weit ich in ihren Augen gehen darf, ob ich Verdacht äußern darf oder nicht. Da ich in meiner Klasse schon zwei ADHS-Kinder erkannt habe und hier den Eltern helfen konnte, habe ich einen ziemlichen Vertrauenbonus bei Eltern und Schulleitung.


    Meine Befürchtung ist eher der Vater. Ihn habe ich noch nicht gesprochen, kenne ihn und seine Einstellung eben nicht.


    grittigirasol

  • Will jetzt mal kurz schildern, was heute passierte. Besagte Mutter brachte früh ihr Kind und erzählte mir ziemlich verzweifelt, das der Sohnemann am Wochenende auch zu Hause total neben der Spur lief.


    Vater (der sonst nur sehr wenig Zeit hat) hat dieses WE allein mit seinem Sohn verbringen müssen, weil Mama weg musste und war anschließend ziemlich erschrocken, wie verpeilt Sohnemann ist.


    Nun ja, nun hat er es offensichtlich auch geschnackelt. Ja und Mutter wollte nun heute früh wissen, was mit ihrem Sohn los ist...bla bla bla, ... Sie haben doch Erfahrung.... können Sie mir nicht was sagen....


    Jedenfalls habe ich mich breitschlagen lassen und ihr meine Beobachtungen nochmals mitgeteilt, und gesagt, sie muss zum Psychologen mit Söhnchen, ich bin kein Diagnostiker. Sie ließ einfach nicht locker und fragte, was das sein könnte. Kurzum: ich ihr gesagt, welche Vermutung ich habe, eine Beschreibung des Asp. Synd. mitgegeben mit meinen Beobachtungen (als Anmerkungen) und natürlich gesagt, dass das nur meine Beobachtungen sind und keine Diagnose und ich ihr sehr wünsche, dass ich mich irre und sie mich keinesfalls jetzt darauf festnageln darf usw..... Letztendlich zählen ja auch die heimischen Beobachtungen dazu usw.


    Na ja, Mama war jedenfalls dankbar und will sich alles mal durchlesen und dann ärztliche Hilfe holen. Und nun schauen wir mal. - Für mich war es ja super, dass der Papa an diesem WE auch erkannt hat, dass irgendwas nicht stimmt.


    Hoffe, dass jetzt alles ins Rollen kommt und dem Jungen geholfen wird.


    grittigirasol

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