Mal wieder: Täuschungsversuch - Beweis- und Handlungsproblem

  • Hi,


    habe soeben einen Stapel Oberstufenarbeiten Englisch zuende korrigiert und bin nun einigermaßen erbost-ratlos, da ich feststellen muss, dass zwei Arbeiten identisch (!) sind.


    Bei einer Arbeit fehlen lediglich einzelne Sätze, die in der ersten Arbeit vorkommen, sowie ein Teil einer Aufgabe - er ist gewissermaßen einfach "weggelassen", wohl aus Zeitgründen. Es ist daher relativ offensichtlich, welche Arbeit das Original ist, nämlich die mit dem kompletteren Text. Ansonsten stimmen die Texte fast wörtlich überein.


    Es kann sich dabei nicht um auswendig gelernte Texte handeln, da sie exakt auf die nicht-vorhersehbare Aufgabenstellung eingehen.


    Die betreffenden Schüler haben nebeneinander gesessen, zumindest glaube ich das... Um ehrlich zu sein kann ich mich nicht 100 pro erinnern. Ich bin eigentlich relativ gelassen gegenüber Täuschungsversuchen, da ich meine, dass sie in den Sprachen auf höheren Klassenstufen wenig bringen und ich auch nichts als Polizist durch den Raum eiern will. Wenn nun aber offenbar ganze Texte übernommen werden, sieht die Sache anders aus.


    Mein Schulleiter meint nun: Man könne nichts machen. Aber ich bin zur Akzeptanz eher nicht bereit. Mich interessiert allerdings die Rechtsseite. Weiß jemand, was man juristisch hier tun kann? Ich überlege im Moment, beide vermutliche "Delinquenten" morgen einfach einmal spaßeshalber die Arbeit noch einmal schreiben zu lassen - man kann dann das Resultat sicher nicht voll werten, aber ein Anhaltspunkt (und eine Gesprächsgrundlage) wäre es schon.


    Genervt
    Unter uns

  • Juristisch ist das eine klare Sache, wenn die Texte weitgehend identisch sind und klar ist, welcher der Ausgangstext und welcher der abgeschriebene ist, kannst du das als Täuschungsversuch werten. In so einem massiven Fall, wie du beschrieben hast, ist eine Bewertung mit "ungenügend" sicher auch angemessen. Du berufst dich dabei auf den so genannten Anscheinsbeweis. Es gab mal bei uns ein Handbuch vom Philologenverband mit einer juristischen Bewertung der wichtigsten Praxisfragen, da stand das Fallbeispiel fast genau so drin, wie du beschrieben hast.


    Grüße,
    Moebius

  • Ich habe in so einem Fall beiden Schülern erzählt, dass ihre Arbeiten absolut identisch sind und sowas kein Zufall sein kann. Da ich nicht weiß, wer von wem abgeschrieben hat, bekommen beide Schüler die Note 'ungenügend'. Aus Fairness sollte jedoch der 'Abschreiber' seine Tat zugeben, denn dann bekommt nur er ein 'ungenügend'.
    Bisher hat es immer funktioniert, dass der Abschreiber entweder sofort, oder am nächsten Tag gestanden hat. Ich denke ein Versuch ist es wert. Sollte es nicht funktionieren, kannst du ja immer noch auf den 'Anscheinsbeweis' zurückgreifen. Normalerweise kennt man seine Schüler ja auch so gut, dass man schon so weiß, wer von wem abgeschrieben haben muss.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von unter uns
    Mein Schulleiter meint nun: Man könne nichts machen. Aber ich bin zur Akzeptanz eher nicht bereit. Mich interessiert allerdings die Rechtsseite. Weiß jemand, was man juristisch hier tun kann? Ich überlege im Moment, beide vermutliche "Delinquenten" morgen einfach einmal spaßeshalber die Arbeit noch einmal schreiben zu lassen - man kann dann das Resultat sicher nicht voll werten, aber ein Anhaltspunkt (und eine Gesprächsgrundlage) wäre es schon.


