knapper Übertritt sinnvoll?

  • Bin gerade dabei an meinem Verstand zu zweifeln und hoffe auf ein paar Meinungen der Kollegen vom Gymnasium:


    Bei uns in Bayern läuft gerade der Endspurt zum Übertrittszeugnis. Und wie jedes Jahr knicken jetzt die Eltern, deren Kinder eigentlich auf die Realschule sollten, ein und "weil das Kind doch die Noten hat" soll es jetzt dann doch auf das Gymnasium gehen. Teilweise sind Kinder dabei, bei denen jetzt noch die letzten Proben über den letztendlichen Übertrittsschnitt entscheiden. Und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen sehen bei den meisten dieser Wackelkandidaten nicht wirklich goldene Zeiten am Gymnasium.


    Langsam frage ich mich aber auch, ob ich das zu schwarz sehe? :weissnicht:


    Welche Erfahrungen habt ihr denn gemacht?


    Bibo

  • Auch wenn jede Erfahrung subjektiv ist ... bitte nicht einknicken. Sollte sich der Grundschullehrer geirrt haben oder das Kind entwickelt sich später "positiv", kann es nach der Realschule immer noch an das Gymnasium bzw. über FOS/BOS das Fach- oder sogar das uneingeschränkte Abitur machen.


    Aber in unseren 5. Klassen (bin an einem bayerischen Gymnasium und unterrichte grad eine 5. Klasse in Englisch) sitzen wirklich Schüler, denen man nichts Gutes getan hat, sie auf das Gymnasium zu schicken. Sie SIND überfordert - und nächstes Jahr mit der zweiten Fremdsprache dann sowieso - und ein Frusterlebnis (schlechte Note) reiht sich an das nächste.


    Entgegen allen Propagandaaussagen, das G8 ist kein Selbstläufer, die Intensivierungsstunden, die als Allheilmittel beworben wurden, reichen nicht aus, fallen z.T. aus oder ab der 7. Klasse wieder ganz weg usw.


    Man tut dem Kind nix Gutes ... ich hab in meiner 5. Klasse drei Schüler, von denen ich fürchte, dass sie die 5. nicht schaffen werden. Letzte Woche dann doch mal die Übertrittszeugnisse und Gutachten angeschaut ... alle drei "bedingt geeignet". Ich gehe davon aus, dass das genau solche "Wackelkandidaten" waren.

  • Nighthawk, das kann ich absolut unterschreiben. Auch bei uns häufen sich die Fälle, wo die Schüler bereits in der 5. Klasse an ihre Grenzen kommen. Mir kommt es so vor, als wäre das noch vor ein paar Jahren nicht so gewesen, da gingen die Probleme doch meist erst so ab Klasse 7 los, oder? Auch mir fällt auf, dass diese Schüler meist als "bedingt" geeignet eingestuft waren. Die Übertrittsrate an die Realschulen von Klasse 7 und 8 "vom Gym runter" ist auch recht hoch. Allerdings weiß ich nicht, wie sich die Wechsler dann an der Realschule machen. Kann vielleicht jemand von den Ralschulkollegen mal was dazu schreiben, würde mich sehr interessieren? Hawkeye - wie machen sich die durchgereichten Gymnasiasten an der RS?

    • Offizieller Beitrag

    Ich unterschreibe das auch aus Realschulsicht. Wir nehmen ja die Gymnasiasten meist zur 7. oder 8. Klasse auf und oftmals haben diese Kinder am Gymnasium durch die ständige Überforderung 2 Jahre lang so gelitten, dass sie teilweise ziemliche Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein haben.


    Das Gleiche gilt übrigens auch für Realschüler, die nur durch das Zudrücken mehrerer Augen eine Realschulempfehlung bekommen haben. Ich denke, man tut den Kindern damit keinen Gefallen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich unterschreibe Nighthawks Sicht auch voll und ganz. Lass dich nicht überreden! Bei mir in der fünften Klasse sind es dieses Jahr sogar fast 30%(!), die jetzt bei uns bereits im Halbjahreszeugnis fast nur Vierer und eventuell sogar einen Fünfer hatten. Da graut es mir schon vor der zweiten Fremdsprache nächstes Jahr. Zum Teil fehlt es auch nicht nur an Fachwissen, sondern schlicht und ergreifend auch an der nötigen Strukturiertheit zum Arbeiten. Dass sich manche Kinder am Anfang noch weiterentwickeln und man nicht vorschnell urteilen sollte, denke ich schon auch, aber ihr Grundschullehrer kennt eure Pappenheimer doch auch schon ein paar Jahre und könnt deren Wissen doch einschätzen.
    Liebe Grüße
    Hermine




