Fettes Eigentor

  • Hallo,


    ich habe heute einen schlimmen Fehler gemacht.
    Ich unterrichte Mathe in einer "der schlimmsten" Klassen an der Schule. Es ist eine 9. Realschulklasse.
    Als ich heute noch einmal das Wurzeln ziehen mit einem Arbeitsblatt vertiefen wollte, herrschte in der Klasse Chaos.
    Nachdem das AB verteilt war, begannen die SchülerInnen zu arbeiten. Ich habe den SchülerInnen mit Schwierigkeiten geholfen. Nach gut zehn lagen zwei Schüler unter dem Tisch, zwei andere unterhalten sich über drei Bänken über das Wochenende. Zu guter Letzt beginnt eine Schülerin ihr Pausenbrot zu essen. Das alles innerhalb weniger Minuten. Ich habe daraufhin gesagt: "Wenn ihr das alles schon könnt, dann brauchen wir ja nicht mehr weitermachen... Macht euren Kramm doch allein.." (Richtig schön trotzig) Ich habe mich ans Pult gesetzt, ins Klassenbuch eingetragen, dass Unterricht nicht möglich war, und die letzten 15 Minuten der Stunde dagesessen. Ich finde das eine so doofe Reaktion. Was mache ich jetzt? Ich kann ja nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen.
    Insgesamt ist die Klasse sehr schwierig, unruhig und leistungsschwach. Aber bisher war alles noch irgendwie im Rahmen.
    Wie gehe ich morgen in die Klasse?
    Bitte keine Vorwürfe, sondern Lösungsvorschläge, denn Vorwürfe mache ich mir selbst genug!


    Danke

  • Ich finde das jetzt nicht sooo schlimm. Wie haben denn die Schüler auf Deinen "Rückzug" reagiert? Hat es wenigstens was genützt?


    So was ähnliches hab ich auch schon mal in einer dritten Klasse gemacht: es wurde und wurde nicht leiser, ich habe mich vorne abgestrampelt, und schließlich habe ich mich einfach "zurückgezogen", saß auf meinem Stuhl, habe stumm in die Runde geschaut und auf Ruhe gewartet. Recht bald haben alle gemerkt, dass da was "komisch" war ("Hä? Gar keiner mehr vorne, der wild gestikuliert oder gar immer lauter gegen den Lärm anredet?") und es wurde ruhig... ;) Ich habe dann ganz leise erklärt, dass ich gerade gar nicht mehr durchkommen konnte und dass ich froh bin, dass es nun wieder geht. Ab da war es besser.


    Also, mach Dir nicht so viele Sorgen.

  • Ich muss gestehen, so dramatisch finde ich das jetzt nicht. Wo steht denn, dass Lehrer sich alles gefallen lassen müssen? Wenn kein Unterricht möglich ist, dann ist das halt (auch mal) so. Ich habe das einer Klasse mal ähnlich gesagt (mit dem Hinweis, wir könnten sofort Unterricht machen, wenn Sie sich an gewisse Spielregeln halten könnten).

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

    • Offizieller Beitrag

    ne, wirklich nicht schlimm - setze ich heutzutage auch mal bewusst ein...als theaterdonner.


    und:


    - mach dir vor der nächsten stunde noch klar, wer alles gestört hat. oft ist man ja etwas kopflos und denkt, es seien alle gewesen, dabei waren es "nur" 5 oder so. Das beruhigt und du weißt im zweifelsfall, wen du ansprechen musst.


    - es ist nichts dabei, denke ich, in der nächsten stunde rein zu gehen und zu sagen: das und das hat mir letzte stunde nicht gefallen. ich will arbeiten, dass ihr was lernt und finde es unhöflich und respektlos, wenn einige (!) von euch das nicht verstehen und auch die anderen undsoweiter stören undsoweiter. offen den ärger sagen (aber ruhig), ihre meinung einholen und dann weiter sehen. und ev. fragen: wie wollen WIR jetzt weiter machen?


