auffälliger Schüler - und nun?

  • Nach Winnenden sollen wir Lehrer noch genauer nach auffälligen Schülern (also auch extrem introvertierte) Ausschau halten. In meiner Klasse habe ich zehn davon. Drei sind sehr auffällig, dies haben auch Kollegen bestätigt. Und nun?


    Der Beratungslehrer ist nur für die Schullaufbahn zuständig.
    Sozialarbeiter haben wir bei uns nicht.
    Empfehlung einer psychiatrischen Behandlung geht nur mit Zustimmung der Eltern - aber die sind oft Teil des Problems.


    Also: was kann man mit solchen Schülern nun konkret tun - außer dass man nach Vorfällen (muss ja nicht gleich ein Amoklauf sein) sagen kann: "Bei dem hätte man sich das denken können".


    Irgendwie bin ich da hilflos und bitte um Tipps, da ich wirklich etwas unternehmen will, wenn ich den Eindruck habe, dass Schüler Probleme haben. Gespräche mit den Schülern habe ich schon geführt und eben dadurch den Eindruck bekommen, dass manche davon Hilfe brauchen.

  • Hi German,
    wenn du und deine Kollegen den Eindruck haben, dass der eine oder andere dieser Schüler sehr auffällig ist, dann würde ich mit diesen Schülern das Gespräch suchen. Schon allein, dass sich jemand für ihn interessiert und seine Wünsche und Ziele kennen lernen möchte, dürfte ihn aufbauen und ihn aus dem Abseits entfernen. Trotzdem solltest du vielleicht doch mal mit deiner Schulleitung sprechen, wenn du glaubst, dass der/die Schüler sehr auffällig ist/sind.
    An unserer Schule gibt es ein Coaching-System, bei dem Lehrer zusammen mit Sozialpädagogen "schwierige" und auffällige Schüler unterstützen und ihnen auch das Gefühl geben, dass sie nicht allein gelassen werden. In regelmäßigen Abständen werden sie nach ihren Zielen und ihrem Einsatz, wie sie diese Ziele erreichen wollen, gefragt und dann ermittelt, inwieweit sie auf dem richtigen Weg sind.
    Die Rückmeldungen der gecoachten Schülern ist sehr positiv. Viele sind schon erfreut und überrascht, dass sich die Lehrer für sie interessieren und sich Zeit nehmen. Für die Coachinggespräche wurde im Stundenplan aber auch Stunden eingeplant, die du leider nicht zur Verfügung haben wirst. Dann bleibt nur die Zeit in den Pausen und nach Unterrichtsende.
    Gib doch mal bescheid, was du unternommen hast.
    Grüße

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Der Beratungslehrer ist nur für die Schullaufbahn zuständig.

    ? Echt? Bei uns heißen so genau die, die für sowas zuständig sind.
    Wie dem auch sei: frag doch die Schüler selbst - das ist immer das erste was ich tue - mich für sie interessieren: wie es ihnen geht, was sie sich wünschen, wo sie evtl Probleme haben etc... das ist bei vielen schon ein ganz wichtiges Element des Besserfühlens - zu wissen "Da ist einer, den interessiert es wirklich, wie es mir geht."


    Aus dem, was sie dir erzählen, könnten sich dann ggf weitere Ansprechpartner oder Unterstüzungsmaßnahmen egeben...

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Coaching System klingt interessant. Kannst du da nähere Infos geben. Und wie kommt man an die Sozialpädagogen?
    Stunden haben wir nicht, aber die "Kaffeegespräche" führe ich sowieso außerhalb der Unterrichtszeit.


    Wie gesagt, die Gespräche mit den Schülern habe ich schon geführt. Aber ich habe keine therapeutische Ausbildung und stoße doch an Grenzen.


    Die Schüler sind übrigens alle 16 Jahre und älter.

  • Zitat

    Original von German
    Der Beratungslehrer ist nur für die Schullaufbahn zuständig.


    Sicher? Wir bei uns (Nds) haben auch Beratungslehrer an der Schule. Die haben auch die Aufgabe, Schüler und Schülerinnen bei persönlichen Problemlagen zu unterstützen. Wenn ich das Gefühl habe, jemand könnte so ein Beratungsgespräch gut gebrachen, schicke ich ihn oder sie dahin (natürlich anschließend nachhaken, ob das Angebot tatsächlich genutzt wurde).