    Edit: gingergirl: Hawkeye hat dazu schon ein paar Mal was geschrieben und das war nicht besonders erfreulich. Die "durchgereichten" Gymnasiasten sind wohl ziemlich arrogant ("Ich kann das alles schon und auf der Realschule muss ich ja nix mehr tun!") , bekommen aber immer immer noch nix auf die Reihe.

    • Offizieller Beitrag

    hm oh...


    nacheinander -


    wie schon erwähnt, gymnasiasten kommen nahezu jedes halbjahr neue an unsere schule. zum überwiegenden teil wegen der zweiten fremdsprache. persönlich erlebe ich es jetzt mit einführung g8 nicht als schlimmer, da hat sich nicht viel geändert.


    als die rs hier von 4stufig auf 6stufig gehoben wurde, hat man gleichzeitig die übertrittsreglungen gelockert und hier machte ich die ähnliche erfahrungen wie oben angemerkt, dass nämlich die 5.en klassen zu gut einem drittel aus leuten bestand, die auf einer hauptschule besser aufgehoben wären.
    das problem dabei ist oftmals, dass diese schüler sich sehr schwer tun und sie aber oftmals sehr weit mit getragen werden. bis ende der 6.en klasse gibts kaum schweren stoff, vieles wird wiederholt, die kinder an die rs heran geführt. dann gehts in die wahlpflichtfächerklassen und spätestens ab der 8.en klasse können manche nicht mehr mithalten - dann wirds aber auch sehr knapp für einen wechsel an die hs.


    und ja, die gymnasiasten (dieses wort zu tippen ist schon ergh) - da habe ich ja schon anderswo was geschrieben. in meiner aktuellen 10. klasse sitzen 40% schüler vom gym, in den verschiedenen jahren seit der 7 dazu gekommen. der großteil ist 18 oder wird es in nächster zeit. da sehe ich das hauptproblem. die haben schulkarrieren hinter sich, wo ich durchaus nachvollziehen kann, wenn sie sich "freuen" mal nen status erreicht haben, wo sie nicht die looser sind.


    dennoch muss ich sie manchmal ausbremsen - vor allem, wenn sie sich damit groß tun, jetzt den führerschein zu haben....in der 10. klasse der realschule ;).


    ich höre und weiß das mit der spätentwicklung auch. aber ich halte es für sinnvoller die schulkarriere von unten nach oben aufzubauen und nicht auf biegen und brechen gleich das "oben" zu wählen.


    ich kann dir das jetzt nicht mit Statistiken untermauern, aber nur noch ein beispiel an letzter stelle.ich kannte eine schülerin, die mit 18 zum wiederholten mal die 9. klasse nicht geschafft hat (bzw das vorrücken auf probe nicht in der 10.). nach vielen augen zudrücken war nichts mehr möglich. die ging danach an die hauptschule in die 9. klasse und klagte mir dann ihr leid, dass sie mit 14jährigen zusammen sitzt. sie hat am gym wiederholt, an der realschule wiederholt, so oft es eben ging und bis zum schluss haben die eltern nicht realisiert, dass sie bei uns in einigen fächern einfach überfordert war. sie hätte locker einen quali machen können, dann eventuell m-zweig und wäre nun fertig. das wollte daheim aber niemand hören.


    grüße


    h.


