Oberflächenkompetenz und Konsumverhalten Trends im Bildungswesen

  • Oberflächenkompetenz und Konsumverhalten Trends im Bildungswesen – eine kritische Betrachtung


    Erschienen in THEMA Hochschule Fulda 2/2006, S. 4-6 Timm Grams, Fachhochschule Fulda, http://www.fh-fulda.de/~grams


    Um international mithalten zu können, verlangt die Gesellschaft, dass unsere Absolventen sowohl fachlich und sozial kompetent als auch kreativ sind. Dafür wird zu wenig getan.
    Über die Lage der Naturwissenschaften und der Mathematik an unseren Schulen und in der Gesellschaft gibt es inzwischen reichlich Daten und Analysen. TIMSS und PISA sind oft zi-tierte Untersuchungen. Die mathematische Vorbildung angehender Ingenieure war das Thema des Fuldaer Seminars „In Mathe schwach“ (Grams, 2005). Ich will dem noch ein paar Punkte hinzufügen und die Verbindung zur derzeitigen Hochschulenentwicklung herstellen (Bolog-na-Prozess, Ökonomisierung).
    Gedacht ist das als Beitrag zu einer Diskussion, die bislang vorrangig in der Politik, nicht aber an den Hochschulen geführt wird. Dort gehört sie aber eigentlich hin.
    Trend zur Oberflächenkompetenz
    Die Evaluation meiner Lehrveranstaltungen für Erst- und Zweitsemester offenbart die folgen-den Studentenwünsche: „Der Lehrinhalt müsste schneller übermittelt werden.“ „Der Lehrende sollte direkter auf das gewünschte Lernziel zusteuern.“ „Es müsste mehr Minibeispiele ge-ben.“
    Verlangt werden also ein größeres Angebot an Rezepten – „mit denen ich dann viel Geld ver-dienen kann“, wie vor Jahren einmal ein Student meinte – und ein Mehr an routinemäßiger Anwendung derselben. Bedarf an einem tieferen Verständnis und an eigener Entdeckungsar-beit wird nicht geäußert.
    Mit vielen Minibeispielen, die sich routinemäßig lösen lassen, lässt sich eben mit wenig geis-tigem Aufwand ein bescheidener Lustgewinn erzielen.
    Auch zum Studienabschluss hat noch nicht jeder ganz begriffen, worum es geht. Wir sind im Kolloquium zu einer Diplomarbeit. Es geht um Parameterschätzungen. Der Kandidat antwor-tet auf meine Frage, was die von ihm benutzte Excel-Funktion „Solver“ so mache: „Damit habe ich mich nicht befasst.“
    Informatik-Gurus unterstützen diesen Trend zur Oberflächenkompetenz. Beispielsweise for-dert Klaus Haefner von der Universität Bremen: “Jedem Schüler ein Notebook” (24.11.00, Fulda). Er meint, dass Lesen, Sprechen, Kreativ-Sein, Innovationsfähigkeit, Organisieren-Können, Solidarisch-Sein typisch menschliche Qualifikationen seien. Für den Rest, nämlich die „kognitive Sklavenarbeit“, habe man das „Denkzeug“: “Schreiben und Rechnen wird nicht mehr gebraucht. Sprechen und Lesen reicht.”
    Dagegen wende ich ein: Schüler, die nicht mehr schriftlich mit Zahlen umgehen, verlieren den Begriff der Zahl. Diese Menschen werden später dem Computer hilflos ausgeliefert sein und ihn nicht oder falsch verstehen. Der Rechner kann nämlich aus prinzipiellen Gründen die Welt nie eins zu eins abbilden. Die Computerarithmetik weicht von unseren mathematischen Vorstellungen ab. Programmierfehler sind allgegenwärtig. Modellierungsfehler auch. Die Bedienoberflächen stecken voller Fallen.
