Frage an bayerische Grundschullehrer

  • Hallo,


    ich habe heute mal eine (ok, eigentlich sind's mehrere...) Frage, die mich schon einige Wochen beschäftigt.
    Vorausschicken möchte ich, dass es ausschließlich um die Verhältnisse in Bayern geht.


    Also nun zu meiner Frage an die bayerischen Grundschullehrer und -lehrerinnen:


    Inwiefern ist es bei euch geregelt, wie die Noten für die Übertrittszeugnisse -speziell im Fach Deutsch- zustande kommen?


    Mir geht es darum, herauszufinden, inwieweit es bayerneinheitliche Verfahren und Vorschriften gibt, inwiefern die einzelne Schule ein Verfahren für alle Parallelklassen festlegt oder ob man da als Klassen- bzw. Deutschlehrer einer vierten Klasse doch eher einen großen Spielraum bei der Bewertung hat.


    Wie läuft das bei euch?


    Bei uns am Gymmi ist es so, dass (grob gesagt) die Durchschnittsnote der Aufsätze 2/3 gerechnet wird und die Durchschnittsnote aller anderen Noten 1/3. Heraus kommt der Durschnitt, bei dem man zwischen n,40 und n,59 einen Spielraum hat, ob man die bessere oder die schlechtere Note im Zeugnis gibt. Schüler, die Probleme mit dem Aufsatzschreiben haben, haben bei uns wenig Chancen auf eine halbwegs gute Note. Gibt es so eine Bestimmung bei euch auch?


    Hintergrund meiner Frage ist, dass ich sehr häufig fünfte Klassen bei uns unterrichte und dieses Jahr wieder überrascht bin über die Unterschiede im Leistungsstand und der zugehörigen Bewertung.
    Während im letzten Jahr meine neuen Fünftklässler extrem fit waren und ich viele schöne Sachen mit ihnen machen konnte, mangelt es dieses Jahr an den rudimentärsten Grundlagen. Während letztes Jahr wortgewandte, grammatikalisch fitte, begabte kleine Erzähler mit einer 3 in Deutsch zu uns kamen, habe ich dieses Jahr Kinder, die schwören, in der Grundschule nie einen echten, vollständigen Aufsatz geschrieben zu haben, von Grammatik und Rechtschreibung nicht die leistesten Schimmer haben und leider nicht in der Lage sind, einfachste Sätze grammatikalisch korrekt zu bilden. Bei manchen ist es derart verheerend, dass auch die Kollegen zum Teil nicht verstehen können, was das Kind ihnen mitteilen möchte (nicht nur bei schriftlichen Abfragen, sondern auch während des Unterrichts). Schaut man aber ins Übertrittszeugnis, sind die Schwächen dort zwar verbal genannt, in Noten heißt es aber von dieser Grundschule dann "2".


    Ich möchte hier niemandem einen Vorwurf machen. Ich bin nur völlig ratlos und kann es mir nicht erklären, wie so etwas zustande kommen kann. Hat jemand einen Rat oder eine Erklärung? Oder vielleicht auch eine Empfehlung?


    Danke schonmal vorab!


    P.S. Ich sitze gerade an der Korrektur einer Erlebniserzählung und verzweifle.... da gibt es einige Kinder, die im sprachlichen Bereich derart viele Fehler machen, dass der gesamte Korrekturrand so rot ist, dass kein Platz mehr existiert, um noch Bemerkungen zum Inhalt an den Rand zu schreiben. Es ist uferlos und frustrierend....