    ps: ich habe auch aus lehrersicht mit der übertrittsregelung hier manchmal so meine schwierigkeiten. oftmals ist es so, dass die kinder keine empfehlung bekommen. trotzdem werden sie zu uns in den probeunterricht geschickt. den bestehen sie manchmal nicht oder nur sehr knapp und man gibt wieder keine empfehlung. und am ende landet das kind doch bei uns.
    da fragt man sich schon, warum vorher die gs-lehrerin und dann der rs-lehrer sich eigentlich die arbeit machen, wenn am ende dies alles - ohne begründung - ignoriert wird.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Hawkeye


    und ja, die gymnasiasten (dieses wort zu tippen ist schon ergh) - da habe ich ja schon anderswo was geschrieben. in meiner aktuellen 10. klasse sitzen 40% schüler vom gym, in den verschiedenen jahren seit der 7 dazu gekommen. der großteil ist 18 oder wird es in nächster zeit. da sehe ich das hauptproblem. die haben schulkarrieren hinter sich, wo ich durchaus nachvollziehen kann, wenn sie sich "freuen" mal nen status erreicht haben, wo sie nicht die looser sind.


    Hawkeye, das unterschreibe ich auch! Es gibt natürlich auch sehr lernwillige Schüler, die vom Gymnasium kommen, aber ich kenne auch viele ehemalige Gymnasiasten, die so sind, wie du sie beschreibst.


    Und Beispiele wie das der Schülerin, die am Schluss auf der Hauptschule landete, weil sie zu spät wechselte, kenne ich auch.


    Die Fächer, wegen denen die Gymnasiasten wechseln mussten, sind bei uns aber nicht nur die 2. Fremdsprache, sondern sehr häufig auch Englisch und Mathe, da am Gymnasium eben in einem viel schnelleren Tempo gearbeitet wird und diese Schüler außerdem oft Probleme mit dem Lern- und Arbeitsverhalten haben.

  • Danke für die Antworten!


    Ich hoffe ich wurde nicht falsch verstanden. Es geht nicht darum, dass jetzt um Noten geschachert wird. Fast alle Noten stehen bereits fest und bei uns gibt es grundsätzlich nichts für ist-aber-ganz-nett oder ähnliches. Meine Problemfälle lassen in zwei Gruppen einteilen:


    1. Notenschnitt mit angeblichem normalen Aufwand nur knapp geschafft. Arbeitsverhalten, Interesse und Begabung sprechen aber nicht wirklich für das Gymnasium oder die Realschule.


    oder noch schlimmer:


    2. Notenschnitt mit UNHEIMLICHEM Aufwand nur knapp geschafft. D.h. dem Kind musste permanent bei den Hausaufgaben geholfen werden, alle Inhalte des Vormittags mussten am Nachmittag komplett wiederholt werden. Zusätzlich gab es regelmäßig Nachhilfe und selbst vor dem Frühstück wurde noch gelernt für den Fall, dass eine Probe kommt.


    Nachdem in Bayern ja nur der Notendurchschnitt zählt, braucht man mich ja zu nichts überreden. Ich finde aber, dass einige Kinder mit 2,33 teilweise doch besser auf der Realschule aufgehoben sind, bzw. mit 2,66 auch eher auf der Hauptschule glücklich werden. Dahingehend berate ich auch die Eltern und jedes mal wieder das gleiche: 1,5 Jahre hört man: Ja, wir sehen das genauso, für das Gymnasium/die Realschule hat das Kind nicht die richtige Arbeitshaltung und es fliegt ihm/ihr halt nicht alles einfach zu, ...


    Und dann kommt März und April in der 4. Klasse: :explodier:


    Die Eltern haben teilweise einen verklärten Blick und ich höre wieder mal die Worte: Aber wenn das Kind doch möchte, aber das Kind hat doch die Noten, wir wollen unserem Kind nichts verbauen, das sieht doch so aus als würden wir nicht an unser Kind glauben, ....


    Und manchmal habe ich dann eben so kurze Phasen, in denen ich an allem zweifle. Haben wir mittlerweile nur noch Überflieger in den Klassen? Erkennen wir Lehrer keine wirklichen Begabungen mehr? Ist es vollkommen normal Übertrittsquoten von 80% und mehr zu haben?


    Aber ich kann es mir bei vielen Kindern der oben erwähnten ersten Gruppe und bei keinem Kind der zweiten Gruppe vorstellen, dass das klappen kann und wollte deswegen mal ein paar Meinungen hören von denen die da mehr Einblick haben. Denn fragt man Eltern vergangener Wackelkandidaten bekommt man meistens das zu hören: AAAALLES PRIIIIMA, könnte gar nicht besser sein, es war genau die richtige Entscheidung!