    Wenn José Encarnaçao von der Technischen Universität Darmstadt, die Virtualisierung als Abfolge „Reale Umgebung → Abstraktes Modell → Digitale Repräsentation“ darstellt, dann
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    übersieht er, dass wir gar nicht wissen, was real, ist und dass es die Hauptaufgabe der Wis-senschaft ist, auf die Frage nach der Realität brauchbare Antworten zu liefern.
    Auch Encarnaçaos Abfolge illustriert den Trend zur Oberflächenkompetenz und die Gefahr des Verlusts von Hintergrundwissen. Denn er geht noch weiter: Für ihn sollte virtuelle Reali-tät ein vorrangiges Lehrmittel sein.
    Das geht dann hin bis zum Edutainment im Kinderzimmer. Kindern wird es durch die Ab-schirmung von der „wirklichen Wirklichkeit“ immer schwerer gemacht, ihre Umwelt zu be-greifen (Manfred Spitzer, 2002, 2005; Gerhard Neuweiler, Spektr. d. Wiss. 1/2005).
    Mit dem allgemeinen Trend zur Oberflächenkompetenz geht das sinkende Interesse von Schülern einher, einen Ingenieurstudiengang zu beginnen. Schüler und Schülerinnen halten sich zwar für Experten im Umgang mit der Technik, zeigen jedoch geringes Interesse, sich intensiv mit der komplexen Materie zu befassen (Kirsten Schindler, 2005).
    Die folgende Geschichte aus einer höheren Schule markiert so etwas wie den Endpunkt der Entwicklung. Ein Schüler weigert sich, die Integralrechnung zu lernen. Seine Begründung: Auf meinem Taschenrechner gibt es das Integralzeichen. (Mitgeteilt von Carsten Rathgeber, Fulda.)
    Das Lehrkonzept des Abholens funktioniert nicht
    Unsere Pädagogik ist seit den 60-er Jahren auf das Beseitigen von Hindernissen ausgerichtet. Eine pädagogische Volksweisheit lautet so: „Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind“.
    Dort wo „die Leute“ sind, dort ist die Sesamstraße, dort sind bild- und lustorientierte Einweg-vermittlungen, forderungsfreie Glücksversprechungen, „elektronische Schnuller“ – Suchtmit-tel also, die zum viel beklagten Konsumverhalten in der Bildung verführen.
    Genau das ist es, was ich auf meinen Veranstaltungen zur Lehrerfortbildung von den Lehrern höre: „Ohne grafische Bedienoberfläche kriege ich meine Schüler nicht an den Rechner“.
    Es wird mit Videoeinspielungen gearbeitet und mit mathematischer Experimentiersoftware. Kurven lassen sich mit der Computer-Maus manipulieren; die Lösungen kommen daher, noch bevor das Problem so richtig wehtun kann. Ich frage mich, was die Schüler dabei lernen sol-len. Da kann doch nichts haften bleiben – bestenfalls entsteht eine Weltbeherrschungsillusion.
    Ich bin überzeugt davon, dass „Abholen“ nicht funktioniert, wenn es heißt „Mehr desselben“. Die Konkurrenz gegen Steven Spielberg und George Lucas können wir nicht gewinnen.
    Bildung als leicht konsumierbare Ware
    Der Zeitanteil der naturwissenschaftlichen Kurse am gesamten Angebot von Volkshochschu-len beträgt – wenn man einmal Feng-Shui, Astrologie und Veranstaltungen wie „Grillen in der Streuobstwiese“ nicht mit dazu zählt – weniger als ein Prozent.
