Referandariat vs. Dissertation

  • Ich habe zwei Fragen:


    Ich habe meine Examensarbeit nun abgegeben und dabei kristalisierte sich immer mehr der Wunsch heraus, in der Lehr-Lern-Forschung zu bleiben. Da ich in den letzten Monaten auch schon nebenbei Lehraufträge hatte, die mich eher frustiert haben, merke ich: ich bin kein toller Lehrer! Analyse, Empirie und Lehrforschungsprojekte liegen mir viel mehr.


    Zum einen: muss ich warten bis ich von meinem Prof (nach den Prüfungen?) eine Diss angeboten bekomme, oder darf ich jetzt schon fragen?


    Zum anderen: erst Diss und dann Ref, oder umgekehrt?

  • Du musst sehen, was sich dir bietet - die Luft in der akademischen Welt ist dünn, eine Promotion ein auslaugender und teurer Prozess und die Chancen auf feste Stellen extrem gering. Und die Motiviation zum wissenschaftlichen Arbeiten sollte der Drang zum wissenschaftlichen Arbeiten sein - nicht die Abneigung gegen das praktische Unterrichten.


    Aber - solange du nicht auf die Idee kommst, irgendewelche praktischen Einführungen in die Didaktik zu schreiben - warum nicht?


    Wenn du irgendwie planst, den Fuß in die Tür zu kriegen, solltest du das so früh wie möglich beginnen - am besten schon am Ende des Grundstudiums über eine Hilfskraftstelle und so. Wenn dein Professor deinen Namen noch nicht kennt, wäre ich ehrlich gesagt pessimistisch, was seine Förderungsbereitschaft angeht...


    Nele

    2 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Zitat

    Original von lissis
    Da ich in den letzten Monaten auch schon nebenbei Lehraufträge hatte, die mich eher frustiert haben, merke ich: ich bin kein toller Lehrer!


    Das muss man ja auch nicht vom ersten Tag an sein, man kann ja auch ein toller Lehrer werden.

  • Hallo!


    Was Du entscheidest, musst selbstverständlich Du wissen, aber wenn Du mich fragst: Referendariat.


    Der Wunsch "zu bleiben" und sich (vermeintlichen) Unannehmlichkeiten nicht zu stellen, ist sicherlich ein Hauptgrund, der Leute in die Promotion führt. Nach meiner Erfahrung kommen die Probleme nach vier oder fünf Jahren in gesteigerter Form wieder, wenn man merkt, dass die Universität sehr oft keine Perspektiven eröffnet.


    Die deutsche Universität funktioniert in sehr vielen Fächern (und eventuell gehört die Lehr-Lernforschung dazu) wie eine Autowerkstatt, in der ein Meister und zwanzig Lehrlinge arbeiten. Die Lehrlinge werden alle zwei Jahre ersetzt, wobei der Meister jedem neuen Lehrling sagt: "Du wirst der nächste Meister." Es gibt tausende Doktoranden in Deutschland, die unter den Beifallsrufen Ihrer Doktor"väter" ins Nichts hinein promovieren.


    Wenn Dir das aber alles zu pessimistisch klingt, ein paar ganz pragmatische Dinge:


    (a) Natürlich kannst Du Deinen Prof fragen, wie es mit einer Promotion aussieht. Meine Prognose: Er wird begeistert sein und sofort einwilligen.


    (b) Wenn er keine Stelle hat, kannst Du die Finanzierung über eines der zahlreichen Stipendienprogramme organisieren. Dein Prof sollte hier Hilfe geben können.


    (c) Ich glaube nicht, dass ein paar schlecht gelaufene Uniseminare Rückschlüsse darüber erlauben, ob Du als Lehrer (Referendar) Erfolg haben wirst.


    (d) Die Stellenaussichten für Lehrer sind im Moment so gut wie seit 30 Jahren nicht mehr. In zwei Jahren werden sie bereits deutlich schlechter sein, aber immer noch gut. In fünf Jahren (wenn Du Deine Promotion beendet hast) könnte wieder ein faktischer Einstellungsstopp existieren.


    Viel Glück bei der Entscheidung!!
    Unter uns

  • Lehraufträge ohne Referendariat sind meistens eher frustrierend - zumindest für die Armen, die dies an unserer Schule zu tun haben.


    Im Referendariat lernt man ja erst die Praxis und ich muss sagen, so sehr ich gestöhnt habe über die perfekt ausgetüftelten Einzelstunden, die einem bei den UBs abverlangt wurde, so sehr hat mir die zweijährige Zeit des Praxissammelns doch genutzt, um schließlich ein guter Lehrer zu sein.


    Ich würde also nicht zu schnell sagen: Das Unterrichten liegt mir nicht. Man muss es üben, dann wirds immer besser ;)

  • Ich rate Dir aus verschiedenen Gründen, ins Referendariat zu gehen, einige davon sind bereits im Thread genannt worden.


    Du solltest bedenken, dass Du "nur" mit dem 1. Staatsexamen keine abgeschlossene Ausbildung hast. Zudem kann es sein, dass Du mit dem Grundschullehramtsstudium unter der "Regelstudienzeit für eine Dissertation" liegst - die meisten Promotionsordnungen verlangen eine Regelstudienzeit von mind. 9 Semestern, was bei den Grundschullehramtsstudiengängen meist nicht gegeben ist. Wenn jemand jedoch mit 2. Staatsexamen promovieren will, gibt es meiner Erfahrung nach oft "Entgegenkommen" in der Anrechnung ebenjener Ref-Zeit für die Mindestdauer, die für eine promotions-würdige Ausbildung vorausgesetzt wird. So könntest Du dem Belegen zusätzlicher Lehrveranstaltungen entgehen (die Dich auch 1 Jahr kosten werden, also durchaus vergleichbar mit dem Ref. - meins hat 1.5 Jahre gedauert)


    Ggf. stösst Du durch die Arbeit in der Schule (also durch das Referendariat) auch auf ganz andere Fragestellungen, die Dich interessieren, als Du es beim "Trockenschwimmen" an der Uni tun würdest.