    Genervt
    Unter uns


    Viel nerviger ist es, wenn Schulleiter die rechtliche Lage selbst nicht kennen und ihre Lehrer entsprechend beraten.


    Moebius hat völlig Recht - nachzulesen ist das neben dem PhV auch bei Günther Hoegg "Schulrecht!"


    Beim "Anscheinsbeweis" kehrt sich übrigens auch die Beweislast um, d.h. der Schüler muss nachweisen, dass er nicht abgeschrieben hat.


    Ich würde das sehr relaxt angehen, das ungenügend unter die Abschreiberarbeit schreiben und die Arbeit kommentarlos zurückgeben.


    Gruß
    Bolzbold

  • Hallo,


    vielen Dank erst einmal für die raschen Rückmeldungen! Da ich nun meinen Chef schon gefragt habe, suche noch eine Lösung mit Fingerspitzengefühl.


    Eine Kollegin hat nun einen Schulrechtskommentar für mich aufgetrieben, aus dem die wesentlichen Dinge hervorgehen.


    Nette Grüße
    Unter uns

    • Offizieller Beitrag

    Oha, da hat sich was überschnitten...


    Naja, wenn Du rechtlich korrekt handelst, kann Dir keiner etwas.


    Eine Klausur neu anzusetzen halte ich für keine gute Idee. Ich würde beim Anscheinsbeweis bleiben, dem Schüler das entsprechend erklären und abwarten. Ich glaube kaum, dass er sich beschweren wird.


    Gruß
    Bolzbold

  • Zitat

    Naja, wenn Du rechtlich korrekt handelst, kann Dir keiner etwas.


    Nun, ich hoffs :evil:.


    Vielen Dank noch mal für alle Hinweise!

  • Elternmeinungen dazu:



    Zitat

    Mammamoritz:
    Meine Meinung ist wenn er es erst bei der korrektur feststellt, dann ist es zuspät und muss es nach Leistung bewerten.



    Zitat

    Kokolores:
    Tja - dumm gelaufen. Der Lehrer weiß nicht mehr, wer neben wem saß (bei uns fertigten die Lehrer während der Klausuren Sitzpläne an), aufgepasst hat er auch nicht, weil siehe oben...., und er/sie scheint nicht zu wissen, welcher Schüler denn den Leistungsstand hat um die Arbeit verfassen zu können und welcher nicht.


    Wobei: Wortwörtlich abschreiben in der 10.? - das strotzt ja schon vor Dummheit.





    Zitat

    Darüber rege ich mich auf - es wird irgendwie so ein Pseudosozialverhalten erwartet. Man darf nicht petzen, aber dann in Ausnahmefällen doch. Bei Gruppenarbeiten darf man sich nicht beklagen, wenn sich jemand ausklinkt, sondern muss seine Arbeit miterledigen, aber dann auch so, dass es nicht auffällt. Denn ansonsten wird man für mangelndes Sozialverhalten gerügt. Macht das Kind nichts, gibt es eine schlechte Note.
    Wenn der Lehrer es während der Klassenarbeit nicht gemerkt hat, muss er m.E. die Leistung benoten. Er kann dann ja durch die mündliche Bauchnote wieder relativieren. Dann stimmt die Welt wieder.


    :) echo...

  • Ums für die mitlesenden Eltern deutlich zu sagen (und es mag je nach Bundesland leicht verschieden sein):


    - Man darf definitiv bei entsprechender Beweislage auch nach geschriebener Arbeit die Note 6 vergeben


    - Man darf dem, der abschreiben lässt, NICHT die Note 6 geben (außer in der Abiturprüfung!! - das gilt für Bayern)


    - ob es schon den Tatbestand der "Nötigung" erfüllt, wenn man Schüler mit Fehlverhalten konfrontiert und erwartet, dass der "Schuldige" es zugibt überlasse ich den Rechtsexperten im Elternforum.


    Man kann jetzt nur noch darüber diskutieren, was die "entsprechende" Beweislage ist ...

