Depersonalisation

  • Hallo liebes Forums-Volk!


    Ich war heute auf einer Fortbildung zum Thema Strategien gegen Burn-Out. Dort fiel der Begriff "Depersonalisation", als einem möglichen Symptom des Ausgebranntseins.


    Unter Depersonalisation versteht man:
    eine negative, abgestumpfte oder zynische und distanzierte Reaktion auf die Wünsche von Menschen, mit denen man beruflich zu tun hat
    sowie eine unpersönliche und entmenschlichende Wahrnehmung derselben.


    Also, wenn das Krankenhauspersonal den Patienten mit Lungenkrebs als "die Lunge von Zimmer 13" z.B. bezeichnet, dann wäre das eine Form der Depersonalisation.


    Meine Frage: kennt ihr solche Beispiele aus eurem Berufsalltag, die ihr an euch selbst oder an anderen beobachtet?


    Zweite Frage: meint ihr, dass jede Form der Depersonalisation ein Ausdruck des Burn-OUt ist?


    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer weltweiten Befragung von Lehrern, in welcher u.a. ermittelt wurde, ob und wie Lehrkräfte Burn-out wahrnehmen.
    In allen Ländern kreuzten die Lehrkräfte gleichmäßig oft an, dass sie Depersonalisation an sich und anderen im Beruf wahrnehmen. Nur nicht die Deutschen. Deren Umfrageergebnis liegt diesbzgl. deutlich unter dem Schnitt.


    Interpretation der Wissenschaftler: Viele Deutschen schämen sich, solche Gefühle zuzugeben. Dies sei auf Schuldgefühle bzgl. der jüngeren deutschen Geschichte zurückzuführen.
    Demnach wird z.B. eine deutsche Lehrkraft häufiger sagen, dass sie ihre schwierigen Schüler gern hat und mit diesen gern zusammen arbeitet, auch wenn sie eigentlich total genervt von denen ist. Depersonalisation ist etwas, wofür man sich in Deutschland schämen muss.


    Wie seht ihr das?


    Viele Grüße


    klöni

  • Umgekehrschluss: im deutschen Schulsystem wird der Lehrerberuf mit so viel ideologischem Bohei aufgeladen wie nirgendwo sonst. Nicht umsonst faseln deutsche Lehrer besonders gerne von "Traumberuf" und "Dinge bewirken" und "wir müssen brennen" und so...


    Nele

  • @neleabels:


    an meiner Schule faselt man eigentlich nur noch im Beisein von Eltern vom "Traumberuf" Lehrer. Untereinander sieht es ganz anders aus, da wird mehr gejammert.


    Mich würde mal interessieren ob und falls ja in welchem Ausmaß Depersonalisation an deutschen Schulen zu beobachten ist. An meiner Schule gehört es bei einigen Lehrern zum "guten Ton" dazu, abfällig und herablassend z.B. über Schüler zu reden.
    Jetzt frage ich mich, ob dies ein Mittel zur Psychohygiene ist, Teil des Burn-out-Syndroms oder generell schlechter deutscher Geschmack, der gar nicht mehr weiter auffällt.


    Zitat

    "Dinge bewirken" und "wir müssen brennen"


    Interessant: auf der Fortbildung mussten wir unsere sog. "inneren Antreiber" formulieren. Das sind die inneren Leitsätze, die man gar nicht mehr reflektiert und wahrnimmt, die einen aber ständig zu neuen (gesundheitsschädlichen) Akrobatsstückchen antreiben. Ergebnis der Konditionierung im Referendariat?


    Grüße, klöni

  • "Mister ADS war wieder mehr auf dem Boden als an seinem Platz unterwegs" ... so was meinst du , oder?


    Das kenn eich schon von unserer Schule und auch von mir.

  • Conny:


    Du hast recht, bei Wikipedia fehlt der Aspekt, den ich oben beschrieben habe.


    Auf http://www.thefreedictionary.com/depersonalisation


    kann man mehr erfahren unter Punkt 3.



