Eltern können sooo anstrengend sein...

  • Hallo zusammen!
    Ich lese hier schon lange still mit, aber heute hab ich das Gefühl, ich muss mich hier mal ein bißchen abreagieren ...
    Ich bin Sonderpäd. im Gemeinsamen Unterricht und hatte in den letzten Wochen und Tagen ganz viele Elterngespräche, vor allem mit den Eltern "meiner" Viertklässler wegen des Übergangs in die Sek I. Und ich krieg nochmal echt zu viel! Gerade mal ein einziger Vater stimmt mit meiner (und der der jeweiligen Klassenlehrerin) Einschätzung über weitere Möglichkeiten überein. Alle anderen unterstellen mir quasi Böswilligkeit, weil sie die Fähigkeiten ihres Kindes völlig falsch einschätzen. Ich mein, ich bin ja auch nicht unfehlbar, aber einem L-Kind, dass in der vierten Klasse im ZR 100 rechnet und nur sehr, sehr mühsam lesen und schreiben kann und das obwohl es sehr motiviert und angestrengt ist, abzuverlangen, einen Realschulabschluss zu machen? Völlig unrealistisch! Das Kind saß dabei und hatte Tränen in den Augen, weil es genau weiß, dass es die Anforderungen des Vaters nicht erfüllen kann!
    In einem anderen Gespräch ging es nur darum mir und der KL Vorwürfe zu machen, wir würden das Kind nicht ausreichend fördern, weil wir ihm nicht immer Unterstützung geben, sondern tatsächlich verlangen, dass es seinen Kopf gebraucht! Und bei wieder einem anderen Gespräch ein ähnliches Thema, aber null Bereitschaft, zu Hause mitzuarbeiten. Das Kind bringt nicht einmal Hefte, Mappen, Stifte usw. mit zur Schule! Aber Hauptsache man kann sagen, dass Kind besucht die Regel- und nicht die Förderschule...
    Oder aber ein Kind mit Förderschwerpunkt Sprache (4. Klasse!): "Tetört tas da?" (soll heißen: Gehört das dahin?). Das Kind hat keine Schwierigkeiten, es braucht keinen Logopäden! Nö, ach, wozu auch....uuuuäää! Ich könnt grad platzen!
    Könnt ihr mich wieder aufbauen? Bitte?


    Liebe Güße,
    Hollyda

  • Ist einfach gesagt, aber versuch das nicht persönlich zu nehmen.
    Alles was wir als Lehrer machen können ist ein Angebot, aber wir können niemanden zwingen es anzunehmen (gilt für Schüler, wie für Eltern).
    Und wenn dein Angebot hinreichend gut ist (und davon gehe ich jetzt einfach mal aus) brauchst du dir keinerlei Vorwürfe machen zu lassen.
    Und wenn es irgend jemand nicht gut genug ist kann er sich ja am Bildungsmarkt nach einem besseren Angebot umsehen.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Ich fand bei den Gesprächen auch spannend, als ich sagte, dass ich das etwas anders sehe, die Antwort:


    "Jaja, Sie sehen ja immer alles anders.
    MEIN Kind ist kein Realschulkind" (naja).
    Ist klar: letzte Mathearbeit 3, letzte Deutsch Rechtschreibarbeit 3 und letzte Deutscharbeit 4- (nur mit Wohlwollen, da ich wusste, dass die Mutter sie einen Kopf kleiner macht). Klar - eindeutig Gymnasium!


    Kind sagte gar nichts und saß nur mit Tränen in den Augen da, als die Mutter auf sie einredete: "Na, da weißt du ja, was das bedeutet für den Rest des Schuljahres: lernen, lernen, lernen...."


    Ganz klar: Eigenverantwortliches Lernen....!


    *lach*

  • Puh, da bin ich ja froh, dass ich nicht die einzige bin, die aus purer Bösartigkeit Lebenschancen verbaut und überhaupt das kleine Genie im Kind nicht wahrhaben will und es stattdessen unterdrückt! :baby: Ich bin ja schließlich auch noch jung, hab keine eigenen Kinder und kann sowieso nicht sehen, welche Potentiale in einem Kind schlummern! Und wenn ich es sehe, dann kann ich das Kind einfach nicht leiden und förder es deshalb nicht angemessen!