  • hallo mimmi,


    also soweit ich weiß, gibt es keine allgemeinen vorschriften. ich kenne schulen, an denen wird die durchschnittnote texte verfassen (= aufsatz) 3fach gewertet und ich kennen schulen, an denen wird diese note 1fach gewertet.


    ich kann deinen "frust"/deine verwunderung durchaus nachvollziehen. außerdem wäre ich nie auf die vermutung gekommen, dass du irgendjemandem einen vorwurf machen möchtest!!


    vor einigen wochen war ich auf einer infoveranstaltung zum übertritt. die kollegin vom gymnasium hat ganz deutlich herausgestellt, wie wichtig
    a) rechtschreibung
    b) grammatik und
    c) eben der aufsatz ist.


    viele eltern waren an diesem abend erschrocken, als besagte kollegin davon abriet, mit einer 3 in deutsch das gymnasium zu besuchen.


    ich halte alle teilbereiche in deutsch für wichtig, sehe aber dennoch auch eine unterschiedliche gewichtung für sinnvoll. darüber lässt sich sicherlich geteilter meinung sein und ich kenne auch genug kollegen, die meine meinung nicht teilen.


    ich weiß aus meinem jetzigen schulamtsbezirk, dass alle kollegen angehalten sind, die teilbereiche gleichrangig zu bewerten: in unserem fall 1:1. soweit ich weiß, halten sich jedoch auch nicht alle daran.


    worüber ich aber dennoch sehr erstaunt war, als ich in deinem beitrag gelesen habe, dass es kinder gibt, die noch keinen ganzen aufsatz in der grundschulzeit geschrieben haben. ich hoffe, dass das der geringste teil ist! das wäre ja wirklich erbärmlich!

  • Zitat

    Inwiefern ist es bei euch geregelt, wie die Noten für die Übertrittszeugnisse -speziell im Fach Deutsch- zustande kommen?


    Seit diesem Schuljahr gibt es die Vorgaben des KM, dass bis zu 12 Proben geschrieben werden sollen. Wie diese auf die Teilbereiche verteilt sein sollen, ist, soweit ich weiß, nicht klar geregelt. Vor diesem Schuljahr gab es keine einheitliche Regelung und es fiel unter die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte. Auch jetzt ist die Festlegung recht schwammig, d.h. ich könnte auch (ich übertreibe mal) nur sechs Proben im ganzen Jahr schreiben.
    Im besten Fall gibt es eine Festlegung in der Schule, welche Proben und Aufsätze geschrieben werden müssen und wie diese zueinander gewichtet werden. Allerdings bleibt es jeder Lehrkraft vorbehalten streng oder milde zu bewerten. Selbst mit vorgegebenen Notenschlüsseln können Proben ja so erstellt werden, dass vorwiegend gute Ergebnisse herauskommen. Das gleiche gilt für Aufsätze. Wenn ich den Schwerpunkt auf den inhaltlichen Bereich lege, kann ein Schüler, der sprachlich schwach ist, auch noch eine gute Note schreiben. Ich persönlich finde das absolut unsinnig, es kommt aber vor. Es wird letztendlich also vor allem auf die Lehrkraft ankommen und auf die Anforderungen, die diese an die Kinder stellt. Selbst wenn es eine Festlegung für die Parallelklassen gibt, kann ich als sehr milde gestimmte Lehrkraft Proben entsprechend vorbereiten, erstellen und korrigieren, dass am Ende alle wieder glücklich sind.


    Ein weiteres Problem sind meiner Meinung nach auch einige Deutschbücher. Viele Bilder, Sprechanlässe und andere Spielchen. Wenn es dann aber ans Üben geht, stehen manchmal einige wenige Aufgaben zu selbst schwierigeren Themen wie den vier Fällen da. D.h. ich bleibe entweder bei diesen zumeist sehr leichten Aufgaben oder ich mache mir die Arbeit und kopiere zusammen, erstelle selbst Aufgaben umd mache mir richtig viel Arbeit. Erstelle ich selbst Aufgaben, kann es aber sein, dass ich die LZK aus dem Lehrerhandbuch gar nicht mehr nehmen kann. ;) Dann müsste ich mir ja noch mehr Arbeit machen.


    Ein weiteres Problem ist unser derzeitiger Lehrplan. Dieser ist sehr offen gehalten und was man daraus macht, liegt wieder bei der Lehrkraft. Ein genauer Erwartungshorizont wird dort nicht angegeben und wieder handhabt das jeder wie er meint.


    Zum Schluss muss man noch sehen, dass der Druck durch die Eltern immer größer wird. Nach mehreren Elterngesprächen pro Woche könnte ich mir vorstellen, dass einige Lehrkräfte dann eben doch einknicken.


