Impotenz des Lehrkörpers?

  • Hallo dacla,


    ich bin generell auch der Meinung, dass der Erfolg eines Menschen stark von der Umwelt abhängig ist, in der man sich beweisen bzw. reifen muss. Eine bestimmte Umwelt kann auf einen bestimmten Menschen zermürbend, destruktiv wirken auf einen anderen förderlich, ermutigend.


    Was die Verwendung des Begriffes "Persönlichkeit" in diesem Thread angeht: dieser entzieht sich m.W. selbst in der Forschung jeglicher Präzision, obwohl unentwegt damit operiert wird. Eine eigene Definition des Begriffes wird bei Verwendung desselben dann implizit als allgemeingültig vorausgesetzt. Deine Verwendung des Plurals finde ich deshalb sehr sinnvoll, hilft er doch Pauschalisierungen zu vermeiden.


    Meikes Persönlichkeitsbegriff ist m.E. in ihrem ersten Posting zu diesem Thread ein deterministischer, (wandelt sich jedoch im Laufe der Diskussion.)

    Zitat

    So bitter das ist: man hat es oder man hat es nicht.

    über

    Zitat

    Einiges kann man lernen und durch Reflektieren beheben, anderes nicht.

    zu

    Zitat

    Da hilft dann nur zu hoffen, dass sich das "schon auswächst".


    Die ursprüngliche Argumentation steht im Zeichen der kontinentaleuropäischen Tradition (Leibnitz, Kant) mit einem eher pessimistischen Menschenbild. Erbanlagen und andere konstitutionelle Bedingungen sind für die Ausformung der Persönlichkeit ein entscheidender Faktor, Lernen nur bedingt möglich, da eine relative Nichtmodifizierbarkeit ausschlaggebend ist. :depp: bleibt halt :depp: (und es gibt diese beratungsresistenten Exemplare tatsächlich, denen vermutlich nur eine Trauma-Schock-Therapie auf den rechten Weg helfen würde!!!)


    CKRs Argumentationslinie ist der angloamerikanischen Tradition verpflichtet. Der Mensch kann hiernach alles erlernen oder erreichen, wenn er oder sie nur günstige Milieueinflüsse vorfindet (s. Tellerwäscher zum Millionär- American Dream-Idealismus). Dich, dacla, würde ich ebenfalls in diese Denktradition einordnen. Die Modifizierbarkeit menschlichen Verhaltens ist hier natürlich gegeben. Auf Reize der Umwelt kann ein Organismus operante Verhaltensweisen ausformen, die sich dann auch verfestigen können und eine Persönlichkeitsänderung herbeiführen.


    Ich selbst sehe mich eher einem positiven Menschenbild verpflichtet. Dies v.a. aus Gründen der Psychohygiene, denn sonst würde ich angesichts der Unverrückbarkeit und Unveränderlichkeit der Umwelt, des Universums, des Menschen oder des Systems wahrscheinlich irgendwann verrückt werden.


    To put it in a nutshell: ich versuche in meiner Zusammenarbeit mit Menschen zwischen Traits und States zu differenzieren - was ist überdauernd, was situationsabhängig. Aus einer Momentbetrachtung (und das war ja die Beschreibung des Verhaltens meiner Refin) bin ich jedenfalls nicht in der Lage, Rückschlüsse über ihre Disposition abzuleiten. Dafür brauche ich mehr Zeit.


    Es grüßt,
    k.

  • klöni


    Mein spontaner Gedanke beim Lesen deines Beitrags:


    Die Stunde ist zu sehr durchgeplant.
    Von den Schülern werden keine "echten" Antworten erwartet,
    sondern nur die, die ins Konzept passen.


    Die Referendarin hat alles bis auf die letzte Minute im Griff.


    Die eigene Meinung oder eine Frage der Schüler, die nicht ins Konzept passt werden wahrscheinlich "abgewürgt".
    Die Schüler sind nur so eine Art Marionetten.


    Ich kann natürlich jetzt völlig daneben liegen.
    Wie gesagt: Mein 1. Eindruck.