    Zitat


    3. depersonalisation - representing a human being as a physical thing deprived of personal qualities or individuality; "according to Marx, treating labor as a commodity exemplified the reification of the individual"


    Das entspricht dem, was ich auf der Fortbildung gehört habe. Ob dies mehr eine anglo-amerikanische Verwendung des Begriffs ist?



    der PRINZ:


    Genau, so etwas. Wird das bei euch als eine besondere (entmenschlichende) Art des Beschreibens von Schülern wahrgenommen oder ist es was Normales, was halt zum Alltag so dazugehört und das man schnell wieder vergisst?

  • Zitat

    Original von klöni
    der PRINZ:


    Genau, so etwas. Wird das bei euch als eine besondere (entmenschlichende) Art des Beschreibens von Schülern wahrgenommen oder ist es was Normales, was halt zum Alltag so dazugehört und das man schnell wieder vergisst?


    oh, Schreck, es gehört irgendwie einfach mit dazu... Wobei cih glaube, dass wir solche Bemerkungen nicht oft machen, sondern meistens, wenn wir zuuuuu sehr von einem Schüler genervt sind. Trotzdem schlimm, dass man dann gar nicht mehr bemerkt, wie man über ihn spricht.

  • der PRINZ:


    Ich frage mich, ob die "akzeptierte" Depersonalisation eine typisch deutsche Angewohnheit ist. Meine Erfahrungen sind bestimmt nicht repräsentativ, aber in England oder den USA, wo ich zeitweise unterrichtet habe, wäre so etwas kaum denkbar gewesen. Da hatte ich den Eindruck, dass man sehr sensibel auf politically inkorrekte Statements reagiert und Lehrer, die sich dahingehend outen, schnell im Abseits landen.


    Viele Grüße,
    klöni

  • Also, der begriff "Depersonalisation" ist mir bisher im Zusammenhang mit dem Burn-out-Syndrom noch nicht begegnet.
    Das Burnout-Syndrom wird in Phasen eingeteilt, eine davon trifft das, was die mit dem Begriff meinen.


    1.) Warnsymptome der Anfangsphase Man arbeitet nahezu pausenlos, verzichtet auf Erholungs- oder Entspannungsphasen, fühlt sich unentbehrlich und vollkommen, und der Beruf wird zum hauptsächlichen Lebensinhalt. Eigene Bedürfnisse werden nicht beachtet, Misserfolge verdrängt. Erschöpfung, chronische Müdigkeit, Energiemangel, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und Schwindelgefühle sind die Folge
    2.) Reduziertes Engagement Die völlige Hinwendung zu einem Bereich, z.B. zum Klienten/Patienten in der Arbeit, kann nach einiger Zeit genau das Gegenteil hervorrufen, nämlich den Rückzug. Folgende auffallende Merkmale sind zu beobachten: Der Patient verliert die positiven Gefühle dem Klienten gegenüber, es entwickelt sich ein Distanzbedürfnis bis hin zu Schuldzuweisungen. Die Arbeit wird vernachlässigt, Probleme und Konfliktgespräche werden gemieden und oft findet auch ein Rückzug von der Familie/den Freunden statt, da auch in anderen Bereichen Reden und Zuhören zum Problem wird. Insgesamt hat man häufig das Gefühl, ausgenutzt und nicht genug anerkannt zu werden.
    3.) Schuldzuweisungen als emotionale Reaktion Die mit dem Burnout verbundenen Probleme führen besonders zur Desillusionierung und fordern oft das Aufgeben von wichtigen Lebenszielen. Dies ist sehr schmerzlich und muss verarbeitet werden. Um die Aufarbeitung zu vermeiden, kommt es häufig zu Schuldzuweisungen. Diese kann sich entweder in Form einer Depression gegen sich selbst oder in Form von Aggressionen gegen andere wenden. Bei Depression fühlen sich die Patienten hilflos, sie entwickeln Schuldgefühle und mindern ihr Selbstwertgefühl. Bei Aggression werden verstärkt der Umwelt Vorwürfe gemacht - es kommt häufiger zu Wutausbrüchen. Bei Depression und Aggression ist das Burnout meist noch in einem Stadium, in dem man die Probleme, wenn man sie ernst nimmt, erfolgreich lösen kann.
    4.) Abbau Burnoutprobleme über längere Zeit führen zu einem Abbau des Engagements, der zunächst in der Arbeit sichtbar wird. Folgende Symptome fallen hier besonders auf: Desorganisation, Unsicherheit, Probleme bei komplexen Aufgaben und Entscheidungen, verringerte kognitive Leistungsfähigkeit, verminderte Motivation und Kreativität - die Arbeit wird gerne auf den „Dienst nach Vorschrift“ reduziert. Auch das Privatleben wird beeinträchtigt. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück, pflegen kaum mehr Freundschaften, trennen sich vom Partner; unternehmen nichts dagegen und vereinsamen letztendlich.
    5.) Verflachung Zudem kommt es nicht nur zum Abbau in der Arbeit, sondern auch generell zur Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens. Folgende Symptome treten häufig auf: Gefühle wie Gleichgültigkeit, Einsamkeit und Desinteresse an der Umwelt, Konzentration auf die eigene Person und Probleme bei sozialen Kontakten (Vermeidung von Kontakten, übertriebene Bindung an eine bestimmte Person, ständige Suche nach interessanteren Kontakten)
    6.) Psychosomatische Reaktionen Es kommt zu einer Schwächung des Immunsystems und so häufiger zu Infektionskrankheiten. Weitere psychosomatische Erkrankungen sind oft Verspannungen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, Verdauungs- und Essstörungen sowie bei fortgeschrittener Erkrankung auch Herzkrankheiten und Geschwüre im Magen-Darm-Trakt. Weiterhin kommt nicht selten gesteigerter Drogenkonsum vor, unter anderem auch Alkoholmissbrauch.
    7.) Verzweiflung Ein weiteres Symptom, das überwiegend im Endstadium des Burnout auftritt, ist die existenzielle Verzweiflung. Die Einstellung zum Leben ist überwiegend negativ und das Gefühl der Hilflosigkeit verdichtet sich zur totalen Sinnlosigkeit, die sogar im Suizid enden kann.