  • Ich glaube, da gibs mal wieder zu den Elternmeinungen nichts mehr zu sagen, sie haben sich ja doch schon selber bewertet :D


    Aber es zeigt wieder, wie sollens die Schüler besser wissen, wenns nicht mal die Eltern tun ;)


    Mich interessiert übrigens nicht, wer wen abschreiben läßt, bei identischen Arbeiten sind beide 6!

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Susannea
    Ich glaube, da gibs mal wieder zu den Elternmeinungen nichts mehr zu sagen, sie haben sich ja doch schon selber bewertet :D


    Aber es zeigt wieder, wie sollens die Schüler besser wissen, wenns nicht mal die Eltern tun ;)


    Mich interessiert übrigens nicht, wer wen abschreiben läßt, bei identischen Arbeiten sind beide 6!


    und es kann dann nicht die Aufgabe des Lehrers sein, in detektivischer Kleinarbeit "Beweise" zu erstellen.



    Eltern sollten ihren Kindern auch beibringen, Konsequenzen aus dem eigenen Handeln zu tragen. Wenn die Eltern das nicht können oder nicht wollen, heißt das nicht, dass die Schule das auch nicht kann oder will.

  • Zitat

    Original von Friesin


    Eltern sollten ihren Kindern auch beibringen, Konsequenzen aus dem eigenen Handeln zu tragen. Wenn die Eltern das nicht können oder nicht wollen, heißt das nicht, dass die Schule das auch nicht kann oder will.


    Naja ... abgeschrieben wurde schon immer. Ich bezweifle, dass Schüler früher das schneller zugegeben haben ... vielleicht hätte man früher die 6 einfach als logische Konsequenz akzeptiert, wogegen heute die Tendenz z.T. dazu besteht, zu protestieren (auch von Eltern).


    Aber es geht hier auch nicht um die Frage, ob Abschreiben (lassen) ok ist, sondern darum, ob man nachträglich die Note 6 geben darf. Und da kann ich den Eltern nicht unbedingt vorwerfen, dass sie die Bestimmungen nicht kennen (manche von uns kennen sie auch nicht, sind sich unsicher bzw. werden die rechtlichen Grundlagen von verschiedenen Lehrern manchmal auch verschieden interpretiert).


    Und doch: Wenn ich den Schüler nicht auf frischer Tat ertappe, sondern erst hinterher glaube, dass er abgeschrieben hat - dann halte ich es schon für meine Pflicht (wenn ich schon die 6 geben will) - dass ich die Beweise dafür beibringe.

  • Zitat

    Original von Nighthawk
    Und doch: Wenn ich den Schüler nicht auf frischer Tat ertappe, sondern erst hinterher glaube, dass er abgeschrieben hat - dann halte ich es schon für meine Pflicht (wenn ich schon die 6 geben will) - dass ich die Beweise dafür beibringe.


    Zwei identische Arbeiten, mit den selben Fehlern sind wohl Beweis genug!

  • Zitat

    Original von Susannea


    Zwei identische Arbeiten, mit den selben Fehlern sind wohl Beweis genug!


    Wahrscheinlich genug Beweis, dass jemand abgeschrieben hat - nur spielt es zumindest in Bayern eine Rolle, wer von den Beiden.

  • Zitat

    Original von Nighthawk
    Wahrscheinlich genug Beweis, dass jemand abgeschrieben hat - nur spielt es zumindest in Bayern eine Rolle, wer von den Beiden.


    Eigentlich kann ich es mir nciht so ganz vorstellen, denn es passt nicht zum Deutschen rechtssystem, andererseits macht Bayern schon immer, was es will.


    Glücklicher Weise gehts hier nicht um Bayern. Aber interessieren würde mich der Ausschnitt aus Bayern aus dem Schulgesetz schon!