    Hier wäre vielleicht weniger mehr.
    Vielleicht sollte sie mal eine Stunde nur mit dem Buch halten.
    Keine tollen Zusatz-Sachen.

  • In der Beschreibung deiner Referendarin erkenne ich mich im ersten Jahr meines Refs wieder. Ich habe tagelang jede Minute meines Unterrichts verplant, hatte fast panische Angst davor, mal früher fertig zu werden, da ich nicht wusste, was ich dann mit den Schülern hätte anfangen sollen. Es gab tolle Arbeitsblätter, die Sozial- und Methodenformen habe ich sehr häufig gewechselt... - kurzum im Vergleich zu heute "vorbildlicher" Unterricht.


    Draht zu den Schülern hatte ich aber keinen. Wie denn auch? Wenn man immer nur Unterricht "kloppt", dann kann man gar keine Beziehung zu den Schülern aufbauen. Irgendwann hat mich eine 7. Klasse nach fast einem halben Jahr dann einfach mal gefragt: "Frau XY, warum machen wir denn bei Ihnen immer nur Unterricht?" Anfangs habe ich gar nicht kapiert, was damit gemeint war. Na klar machen wir nur Unterricht, das ist schließlich mein Job!


    Die Schüler erklärten mir dann, dass sie sich bei anderen Lehrern zwischendurch oder am Anfang der Stunde auch mal ein bisschen "unterhalten" und dass sie das in meinem Unterricht vermissen würden.
    Sollte ich heute also mal etwas früher fertig sein, gebe ich also mal meine Meinung zum Weinhnachtskonzert ab, frage, wohin der nächste Wandertag führt, gebe kund, dass ich den Schüler XY mit seiner Fußballmannschaft in der Zeitung abgedruckt gesehen habe... anstatt noch die 3. Vertiefung durchzujagen. Auch erzähle ich den Schülern ab uns zu auch mal etwas von mir (wohldosiert natürlich).
    Seither läufts. Sollte halt nur nicht so extrem wie bei manchen Kollegen sein, die in ihrem Unterricht sich nur noch mit den Schülern über Themen "unterhalten", die rein gar nichts mit Unterricht zu tun haben :tongue:


    Wann der Knoten geplatzt ist, kann ich übrigens ganz genau festmachen: Irgendwann betrat ich mit einem ganzen Stapel toller Arbeitsblätter das Klassenzimmer, um dann geschockt festzustellen, dass ich die Wochentage verwechselt hatte. Ich hatte also die Materialien für die 8. Klasse dabei, vor mir saß aber die 9. Klasse und ich hatte gar keine Ahnung, was ich mit denen machen sollte. Nun gut, die Stunde ging mithilfe des Geschichtsbuches (ich hab mir von einem Schüler erstmal ein Buch leihen müssen :) wunderbar vorbei, obwohl ich mir alles aus den Fingern gesaugt habe. Seither wusste ich, dass egal was kommt, ich eine Unterrichtsstunde auch mal ohne große Vorbereitung anständig über die Bühne bringen werde.


    Meine Frage: erkennst du deine Refin in meiner Beschreibung wieder?

  • Hallo hawkeye, indidi und gingergirl,


    Ich sehe das wie ihr, dass die "vorbildliche", perfekt durchgeplante 45-Minuten-Unterrichtsstunde keinen Raum für das Herstellen eines angenehmen Lernklimas vorsieht. Eine Pflanze braucht jedoch Sonnenlicht um wachsen zu können und sich zu entwickeln.


    Würdet ihr mir zustimmen, dass die Beziehungskompetenz oder Emotionsarbeit im Referendariat komplett vernachlässigt bzw. sogar systematisch zerstört wird? Da gehts v.a. um die Planung, Strukturierung, Organisation, Dienstpflichterfüllung.(die sog. "Lehrerfunktionen", s. Thread von Kaddl hier) m.E. ist da keine Minute für die Beziehungspflege zu den Schülern vorgesehen. Oder sehe ich das jetzt zu einseitig?