    Bin ja gespannt wie es ab nächstem Jahr dann mit dem Übertritt wird!


    Bibo, immer noch leicht genervt :hammer:

  • Zitat

    Bin gerade dabei an meinem Verstand zu zweifeln und hoffe auf ein paar Meinungen der Kollegen vom Gymnasium: Bei uns in Bayern läuft gerade der Endspurt zum Übertrittszeugnis. Und wie jedes Jahr knicken jetzt die Eltern, deren Kinder eigentlich auf die Realschule sollten, ein und "weil das Kind doch die Noten hat" soll es jetzt dann doch auf das Gymnasium gehen. Teilweise sind Kinder dabei, bei denen jetzt noch die letzten Proben über den letztendlichen Übertrittsschnitt entscheiden. Und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen sehen bei den meisten dieser Wackelkandidaten nicht wirklich goldene Zeiten am Gymnasium. Langsam frage ich mich aber auch, ob ich das zu schwarz sehe?


    Nein, du siehst das nicht zu schwarz.
    Ich spreche für ein Gym. in NRW, wo ich gerade 5.-Klässler unterrichte und mich über die Probleme mancher Kinder wundere. Sei es Tempo, sei es Auffassungsgabe, sei es Arbeitshaltung ... es hapert an allem...
    Und guckt man dann mal in die Stammblätter dieser Schüler, sieht man, dass genau diese Kinder nur eine eingeschränkte Gymnasialempfehlung haben!!
    Es kommt nicht von ungefähr und man sieht´s nicht zum ersten Mal...
    Grundschullehrer kennen ihre Kinder und sind in den Einschätzungen m. Erfahrung nach recht sicher.
    Eltern sind heutzutage sehr stark auf Prestige und Image aus (mein Haus, mein Auto und mein Kind auf dem Gymnasium...).
    Sie tun allerdings ihren Kindern keinen Gefallen indem sie sie zum Objekt ihrer Egoprobleme machen. die Kinder leiden, weil sie so viel mehr lernen müssen als die anderen um Schritt zu halten. Sie sind traurig und werden demotiviert, weil auch trotz großer Anstrengung schlechte Noten erzielt werden.
    Das kann´s doch nicht sein.
    Ich würde dem eigenen Urteil vertrauen und dem Druck der Eltern nicht nachgeben, denn man tut den Kindern keinen Gefallen.
    Und selbst wenn man sich bzgl. einer Prognose täuscht (denn wer kann schon wirklich vorhersagen, wie sich ein Kind entwickelt?): Das Schulsystem ist durchlässig genug um auch zu einem späteren Zeitpunkt noch ans Fachabi/Abi zu kommen. Besser für´s Kind ist m.E. aber doch eien Schullaufbahn, in der man sich nicht nur permanent im ausreichenden bis mangelhaften Bereich bewegt, sondern auch Erfolgserlebnisse/Bestätigung über bessere Zensuren erfährt.

  • @Antigone:


    Es geht nicht darum, irgendeinem Druck nachzugeben. Bei uns in Bayern zählen nur die Noten in Deutsch, Mathe und HSU! D.h. ich kann in das Übertrittszeugnis schreiben was ich will und alle vorhandenen Defizite aufzählen, irgendwo steht der Schnitt von 2,33 und damit macht mein Zeugnisprogramm sogar selbst das Kreuzchen bei "geeignet für das Gymnasium" Ich kann da leider rein gar nichts machen!!! Wer die 2,33 schafft, egal wie, ist angeblich für das Gymnasium geeignet. Deswegen berate ich möglichst ausführlich, versuche aufzuzeigen, was gegen Gymnasium oder Realschule spricht und jedes mal kommt dann wieder der berüchtigte März/April. :qualm:


    Bibo

  • Bibo,
    da bist du ja wirklich in der Bredouille und ich kann deinen Unmut gut verstehen, zumal du da ja wirklich diffuse Rechtfertigungsversuche unternehmen musst (da das Computerprogramm die Eignung bestätigt!).