    ich habe regelmäßig zu den Klausurenphasen und ganz extrem vor den Sommerferien das Gefühl, in Phase 2, 3, sogar 4 zu sein

    2 Mal editiert, zuletzt von Micky ()

  • ich meine Phase 2, aber dass man Schüler ja nur noch als Nervensägen wahr nimmt, zieht sich ab Phase 2 dann ja durch alle Phasen.
    Ich bin bisher in Phase 4 gewesen - weiter habe ich es bisher nicht kommen lassen, wenn ich merke, dass es schlimmer wird, lasse ich mich GANZ RIGOROS krankschreiben.
    Meine Ma kann sich leider nicht schützen, sie ist in ihrem letzten Jahr und schon seit mehrern Jahren in Phase 6:-(
    Ist natürlicha uch alles eine Persönlichkeitssache - bei uns gibt es Lehrer, die keinen Burnout bekommen oder sich rechtzeitig zu schützen wissen.
    Opfert man sich auf, ist man gefährdeter, jetzt verstehe ich, was damals in der Uni gesagt wurde - Vorlesung Psychologie, es ging um die Wahl des Lehrerberufes und die Aufarbeitung der eigenen Persönlichkeit. Da ging es auch um den Burnout und Fakt war damals schon, dass man nach dem Ref besonders gefährdet ist, weil man ja den Perfektionismus "eingebleut" bekommen hat - etwas, das auch ich gemerkt habe. Aber ich habe, glaube ich, die Kurve gekriegt. Auch wenn mich das Ref total verändert hat, was meine Ansprüche an meine eigene Leistung angeht.