    Auf einer „Krisensitzung“ der Volkshochschule wird beraten, wie man den Leuten die Na-turwissenschaften mundgerecht nahe bringen kann. Ein Teilnehmer schwimmt gegen den Strom: Wir versuchten immer, den Leuten klar zu machen, wie einfach die Naturwissenschaf-ten sind. Er glaube nicht, dass man so das Interesse wecken könne. Medizin und Juristerei seien vergleichsweise hoch angesehen. Und in diesen Fächern finde man ein ganz anderes Verhalten: Man stelle sich als Elite dar, zu der jedermann gern gehören möchte; und für die Erreichung dieses Ziel sei dann jede Anstrengung gerechtfertigt.
    Vielleicht ist es tatsächlich so: Indem wir den Schülern und Studenten immer wieder sagen, dass alles gar nicht so schwer ist, und indem wir mit Bildchen und Animationen die scheinba-re Harmlosigkeit darstellen, nehmen wir dem Thema die Faszination.
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    Im Extremfall ist es so, dass der Lehrer dem Schüler die Sache nahe bringt, ohne dass der Schüler sich von sich aus der Sache nähert. Aktiv ist der Lehrer – passiv der Lernende. Der Lehrer sorgt für mundgerechte und leicht verdauliche Bildungshäppchen, lockert das Ganze mit Bildern und Filmen auf (denn: Spaß muss sein). Er achtet darauf, dass alles in kleine Schubfächer passt, so dass der Denkapparat des Schülers möglichst nicht überlastet wird. Er stellt auch sicher, dass nach der termingerechten Erledigung dieser Wissensportionen im Rahmen einer Klausur später nicht mehr darauf zurückgegriffen wird. Die Schubfächer unter-liegen nämlich der ökonomischen Mehrfachnutzung: Vom abgehakten Wissen restlos gesäu-bert sind sie aufnahmebereit für neue Wissensportionen.
    Wen wundert’s, dass in dieser Lage ein Schüler den Lehrer fragt: „Was wollen sie tun, damit ich bestehe?“ (Mitgeteilt von Hellmut Scheuermann, Hofheim im Taunus.)
    Solcherart andienende Pädagogik ist weder gerecht noch sozial. Ihre Folgen sind
    • Oberflächliches Entertainment und Verlust der Freude am Problemlösen
    • Konsumentenhaltung und Passivität
    • Beschränkung auf Routinetätigkeiten, auf etwas also, das der Computer besser kann
    • Verlust der Fähigkeit der Abstraktion und des Denkens in Konzepten
    • Schubfachdenken anstelle vernetzten Denkens
    Hochschulentwicklung in falscher Richtung
    Nicht nur an den Schulen sieht es so aus. In dieselbe Richtung geht der aktuelle Trend, Hoch-schulen als Dienstleistungsunternehmen zu sehen.
    Dahinter steckt die Vorstellung, dass vornehmlich die Hochschulen zu liefern haben. Der Kunde Student ist der Abnehmer. Er soll nach diesem Denkmuster zukünftig ja auch vermehrt zur Zahlung für die Lieferungen herangezogen werden. Konsequenterweise haben Hochschu-len heute ein Marketing und ein Corporate Design – als müssten sie Waschmittel unter das Volk bringen.
    Es gibt weitere Anzeichen für die Ökonomisierung der Bildung.