    In NRW läuft die Beurteilung meines Wissen anders, da geht es nicht um den Schnitt an sich (man möge mich korrigieren, wenn ich da gerade Unsinn erzähle!)
    Ich weiß bloß, dass wir am Gym. schon anfangen zu zweifeln, wenn da in einem der Kernfächer (D, M, E) ´ne 3 im Abschlusszeugnis der Grundschule auftaucht... Ähnlich kritisch wird´s auch, wenn die Kopfnoten sich außerhalb des guten Bereichs bewegen.
    Eine Drei in einem der drei relevanten Hauptfächer ergäbe bei euch ja dann den 2,3 Schnitt... Meiner Erfahrung nach wird aus einer Drei dann am Gym. auch sehr schnell eine Vier oder gar Fünf....


    Ich würde - falls du wirklich annimmst, dass das Kind nicht klarkommen wird - dennoch "gegenberaten", deinen Standpunkt ggü. Kind und Eltern klarzumachen versuchen...
    Und darüber hinaus versuchen, dir Distanz zu der Angelegenheit verschaffen. Denn - mal ehrlich - mit so einem Prozedere sind dir ja auch letztlich irgendwie die Hände gebunden!
    Toi, toi, toi!
    Antigone

    3 Mal editiert, zuletzt von Antigone ()

  • Wir argumentieren aus einer sehr bequemen Position heraus. Die Eltern müsse sich Gedanken über die Zukunft ihrer Kinder machen. Ohne mindestens einen Realschulabschluss zu haben, kann man seine Zukunft doch heutzutage fast vergessen. Wer stellt denn noch Hauptschüler ein? Die Berufsfelder, die vor 20 Jahren mit Hauptschülern besetzt waren, werden heute weitgehend von Realschülern besetzt.


    Davon abgesehen wird ständig von allen Seiten betont, dass es ja für Spätzünder noch genügend Aufstiegschancen gebe. Wenn man sich die Zahlen der Schulwechsler mal anschaut, wir aber ganz schnell deutlich, dass über 80% in unserem Schulsystem absteigen, aber nur knapp 20% den Sprung zu einem besseren Abschluss schaffen. Das ist kein neuer Trend, sondern schon seit jahrzehnten so.


    Ihr redet von Nachkommastellen, die ausschlaggebend für die Schulempfehlung sein sollen. Niemand kann mir erzählen, dass man die Leistung eines Schülers so objektiv einschätzen kann, dass selbst ebendiese Nachkommastellen auch nur ansatzweise dazu geeignet wären, den weiteren Lebensweg eines Kindes vorzubestimmen.


    Ich wollte nur mal die andere Seite der Medallie aufzeigen...

  • Ich denke dennoch, dass ich als Lehrer einen Schüler - Nachkommastelle hin oder her, das sind Formalien, die nicht wir eingeführt haben - gut genug einschätzen kann, um sagen zu können, ob er im nächsten Jahr eine Chance am Gymnasium hat.


    Es mag arrogant klingen, aber ich sehe nach einem halben Jahr schon Schüler, die es am Gymnasium entweder nicht schaffen werden - oder nur so schwer, dass es eine Qual für Schüler und Eltern werden wird. In meinen 10 Jahren am Gymnasium lag ich da nur sehr selten völlig daneben. Evtl. gelingt es den Schülern sogar, sich bis zur 10. Klasse durch zu schlagen - und dann dort zu scheitern, wenn ein Wechsel auf die Realschule nicht mehr möglich ist.


    Fakt ist: wir haben inzwischen in der Unterstufe eine Durchfall-Quote, die bedeutend höher ist, als früher.


    Erklärungen:


    - G8 überfordert Schüler (möglich, aus meiner Sicht ist es auch tatsächlich so)


    - gewollte höhere Übertrittsquoten und damit Schüler, die nicht wirklich bereit für das Gymnasium sind


    - eine generell höhere Zahl an Schülern, die nicht mehr die Konzentration und das Sprachverständnis von der Grundschule und vom Elternhaus (evtl. auch den Leistungswillen) mitbringen, um es zu schaffen


    usw. usw.


