alter Quereinsteiger

  • Salut,


    ich habe eine Frage, aber bitte nicht lachen!! Naja, ein bißchen lustig ist es schon:


    Zu meinem Werdegang: ich bin Franzose, mittlerweile ist mein Deutsch (glaube ich) einwandfrei. In den 90er Jahren habe ich ein Fachhochschulstudium in audiovisuellen Medien (Medientechnik) abgeschlossen und bin dann in Berlin gelandet. Seit 10 Jahren bin ich im Fernsehen tätig.


    Vor 4 Jahren bin ich auf die Idee gekommen, ein Bachelor in Mathematik zu machen. Ich bin also Student an einer... französischen Hochschule, also im Fernstudium. Mir fehlen nur noch zwei Scheine bis zu Bachelor, die ich im kommenden Sommersemester machen werde. In den ersten Semestern meines Mathe-Studiums und aber auch in meinem Fachhochschulstudium habe ich Physik-Scheine machen müssen.


    Nun träume ich, mich beruflich radikal zu verändern und als Mathe-Lehrer zu arbeiten. Doch es gibt ein paar Probleme.... Ich fange mit dem kleineren Problem an:


    - Ich kenne mich mit dem deutschen Schulsystem überhaupt nicht aus, aber höre, daß man mindestens 2 Fächer haben muß. Ich denke nicht, daß die Scheine, die ich in Physik gemacht habe dafür reichen würden. Muß ich mich jetzt auch noch in Physik einschreiben?


    - Ich habe von theoretischer Pädagogik nicht die geringste Ahnung, habe noch nie ein Buch darüber aufgemacht. Großer Minus-Punkt?


    - Jetzt kommt der Hammer: Ich werde dieses Jahr... 48 Jahre alt. Ach! Jetzt lacht Ihr! habe ich doch gewußt! Nur: ich will zwar nicht den "Ich bin viel jünger im Kopf"-Heini spielen, aber immerhin: ich habe in 4 Jahren ein Bachelor geschafft, trotz Schichtarbeit und mitten drin Papa-werden und nach einer kreativen Pause von einem viertel Jahrhundert (praktisch keine Mathe seit dem Abi). In Sachen Motivation kann ich also was vorweisen. Ich will hier nicht den Mister Bombastic spielen, aber meine hohe Motivation speise ich aus meinem jetzigen Arbeitsfrust.


    Nur: Werden die Behörden es auch so sehen? Ich bekommen mit, daß Mathe-Lehrer händeringend gesucht werden, also: da bin ich, nehmt mich!


    Ich höre von erstem und zweitem Staatsexam, es sind für mich nur Worte. Habe gerade im Forum gelesen, daß man sich ein Diplom oder Master als erstes Staatsexam anerkennen lassen kann. Ich muß mich noch dieses Jahr für ein Master entscheiden. Es gibt unterschiedliche, manche in angewandter Mathematik, andere in klassischer Mathematik. Ist meine Wahl relevant für eine spätere Anerkennung? Und was habe ich dann davon?


    Und noch eine Frage: könnte ich mit meinem Bachelor, anstatt ein Master zu machen, mich in Berlin einschreiben und auf Lehramt studieren und direkt ein erstes Staatsexam machen?


    Und natürlich die heikle Frage zu Schluß: Hat es in meinem Alter noch einen Sinn? Wenn ich an Zukunft denke, denke ich z.Z. nur an Mathe, und da wir alle bestimmt bis zum 80. Lebensjahr werden arbeiten müssen...


    Vielen dank im voraus für die ermutigenden oder ernüchternden Tipps.


    Christophe

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe den Thread mal in den Bereich "Seiteneinstieg" verschoben, da es dort am wahrscheinlichsten ist, dass er von Leuten gelesen wird, die sich mit diesem Thema auskennen.

  • Hallo,


    eine spontane Idee kurz skizziert:
    Berufsschule? Medienleute werden da auch ausgebildet; vielleicht geht da etwas mit deinem Erststudium?
    Zweitfach Mathe klingt immer gut -> vielleicht ist so ein Quereinstieg möglich?
    (In RLP haben mir zum Beispiel 40 SWS aus dem ET-Studium gereicht, um Mathe als Zweitfach zu bekommen, eine solche Anerkennung sollte also kein Problem sein.)


    Gerade im Berufsschulbereich ist ein Einstieg ohne päd. Vorkenntnisse nicht ungewöhnlich, da solltest du dir keine so großen Sorgen machen.


    Alter? Wir hatten auch "ältere Menschen" in unserer Seminargruppe ;)
    Auch nicht so ungewöhnlich, aber es gibt halt Nachteile (z.B. Verbeamtung!).


    Link:
    http://www.berlin.de/imperia/m…lungen/quereinsteiger.pdf


    Einen schönen Gruß,
    Golum

  • Erst mal vielen Dank, daß meine Fragen so konstruktiv beantwortet werden.