    Der Bologna-Prozess fördert 1. die Work-Load-orientierte Beurteilung von Lehrveranstaltun-gen, 2. die Evaluation nach vordergründiger „Kundenzufriedenheit“, und 3. die Orientierung der Erfolgsbeurteilung der Fachbereiche nach der Zahl der „gelieferten“ Absolventen.
    Wen wundert es, wenn Kollegen dazu übergehen, die Leistungsanforderungen am Leistungs-willen der Studierenden auszurichten? Und wem ist zu verübeln, wenn er unter diesen Rand-bedingungen auf das Bohren dicker Bretter verzichtet und stattdessen einen Stapel dünner Bretter vorlegt?
    Das System standardisierter und separat abprüfbarer Wissenshäppchen findet seinen instituti-onalisierten Niederschlag in einem unnötig starr ausgeprägten Modulsystem.
    Außerdem wird das System der gestuften Abschlüsse, insbesondere der Bachelor-Abschluss, eine Nivellierung nach unten bewirken.
    Vom passiven zum aktiven Lernen
    Die Lehre muss sich, wenn sie gelingen soll, an ein paar grundlegenden Ideen orientieren. Diese müssen wir nicht neu erfinden. Aber offenbar muss man heute wieder einmal daran erinnern.
    Gelingendes Lernen startet mit einem Gefühl der Unwissenheit, die hilflos macht. Am Anfang muss eine bewegende Frage stehend, „bewegend im Sinne von beunruhigend“ (Martin Wa-genschein, 1968).
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    Startpunkt aller pädagogischen Bemühungen ist, Betroffenheit beim Lernenden zu erzeugen. Das Mittel dafür ist die Konfrontation mit dem Unvollkommenen.
    Anregungen zu dieser Methode gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Walter Lietzmann, Ge-org Pólya, Max Wertheimer, Martin Wagenschein und andere haben hier Bahn Brechendes geleistet.
    Die produktive Auseinandersetzung mit dem Unvollkommenen kann echte Freude bereiten: „Hindernisse überwinden ist der Vollgenuss des Daseins“ (Arthur Schopenhauer). Felix von Cube, der Verhaltensbiologe und Erziehungswissenschaftler, drückt es so aus: „Lust ohne Anstrengung ist ein Langweilefaktor. Die verdiente Belohnung von Anstrengung erfahren wir intensiver“. Seiner Meinung nach liegt das daran, dass der Mensch von der Evolution für eine harte Wirklichkeit – sozusagen für den Ernstfall – programmiert ist und nicht für das Schla-raffenland.
    Ein Erlebnis aus einer Lehrveranstaltung im höheren Semester demonstriert das. Es ist ein größeres Projekt zu bearbeiten. In seinem Verlauf sind einige ziemlich harte Nüsse mathema-tisch-logischer und programmiertechnischer Natur zu knacken. Das Genörgel während des Semesters angesichts der hohen Anforderungen und der frustrierenden Fehlversuche ist un-überhörbar. Aber es ist genau diese Lehrveranstaltung, bei der ich zum Schluss in wirklich strahlende Augen blicke. Die Studenten können das Glücksgefühl anlässlich der erledigten anspruchsvollen Aufgabe nicht so recht unter ihrer sonst gern zur Schau getragenen Coolness verbergen.
    Wir müssen aufpassen, dass es auch zukünftig Raum für solche Erlebnisse gibt. Eine Hoch-schulentwicklung, die solche Gelegenheiten immer seltener werden lässt, ist verkehrt.
    Fulda, Samstag, 19. August 2006 Timm Grams


