Veränderung der Aufgabenformulierung bei Deutsch-Abiturprüfungen ab 2010

  • Ich war gestern auf einer Implementierungs-Veranstaltung für das Fach Deutsch für die Abi-Prüfung 2010.
    Eine Evaluation der Prüfungsergebnisse an der Uni Jena hat ergeben, dass es zu viele schlechte und mittlere Leistungen gibt. Man will nun, so heißt es mehr oder weniger wörtlich, "die Zahl der guten und exzellenten Arbeiten" steigern und wird in Zukunft wohl deutlich differenziertere Aufgabenstellungen geben.
    Also nicht mehr "Analysieren Sie den Text", sondern " ..., indem Sie den Inhalt zusammenfassen und dann den Text in Bezug auf x, y und z" untersuchen.
    Der Grund für die Veränderungen sei offensichtlich politischer Art ...


    Die Gefahr, die ich hier sehe, ist, dass ein Schüler das Gefühl hat, nach der Darstellung, der ausschließlichen Darstellung von x, y und z, "alles" geschrieben zu haben.
    Außerdem bezweifle ich, dass es wirklich "studierfähig" macht ...


    Was haltet ihr davon?

    • Offizieller Beitrag

    Hi,


    ich antworte mal aus einem anderen Bundesland und Schulform. Bei uns sind in der Abschlussprüfung solche Fragestellungen normal und angemessen.


    Heißt also: Angemessen, weil an der Realschule zwar mit Texten gearbeitet wird, aber nicht in dem Ausmaß und der Tiefe, dass der Realschüler der zehnten Klasse sich damit wirklich tiefer eigenständig beschäftigen kann. Daher diese Aufgabenstellungen. In der 10. Klasse! Realschule!


    Ich selbst habe Abitur gemacht in NRW vor 20 Jahren mit Aufgabenstellungen wie "Vergleichen Sie die beiden Texte." (Wenn sich mein greises Haupt recht erinnert) Diese Art der Aufgabenstellung finde ich heute noch angemessen, am Gym. Im Abitur ohnehin. Alles andere ist Weichspülerei.


    Gr.


    H.

  • Zitat

    Original von Aktenklammer
    Also nicht mehr "Analysieren Sie den Text", sondern " ..., indem Sie den Inhalt zusammenfassen und dann den Text in Bezug auf x, y und z" untersuchen.
    Der Grund für die Veränderungen sei offensichtlich politischer Art ...


    Die Gefahr, die ich hier sehe, ist, dass ein Schüler das Gefühl hat, nach der Darstellung, der ausschließlichen Darstellung von x, y und z, "alles" geschrieben zu haben.
    Außerdem bezweifle ich, dass es wirklich "studierfähig" macht ...


    Was haltet ihr davon?


    Ich habe die Diskussion um die Anweisung "analysieren Sie" mitverfolgt und kenne den analogen General-Operator "interpretieren" aus dem Fach Geschichte, wo er immer noch sein Dasein fristet und eventuell weiterhin im Abitur tückisch aus dem Hinterhalt zuschlagen kann...


    Ich halte die Änderung für hochgradig sinnvoll und überfällig, vor allem, weil die Aufgabenstellung "analysieren Sie" ohne konkretisierende Zusätze hermeneutisch-methodologisch fehlerhaft ist. Eine hermeneutische Herangehensweise an einem Text ist immer problemorientiert und an eine Fragestellung gebunden. Es gibt in der "wirklichen Welt", in der man so Texte analysiert, also in den Feuilletons oder in der Wissenschaft, kein kochrezepthaftes Abarbeiten von Schritten, die zu einer vorhersehbaren Lesart führen, was ja in einem zentralen Prüfungsverfahren vorausgesetzt wird - das ist ein schulisches Kunstprodukt und gehört abgeschafft.


    Wissenschaftspropädeutisch sollte die Schulinterpretation auf die literaturwissenschaftliche Interpretation hinarbeiten - also auf die methodisch präzise und quellenfundierte Beantwortung einer Problemfrage. Eine sinnvolle Problemfrage zu finden, ist meiner Meinung noch einmal ein ganz anderer Schnack und eher Lerngegenstand des literaturwissenschaftlichen Proseminars.


    Ich sehe nicht die Gefahr, dass bei einer Problemkonkretisierung die Schüler auf dem Niveau des Aufgabenbereiches I stehenbleiben. Man muss ihnen eben beibringen, was an "untersuchen" alles dranhängt.


    Nele

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von neleabels



    Ich halte die Änderung für hochgradig sinnvoll und überfällig, vor allem, weil die Aufgabenstellung "analysieren Sie" ohne konkretisierende Zusätze hermeneutisch-methodologisch fehlerhaft ist. Eine hermeneutische Herangehensweise an einem Text ist immer problemorientiert und an eine Fragestellung gebunden. Es gibt in der "wirklichen Welt", in der man so Texte analysiert, also in den Feuilletons oder in der Wissenschaft, kein kochrezepthaftes Abarbeiten von Schritten, die zu einer vorhersehbaren Lesart führen, was ja in einem zentralen Prüfungsverfahren vorausgesetzt wird - das ist ein schulisches Kunstprodukt und gehört abgeschafft.