    Das mit der Berufsschule ist tatsächlich eine Alternative, an die ich schon gedacht habe, und die in Frage kommt. Aber ehrlich gesagt, ist es mein langfristiges Ziel, Mathe-Lehrer zu werden. Medientechnik hat meiner Ansicht nach gar keine Zukunft, und überhaupt würde es mir weiniger Spaß machen als Mathe.

  • Hallo,


    ich denke, dass du auch als Lehrer für Medientechnik (Erstfach) Mathe (als allgemeinbildendes Fach) unterrichten könntest (da du ja Mathe studiert hast). Du musst eben nur in beiden Fächern im Referendariat ausgebildet werden.
    Ich wurde z.B. primär wegen Elektrotechnik eingestellt, bin aber auch sehr viel mit Mathe eingesetzt (zum Glück :) mir geht es da ähnlich wie dir).


    Mathe ist auch an BBSen ein großes Mangelfach!


    Was die Zukunft der Medientechnik angeht: Wenn du erst einmal fest eingestellt bist... ;)


    Einen schönen Gruß,
    Golum

  • Zitat

    Original von christophe
    Medientechnik hat meiner Ansicht nach gar keine Zukunft, und überhaupt würde es mir weiniger Spaß machen als Mathe.


    es strömen aber endlos viele schüler in die vollzeitschulen, die im medienbereich angeboten werden (höhere berufsfachschulen, berufliche gymnasien und FOS/BOS mit schwerpunkt medien etc.) und das ist letztlich für lehrer entscheidend, wo es kundschaft gibt, ist auch arbeit zu haben.


    das alter ist inzwischen nur noch für die verbeamtungsfrage relevant, ein hinderungsgrund ist das auf keinen fall-

  • Zitat


    es strömen aber endlos viele schüler in die vollzeitschulen, die im medienbereich angeboten werden (höhere berufsfachschulen, berufliche gymnasien und FOS/BOS mit schwerpunkt medien etc.) und das ist letztlich für lehrer entscheidend, wo es kundschaft gibt, ist auch arbeit zu haben


    Eben das finde ich ein kleines bißchen bedenklich, ich kenne es vielzu gut von Freunden, die sich in den 90er Jahren zu Web-Designern und sonstigen Multimedia-Spezies haben ausbilden lassen. Fast keiner hat einen stabilen Job gefunden.


    Ich muß mich dann fragen, ob ich Lust habe, junge Menschen für die Arbeitslosigkeit auszubilden.


    Aber die Frage drift von meinen ursprünglichen Fragen ab :tongue:

  • O Gott, du bist schon 48 ;)


    Mach Dir nichts draus. Ich werde demnächst 49 und habe meinen Quereinstieg in Bayern mit 44,5 Jahren begonnen - und ganz gut geschafft.


    Kleiner Vorteil unseres Alters: Jeder geht davon aus, dass Du das schon seit Jahren machst. Ich hatte daher keine Probleme mit Eltern oder Schülern, die meine Qualifikation angezweifelt haben.


    Viel Erfolg wünscht Dir ein anderer alter Quereinsteiger!


  • Ach Göttchen!! Das ist Ermutigung!! Ich bin also nicht der einzige auf diesem Planet, der auf diese komische Idee kommt! Und was bist Du für ein Lehrer? Was unterrichtest Du? Und wie bist Du von den Kollegen aufgenommen worden?

  • Ich habe Informatik studiert, glücklicherweise mit Nebenfach Mathematik.
    Nach 2,5 Jahren Arbeitslosigkeit (meine ehemalige Firma hat pleite gemacht) habe ich dann den Quereinstieg als Realschullehrer für Mathematik und Informatik in Bayern begonnen.
    War eine zweijährige Ausbildung und die Hölle (18 Stunden eigenverantwortlicher Unterricht im ersten Jahr, 22 Stunden im zweiten Jahr - parallel dazu Ausbildung an einem Tag pro Woche und natürlich die Prüfungen). Interessanterweise hat man mir mit über 40 in meinem alten Job (Produktmanager) anscheinend nicht mehr zugetraut, mich in ein neuen Marktsegment einzuarbeiten. Naja, einen neuen Beruf zu erlernen habe ich immerhin noch geschafft.


    Ich wurde von den Kollegen sehr gut aufgenommen. Wurde eigentlich von Anfang an als "echter" Lehrer akzeptiert. Etlichen war gar nicht klar, dass ich "nur" eine Quereinsteiger war. Gab dann lustige Reaktionen, wenn ich erzählte, dass ich nächste Woche Lehrprobe habe. Gut war, dass weder die Schüler noch die Eltern Bescheid wußten. Und ich war lange genug im Marketing, um die Wahrheit so zu sagen, dass man nicht die ganze Wahrheit erkennt. ;)


    Leider weiß ich, dass es nicht allen Quereinsteigern meines Jahrgangs so gut ging. Eine Kollegin hat irgendwann das Ministerium vor die Wahl gestellt, entweder sie bekommt eine andere Ausbildungsschule, oder sie hört auf. Ihr wurde am ersten Tag vom Direktor erzählt, dass er eine Quereinsteigerin nicht gebrauchen kann. Mit mir hat mein Direktor einen Termin in den Sommerferien ausgemacht, damit er mir vorab ein paar Dinge erzählen und erklären kann.