    Fand ich ganz interessant


    Gruß


    E_T

  • Da hat der Prof. Dr. Grams von der FH-Fulda ("University of Applied Sciences"") das neue Bildungsparadigma aber (noch) nicht verstanden.


    Statt über "Oberflächenkompetenz" zu sinnieren, sollte Prof. Grams lieber darüber nachdenken, wie er seine Lehre an die individuellen Bedürfnisse der Studierenden anpasst, denn dafür wird er bezahlt. Beqeuemlichkeit und Ablehnung von grundlegenden pädagogischen Erkenntnissen ("Die Lernenden dort abholen, wo sie sind", Binnendifferenzierung) sind nicht zielführend. Das Beharren auf althergebrachten Strukturen und Lehrmethoden hilft niemandem. PISA, TIMMS und Co. haben gezeigt, wie modernes Lehren und Lernen aussehen muss. Es wird Zeit, dass sich auch die Universitäten anpassen.

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Hallo Michael,


    sicherlich kann man über manche Punkte streiten. Das Wurzelzeichen auf dem Taschenrechener benutzt heute auch jeder ohne noch handschriftlich Wurzelziehen zu können.


    Wenn aber die Studierenden das Leistungsniveau vorgeben, "da abholen wo sich die Studenten befinden" und alles wird so kleinschrittig erklärt das ohne intellektuelle Leistung die Prüfung geschafft wird, wo ist denn dann der wissentschaftliche Anspruch.


    Studieren heisst gerade sich mit Dingen auseinanderzusetzen und nicht wie fasst überall Wissen was der Lehrer vorkaut ind Klausuren wieder nachzuahmen.


    Das Studium muss ein gewisse Niveau halten, gerade auch weil Unternehmen bereit sind für ein gewisses Niveau auch mehr Geld zu bezahlen.


    Die pauschale Aussage mehr Abschlüsse generiern zu wollen, kann man sehr leicht durch das Absenken der Anforderungen erreichen.


    Dies wird die Wirtschaft schnell merken und weniger bezahlen.
    Beim Abitur ist es doch schon so.


    Wenn zukünftig der Professor die besten Noten bekommt der sozusagen die Scheine verschenkt, dann läuft Deutschlang Gefahr das hohe Ansehen der Studienabschlüsse zu verlieren, teilweise ist es ja schon mit der Abschaffung der Diplomstudiengänge passiert.


    Letzlich ist der Batchler auch auf dem Arbeitsmarkt wenig wert, was hat uns das jetzt gebracht?


    Überspitzt gesagt, wenn zukünftig die Kinder nicht mehr lesen können, ja dann lesen halt die Lehrer alles vor.


    Gruß


    E_T


  • Damit stellst du aber grundlegende Erkenntnisse der neueren Lehr- und Lernforschung sowie der bildungspolitischen Debatte in Frage.


    Es gibt wohl kaum einen ernstzunehmenden Lernforscher, der sich gegen das "Abholen, da wo sie sind" aussprechen würde. Außerdem lernt schon jeder Referendar von seinen A15-qualifizierten Ausbildern: "Kleinschrittigkeit ist Trumpf", denn "keiner darf verloren gehen".


    Und wer wollte bestreiten, dass "Abitur für alle" ein Zeichen sozialer Gerechtigkeit ist? Und das soll ausgerechnet für Hochschul-Abschlüsse nicht gelten? Solch ein reaktionäres Denken ist doch nicht mehr zeitgemäß.


    Und Evaluation durch die Lernenden ist ebenfalls eine Schlüsselstrategie der Zukunft. Naturgemäß werden die Lehrenden besser bewertet, die die begehrten Noten oder Abschlüsse verteilen: Denn diese sind doch definitionsgemäß der Beweis dafür, dass die Lernenden viel und gut gelernt haben. Also ein opimales System. Leistung muss sich eben lohnen, auch für die Lehrenden.


    Und wenn die Lernenden nicht mehr selbst lesen können? Mulitmedia ist das Zauberwort! Der eine liest halt lieber, der andere hört lieber zu, der nächste schaut sich lieber etwas an und der übernächste macht die Augen und Ohren zu und ist kreativ im Geiste. Auch hier gilt: Alle Lernkanäle nutzen, es darf ja keiner verloren gehen.


    Diese Abwehrhaltung gewisser Hochschulprofessoren riecht eher nach bequemlichkeitsschützendem Standesdünkel und soll wohl von deren eigenem Versagen in der Lehre ablenken.


    Bildung ist für alle da! Auch die Hochschulbildung! Das ist ein Gebot sozialstaatlicher Gerechtigkeit!


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    Einmal editiert, zuletzt von Mikael ()

  • ...und ich möchte gerne einen Taschenrechner mit genau einer Taste auf der "Mathematik" steht.
    Wunderbare Welt: Für (fast) jedes Problem drücke ich diesen Knopf und mir fällt, ganz von alleine, die Lösung entgegen. Ich brauche nicht mehr denken und kann ich mich dann ganz gelassen der Bild-Zeitung widmen.
    ...Mist! Dafür muß ich ja auch noch lesen können! Gibts die nicht als Comic?!?!