    Und nein, ich kann nicht den ganzen Lebensweg abschätzen - aber doch wenigstens das nächste Jahr. Und nach diesem einen Jahr kommt die zweite Fremdsprache im G8 - und es wird NOCH schwieriger. Soll ich ein Kind in eine Schulform gehen lassen, in der es meiner festen Überzeugung nach ein Jahr mit Sicherheit erstmal gar nicht klarkommt, nur Misserfolge erlebt? Und selbst wenn es sich weiter entwickelt im übernächsten Jahr mit der nächsten großen Hürde konfrontiert wird?
    Ein solches Kind wird, wenn es dann gezwungen ist, an die Realschule zu wechseln, sehr wahrscheinlich schon die Freude am Lernen verloren haben, demotiviert sein und dann sogar an der Realschule nicht so gut zurecht kommen.


    Außerdem gibt es dennoch andere Möglichkeiten zur Hochschulreife zu kommen, die nicht so viel problematischer sind. Wenn sie nicht so häufig genutzt werden (in Bayern können sich allerdings die FOS/BOS kaum retten vor Anfragen), liegt das evtl. nicht an den Lehrern oder der Schule, sondern daran, dass für die Eltern immer noch allein das Gymnasium zählt und sie sich nicht ausreichend informieren oder informiert werden.


    Noch ein Gedanke - so übel er auch klingt: Wir sind eine große Schule. Wir haben sieben 5. Klassen mit je mindestens 32 Schülern. Das allein erschwert es schwächeren Schülern zusätzlich, hier zurecht zu kommen - und das können WIR nicht ändern. Eine Förderung der Schwächeren ist da fast unmöglich. Und - jetzt werd ich völlig "unpädagogisch" in den Augen mancher - ich habe manchmal sogar den Gedanken, dass es unter diesen Voraussetzungen gegenüber den mittelmäßigen und guten Schülern unfair ist, die Wackelkandidaten auch noch aufs Gymnasium zu schicken, weil damit jede Förderung der mittleren bis guten Schüler ebenfalls auf der Strecke bleibt.


    Bei solch einer Schülerzahl pro Klasse und so einer Streuung was Leistungsfähigkeit betrifft, kann ich keinem Schüler wirklich gerecht werden.


    Wenn das sauer aufstößt (mir auch), dann muss man am System was ändern ... und dazu fehlt mir die Befugnis.


    Also argumentiere ich aus der jetzigen für meine Schule realen Lage.


    In Bayern erreichen übrigens ca. 45% aller SuS über Gymnasium oder FOS/BOS das Abitur. Von daher kann ich nicht sehen, dass "80% in unserem Schulsystem absteigen" (vielleicht hab ich Dich da aber auch nicht ganz richtig verstanden ...).

  • Stimme Nighthawk uneingeschränkt zu.
    Das sind auch meine Erfahrungen nach fast 9 Jahren on the job und insbesondere gerade diese Aspekte gelten auch für meine Beobachtungen in NRW:


    Zitat


    - G8 überfordert Schüler (möglich, aus meiner Sicht ist es auch tatsächlich so) - gewollte höhere Übertrittsquoten und damit Schüler, die nicht wirklich bereit für das Gymnasium sind
    - eine generell höhere Zahl an Schülern, die nicht mehr die Konzentration und das Sprachverständnis von der Grundschule und vom Elternhaus (evtl. auch den Leistungswillen) mitbringen, um es zu schaffen

  • Ich habe nicht gesagt, dass ich die Eltern nicht auch verstehe. Ich kann schon nachvollziehen warum sie so handeln. Ich finde es aber gefährlich, das Risiko in Kauf zu nehmen, dass das Kind versagt in der Hoffnung, man kann das Kind bis zum Abitur bringen. Denn ein durchgereichtes Kind am Ende mit Quali, oder im schlechtesten Fall ohne Quali hat auch keine besseren Chancen einen Ausbildungsplatz zu bekommen.


    Ich bin außerdem durchaus nicht der Meinung, dass eine Nachkommastelle zwingend etwas über das Kind aussagt. Im Gegenteil, ich habe auch Schüler, die auf dem Papier z.B. nicht für die Realschule geeignet sind, denen ich das aber durchaus zutrauen würde. Nur kann ich das System leider nicht ändern.


    Und eines sollte man nicht vergessen: Ich argumentiere aus der Position heraus, die das Kind auch am Vormittag sieht. Ich sehe andere Kinder im Vergleich, die eindeutig leistungsstark sind. Und diese Möglichkeit fehlt den Eltern leider.