    Aber die meisten Rückmeldungen waren positiv. Die 6 Leute, mit denen ich im Seminar war, sind alle auf Schulen gewesen, wo sie vom Kollegium und von der Schulleitung akzeptiert wurden. Übrigens war in der Gruppe noch einer, der etwa unser Alter hatte. War ein Jahr jünger als ich.


    Noch was zum Thema Alter: Auf einer Fortbildung habe ich mal was zum Thema Lebensphasen gelernt. Und da fing so bei 40-45 Jahren die Phase des "Lehren" an, des Weitergebens von erworbenem Wissen.


    Im Gegensatz zu den meisten meiner Kolllegen habe ich die "normale" Berufswelt kennengelernt. Und das nutze ich immer wieder, um die entsprechenden Erfahrungen an meine Schüler weiter zu geben. So ist mir z.B. in IT das wichtigste, das meine Schüler lernen, wie sich selbst neues erarbeiten können. Und wenn jemand auf die Idee kommt, in einem Test das Hilfesystem von Excel einzusetzen, dann bekommt er von mir sogar noch ein Lob dafür.


    Und noch ein doofer Spruch: Man ist immer nur so alt, wie man sich fühlt. Ich habe schon alte 20-Jährige getroffen ("Um mit Kungfu anzufangen, bin ich schon zu alt" zu einem 38-jährigen, der erst mit 24 mit Kungfu angefangen hat) und junge 70-jährige (getroffen in Kathmandu in Nepal. Hobbies: River-Rafting und Motorradfahren).


    Was die Pädagogok angeht: Hier in Bayern sah das Quereinsteiger-Modell so aus, dass man uns das nachträglich beigebracht hat. Also alles kein Hinderungsgrund.


    Anstrengend wird es anfangs bestimmt. Aber das sind Leute in unserem Alter oft eher gewohnt.


    Nochmals viel Erfolg

  • Hallo Chiny und vielen Dank für Deinen Erfahrungsbericht, der mir richtig Mut macht. Ich traue mich fast nicht mehr zu sagen, daß man nur so alt ist wie man sich fühlt. Übrigens, mit 44 habe ich nicht nur mit Mathe angefangen, sondern auch mit Thai Chi, ist zwar kein Kung Fu aber immerhin gelingt´s mir auch ganz gut.


    Nach den ganzen Rückmeldungen sehe ich, daß es doch Sinn macht, weiter zu machen. Aller Voraussicht nach habe ich im kommenden Juni mein Bachelor in der Tasche, werde mich dann in den Berlin Unis, welches Master I am sinnvollsten ist. Es ist noch ein langer Weg, aber besser als der kurze Weg Richtung HartzIV. Mein Problem ist nach wie vor, daß ich nur ein Fach habe.


    Bekannte haben mir gesagt, daß ich schon mit einem Mathe-Bachelor die Möglichkeit hätte in einer Berufsschule anzufangen. Ich werde sehen, aber insgeheim träume ich schon mindestens Realschule zu unterrichten, und mein gaaaanz großer, geheimer Traum, der sicher nie in Erfüllung gehen wird, wäre in einer zweisprachigen Schule zu unterrichten. Aber sagt niemandem, ich mich ja nicht lächerlich machen :D

  • Hallo Christophe,


    große Kritik: Tai Chi ist sehr wohl Kung Fu. Zumindest für jeden Chinesen.
    Kung Fu steht für alles, was harte Arbeit an sich selbst bedeutet. Das schliesst Tai Chi eindeutig mit ein, aber auch Bereiche wie Poesie und Malerei (zumindest für die Chinesen). Mir hat mal ein Tai Chi Großmeister (Chen Xiao Wang) gesagt, ich hätte großes Kung Fu, weil ich die Stecke Hamburg-Ulm mit einem Kleinwagen in einer kürzeren Zeit zurückgelegt hatte als er mit dem Intercity.


    Ich praktiziere übrgens seit über 15 Jahre auch Tai Chi ;)


    Und was die Zweisprachigkeit angeht an den Schulen: die ist im Kommen. In Bayern gibt es neue Fächerkombinationen wie Englisch/Mathmatik, um z.B. englischsprachigen Mathematik-Unterricht zu ermöglichen.


    Ich liebe es, wenn die Leute versuchen mein Alter zu schätzen und meist um 5-10 Jahre daneben liegen, trotz inzwischen stark ergrauendem Bart.

  • OK, Tschuldigung, ich praktiziere Tai Tschi, ohne mich in die Geschichte und die Theorie zu vertiefen. Ich geh einfach einmal die Woche hin.


    Sei doch froh, daß Du graue Haare hast, ich habe nämlich gar keine mehr! :D


    Wenn ich mit 44 Mathe anfange und mit 50 ein Master II habe, habe ich auch Kung Fu oder nicht?

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