http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,712298,00.html
Eine wirklich furchtbare Geschichte. Und natürlich ein absoluter Einzelfall, aus dem man eigentlich nichts Verallgemeinerbares entnehmen kann. Andererseits ist der Fall zwar extrem, aber vielleicht nicht so untypisch. Ein Schulleiter will keine Schüler verlieren und sie alle zum Abitur führen. Zumal er sie nicht selbst unterrichten muss.
In Kurzzusammenfassung: Ein schon seit der fünften Klasse auffälliger Schüler, der bereits zwei Mädchen gestalkt und massiv bedroht hat, wählt sich seine junge Lehrerin zum Projektionsobjekt, erzählt ihr von seinen vielfältigen Leiden, kündet ihr seinen Selbstmord an und fängt an, sie am Lehrerzimmer abzupassen. Sie schaltet den schulpsychiatrischen Dienst ein, bringt den Schüler dazu, mit ihr zu einem Therapeuten zu gehen - wo er ihr dann seine Liebe gesteht. Wieder kündigt er an, er werde sich umbringen, die Polizei sucht ihn auf, findet einen Sprenggürtel mit Schwarzpulver.
Der Junge geht weiter zur Schule, denn der Schulleiter will ihm unbedingt das Abitur ermöglichen. Die Lehrerin klettert währenddessen im Lehrerzimmer aus dem Fenster, um ihm zu entkommen. Davon weiß der Schulleiter nichts, an anderes kann er sich nicht erinnern. Er weiß aber noch, dass er dem Jungen deutlich gemacht hat, dass er sich von der Lehrerin fernhalten soll. Blöd, dass Vergesslichkeit keine Lehrerprivileg ist: DARAN kann sich der Junge vor Gericht nicht erinnern, ebensowenig wie an andere "pädagogische Aktivitäten."
Irgendwann, später, montiert der Schüler Videokameras an Autobahnabfahrten, um zu erfahren, wo die Lehrerin wohnt, am Ende bringt er sie um.
Als die Lehrerin Angst bekommt, fängt sie an, alle Vorkommnisse zu protokollieren, Orte, Zeiten, Namen von Zeugen. Auch die Gespräche mit der Schulleitung. Ihr Pech bis fast zum Schluss: Sie benötigt noch ein gutes Gutachtens für ihre Verbeamtung.
Und so
- lässt sie sich durch Schulleiter und Oberstufenkoordinator nötigen, dem Schüler faktischen Einzelunterricht zu erteilen und nimmt hin, dass der SL keine Veranlassung sieht, etwas zu ändern, nachdem er Schüler der Lehrerin seine "Liebe" gestanden hat;
- verkündet der Schulleiter einer weiteren Kollegin, er habe den Jungen "im Griff" (ein Wissen, dass wohl auf seinen pädagogischen Maßnahmen beruht - der SL fragt den Jungen z. B., ob er sich in die Lehrerin "verknallt" habe, darauf sagt der: Er sei zu emotionalen Bindungen nicht fähig; womit für den SL das Problem gelöst ist);
- ignorieren SL und Landesschulbehörde eine eidesstattliche Erklärung einer weiteren involvierten Lehrerin, in der diese die Situation als "bedrohlich" beschreibt und erklärt, sie gebe ihre Erklärung für den Fall ab, dass sie später dazu nicht mehr fähig sei;
- kann der SL nicht nachvollziehen, dass die Lehrerin im September 2008 eine einstweilige Verfügung gegen den Schüler erwirken will; zu diesem Zeitpunkt hat die Polizei bereits eine Sprengvorrichtung bei ihm gefunden;
- sieht der Schulleiter nichts Bedrohliches an der Tatsache, dass der Schüler seiner Lehrerin Emails schreibt, die dutzende Seiten umfassen.
Das geht so weiter, bis es zum Amoklauf in Winnenden kommt - nun soll plötzlich doch etwas geschehen, aber nicht, weil die Lehrerin bedroht ist, sondern das Kollegium bzw. irgendwie alle.
Am Ende ist die Lehrerin tot und der Schulleiter in seiner pädagogischen Ehre gekränkt:
Zitat"Ich hatte ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihr (= Der Lehrerin). Ich habe ihr immer das Gefühl gegeben, sie könne zu mir kommen." Es habe ihn im Nachhinein erstaunt, dass "es Moment gab, in denen sie sich mir nicht anvertraute".
Das Kollegium stellt sich - mit Ausnahmen - hinter den Chef. Natürlich entwerfen "die Medien" ein verzerrtes Bild des Geschehens. Zwei Lehrer stellen Dienstaufsichtsbeschwerden, die aber abgelehnt werden. Eine Reflexion des Geschehenen findet - sagen Lehrer aus dem Kollegium - an der Schule nicht statt.
Die Schulbehörden äußern sich nicht - anders, als etwa hier:
Lübecker Schüler unter Vergewaltigungsverdacht - Kieler Bildungsministerium sucht Schuld bei Lehrern