    Tipps, was man mit diesen Kindern macht, kann ich dir leider keine geben. :rolleyes:


    Falls irgendwas nicht ganz klar ist, frag einfach nochmal.



    Bibo

  • Herzlichen Dank euch beiden für die Erläuterungen!
    Jetzt ist mir klarer, wie es passieren kann, dass deutlich leistungsfähigere Schüler mit schlechteren Übertrittsnoten zu uns kommen.
    Noch nicht ganz klar ist mir, wie es dazu kommen kann, dass man Schüler ans Gymnasium schickt, die dort keine Chance haben werden und das dem Lehrer (in diesem Fall war es ein Mann) auch noch bewusst sein müsste, wie aus der Verbalbeurteilung des Übertrittszeugnisses hervorgeht.
    Eigentlich müsste ich (wenn es erlaubt wäre) seine ehemaligen Schüler mal in der Situation filmen, wenn sie die Schulaufgaben zurückbekommen und ihm das vorspielen. Da spielen sich Dramen ab, mit ans Hysterische grenzenden Heulkrämpfen, davon hat er wahrscheinlich keine Vorstellung. Die Kinder tun mir so unendlich leid. Aber ich kann leider nicht das Niveau des Gymnasiums an die Leistungsfähigkeit dieser Schüler anpassen....
    Die Eltern kümmert das übrigens überhaupt nicht. Trotz Bitte kommen sie noch nicht mal zur Sprechstunde oder signalisieren Bereitschaft zum Gespräch an einem anderen Termin. Dass die Noten also aufgrund von Druck der Eltern zustande kamen, kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen. Dabei wären die Schüler an einer Realschule oder einer Hauptschule deutlich besser aufgehoben und hätten dort die Chance auf Erfolgserlebnisse.


    Ich denke, es wird wahrscheinlich kein Weg daran vorbeigehen, mal ein Treffen mit den betreffenden Lehrern der besagten Grundschule anzustreben, damit wenigstens anderen Kindern dieser Leidensweg erspart bleibt.


    Ich danke euch nochmal für eure Mühe und die ausführlichen Erklärungen!


    edit: Vertipper

    Liebe Grüße
    mimmi

    Einmal editiert, zuletzt von mimmi ()

  • Zitat

    Original von mimmi


    Noch nicht ganz klar ist mir, wie es dazu kommen kann, dass man Schüler ans Gymnasium schickt, die dort keine Chance haben werden und das dem Lehrer (in diesem Fall war es ein Mann) auch noch bewusst sein müsste, wie aus der Verbalbeurteilung des Übertrittszeugnisses hervorgeht.



    Eine Möglichkeit: Die Noten in den Proben waren so, dass rein rechnerisch eine 2 rein dabei rauskommt, folglich musste ihm diese Noten auch geben werden.
    Gut möglich dabei: Er hat die Eltern über die Problematik informiert und um
    das zu unterstreichen den Verbalteil des Zeugnisses genutzt.


    Nur: Nicht der Lehrer, sondern die Eltern entscheiden letztendlich....


    Zitat

    Ich denke, es wird wahrscheinlich kein Weg daran vorbeigehen, mal ein Treffen mit den betreffenden Lehrern der besagten Grundschule anzustreben, damit wenigstens anderen Kindern dieser Leidensweg erspart bleibt.



    Das finde ich eine sehr gute Idee!!


    Überhaupt sollte der Kontakt zwischen den Grundschullehrern und den "aufnehmenden" Lehrern der weiterführenden Schule viel intensiver sein!! Gegenseitige (!!) Hospitationen um zu erkennen, wie die "Anknüpfungspunkte" sein müssen, wären eine große Hilfe.