    Bibo

    • Offizieller Beitrag

    Finchen, in einigem gebe ich dir recht - aber wo hast du denn die Zahlen her? 80% steigen ab? Das hab ich noch nie gehört...


    Ich für meinen Teil erlebe auf dem Gymnasium so oft noch "Überraschungen", dass ich mir nicht so sicher bin, ob man in der 4. Klasse - bei aller Kenntnis des Kindes und Fach/Sachkenntnis - solche Prognosen definitiv stellen kann.


    Ich habe Kinder mit Realschulempfehlung (in Hessen zählt ja der Elternwille), die sich super berappeln und deutlich besser mitkommen, als Kinder, bei denen ich irgendwann verzweifelt in die Akte gucke (ich mache das nie sofort, damit ich nicht "vorgeprägt" werde) - und feststelle, dass sie eine lockere Gymnasialempfehlung mit super Noten haben. In beiden Fällen frag ich mich "Wie kommt das zustande? Und warum in dieser Häufigkeit?"


    Ich glaube durchaus, dass die GS-Lehrer gute Kenntnisse ihrer Kinder haben (bei den Treffen, die wir mit den GS Lehrern aus der Umgebung haben, sind die Beschreibungen/Einschätzungen der Kinder ganz, ganz umfassend und dezidiert) - aber ich glaube auch, dass da noch unendlich viele Faktoren darüber hinaus mitspielen: der Schulwechsel ist ein Rieseneinschnitt, für manche zum Guten, für manche zum Schlechten, dann die neue Klasse (kommen Kinder dort gut klar, hat das großen Einfluss auf die Lernfähigkeit!), die vielen unterschiedlichen Lehrer auf dem Gym, die anderen Herangehensweisen, etc pp. - so dass ein echte 100% - Prognose kaum möglich ist.


    Ich habe jedenfalls die letzten 8 Jahre in jeder (!) Klasse 5-10 Kinder gehabt, bei denen man sich gründlich verschätzt hatte. Was NICHT als Vorwurf gemeint ist. Ich halte das für völlig normal - weil eine neue Schule zum Teil eben auch "ein neues Kind" bedeuten kann, ihr versteht wie ich das meine.


    Genau wie ich ungern/nie querversetze aus der 5. Weil ich auch da schon Entwicklungsschübe gesehen habe, die würde man nicht glauben.


    Überhaupt geht mir diese frühe Selektieren (müssen) in diesem Lande grässlich auf den Geist!!! (okay, das war jetzt am Rande von OT).


    Und ja, ich kann die Eltern, die bei der heutigen Arbeitsmarktlage schon in der 4. Klasse in Panik geraten, gut verstehen. Nicht immer haben sie recht, wenn sie ihre Schulwahl gegen die Empfehlung durchsetzen, aber verstehen kann ich es.


    Auch wieder ein Argument für gemeinsames Lernen bis zu einer weit höheren Klasse... in Winzklassen, damit's Sinn macht.

  • Habe ich ganz vergessen:


    @Antigone:


    Danke für die aufmunternden Worte. Spätestens im Mai nach der Anmeldung an den weiterführenden Schulen habe ich mich dann auch wieder beruhigt. ;)
    Dann kann ich eh nichts mehr machen.


    Und auch wenn es jetzt wahrscheinlich Schläge hagelt: Ich schließe mich Nighthawk an. Die wirklich guten Schüler werden, so wie jetzt auch an der Grundschule, gebremst. Wenn ich zum x-ten mal die schriftliche Division erkläre (nur weil sich dummerweise der Zahlenraum geändert hat und jetzt auf einmal wieder alles neu ist), kann ich verstehen wenn einige Kinder richtig gelangweilt sind. Aber wir sind in der Grundschule und da müssen sie durch. Für viele wird es aber an der weiterführenden Schule leider auch so weitergehen. Und das finde ich diesen Kindern gegenüber auch unfair.