    Unsere Beratungslehrer bekommen für die Tätigkeit auch eine Stundenentlastung.


    Man beachte in diesem Zusammenhang auch:

    Zitat

    Statement von Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann zum Amoklauf von Winnenden

    "Die furchtbaren Ereignisse in Winnenden haben mich tief erschüttert. Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Eltern, den Mitschülerinnen und -schülern sowie dem Lehrerkollegium der Albertville-Realschule.


    Niemand kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen, welche Ursachen es für diese grausame Tat gibt. Niemand kann Gewaltvorfälle in Schulen mit hundertprozentiger Sicherheit verhindern. Es ist aber von besonderer Bedeutung, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für umfassende Prävention zu schaffen."


    http://www.mk.niedersachsen.de…jsp?C=54138595&I=579&L=20


    Unser MP Christian Wulff in seiner Aktion zur Sicherung des Unterrichtsversorgung o.g. Stundenentlastung für Beratungslehrer vor kurzem gerade gekürzt hat, da es die Landesregierung in den letzten Jahren konsequent versäumt hat, dem sich durch die Rückzahlung des Arbeitszeitkontos ergebenden Lehrermangel ausreichend zu begegnen:

    Zitat

    13. Ca. 10 % der Anrechnungs- und Entlastungsstunden der Lehrkräfte zur freien und flexiblen Vergabe durch die Schulleitung werden vorübergehend für zwei Jahre reduziert und anschließend wieder gewährt. Die Entlastungsstunden für Beratungslehrkräfte werden für diesen Zeitraum um eine Stunde reduziert.


    http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C53714580_L20.pdf


    Fazit: Solange die verantwortliche Poltik das Problem nicht ernst nimmt, sollte das die gemeine Lehrkraft auch nicht tun.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    Einmal editiert, zuletzt von Mikael ()

  • Zitat

    Original von Mikael


    Fazit: Solange die verantwortliche Poltik das Problem nicht ernst nimmt, sollte das die gemeine Lehrkraft auch nicht tun.


    Das Problem ist nur, dass die gemeine Lehrkraft in die tatsächliche Schusslinie geraten kann, die verantwortliche Politik nur in die sprichwörtliche.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Die Entlastungsstunden für Beratungslehrkräfte werden für diesen Zeitraum um eine Stunde reduziert.

    In Hessen würde das bedeuten, dass die Stundenentlastung auf genau Null Stunden reduziert werden würde. Wir haben nämlich nur eine. Dass die, was den Arbeitaufwand angeht, etwa im Verhältnis 1:10 steht, brauch ich ja nicht erklären. Und um die müssen wir noch jedes Jahr kämpfen, wobei es uns dabei eher um die wenigstens symbolische Wertschätzung der Arbeit geht.



    On topic: Man kann sich auch externe Kräfte für diverse Ich-Stärkungs-Trainings in die Klasse holen. Wenn du so viele problembeladene Schüler hast, erreichst du sicher den einen oder anderen und denen, die du nicht "meinst" schadet es ganz bestimmt auch nicht.

  • Zitat

    Original von German
    Wie gesagt, die Gespräche mit den Schülern habe ich schon geführt. Aber ich habe keine therapeutische Ausbildung und stoße doch an Grenzen.


    Ich denke, du machst schon das Wesentliche. Über das normale erzieherische Wirken im Unterricht und dem schulischen Kontext ist unsere Kompetenz schlicht erschöpft. Was wir tun können, ist Hilfe zu koordinieren und vernetzen. Was ich sowohl unerträglich als auch unprofessionell finde ist, wenn Kollegen diagnostizieren X hat ADHS, Y muss zu einem Logopäden usw.


    Der nächste Ansprechpartner bei Problemfällen ist in der Tat in B-W der Beratungslehrer (so es keinen Sozialarbeiter gibt). Seine Aufgaben findest du hier:
    http://www.schule-bw.de/lehrkr…atungslehrer/aufgaben.pdf
    Was der Kollege also von sich gibt, ist schlicht falsch.


    Ärgerlich ist es natürlich, dass ihr keinen Schulsozialarbeiter habt. Ich denke, es wäre dringend nötig, dass ihr versucht, an einen solchen zu kommen. Oft hat man dann auch Erfolg, wenn mehrere Schulen gemeinsam Bedarf anmelden und sich einen Sozialarbeiter "teilen".