    Steffen, ich weiß, ich sollte das nicht persönlich nehmen, aber wenn man in 2 Wochen in 8 Elterngesprächen (allerdings 8 verschiedene Klassen, 8 verschiedene Klassenlehrer und 3 Schulen...) so einen Mist hört.... dann wird man wütend! Ich meine, ich kann sagen, ich tue, was mir unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, aber meinen Zauberstab, den vergess ich doch immer wieder zu Hause. Und dann kann ich in die Kinder natürlich nichts reinzaubern, ist ja klar! 8o


    Vielen Dank für eure Antworten! Das baut mich wirklich etwas auf!

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    (4. Klasse!): "Tetört tas da?" (soll heißen: Gehört das dahin?). Das Kind hat keine Schwierigkeiten, es braucht keinen Logopäden! Nö, ach, wozu auch....uuuuäää! Ich könnt grad platzen!

    8o8o


    Ich bin so dankbar, dass ich an einer Oberstufe bin, ich bin ja so dankbar, dass ich ...


    Nee, im Ernst: ihr habt meinen vollen Respekt. Beneiden tu' ich euch allerdings keine Sekunde.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • :D Naja, ich wollte es ja nicht anders!
    Und ist ja auch (fast) alles gut und schön, wenn da nicht immer wieder so unvernünftige Eltern wären, mit denen ich mich auseinandersetzen muss! Die sind tausendmal anstrengender als die Kids! :rolleyes:

  • Das ist etwas, das wir zunehmend auch an den reinen Förderschulen (ich spreche jetzt mal nur für LH, KB und PB) erleben.
    Gerade natürlich in den unteren Klassen, wo die Eltern im Prinzip am Anfang "ihrer" Schulkarriere damit konfrontiert werden, was ihr Kind alles nicht so kann wie andere Kinder.
    Gerne dann wieder in den höheren Klassen, wenn nicht sicher ist ob ihr Kind den Hauptschulabschluss schafft oder doch den Lernhilfeabschluss machen muss etc.


    Behinderungsverarbeitung wird anscheinend mittlerweile sehr gern auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen.
    Mein letztes Schuljahr war die Hölle diesbezüglich.

    ~ Wenn ihr mich sucht, ihr findet mich im Zwiespalt. ~

  • Mir tun die Kinder so unglaublich leid! Mein Co. und ich haben letzte Woche mit einem Mädchen, 10. KLasse gesprochen, die aus unserer Sicht das Abi nicht machen sollte, weil sie es nicht schaffen wird, sie schaut uns traurig an "Ich muss aber. Bei meinen Eltern geht das gar nicht anders." Heute war die Mutter zum Gespräch da, dezent thematisieren wir, ob es denn das Abi sein muss, Antwort: "Ja, klar! Ohne Studium geht gar nichts, das will sie selber unbedingt!"


    Wenn Kinder die Erwartungen nicht erfüllen, müss(t)en wir Lehrer die Bösen sein und die unangenehmen Entscheidungen treffen, damit die Kinder nicht an der falschen Schulform unter dem Druck der Eltern leiden.

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Ich stimme mit Kiray überein, dass es für viele Gymnasiasten besser wäre, nach der mittleren Reife abzugehen und einen anderen Weg zu verfolgen - ich glaube, die psychische Komponente wird sehr unterschätzt. Immerhin sind die Jugendlichen an dieser Stelle in einem von den Jahren her "erwachsenennahen" Alter (gerade die Schwächeren haben eventuell schon mal wiederholt, da sind einige schon 18!), in dem sie allmählich mit etwas Respekt behandelt werden wollen und auch sollten - stattdessen wird den sehr schwachen Schülern der Oberstufe dann immer wieder vor Augen geführt, dass sie den Anforderungen im Prinzip nicht genügen. Das geht enorm aufs Selbstbewusstsein (auch wenn es gerade die Jungs oft gut verbergen) und danach ist die seelische Ausgangslage für die "Weiterbildung" denkbar schlecht.
    Schon der Wechsel auf eine Fachoberschule (wenn denn ein Studium danach unbedingt angestrebt werden soll) bringt da eine spürbare Erleichterung - die Ausrichtung ist viel "realitätsnaher" und die "Klientel" doch eine andere.
    Wenn dann ganz plötzlich "der ganz große Schub" erfolgt, kann man zumindest in Bayern dann in einem draufgesetzten Jahr auch noch ein "echtes" Abitur nachmachen - aber ist sicher weniger gefrustet und dadurch selbstbewusster.


