Wieviel Energie habt ihr nach der Schule?

  • Zitat

    Original von Vaila
    Ich zitiere aus der netzeitung.de:
    "Bereits vor dem Studium sollten sich angehende Lehrer einem Eignungstest unterziehen, sagt die Präsidentin der Kultusminister-Konferenz Erdsiek-Rave. Die Verfassung der Mehrheit der aktiven Lehrer sei «Besorgnis erregend»."


    Dieses dümmliche Zitat liest man immer wieder. Leider lässt sich die Eignung für den Lehrerberuf nur schwer über derartige Tests feststellen - die "allwissende Diagnostitis" funktioniert nicht.


    Ich habe mich gestern mit einem alten Freund getroffen, der im Verkauf arbeitet und von ähnlichen Erschöpfungszuständen am Abend berichtet, die auch viele Lehrer plagen. Manche seiner Kollegen seien nahe am "Burn-Out" oder schon darüber. Wir kamen dann im Gespräch auf eine einleuchtende Erklärung:


    Wer - wie Lehrer oder Verkäufer - sich im Minutentakt auf andere Menschen und deren Wünsche einstellen muss, ist ständig gefordert kreative Entscheidungen zu treffen, muss im Sekundentakt abwägen, wie am Besten auf das Ansinnen des "Kunden" reagiert werden kann. Viele dieser Entscheidungen sind emotionaler Natur. Sie betreffen auch Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Sprachmelodie.


    Oft muss entegen der eigenen Natur gehandelt werden. Während unsere Steinzeitvorfahren bei einem Angriff kleinhirngesteuert und reflexartig zurückgeschlagen haben, muss bei uns das Großhirn den gesamten Hormonhaushalt in diesen Fällen auf Freundlichkeit und rationale Problemlösung programmieren.


    Jede spontan zu treffende Entscheidung kann weit reichende Folgen haben - ein Verkäufer spürt seine Fehlentscheidungen am selben Tag bei seinen Umsatzzahlen - und dem damit verbundenen Gehaltsverlust (=Provisionsanteil), ein Lehrer durch Spannungen im sozialen Gefüge "seiner" Klasse bzw. sofortigen Rückmeldungen durch Schüler, Eltern, Schulleiter oder Schulrat.


    Während ein Kaufmann oder Angestellter im Büro seine Entscheidungen meist in Ruhe überlegen und abwägen kann - eventuell mal kurz einen Kaffee zwischendurch drinkt - bleibt einem "Arbeiter mit direktem Menschenkontakt" diese Zeit in der Regel nicht.


    Weil man hinterher oft klüger ist, nagen Spontan-Fehlentscheidungen (auch didaktischer Natur) bei Lehrern oft tage- und nächteweise. Dies ist eine Ursache von Burn-Out.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

  • Entschuldige! Ich wollte den Artikel mal so in den Raum stellen, da er neueste Studien widerspiegelt, die wiederum das Lehrerbild in der Öffentlichkeit bestimmen. Was hier von einigen "Experten" geäußert wird, macht mich sehr zornig, weil die Ursache für die "chronische Erschöpfung" wieder nur an der Lehrerpersönlichkeit festgemacht wird. Sprich: zu viele unfähige Personen im falschen Beruf, da man ja ganz locker Lehrer werden kann! Ja Himmel, woher beziehen besagte "Experten" eigentlich ihre Informationen? Ich finde es überhaupt nicht leicht, Lehrer zu werden, denn man muss ja schließlich erst einmal ein langwieriges Studium zu Ende bringen. Und jeder, der einmal ein Referendariat gemacht hat, weiß, dass die Sache absolut kein Zuckerschlecken ist. In dieser Phase wird - meiner Ansicht nach - die Spreu vom Weizen getrennt. Wie dann noch 30 % unfähige Lehrer (solche mit Zeichen eines Burnout-Syndroms sind wohl als unfähig zu bezeichnen) zustande kommen, ist mir absolut schleierhaft! Ich bin auch chronisch erschöpft, weil ich zwei Korrekturfächer habe und mir in den letzten Jahren 3-4 Deputatsstunden Mehrarbeit aufgezwungen wurden, die vorbereitet werden müssen und an denen wiederum Korrekturen hängen. Zudem gibt es zeitaufwändige neue Prüfungen: Lernstandserhebungen, Zentrale Prüfungen, Zentralabitur, die viele (unausgegorene) Neuerungen mit sich bringen, in die man sich erst einarbeiten muss. Das Schulgesetz schreibt individuelle Förderung vor: Jeder Kollege/jede Kollegin weiß, dass diese Vorschrift ein Fass ohne Boden ist! Mein Arzt (Image: Halbgott) stellt für das Setzen einer Spritze 30 € in Rechnung (Arbeitszeit ca. 30 Sekunden!). Wir LehrerInnen leisten hochqualifizierte Arbeit unentgeltlich und ernten Hohn und Spott. Erschöpfung programmiert!