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • Zitat

    Original von CKR


    Das Problem ist nur, dass die gemeine Lehrkraft in die tatsächliche Schusslinie geraten kann, die verantwortliche Politik nur in die sprichwörtliche.


    Von all den Lehrkräften, die vor Erreichen des Pensionsalters ausscheiden, werden die allerwenigsten erschossen. Stressbedingte Ausfallursachen überwiegen da eindeutig. Darum gebe ich Mikael in seiner Analyse auch absolut recht. Falls du Sorgen um spätere Vorwürfe hast: Schriftliche Notiz an Schulleitung, Kopie daheim in die Akten. Von der Politik lernen heist leben lernen ;)


    Gruß,
    Remus

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Zitat

    Original von Remus LupinVon all den Lehrkräften, die vor Erreichen des Pensionsalters ausscheiden, werden die allerwenigsten erschossen.
    Gruß,
    Remus


    Notfalls besorgt man sich halt sowas:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Schutzweste


    Rein defensiv und gar nicht einmal so teuer. Mit einem dicken Pullover fälllt das auch gar nicht auf. Hmmm, wenn ich so drüber nachdenke: Tragen doch einige bei uns einen dicken Pulli...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    • Offizieller Beitrag

    Hallo German,
    bei uns gibt es an der Schule auch eine Schulpsychologin, die wir uns allerdings mit einer anderen Schule teilen müssen- aber die ist sehr kompetent und wäre vermutlich in so einem Fall meine erste Anlaufstelle.
    Außerdem hat unsere Schule ein sogenanntes "Kriseninterventionsteam"- bestehend aus 4 Lehrern und 2 Eltern-das sich auch in solchen Fällen gerne ansprechen lässt.
    Hast du die Schulleitung informiert- natürlich ohne Panikmache? Was sagt die dazu? Wenn hier allerdings mit Schulterzucken reagiert wird, dann ist es recht schwer für dich, weitere Schritte zu unternehmen.
    Liebe Grüße
    Hermine

  • Zitat

    Original von German
    Coaching System klingt interessant. Kannst du da nähere Infos geben. Und wie kommt man an die Sozialpädagogen?
    Stunden haben wir nicht, aber die "Kaffeegespräche" führe ich sowieso außerhalb der Unterrichtszeit.


    Wie gesagt, die Gespräche mit den Schülern habe ich schon geführt. Aber ich habe keine therapeutische Ausbildung und stoße doch an Grenzen.


    Die Schüler sind übrigens alle 16 Jahre und älter.


    Bei uns an der Berufsschule sind die Schüler auch so alt.
    Nun, bei uns wurde für die Lehrkräfte eine Fortbildungsveranstaltung zum pädagogischen Gesprächstraining angeboten, die ich besucht habe. Es war sehr interessant und informativ. Dort wurde uns beispielhaft vermittelt, wie man "richtig" zuhört, Gesprächspausen "erträgt", paraphrasiert, reflektiert, Gesprächsstörer vermeidet, indirekte Fragen stellt usw.
    Grundhaltung bei allen Gesprächen mit den Schülern ist, ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen und bei ihnen Sicherheit und Vertrauen zu schaffen.
    Beim Gesprächstraining wurde z.T. auf Literatur verwiesen. Wenn du dich ein wenig in diesen Bereich einlesen willst, kannst du vielleicht ja mal bei Pallach/Kölln: Pädagogisches Gesprächstraining oder bei A. Fischer: Coaching an berufsbildenden Schulen reinschauen.
    Weiterhin bieten Jörg Schlee und Friedemann Schulz von Thun viel Material zur Weiterbildung an.


    Zum Thema Beratungslehrer kann ich nur sagen, dass unser Beratungslehrer viele Stunden ermäßigt bekommt (ich glaube, es sind sogar 4 oder 6 Stunden), doch irgendwie sehe ich in seinem Büro nie einen Schüler. Aber der Eindruck kann täuschen. Er scheint aber auch bei uns nur für die Laufbahnberatung zuständig zu sein. Dann haben wir eben noch 3 Vertrauenslehrer und 2 Sozialpädagogen, wovon einer fast den ganzen Vormittag bei uns in der Schule anwesend ist.


    Grüße

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