    Petra

  • Lies dir doch mal diese beiden Threads durch:


    knapper Übertritt


    Klasse 09


    Kurze Zusammenfassung: An der Grundschule arbeiten schon einige Schüler am Limit. Am Gymnasium ist das Scheitern dann vorprogrammiert, da die Anforderungen dann nochmals steigen.
    Auch wenn ich einen Schüler für ungeeignet halte, kann er auf das Gymnasium wechseln, wenn er den Notenschnitt schafft. Im ungünstigsten Fall tritt ein Schüler mit 3,4/3,4/1,4 über. In welchem Fach er dann die 1 hat, brauche ich wohl nicht zu erwähnen, oder?



    Bibo

  • Danke nochmal für eure Hinweise. Die Threads in der Verlinkung werde ich mir gleich mal durchlesen.


    Ich würde fürchterlich gerne mal an einer Grundschule hospitieren. Bisher ist es immer daran gescheitert, dass die leider gleichzeitig zu meinen Arbeitszeiten unterrichten.... Mein Chef war jedenfalls leider nicht gerade begeistert von meiner Idee....


    Vielleicht habt ihr ja recht und der Lehrer hat tatsächlich vor dem Übertritt gewarnt. Ich muss wirklich mal zumindest mit ihm reden, denn die größten Problemfälle in meiner Klasse haben alle die gleiche Unterschrift auf dem Übertrittszeugnis. Wie gesagt, bei den dramatischsten Fällen steht im Übertrittszeugnis überall die "2" im Zeugnis und bei uns ist die beste Note, die bislang erteilt wurde, die "5" - und zwar fächerübergreifend. Das ist wirklich ein traumatisches Erlebnis für die Kinder.... Da gehen sie jahrelang zur Grundschule, alles ist gut, dann wechseln sie aufs Gymnasium und kassieren nur noch 5er und 6er und das jetzt schon seit den Sommerferien. Wie man so etwas verkraften soll, ohne dass man einen "Knacks" wegbekommt, das weiß ich nicht....



    Liebe Grüße nochmal euch beiden und Danke für eure hilfreichen Beiträge!

  • Zitat

    Original von mimmi
    Da gehen sie jahrelang zur Grundschule, alles ist gut, dann wechseln sie aufs Gymnasium und kassieren nur noch 5er und 6er und das jetzt schon seit den Sommerferien.


    Noch ein anderere Gedanke dazu:


    An einem Infoabend, bei dem Lehrer von allen weiterführenden Schulen der Umgebung an unserer Grundschule waren, sagte eine Beratungslehrerin von einem Gymnasium etwas, das ich seitdem immer wieder gerne Eltern weitergebe: Überlegen Sie gut, wie die Noten ihres Kindes zustande gekommen sind. Haben Sie Ihr Kind intensiv unterstützt? Hat es regelmäßig und mit Ihrer Hilfe für die Proben lernen müssen? Wenn Ihr Kind "nur" auf diesem Wege ein 2 erreicht hat, dann kann Ihr Kind zwar aufgrund der Noten aufs Gymnasium wechseln, wird es dort aber sehr schwer haben.


    Du beschreibst zwar das eine Elternpaar als nicht sehr interessiert, aber das steckt auch oft hinter den guten Noten.


    Petra

  • Zitat

    Original von Petra:
    An einem Infoabend, bei dem Lehrer von allen weiterführenden Schulen der Umgebung an unserer Grundschule waren, sagte eine Beratungslehrerin von einem Gymnasium etwas, das ich seitdem immer wieder gerne Eltern weitergebe: Überlegen Sie gut, wie die Noten ihres Kindes zustande gekommen sind. Haben Sie Ihr Kind intensiv unterstützt? Hat es regelmäßig und mit Ihrer Hilfe für die Proben lernen müssen? Wenn Ihr Kind "nur" auf diesem Wege ein 2 erreicht hat, dann kann Ihr Kind zwar aufgrund der Noten aufs Gymnasium wechseln, wird es dort aber sehr schwer haben.



    Schade nur, dass nicht alle so knallhart Klartext reden. In den letzten Jahren hatte ich erst einmal einen Infoabend, bei dem das so klar auch gesagt wurde.



    Bibo

  • also ich habe diese deutlichen worte dieses jahr auch auf dem oben genannten infoabend gehört.
    leider hatte ich den eindruck, dass das die eltern nicht annehmen wollen/können/...

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