    Ich würde mir wünschen, dass man mehr Eltern diese Komponente der Persönlichkeitsbildung klar machen könnte - ich kenne aber auch etliche, die das eh schon so sehen und ihr Kind z.B. genau aus diesem Grund trotz "mittelmäßiger" Noten vom Gymnasium genommen haben, weil sie merkten, dass der Druck einfach zu groß war.


    Bei den Förderschülern denke ich, dass man Angst und Verdrängung bei den Eltern nicht unterschätzen sollte (natürlich sollten nicht die Lehrer dafür herhalten müssen) - und viele Eltern haben nach einer quälend langsamen Entwicklung den Blick für das "normale" Maß verloren....

  • Zitat

    Original von Blau:
    Ich würde mir wünschen, dass man mehr Eltern diese Komponente der Persönlichkeitsbildung klar machen könnte - ich kenne aber auch etliche, die das eh schon so sehen und ihr Kind z.B. genau aus diesem Grund trotz "mittelmäßiger" Noten vom Gymnasium genommen haben, weil sie merkten, dass der Druck einfach zu groß war.


    Ist ja schön, dass zumindest nach einigen Jahren die Realität wieder gesehen wird. Ich hatte vor einigen Tagen Elternsprechabend und habe immer noch nicht aufgehört den Kopf zu schütteln. Vor allem die Schüler, die eher nicht auf das Gymnasium sollten, haben Eltern die meinen, sie hätten einen neuen Einstein produziert. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht qualifiziert genug zu erkennen, dass in meiner Klasse die Intelligenz besonders großzügig verteilt wurde. ?(
    Und die Kinder, die wirklich auf das Gymnasium sollten, haben dann Eltern, die mich zweifelnd fragen, ob sie das wirklich tun sollen. 8o



    Bibo

  • Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, daß er genug davon habe.
    (René Descartes)

  • Zitat


    Und die Kinder, die wirklich auf das Gymnasium sollten, haben dann Eltern, die mich zweifelnd fragen, ob sie das wirklich tun sollen. 8o



    Bibo


    Dito. Das hat mich auch überrascht. Da waren einige gar nicht so begeistert und haben sich große Sorgen gemacht.


    Ich bin froh, dass ich alle Gespräche hinter mir habe. Eigentlich lief es gar nicht schlecht, aber die Einschätzung der Eltern (die ja nicht dabei sind, wenn Arbeitsverhalten oder Sozialverhalten stattfinden, sondern immer nur zu Hause) also diese Einstellung, die geht teilweise so weit von dem ab, was sich tatsächlich ereignet.


    Aber sie wissen immer alles besser.... X(

  • Ich hab auch den ganzen Stress hinter mir... alle Gespräche sind ganz gut gelaufen... und ich bin jetzt erstmal krank. Auch ein Zeichen. *g*
    Aber ich hatte nur zwei Eltern, die ich aus den Gymnasienträumen holen musste und die das eigentlich ganz gut aufgenommen haben. Dafür hatte ich mindestens fünf Gymnasialkinder, bei denen die Eltern Angst vor der neuen Schule hatten... meinen Sie nicht, eine gemütliche kleine Realschule ist besser für unser Schätzchen? Den Eltern musste ich Mut machen. Trauen Sie ihrem Kind ruhig etwas zu.
    Die Eltern, deren KInder eine Hauptschulempfehlung bekommen sollten, rechneten zwar damit, brachen aber trotzdem fast in Tränen aus. Hauptschule! Frau caliope, damit kann man doch heute gar nicht mehr machen! Da musste ich auch Mut machen.
    Schwierig... und vor allem so arbeitsintensiv und zeitintensiv in der Vorbereitung... aber wie schon erwähnt, waren es eigentlich sehr gute Gespräche. Und ich muss zugeben, dass Elterngespräche eins der Dinge sind, die ich an dem Job mag und die ich gerne und auch gut mache.