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Hallo Michael,


    zu "Abholen, da wo sie sind" "Kleinschrittigkeit ist Trumpf", und "keiner darf verloren gehen".


    Es besagt doch mach die Schritte so klein das jeder mitkommt, wenn einer an einer weiterführenden Schule das kleine Einmaleins nicht kann fangen wir halt damit an usw.


    Und wenn keiner verloren gehen darf, wiederholen wir es so lange bis in der Oberstufe jeder das kleine Einmaleins kann und mit dem großen Einmakleins hat man dann den Leistungskurs. Wer Prozentrechnung kann hat dann den Masterabschluss in Mathe (Bildung für alle).


    Bildung für alle ist ja in Ordnung, wir müssen aber auch erkennen es gibt Menschen die schneller lernen und besser Probleme lösen können usw. als andere Menschen - diesen Menschen nimmt man die Entwicjklungsmöglichkeiten und letztlich auch der Marktwirtschaft die Möglichkeit solche Menschen zu erkennen und für deren Arbeit dann auch eine entsprechende Entlohnung zu zahlen.


    Dazu:


    Warum Prüfungen schwer sein müssen


    "Die drei Preisträger legten das Fundament zu einer allgemein gültigen Theorie über Märkte, bei denen die Parteien unterschiedlich genaue Informationen über die Qualität des Handelsguts haben...


    George A. Akerlof.. analysierte als Erster, welch heikle Konsequenzen ein solcher Fall von "asymmetrischer Information" für das Funktionieren des Marktes hat...


    Als Beispiel wählte Akerlof den Gebrauchtwagenmarkt. Der Verkäufer eines Altautos kennt dessen Qualität genau; dagegen hat der Käufer nur geringe Möglichkeiten, Auskunft über die Qualität des Autos zu bekommen (Probefahrt, Wartungsheft)...


    Nehmen wir an, die Besitzer guter Autos trennen sich nur von ihrem Fahrzeug, wenn sie mindestens DM 20000,- erhalten, wohingegen sich die Eigentümer schlechter Autos.. schon mit DM 10000,- zufrieden geben. Die Käufer wären bereit, maximal DM 24000,- für einen einwandfreien fahrbaren Untersatz auszugeben und DM 12000,- für einen mangelhaften.
    Bei vollkommener Information würden also gute Autos zu einem Preis zwischen DM 20000,- und DM 24000,- den Besitzer wechseln und schlechte für DM 10000,- bis 12000,-. Ein Tausch kommt zu Stande, und der Markt funktioniert.


    Bei asymmetrischer Information erwartet der Käufer dagegen nur eine durchschnittliche Qualität. Entsprechend wird er höchstens DM 18000,- ausgeben, wenn er davon ausgehen muss, dass gute und schlechte Stücke gleich häufig, aber für ihn nicht unterscheidbar sind..
    Die.. Eigentümer guter Autos (würden damit).. Verluste machen und ihre Fahrzeuge deshalb vom Markt nehmen... Diese Spirale setzt sich fort, bis nur noch Wagen der niedrigsten Qualitätsstufe zu einem entsprechend geringen Preis verkauft werden. Im Endergebnis haben schlechte Fahrzeuge die hochwertigen aus dem Markt gedrängt -.. (negative Auswahl).. Gute Wagen werden nicht gehandelt, obwohl es durchaus Käufer gäbe, die mehr dafür zahlen würden, als die Besitzer verlangen.


    In seinen bahnbrechenden Arbeiten zeigte Akerlof auf, dass asymmetrische Informationen ein weit verbreitetes Problem sind. Wie er nachwies, lassen sich damit so unterschiedliche Missstände erklären wie.. die Schwierigkeiten Älterer, eine erschwingliche private Krankenversicherung abzuschließen, oder die Diskriminierung von Minderheiten auf den Arbeitsmärkten.