    - schmollen darf man, aber man muss als lehrer zeigen, dass man aus dieser schmollecke auch wieder raus kommt und über seinen schatten springt


    grüße


    h.

  • Ich verstehe das Problem auch nicht so ganz. Was genau findest du an deiner Reaktion "doof"?


    Die Schüler haben gemerkt, dass eine Grenze erreicht worden ist, bei der du als Lehrer und Person sagst: "Fertig, weiter geht es SO nicht."


    Ein Bekannter von mir hat vor einigen Tagen genau mit einer ähnlichen Reaktion aufgewartet. Am nächsten Tag begegneten ihm eine Menge geknickte und nachdenkliche Kinde.

    • Offizieller Beitrag

    wenn meine 9.Klässler zu laut sind, trete ich einen Schritt zurück, verschränke die Händer über der Brust und warte.
    Ohne Worte.
    Den Blick immer mal auf den einen, mal auf den anderen Störenfried fixiert.
    Irgendwann ruft dann jemand:"Seid doch mal leise".
    das sind gefühlte Endlosminuten, aber in dem Moment mir das Sinnvollste. :D
    Von daher finde ich deine Reaktion völig normal. Willst du dich abhampeln ? Zum Clown machen ?


    Hawkeyes Tipps finde ich sehr gut, vielleicht kannst du vor dir selbst ja die Hauptübeltäter benennen.


    Sei in der nächsten Stunde ganz normal, und auf keinen Fall schuldbewusst ;)

  • Ich verstehe was ihr meint. Ich beschreibe einmal die Reaktion der Schüler. Ich sitze am Pult (bin wirklich sauer). In der Klasse ist immer noch keine Ruhe. Die Schüler packen ihre Stifte und AB zur Seite, gehen in der Klasse umher, essen ihr Pausenbrot... Nach der Stunde fragt mich ein Schüler mit einem einem riesigen Grinsen: "Streiken Sie morgen wieder?" Das zeigt mir, dass sie meine Reaktion nicht verstanden haben. Doof finde ich an der Situation, dass meine Reaktion keinen Effekt hatte, sondern ich mich vielmehr in einer Position befinde, die mir nicht behagt und in die ich mich selbst gebracht habe.
    Mein erster Gedanke war, die Situation morgen noch einmal zu thematisieren. Doch wie, wenn kaum Einsicht da ist? Ich habe irgendwie schon das Gefühl, dass die ganze Aktion eher lächerlich auf die Schüler wirkte. Und damit stehe ich jetzt da.

  • Zitat

    Original von AnnaP.
    Ich verstehe was ihr meint. Ich beschreibe einmal die Reaktion der Schüler. Ich sitze am Pult (bin wirklich sauer). In der Klasse ist immer noch keine Ruhe. Die Schüler packen ihre Stifte und AB zur Seite, gehen in der Klasse umher, essen ihr Pausenbrot... Nach der Stunde fragt mich ein Schüler mit einem einem riesigen Grinsen: "Streiken Sie morgen wieder?" Das zeigt mir, dass sie meine Reaktion nicht verstanden haben. Doof finde ich an der Situation, dass meine Reaktion keinen Effekt hatte, sondern ich mich vielmehr in einer Position befinde, die mir nicht behagt und in die ich mich selbst gebracht habe.
    Mein erster Gedanke war, die Situation morgen noch einmal zu thematisieren. Doch wie, wenn kaum Einsicht da ist? Ich habe irgendwie schon das Gefühl, dass die ganze Aktion eher lächerlich auf die Schüler wirkte. Und damit stehe ich jetzt da.