    Aber ist nicht grad in der Literaturwissenschaft entsprechend der Textform auch der grundsätzliche Interpretationsansatz vorgegeben? Denn: wieviele Möglichkeiten gibt es denn, ein Gedicht zu analysieren, inklusive passendem Vokabular, Methodik...? Und: deine Feuilletons gehst du doch auch anders an als ein Büchner-Drama?


    Deutung und Interpretation mag meinem Verständnis nach problemorientiert sein, aber der vorangehende Analyseweg entspricht relativ festen Vorgaben. Eine problemorientierte Analyse scheint mir eher fehlerhaft, weil sie die Deutung schon vorweg nimmt.


    Gruß


    H.

  • Ich bin ja genau in dem Metier... und habe die Erfahrung gemacht, dass die Schüler (trotz genauer Vorbesprechung der Operatoren...) nicht wissen, was sie machen sollen! Und natürlich dann meist prompt das Falsche machen... :rolleyes:


    Wenn ihnen dieser Zusatz "indem Sie..." hilft, wenigstens die Aufgabenstellung zu verstehen, hätte ich sicher weniger Frust beim Korrigieren der Abi-aufsätze... ;)


    Ich bin dafür! :)

  • Mal sehen, wie es wird.


    ... ich frage mich allerdings, ob jemand, der mir unter die Analyse des Gedichts "Für einen" allen Ernstes schreibt, dass ihm das Gedicht gefallen habe, weil er auch gerne segle, weit kommt ...


    Für Einen
    Die Andern sind das weite Meer.
    Du aber bist der Hafen.
    So glaube mir: Kannst ruhig schlafen,
    Ich steure immer wieder her.


    Denn all die Stürme, die mich trafen,
    Sie ließen meine Segel leer.
    Die Andern sind das bunte Meer,
    Du aber bist der Hafen.


    Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
    Kannst Liebster, ruhig schlafen.
    Die Andern...das ist Wellenspiel.
    Du aber bist der Hafen.
    (Mascha Kaléko, 1912-1975)

  • Mich beschäftigen ebenfalls die Änderungen der Implementierungsveranstaltung, es geht ja nicht nur darum, dass "indem"-Formulierungen verwendet werden sollen, sondern, dass deutliche Hinweise auf die Interpretation in der Aufgabenstellung vorgegeben werden, z.B. in der Sachtextanalyse: Weisen Sie die Position X des Autors nach.


    Wie geht ihr denn jetzt in der Fachschaft mit diesen Vorgaben um? Gibt es Beispiele für diese Formulierungen? Gibt es irgendwas dazu im Netz zu finden (war leider selber nicht auf der Veranstaltung) Bis zum Abi ist es nicht mehr so ganz weit...

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Eine der Aufgaben aus dem letzten LK-Abitur, nämlich die Aufgabe zu "Kassandra" und dem Vergleich mit "Don Carlos" entspricht der zukünftigen Art der Aufgabenstellung.
    So genau wissen sie es aber wohl noch nicht.


    Es soll aber in Zukunft genauere Entsprechungen im Bewertungsbogen geben, ähnlich eben wie der Bezug zwischen der oben genannten Aufgabenstellung und dem dazu gehörigen Bogen.

  • Habe mir die Kassandra-Klausur angeschaut und finde diese Art der Aufgabenstellung für eine zentrale Prüfung gar nicht verkehrt, so weiß wenigstens jeder, was auf jeden Fall geleistet werden muss. Dass SuS glauben damit sei alles geleistet, kann ich nachvollziehen, aber man kann sie ja vorher trimmen, dass sie mehr machen als das angegebene.


    Aktenklammer: Gibt es irgendwo im Netz denn diese gesammelten Erkenntnisse? Habe gesucht, aber nichts gefunden.

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Ich weiß nicht, ob es diese Ergebnisse im Netz gibt. Ich weiß nur, dass es eine Prof. Juliane ..... von der Uni Jena ist.
    Man hat uns aber eine E-Mail-Adresse gegeben, unter der man uns die Folien der Veranstaltung u.a. zuschicken will.

  • Okay, ich mache Fortschritte, habe mitlerweile begriffen, dass wir Lernaufgaben induvidualisieren und konkretisieren, sodass auch schwächere SuS besser anknüpfen können. Statt "Gib den Inhalt des Textes in eigenen Worten wieder" sage ich " Der Autor schätzt Sachverhalt X negativ ein, nenne die Argumente, auf die er sich sützt!" Ich gebe also in der Fragestellung schon Interpretationshilfe.


    Noch nicht verstanden habe ich, welche Konsequenz das jetzt für die Aufgabenstellung in Leistungssituationen hat. Wie sehen meine Klausuren und auch die Abiklausuren aus? ?(

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

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