  • Zitat

    Wer - wie Lehrer oder Verkäufer - sich im Minutentakt auf andere Menschen und deren Wünsche einstellen muss, ist ständig gefordert kreative Entscheidungen zu treffen, muss im Sekundentakt abwägen, wie am Besten auf das Ansinnen des "Kunden" reagiert werden kann. Viele dieser Entscheidungen sind emotionaler Natur. Sie betreffen auch Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Sprachmelodie. Oft muss entegen der eigenen Natur gehandelt werden. Während unsere Steinzeitvorfahren bei einem Angriff kleinhirngesteuert und reflexartig zurückgeschlagen haben, muss bei uns das Großhirn den gesamten Hormonhaushalt in diesen Fällen auf Freundlichkeit und rationale Problemlösung programmieren. Jede spontan zu treffende Entscheidung kann weit reichende Folgen haben - ein Verkäufer spürt seine Fehlentscheidungen am selben Tag bei seinen Umsatzzahlen - und dem damit verbundenen Gehaltsverlust (=Provisionsanteil), ein Lehrer durch Spannungen im sozialen Gefüge "seiner" Klasse bzw. sofortigen Rückmeldungen durch Schüler, Eltern, Schulleiter oder Schulrat.


    Ich glaube, dass daran viel Wahres ist!
    Mich strengt vor allem auch diese permanente Präsenz an, diese nie nachlassende Aufmerksamkeit. Wer einen Bürojob hat, kann sich gut und gerne mal 10 Minuten ausklinken, seinen Kaffee trinken und aus dem Fenster gucken. An einem Vormittag von 6 U-stunden am Stück ohne Freistunde habe ich meist nichtmals in der Pause eine Minute für mich. Dazu die Geräuschkulisse. Ok, das lasse ich dann um halb 2 hinter mir, und wenn ich dann wirklich richtig frei hätte, würd ich ja sagen, ok, alles halb so wild. Aber dann geht´s ja munter weiter mit den Korrekturen und Vorbereitungen. Nicht zu vergessen auch die sich seit den 90ern vollziehende Öffnung von Schule, die zig außerunterrichtliche Aktivitäten, Veranstaltungen mit sich bringt. Muss ja alles gemacht werden. Und das ja nicht von mehr Personal, sondern immer noch von derselben Anzahl von Kräften. Als ich in den 80ern selbst Schülerin war, gab´s an meinem Gym. einen Tag der offenen Tür, eine (!) AG - Spanisch zur 0ten Stunde ;) -, und ab und an mal ´ne Theateraufführung, die durch einen Kunstlehrer organisiert wurde, der ansonsten das ganze Schuljahr von einem Kabuff neben dem Kunstraum seinen Unterricht praktizierte, also hinreichend Muße hatte sich theaterpädagogisch zu betätigen. Das war´s. Nichts gg. Kunstlehrer und nicht dass ich diese Zeiten zurücksehne, aber es werden heute soviele Anforderungen an Lehrer gestellt, dass mich zumindest nicht wundert, warum mehr und mehr Kollegen die Pension mit 65 nicht mehr erreichen. Dass das allesamt Weicheier sein sollen, weise ich ganz entschieden zurück.
    Grüße!
    Antigone

  • Huhu,
    ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen.


    Diese permanente Präsenz ist recht anstrengend. Die Stunde ist um, die große Pause beginnt....da stehe ich noch in der Klasse und warte auf den Letzen, damit ich die Klasse abschließen kann. Auf dem Weg ins Lehrerzimmer treffe ich natürlich noch Schüler oder Kollegen, die ein Anliegen haben, da sind die ersten 5 Minuten der 15 Minutenpause vorbei. Im Lehrerzimmer setze ich mich erstmal hin, um gleich wieder aufzustehen, weil irgend jemand am Telefon ist oder am Eingang nach mir fragt.


    Das Aufgabengebiet der Schule (Fremdsprachenprojekte u.s.w.), welches ich betreue, muss ich z.T. zu Hause erledigen, also nach der Schule.
    Dazu kommen Korrekturen und Vorbereitungen....... nix Neues also.......


    Dann sind da noch ein paar nette Eltern, die von mir verlangen, dass ich sie nach 19h30 anrufe oder am Wochenende...... (deren Kinder sind nicht in meiner Klasse).


    Sorry, dafür gebe ich meine Restenergie nicht hin, da habe ich dann Präsenzfeierabend!!!!!!


    Diese Zeiten muss ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, da ich auch dazu neige, Arbeit und Privates nicht zu trennen und meine Arbeit zu Hause nicht anzuerkennen, da ich "ja zu Hause bin" und zwischendurch mal etwas esse, Fernseh schaue oder Musik höre.....


    ...dafür mache ich am Besten mal einen neuen Thread auf 8)


    LG
    Isa

  • Ja,


    ich kann das alles auch nur noch mal dick unterstreichen. Bin nun seit fast einem Jahr in Vollzeit dabei. War am Anfang nachmittags völlig erschlagen und reif fürs bett. Inzwischen ist es etwas besser, aber irgendwie schaffe ich an den Nachmittagen nicht viel und bin im Moment ständig unzufrieden darüber.
    Bin manchmal froh, einfach was im Haushalt zu machen, da sieht man zumindest mal ein paar Ergebnisse.
    Freu mich auf die ersten warmen Tage und dann geht es wieder in den Garten. Dafür nehme ich mir dann auch die Zeit - das gibt mir auch Kraft und wie ja viele schon sagten - wir leben nicht nur für die Schule!!! und das sollten wir auch alle beherzigen.


    Mir reichen im Moment schon 2-3 Konferenzen pro Wochen, Fortbildungen und andere Treffen, die unendlich viel Zeit treffen - manchmal denkt man, es sind ABM-Maßnahmen. Die brauche ich aber eigentlich nicht auch noch. Ist aber an meiner Schule leider recht viel. Da brauch ich dann die restlichen "Konferenzfreien" nachmittage zum Erholen.

Werbung