    Nicht vernachlässigen solltest Du bei Deinen Überlegungen auch, dass es Fristen gibt, die zwischen 1. Staatsexamen und Beginn des Referendariats liegen. "Zu meiner Zeit" waren das 3 oder 5 Jahre (ich weiss es nicht mehr so genau) - vergeht mehr Zeit zwischen dem 1. Staatsexamen und Referendariatsantritt, kann es sein, dass Du eine oder mehrere Prüfungen absolvieren musst, um zum Ref zugelassen zu werden.


    Den Zukunftsaspekt des "etwas in den Händen Haltens" finde ich ganz wichtig; Du hast lt. Hochschulrahmengesetz nur 12 Jahre Hochschul-Zeit, um Diss, Habil/habiladäquate Leistungen zu erbringen und den ersten Lehrstuhl zu erklimmen. Was sind denn Deine beruflichen Vorstellungen? Eine Dissertation umfasst (im Vergleich zur Lebensarbeitszeit) ja nur eine kurze Zeitspanne.


    Falls Du vorhast, eines Tages in die dünne Lehrstuhl-Luft zu gelangen, wird bei den meisten schulpädagogischen Lehrstühlen zudem eine "mindestens dreijährige Praxis ausserhalb der Hochschule" erwartet (steht in jeder Stellenanzeige). Zwar wird oftmals noch der Zusatz "nach dem 2. Staatsexamen" gemacht, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen; mehrere Leute aus meiner Umgebung waren mit dem 2. Staatsexamen (also knapp 2 Jahren "ausserhalb der Hochschule") "Einäugige unter den Blinden" bei der Vergabe der begehrten W2/W3-Besoldungen...



    Du könntest versuchen, Ref und erstes Lesen für das Herausarbeiten einer Fragestellung für die Diss zu verbinden und zu Forschungskolloquien etc. gehen, auch um "dranzubleiben".


    Natürlich wird es viele Leute in Deiner Ref-Umgebung und auch in Foren geben, die sagen, neben dem Ref schafft man gar nichts mehr. Das ist aber von sehr individuellen Belastbarkeiten abhängig - ich hab neben dem Ref. meine Diplomarbeit (Erzwiss.) geschrieben und trotzdem das 2. Staatsexamen mit "sehr gut" bewältigt.


    LG, das_kaddl.

  • Eine Freundin von mir hat sich genau diese Frage auch gestellt und macht nun beides parallel. Das Ref macht sie, um "einen vernünftigen Abschluss" zu bekommen und die Dissertation läuft im Moment nebenher. Natürlich kann sie nicht so viel an ihrer Dis arbeiten wie sie es ohne das Ref könnte, aber ihr Prof. weiß das und macht ihr auch überhaupt keinen zusätzlichen Druck. So hat sie nächstes Jahr ihr zweites Staatsexamen und kann dann in relativ kurzer Zeit die Dis noch zu Ende schreiben.
    Vielleicht wäre das ja auch eine Alternative für dich?

    • Offizieller Beitrag

    Geh ins Referendariat.


    Eine Bekannte von mir hatte das Referendariat nicht angetreten.
    1. wollte sie nicht in den Seminarort versetzt werden.
    2. wollte sie promovieren.


    Sie hat es fachlich auch richtig gut drauf gehabt, insofern wäre es sogar was für sie gewesen.


    Ich weiß nicht genau, wie die Promovierung dann zeitlich ablief, aber ich weiß, dass ihr nach ca. 2 Jahren von der "Doktormutter" geraten wurde, ins Referendariat zu gehen, "...damit sie erst einmal etwas hat."


    Daraufhin hat sie auch mit dem Referendariat begonnen, es aber wegen Schwangerschaft abgebrochen. Inzwischen ist das Kind anderthalb Jahre als und sie ist faktisch gesehen Hausfrau und Mutter*. weil sie derzeit noch keine vernünftig abgeschlossene Ausbildung hat.


    Also: ab ins Referendariat. Viel Erfolg.


    kl. gr. frosch


    *Disclaimer: nein, ich sage nicht, das "Hausfrau und Mutter" sein nicht gut ist. ;)

  • Ich kenne Leute, die vor dem Ref promovierten bzw. erst danach, aber die Dissertation wurde vorher fertig gestellt. Es ist auch immer eine Typfrage. Nach dem referendariat will man vielleicht gar nicht mehr promovieren, sondern endlich "richtig" Geld verdienen.

  • Wenn ich meine Diss nicht vor dem Referendariat fertig bekommen hätte, wäre sie jetzt immer noch nicht fertig - und würde es wahrscheinlich auch nicht mehr. Neben dem Referendariat eine geisteswissenschaftliche Arbeit? Chancenlos. Und jetzt mit voller Stelle könnte ich mir das auch nicht wirklich vorstellen.


    Was die konkrete pädagogisch-didaktische Forschung angeht, bin ich außerdem davon überzeugt, dass man zumindest die Praxiserfahrung einer Lehrerausbildung unter dem Gürtel haben sollte, wenn man zu sinnvollen Forschungsergebnissen kommen will.


    Nele

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