    Es gibt bestimmt eine Reihe von pädagogischen Maßnahmen, deren Erfolg davon abhängt, wie der Lehrer dahinter steht. Wenn der Lehrer einen guten Stand in der Klasse hat, wird in aller Regel die Klasse auch ruhig, wenn der Lehrer schweigt oder gar das Unterrichten einstellt. Ich habe das mehrfach mit einer 32er Klasse der einjährigen Berufsfachschule durchexerziert (sehr schwieriges Klientel).
    Zweifel ich aber selbst am Erfolg oder ist die Maßnahme gar Ausdruck meines (akuten) Scheiterns, werden die Schüler das auch meist so empfinden. Insofern - da wir die Hintergründe und Vorgeschichte nicht genauer kennen - hast du dir evtl. wirklich ein Eigentor geschossen. Auch das Appellieren an den Verstand ("Wenn ich nicht unterrichte, versäumt ihr etwas") wird bei solchen Schülern in der Tat lächerlich wirken. Der nicht erteilte Unterricht muss auf jeden Fall nachgeholt werden; nur so trifft man die Schüler.


    Genaueres kann man m.E. nur sagen, wenn du die Unterrichtssituation genauer beschreibst.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()

  • Gestreikt hab ich bisher noch nicht. Allerdings hab ich meiner Matheklasse gestern sehr deutlich gesagt, dass sie mich meinen Job nicht machen lassen. Und genau deswegen kann ich ihnen nicht trauen und nichts Aufregendes im Unterricht machen.
    Ich bin ja noch im ersten Jahr aber gerade unsere beiden "mittleren" Leistungsgruppen sind vom Verhalten her schwierig. Die Lehrerin, die die anderer mittlere Gruppe unterrichtet hat oft die gleichen Probleme wie ich...dafuer aber schon 7 Jahre Erfahrung mit genau solchen Klassen.
    Meine Stufenleiterin weiss, dass die Gruppe schwierig ist und hat deswegen vorgeschlagen, dass ich den traditionellen Unterrichtsaufbau (wie er hier von der Regierung gewuenscht wird) erstmal aussen vor lasse. Ich hab's so versucht...und es ging daneben.
    Deswegen hat meine Gruppe gestern in Stille Kopfrechenaufgaben geloest...zwei Seiten und fuer die gesamten 60 Minuten. Keine Diskussionen, keine Erklaerungen meinerseits, keine Kinder, die durch den Raum wandern und sich gegenseitig verpruegeln, kein Rumgeschreie und nix. Natuerlich haben sie rumgemault...aber, die Tuer war offen und meine Stufenleiterin ist regelmaessig vorbeigelaufen und hat reingeschaut. :D Man muss dazu sagen, meine hauptsaechlichen Problemschueler waren in dieser Stunde nicht anwesend. Sie kommen heute wieder...und wir werden die Stunde nochmal so machen (mit anderen Aufgaben). Wenn ich sie mit absoluter Langeweile langsam zermuerben muss,... :rolleyes:
    Ich mag nicht so Unterrichten, weil ich selbst es furchtbar langweilig finde. Aber ich hab meinen erklaert, dass wir das nur so lange machen, bis sie mich ueberzeugt haben, dass ich ihnen auch trauen kann.


    Also, manchmal ist es einfach die Gruppe/Klasse, die problematisch ist. Meine eigene Klasse bekomm ich innerhalb von Sekunden ruhig und da labert dann auch keiner, waehrend ich rede. In meiner Mathegruppe kann ich minutenlang warten, bis sie ruhig sind...und sobald ich den Satz anfange labert wieder ein. So kann's nicht gehen...

    • Offizieller Beitrag

    Anna, hast du die Klasse mitten im Schuljahr plötzlich neu übernommen oder hast du sie schon länger und sie haben sich schon länger ähnlich verhalten?
    Ich denke auch, wichtig für einen Ratschlag wäre, die Vorgeschichte zu kennen. Wie waren die Wochen oder Monate davor, wie kamt ihr miteinander klar...?


    Wie lief die Stunde heute denn und was hast du denn gemacht?