    In meinen Augen wird der Referendar dahingehend konditioniert, die perfekt durchgeplante Stunde zu produzieren und letztendlich vorzuführen. "Perfekt" heißt in diesem Zusammenhang nicht, auch die menschliche Komponente einzuplanen, sondern v.a. sich dem Diktat der sog. "echten Lernzeit" zu unterwerfen.


    gingergirl

    Zitat

    Meine Frage: erkennst du deine Refin in meiner Beschreibung wieder?


    Nicht nur meine Refin!!! =)


    Danke für die konstruktiven Hinweise und Tipps


    Zitat

    Sollte ich heute also mal etwas früher fertig sein, gebe ich also mal meine Meinung zum Weinhnachtskonzert ab, frage, wohin der nächste Wandertag führt, gebe kund, dass ich den Schüler XY mit seiner Fußballmannschaft in der Zeitung abgedruckt gesehen habe... anstatt noch die 3. Vertiefung durchzujagen. Auch erzähle ich den Schülern ab uns zu auch mal etwas von mir (wohldosiert natürlich).


    Ich werde meiner Refin deutlich machen, dass ich diese menschelnden Dinge als sehr wichtig erachte. Außerdem muss ich sicherstellen, dass sie mich ebenfalls - in den Stunden, in denen sie bei mir hospitiert - so wahrnehmen kann, um sich dann ein "Vorbild" an mir zu nehmen. :)
    Habe nämlich zu meinem Schrecken festgestellt, dass ich straffer unterrichte und weniger "Beziehungsfußball" spiele, wenn sie hinten drin sitzt und sich ihre Notizen macht.


    Grüße,
    klöni

  • "Dennoch kenne ich z.B. einen Kollegen, der es immer noch nicht schafft Schüler anzuschauen im Unterricht oder auf dem Gang."


    Ist nicht wahr oder ???


    Wie ein KFZ-Mechaniker der keinen Maulschlüssel anpacken kann.


    Wie kommt man denn damit durch das Referendariat?


    Gruß


    E_T

    • Offizieller Beitrag

    Hast du keine Kollegen im Kollegium, bei denen du denkst "Wie haben die es denn bloß durchs Referendariat geschafft?"
    Ich hatte übrigens zwei Fachleiter, bei denen ich mich ähnliches gefragt habe. Was wiederum vermutlich die oben gestellte Frage beantwortet.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Hallo Klöni!


    Klar können wir Lehrer hier darüber spekulieren, was da los ist und warum der Funke nicht überspringt...
    aber es ist müßig und unter Umständen nur noch mehr enttäuschend, wenn sie sich noch mehr Mühe gibt und es irgendwie nicht klappt.


    Wie wäre es denn, sich von den Schülern selbst mal ein Feedback einzuholen? Anonym, auf Feedback-Blätter, wo sie selber formulieren dürfen, was ihnen gut gefällt und was weniger.
    Ich denke, Schüler können das viel besser identifizieren und beschreiben, was da los ist, als wir das jemals könnten.


    Und noch eine Frage: Sitzt Du permanent im Unterricht Deiner Referendarin mit dabei? Mich hat es immer ziemlich gestresst und belastet, auch von dieser Seite beobachtet zu werden.... Man bereitet sich viel intensiver vor, ist viel weniger frei, macht u.U. auch nicht seinen eigenen Unterricht, sondern den, den der Mentor gerne sehen möchte, wenn der mit drin sitzt und ein Feedback geben wird.


    Grüße
    Mariposa

  • Ich gehe mit Meike. konform und erweitere wie folgt:


    Eine charismatische Lehrerpersönlichkeit hat es leichter, egal, ob ihr Unterricht vorbereitet oder unvorbereitet ist.


    Aus Wikipedia zitiert:


    "Laut Richard Wiseman verfügt eine charismatische Person über drei Eigenschaften[1]:
    Emotionen werden von ihr sehr stark empfunden
    Sie ist in der Lage, auch andere Menschen derart starke Gefühle erleben zu lassen
    Sie ist resistent gegenüber Einflüssen anderer charismatischer Menschen.[2]"


    EDIT: Tippfehler bei "Meike."; ich schrieb "Keine.", weil ich blind schrieb. Pardon, Meike!

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