  • In der bayerischen GSO:


    §58: Bedient sich eine Schülerin oder ein Schüler bei der Anfertigung einer zu benotenden schriftlichen oder praktischen Arbeit unerlaubter Hilfe (Unterschleif), so wird die Arbeit mit der Note 6 bewertet. 2 Bei Versuch kann ebenso verfahren werden. 3 Als Versuch gilt auch das Bereithalten nicht zugelassener Hilfsmittel.
    Es ist NUR von dem die Rede, der sich unerlauber Hilfe bedient.


    §88 wiederum regelt den Unterschleif in der Abiturprüfung:


    Bedient sich eine Schülerin oder ein Schüler unerlaubter Hilfe oder macht den Versuch dazu (Unterschleif), so wird die Arbeit mit 0 Punkten bewertet. 2 Als Versuch gilt auch das Bereithalten nicht zugelassener Hilfsmittel nach Beginn der Prüfung. 3 Ebenso kann verfahren werden, wenn die Handlungen zu fremdem Vorteil unternommen werden.


    Im letzten Satz wird hier nun ausdrücklich erwähnt, dass auch derjenige, der abschreiben lässt, 0 Punkte bekommen kann. Da dieser Satz in §58, der alle anderen Schulaufgaben/Tests/Stegreifaufgaben abdeckt, fehlt, ist wohl daraus zu schließen, dass nur in der Abiturprüfung beide eine 6 erhalten könnten.

  • DAs sehe ich etwas anders, für mich ist die Arbeit seinem NAchbarn zu geben schon das Bereithalten unerlaubter Hilfsmittel, denn nirgends steht für wen man den bereithält.


    Da würde ich mich also auch auf eine Diskussion mit den Eltern einlassen!

    • Offizieller Beitrag

    ich sehe den vorgang im Nachhinein auch nicht als beweisbar an.


    Die folgende These ist nicht schlüssig:

    Zitat

    Bei einer Arbeit fehlen lediglich einzelne Sätze, die in der ersten Arbeit vorkommen, sowie ein Teil einer Aufgabe - er ist gewissermaßen einfach "weggelassen", wohl aus Zeitgründen. Es ist daher relativ offensichtlich, welche Arbeit das Original ist, nämlich die mit dem kompletteren Text. Ansonsten stimmen die Texte fast wörtlich überein.


    Es könnte genauso gut sein (rein theoretisch), dass der Abschreiber noch versucht hat, diesen Teil der Aufgabe zu lösen. Innerhalb gewisser Grade kann man bestimmt über den Schreibstil und die Qualität der Lösung herausfinden, ob dies so war, aber eine 100%ige Beweisführung lässt sich damit nicht gestalten. Das gibst du ja sogar selbst zu.


    Demnach würde ich sagen "es ist nicht bewiesen, die Schüler haben Glück gehabt, der Lehrer hat Pech gehabt und muss beim nächsten Mal einfach besser aufpassen."


    Im Zweifel für den Angeklagten. Und mögen die Zweifel auch noch so klein sein.


    kl. gr. Frosch


    Susannea:

    Zitat

    DAs sehe ich etwas anders, für mich ist die Arbeit seinem NAchbarn zu geben schon das Bereithalten unerlaubter Hilfsmittel, denn nirgends steht für wen man den bereithält.


    Aber der, der die "unerlaubten Hilfsmittel hier bereithält, bedient sich ja nicht an den Hilfsmitteln. Insofern ist die Regel nicht zu seinem Nachteil auf ihn anwendbar.


    Nachtrag: der Knackpunkt ist (auch wenn die Arbeiten identisch sind und es logisch klingt), dass du nicht mehr weißt, wer wo gesessen hat. Dadurch kannst du noch nciht einmal "nachweisen", dass die beiden Abgucker nebeneinander saßen.

  • Zitat

    Original von kleiner gruener frosch
    Susannea:


    Aber der, der die "unerlaubten Hilfsmittel hier bereithält, bedient sich ja nicht an den Hilfsmitteln. Insofern ist die Regel nicht zu seinem Nachteil auf ihn anwendbar.


    Es steht ja eindeutig drin, dass das Bereithalten alleine zu bestrafen ist! Also ist es egal, wer sich der Hilfsmittel bedient ;)

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