  • Ich hatte in dieser Woche auch zwei so blöde Stunden. Die Schüler hatten gerade ihre Mathearbeiten hinter sich und zum Teil noch Arbeiten vor sich. Und natürlich die Weihnachtsferien vor der Nase und alle sind so etwas ausgepowert. Klar, dass da die Motivation eher begrenzt ist. Ich habe zum Teil die Situation auch "ausgesessen" - mir fiel einfach nichts Besseres ein. Allerdings bin ich dabei nicht trotzig geworden. Ich bin rumgegangen und habe mich ein bisschen mit den Schülern unterhalten. Neues Jahr - neues Glück ;)

  • Die Reaktion ist an sich doch in Ordnung. Ich hätte der Klasse wahrscheinlich den Rest der Aufgaben als Hausaufgabe aufgebrummt und in der nächsten Stunde eine Hausaufgabenkontrolle geschrieben.
    Ich habe so etwas ähnliches auch schon erlebt und da der "Hauptübeltäter" ganz gut zu erkennen war, habe ich ihn von der Mutter abholen lassen (in eine andere Klasse setzen brachte nix, da hat er nur die anderen abgelenkt). Begründung: "Ihr Sohn hält sich an keine Regel und hält die anderen Kinder vom lernen ab". Das ganze haben die Kollegin und ich noch 2x durchgezogen und jetzt schmeißt mir der Junge nur noch ganz selten den Unterricht.
    LG und viel Kraft für diese Klasse!

  • ich find das ok - schließlich hast du die letzte viertstunde damit rumbekommen, ohne, dass die völlig durchgedreht sind.
    Ich würde ein offenes Gespräch suchen und ihnen sagen, dass du dich bei ihnen unwohl fühlst - manchmal trifft Schüler das mehr, als man denkt.
    Dann gibt es ja genug von diesen Methoden - ihr schreibt auf, was euch an meinem Unterricht gefällt und was nicht und ich schreine auf, was mir ....
    Immer im Gespräch bleiben, feedback geben und geben lassen. Wenn das allerdings über einen längeren Zeitraum nicht funktioniert, würde ich eine Klassenkonferenz einberufen und mich intensiv mit den Kollegen austauschen, dann müssen andere Methoden her

  • Danke für die Rückmeldungen.
    Endlich Ferien...
    Zu meiner Matheklasse.
    Ich unterrichte sie seid dem Sommer, mit sehr großen Problemen zu Beginn. (Ich bin gerade mit dem Vorbereitungsdienst fertig.) Nach ungefähr drei Wochen ging es dann. zwar war die Klasse immer noch relativ unruhig, aber sie haben ihre Aufgaben gemacht.
    Ich habe meine Reaktion (Unterricht einstellen) mit den Schülern besprochen, sie haben sich über den Klassensprecher entschuldigt. In den folgenden 2 Stunden bis zu den Ferien, war es ungewöhnlich ruhig. Vielleicht hat es ja doch geholfen. Bis zum nächsten Mal...
    Mittlerweile überlege ich, ob meine Schwierigkeiten ein Resultat der Schulstruktur sind. Es ist eine kleine verstaubte Dorfschule, das Kollegium geht fast vollständig in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Zudem bestand das Kollegium bis vor ca. 3 Jahren ausschließlich aus Männern (inklusive Schulsekretär). Meine neunte Klasse hatte seit der fünften noch nie Unterricht bei einer Lehrerin. Könnte ja vielleicht eine Ursache sein. Denn auf dem Land ticken die Uhren doch ein wenig anders. Und jetzt ist da eine Lehrerin, die auch noch Mathe unterrichtet. In Hauswirtschaft ist das ja noch zu akzeptieren... An meiner Ausbildungsschule, einer Brennpunktschule (HS) hatte ich nie so große Schwierigkeiten in einer Klasse. Natürlich andere.
    Nun ja, neues Jahr neues Glück. Mit etwas Abstand und weniger Wut kann ich die Situation auch ein wenig gelassener sehen.
    Anna

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