    Das Leben ist unberechenbar. Iss das Dessert zuerst!

  • Ich habe die ganzen Gespräche noch vor mir, aber ich hege die Hoffnung, dass alles relativ glatt läuft. Ich habe ziemlich verständnisvolle Eltern in meiner Klasse.
    Dazu kommt noch, dass ich keine Hauptschulempfehlungen mehr aussprechen darf. Falls ich jemanden für diese Schulform vorsehe, dann muss ich die Empfehlung Realschule plus oder IGS aussprechen. Das kann ein Vorteil sein, obwohl ich von diesen Schulformen noch nicht wirklich überzeugt bin.
    Naja, ich lasse es jetzt mal auf mich zukommen.


    Wie viel Zeit hattet ihr eigentlich für die Eltern eingeplant? Bei meinem letzten Durchgang hatte ich immer relativ viel Leerlauf zwischen den einzelnen Gesprächen und das will ich irgendwie verhindern.


    ~Corvi

    Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig. ~Albert Einstein

  • Zitat

    Original von Blau
    ... Alter, in dem sie allmählich mit etwas Respekt behandelt werden wollen und auch sollten ...


    Ich würde das mit "als Erwachsene behandelt werden sollten" bezeichnen. Respekt habe ich ja grundsätzlich für jeden Schüler, und nicht selten mehr Respekt für meine 6er als für meine Oberstufenschüler.

    "Die Welt ist kein romantischer Ort mehr.
    Einige Menschen in dieser Welt sind es aber trotzdem noch.
    Und darin liegt die Hoffnung…
    Lass die Welt nicht gewinnen, Ally McBeal."

  • Zitat

    Original von Hollyda
    Das Kind saß dabei und hatte Tränen in den Augen, weil es genau weiß, dass es die Anforderungen des Vaters nicht erfüllen kann!


    Solche Gespräche würde ich NIE mit Anwesenheit des Kindes führen!


    Ansonsten kommt mir das, was du berichtest sehr bekannt vor. Ich denke, dass viele (Lern-) Schwierigkeiten von Kindern im schulischen Umfeld viel gravierender auftreten als im häuslichen und es einige Eltern daher sehr schwer fällt, ihr Kind realistisch einzuschätzen (man sieht halt auch das, was man will...)


    Gruß, Andi

  • Zitat

    Solche Gespräche würde ich NIE mit Anwesenheit des Kindes führen!


    Klar, das Kind war natürlich nicht die ganze Zeit dabei! Das war die direkte Gesprächseröffnung des Vaters, bevor ich überhaupt ganz zur Tür reingekommen bin! Und das Kind hatte mir vorher auch schon erzählt, dass Papa möchte, dass es zur Realschule geht, und das Kind hatte ganz offensichtlich diese Gespräche auch schon zu Hause...
    Ich kann mir schon vorstellen, dass es für Eltern von Kindern mit sonderpäd. Förderbedarf besonders schwer ist, zu akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Totzdem ist das echt anstrengend und nicht schön, immer der Buhmann zu sein... X(

  • Zitat

    Original von BillyThomas
    Ich würde das mit "als Erwachsene behandelt werden sollten" bezeichnen. Respekt ....


    (Ich hab gleich nachgeguckt: Deutschlehrer..... :D ;) )


    Aber Du hast natürlich völlig recht mit Deinem "Verbesserungsvorschlag: Das hab ich (ungefähr - mit etwa 16 sind sie halt noch nicht ganz erwachsen.... Wie wär's mit "auf Augenhöhe"??) so gemeint. War wohl einfach wegen der Länge des Beitrags (*sorry*) nicht richtig "durchformuliert" - danke für die Anmerkung.

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