    Glaubhafte Signale für QualitätIn vielen Fällen können allerdings die Anbieter eines Wirtschaftsgutes dem geschilderten Marktversagen erfolgreich entgegenwirken. Dies zeigte der zweite Laureat: A. Michael Spence...


    Demnach unternimmt die besser informierte Marktseite große Anstrengungen, Qualität zu signalisieren. Der Besitzer eines guten Autos kann beispielsweise eine Gewährleistung über 20000 Kilometer.. geben. Dies ist ein glaubhaftes Signal und trennt die hochwertigen von den schlechten Gebrauchtwagen...
    Mittlerweile haben sich viele Signale etabliert, welche die Informationsasymmetrie verringern. Dazu gehören Markennamen oder Ketten (von Kaufhäusern, Restaurants, Hotels und so weiter). Auch Werbung erfüllt letztlich eine Signalfunktion: Selbst wenn sie das Blaue vom Himmel verspricht, zeigt sie zumindest, dass der Anbieter sein Produkt schon erfolgreich unter die Leute gebracht hat; denn sonst könnte er sich die hohen Werbeausgaben nicht leisten.


    Spence entwickelte seine Ideen über die Bedeutung von Signalen am Beispiel der Ausbildung und deren Kosten. Da der Personalchef die angeborenen Fähigkeiten eines Bewerbers nur schwer direkt erkennen kann, vertraut er auf.. Ausbildung...
    Wer ein Diplom vorweisen kann, dokumentiert damit seine prinzipielle Eignung für anspruchsvolle Positionen, die entsprechend gut dotiert sind. Da weniger Talentierte zu hohe Ausbildungskosten (eine zu lange Studiendauer) hätten, werden sie das Signal nicht erwerben. Die Ausbildung und deren Kosten scheiden also die Begabten von den weniger Befähigten und überwinden damit das Problem der asymmetrischen Information. Wenn allerdings bei niedrigen Ausbildungskosten alle das Signal (das Abitur oder ein Diplom) erwerben können, verliert es seinen Wert, weil es die beiden Gruppen nicht mehr separiert.


    In seinem Grundmodell unterstellt Spence sogar, dass Ausbildung die Fähigkeiten nicht erhöhen muss, um als Signal erfolgreich zu sein. Sie zeige nur, dass der Bewerber eine Hürde genommen hat, die anderen zu hoch erscheint. In der Tat dürfte sich manch ein Bewerber mit Diplom an die Worte seines Chefs erinnern, er könne getrost alles vergessen, was er gelernt habe - er brauche diese Kenntnisse im Berufsleben ohnehin nicht. Demnach sind die Ausbildungskosten eigentlich eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen; dennoch müssen sie aufgebracht werden, um eine angeborene Fähigkeit zu signalisieren. Märkte können demnach erstaunlich ineffizient sein.


    Der dritte Nobelpreisträger - Joseph Eugene Stiglitz..." trägt nichts zum Thema Schulausbildung bei, soll aber auch genannt sein.


    Klaus Conrad in Spektrum der Wissenschaft - DEZEMBER 2001


    Gruß


    E_T


  • Und genau das trifft doch den Kern der aktuellen bildungspolitischen Debatte. Es ist nicht mehr erwünscht, dass die (staatliche) Schule die Menschen separiert. Warum sonst die Diskussion um die Abschaffung der Hauptschule und der Wunsch, die Abiturientenquoten deutlich zu erhöhen? Die Hochschulen werden die nächsten sein, und sie werden sich dem nicht entziehen können, also besser Prof. Grams stellt sich frühzeitig darauf ein, statt weinerlich zu wirken.
    "Abholen, da wo sie sind", "Kleinschrittigkeit ist Trumpf" und "keiner darf verloren gehen" so lautet die Mantra des neuen Bildungsparadigmas!
    "Soziale Gerechtigkeit durch Bildung für alle" füge ich dem noch hinzu!


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

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