    Bibo

    • Offizieller Beitrag

    Sonst so gut wie nie, aber dieses Mal muss ich Meike widersprechen- vielleicht liegt es ja auch daran, dass ich quasi fast noch Junglehrerin bin- ich habe noch nie, wirklich nie, ein Kind erlebt, das ich als "spätestens in der sechsten Klasse gibt es die Katastrophe" einschätzt habe und dass sich dann noch mal berappelt hat. Ich finde es unglaublich schade, aber es ist tatsächlich so. (Oder vielleicht liegt es ja wirklich daran, dass hier nur allein der Notendurchschnitt für den Übertritt zählt?)
    Ich kann die Gedanken der Eltern auch nachvollziehen, aber ganz, ganz viele wissen auch gar nicht, dass der Weg auch von "unten" wieder nach "oben" führen kann- viele meiner jetzigen jungen Kolleginnen sind ehemalige Realschülerinnen!
    Liebe Grüße Hermine


    Edit: Bibo: Jetzt wird mir gerade einiges klarer- solche Kinder landen dann bei uns auf der Schule und wir überlegen uns, warum die Grundschule uns solche Eier ins Nest legt...aber das wird mit dem stärker gewichteten Elternwillen bestimmt noch besser :rolleyes:

  • Hermine:
    Glaub mir, da ist kein böser Wille dabei und uns ist auch oft klar, dass bei manchen Kindern das Gymnasium schierer schulischer Selbstmord ist. Aber so leid es uns für die Kinder auch tut, wir können es nicht verhindern. Und es ist unfassbar, wie weit man mit reinem Büffeln kommen kann. Wer allerdings schon in der Grundschule nach der Hausaufgabe noch 1-1,5 Stunden lernen muss, wird es wohl auf dem Gymnasium noch etwas schwerer haben. :neenee:


    Bibo

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Finchen
    Wir argumentieren aus einer sehr bequemen Position heraus. Die Eltern müsse sich Gedanken über die Zukunft ihrer Kinder machen. Ohne mindestens einen Realschulabschluss zu haben, kann man seine Zukunft doch heutzutage fast vergessen. Wer stellt denn noch Hauptschüler ein? Die Berufsfelder, die vor 20 Jahren mit Hauptschülern besetzt waren, werden heute weitgehend von Realschülern besetzt.


    Ich denke, die Sorge der Eltern um die Zukunft der Kinder ist hier auch nicht Stein des Anstoßes sondern vielmehr die Auswirkungen, die ein Kampf um die höchstmögliche Schulform unter Einsatz aller Mittel hat.
    Sich Gedanken machen ist das eine, eine Position aus Angst durchzudrücken oder im Extremfall vielmehr noch seine eigenen Wünsche auf das Kind zu projizieren und dem Kind aufgrund einer falschen elterlichen Entscheidung Misserfolg und Frust zu bescheren ist das andere.


    Zitat


    Davon abgesehen wird ständig von allen Seiten betont, dass es ja für Spätzünder noch genügend Aufstiegschancen gebe. Wenn man sich die Zahlen der Schulwechsler mal anschaut, wir aber ganz schnell deutlich, dass über 80% in unserem Schulsystem absteigen, aber nur knapp 20% den Sprung zu einem besseren Abschluss schaffen. Das ist kein neuer Trend, sondern schon seit jahrzehnten so.


    Das bestätigt doch eigentlich, dass eine falsche Schulwahl (Gy statt Rs oder ähnliches) eben diese Konsequenzen hat. Wieso dann nicht Rs und bei entsprechenden Noten noch das Gy hinterher?


    Zitat


    Ihr redet von Nachkommastellen, die ausschlaggebend für die Schulempfehlung sein sollen. Niemand kann mir erzählen, dass man die Leistung eines Schülers so objektiv einschätzen kann, dass selbst ebendiese Nachkommastellen auch nur ansatzweise dazu geeignet wären, den weiteren Lebensweg eines Kindes vorzubestimmen.


    Das erzähl doch bitte den Damen und Herren im Ministerium, die sich das ausgedacht haben.


    Ach ja: Dann dürfte es analog auch keinen NC geben, denn man weiß ja nie, wie sich der Student noch entwickelt. Und Einstellungen nach Examensnoten (Ordnungsgruppen bzw. Leistungsziffern etc.) wären dann ja genauso unsinnig, denn in dem 3er Kandidaten könnte ja ein genialer Lehrer stecken.


    Gruß
    Bolzbold

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