    Einmal editiert, zuletzt von Micky ()

  • Zitat

    Original von Micky
    Opfert man sich auf, ist man gefährdeter, jetzt verstehe ich, was damals in der Uni gesagt wurde


    Stimmt. Ich trete in diesem Forum offen und bekennend als Zyniker auf und kotze mich regelmäßig über die durchideologisierte Hochschuldidaktik und -pädagogik von Professoren, die noch niemals einen Klassenraum von innen gesehen haben, gründlich aus. Aber über die Distanzierung habe ich eine Grundhaltung meinen Schülern gegenüber gefunden, die ich ehrlich und offen als gesund betrachte: wir begegnen uns auf professioneller Ebene - sie wissen, dass sie an der Schule sind, um durch einen Arbeit einen Abschluss zu erwerben, ich weiß, dass ich für mein Gehalt als Studienrat eine professionelle Arbeit abzuliefern habe. Das schließt aber nicht aus, dass ich meine Schüler ganz gerne mag (Idioten gibt's immer), dass wir auch mal rumalbern dürfen, dass sie etwas von meinem Leben erfahren, so wie ich etwas von ihrem Leben erfahre, dass wir uns auch einmal gründlich die Meinung sagen.


    Und es schließt nicht aus, dass sie sich an mich wenden, wenn sie Probleme haben - nicht, weil wir auf Augenhöhe sind, sondern weil ich für sie aufgrund meiner Lebensleistung, meiner akademischen Bildung und meiner funktionalen Stellung als Lehrer eine Autoritätsperson bin, die man um Rat fragen kann. Dabei bin ich allerdings kein "Machthaber im Dienste des Systems" à la Hilbert Meyer. Dennoch weiß ich, dass ich nicht die Welt retten kann; sage das meinen Schülern offen und ehrlich und weise sie stattdessen lieber an Sozialarbeiter und psychologische Beratungsstellen weiter. Mein Schüler wissen, dass ich nicht "Lehrer Dr. Specht" bin und missbrauchen deshalb auch nicht die Möglichkeiten, die ich ihnen biete.


    Ich mag meinen Beruf (außer der administrativen Scheiße und den Korrekturen), opfere mich aber nicht auf, schon gar nicht für irgendein Ideal, und meine deshalb, dass ich unter dem Strich sehr viel mehr für die Sache der Pädagogik tue, als irgendwelche strunzdummen Idealisten, die nach drei Jahren ausgebrannt sind.


    Nele


    P.S. Ich tue schon lange nicht mehr, was mir im Referendariat eingebläut wurde, sondern einzig und allein, was ich aus professioneller Einschätzung für richtig halte.

    2 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • @ nele


    Zitat

    Ich mag meinen Beruf (außer der administrativen Scheiße und den Korrekturen), opfere mich aber nicht auf, schon gar nicht für irgendein Ideal, und meine deshalb, dass ich unter dem Strich sehr viel mehr für die Sache der Pädagogik tue, als irgendwelche strunzdummen Idealisten, die nach drei Jahren ausgebrannt sind.


    das unterschreibe ich mit Brief und Siegel (vor allem das in den Klammern)


    Zitat

    Ich trete in diesem Forum offen und bekennend als Zyniker auf und kotze mich regelmäßig ...


    das tue ich häufig in Bezug auf user, die hier schreiben und denen man anmerkt, dass guter Unterricht auch immer so ein Stück Selbstbefriedigung ist. Und davon gibt es hier viele ... ich weiß nicht, wie gut sie mit dem Druck klarkommen, aber ich habe mir das zum größten Teil abgewöhnt.

    • Offizieller Beitrag

    Neles Beitrag sollte man eigentlich als Ergänzung zum Thema Selbstverständnis in den Anti-burnout thread kopieren... mach ich nachher vielleicht auch gleich mal.


    Ich für meinen Teil finde mich da zu 90% wieder - wenn ich auch noch hinzufügen muss, dass für mich auch ein Begeisterungsaspekt dabei ist: ich gehe morgens richtig gern zur Schule. Ich freu mich auf die Schüler und auf viele Kollegen. Das empfinde ich als Privileg, nicht jedem Arbeitnehmer geht es so...
    Den Teil abends am Schreibtisch (Korrekturen/Administration) empfinde ich allerdings als nervig, endlos und hamsterradig.


    Zum Zynismus neige ich eher nur in bildungspolitischen Fragen und bei der Arbeit im Gesamtpersonalrat, also beim Zackern mit den Behördern. Da aber kräftig. X(

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

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