Trennung von Privat- und Berufsleben bei Lehrern ohne Zukunftschance?

  • Hallo zusammen,


    manchmal habe ich so Momente, in denen ich mich frage, ob ich komplett anders ticke als der Rest der normalen Welt.


    Lasst mich kurz berichten: Unser neuer SL - den ich für äußerst kompetent halte und schätze - skizzierte neulich auf einer Sitzung seine Vision einer "guten Schule", i.e., reformpädagogische Ganztagsanstalt mit vielen Lernprojekten, freiem, gleichberechtigtem Arbeitsklima, kulturellen und sportlichen Events an jedem nur möglichen Tag, die Beteiligten sind intrinsisch motiviert ihren Beitrag zu leisten, ....


    Aufgehorcht haben dann alle Anwesenden als es um die Aufgabenbeschreibung des Lehrers ging: Lernbegleiter, der gemeinsam mit den Schülern arbeitet, lernt, lehrt, fühlt, isst, lebt, etc :skeptisch: (Betonung auf 'gemeinsam').... und jetzt kommt's - ich zitiere sinngemäß - so dass sich privates und berufliches Leben immer mehr annähern und die Grenzen zwischen beiden Bereichen langsam aber sicher nicht mehr auszumachen sind.


    Schweigen im Walde. Vorsichtige Blicke werden links und rechts ausgetauscht. Keiner sagt was. SL räumt ein, dass dieses Ziel wohl in den nächsten 100 Jahren LEIDER nicht zu realisieren sei....Aufatmen....


    Jetzt muss ich hier mal nachfragen: Wie seht ihr das? Hättet ihr was dagegen, wenn sich euer Privatleben nicht mehr vom beruflichen Leben unterscheiden würde? Wäre dies ein erstrebenswertes Ziel? Wäre dies vllt ein Teil der Dienstpflicht, den man hinzunehmen habe oder macht man das sogar gern? Könnte irgendeine irgendwie geartete Vision eine solche Aufhebung der Grenzen - die wir in Teilen ja schon haben - rechtfertigen? Wird sich der Lehrerberuf unvermeidlich in diese Richtung entwickeln? Hab ich den versteckten Witz nicht herausgehört?


    Perplex,
    klöni

  • JA, ich hätte garantiert was dagegen, wenn sich mein Privatleben nicht von meinem beruflichen Leben unterscheiden würde! *schauder* Für meinen Geschmack gibt es bereits jetzt in meinem Privatleben zu viel Schule, viel mehr würde ich wohl nicht mehr aushalten...

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

  • Ohhhhh ja, das geht ja gar nicht. Ich bin zwar auch eher jemand, der viel privates in seinen Unterricht reinbringt, vor allem weil die Kleinen total drauf stehen, wie mein Wochenende war, was ich in den Ferien gemacht habe, oder ob ich ne neue Brille habe...aber mehr geht gar nicht!
    Ich finde es sehr schwierig, wenn man in seiner Freizeit jedesmal Angst haben muss, dass Eltern einem über den Weg laufen, wenn man am Stadtfest mal einen übern Durst getrunken hat, oder einem im Schwimmbad sehen und einen begutachten, die neuen Tattoos sehen oder sonst was.


    Was ich mir allerdings vorstellen könnte, wäre in nem Internat oder sowas zu arbeiten, wo man auch den Nachmittag mit den Kids verbringt und evtl. auch mal den Abend, aber dann braucht man ein heimreise Wochenende, an dem man keinen sieht.


    Ich muss ja auch sagen, dass ich so jemand bin, der niemals in seinem heimatort arbeiten möchte, da fahre ich lieber morgens ne halbe Stunde und umgehe dann oben beschriebene Situationen :)

  • ich lach mich tot.
    wenn ich meinen Freund sehe, der selbstständig ist (bzw. in einem Familienbetrieb arbeitet) und der im Moment unter der Wirtschaftskrise leidet und sich halb tot arbeitet und trotzdem um den Erhalt der Firma bangen muss, dann bin ich schon froh, dass ich nen sicheren Job habe, dass eine Verbeamtung geklappt hat und dass ich auch immer zusehen kann, dass ich nicht - wie er - auf ne 60-Stunden-Woche komme.
    Andrerseits ist es aber im Moment so, dass ständig irgendwas neues kommt, das Lehrern ihren Job erschwert. Anscheinend muss ein Lehrer sich ständig rechtfertigen, dass er auch gute Arbeit leistet und nicht überbezahlt ist.
    Wir bekommen auf Konferenzen und per Merkblätter auch ständig neuen Sch ... präsentiert, aber es kommt imemr darauf an, wie ernst man das sieht. gut, wenn man ne Aufgabe fürs Zentralabi machen muss, dann macht man das. Aber bei anderen Sachen kann man ja auch seine Schiene weiterfahren und pseudo-mitmachen. Ältere Kollegen bei uns lachen nur noch über solche Sachen und lehnen sich zurück.
    Ich werde immer versuchen, meinen Lehrerberuf als Job zu sehen und mir dienst- und arbeitsfreie zeiten sichern. und die werden wie die eines Angestellten sein - maximal ne 45-Stunden-Woche inclusive den entsprechenden Urlaubstagen.
    Bin ich überfordet, melde ich mich krank. Basta.

  • Also ich lebe am gleichen Ort.... meine Schule ist Luftlinie vielleicht 1 km entfernt. Das reicht mir an Vermischung von privat und beruflich.... obwohl ich keine Probleme habe mit Eltern denen ich begegne, ob über mich geredet wird interessiert mich auch nicht.
    Aber trotzdem: Ich habe auf jeden Fall ein Privatleben wie jeder normale Mensch auch und das repräsentierte ich ganz stark nach außen. Nur so kann ich mich abgrenzen.
    Ohne Abgrenzung wäre ich glaube ich in ein paar Jahren in der Psychiatrie!


    Der Lehrerberuf - durch seine soziale Komponente Burn-Out-Beruf Nr. 1 , da werd ich nicht noch mein Privatleben mit Job mischen!
    Welcher halbwegs normale Schulleiter verlangt denn so was????


    Wobei man natürlich nicht vergessen darf: Als Schulleiter hast du auch ein anderes Leben. Meistens heißt dein Leben dann echt "Schule -24 Stunden am Tag" .....


    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Zitat

    Original von klöni
    Jetzt muss ich hier mal nachfragen: Wie seht ihr das?


    Einfache Frage, einfache Antwort. Ich halte diesen Anspruch für gefährlichen Bullshit und für für katastrophal unprofessionell. Distanzfindung ist ein sine qua non in allen Berufen mit menschlicher Reibefläche und das ist der Lehrerberuf nun weiß Gott...


    Nele

  • Zitat

    Original von klöni
    .... und jetzt kommt's - ich zitiere sinngemäß - so dass sich privates und berufliches Leben immer mehr annähern und die Grenzen zwischen beiden Bereichen langsam aber sicher nicht mehr auszumachen sind.


    Da hat er wohl seine eigenen Erfahrungen auf andere projiziert. Also wenn ich unseren Schulleiter sehe, der auf "jeder Party mittanzen" muss, dann kann das schon hinkommen. Aber dafür liegt er auch drei Besoldungsgruppen über mir... selber schuld.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Kurze Antwort:


    Es gibt ein Leben vor dem Tod.


    Wir leben nicht, um zu arbeiten - sondern wir arbeiten, um zu leben.



    @micky
    Wenn ich mich auf die Argumentation einlasse, dass es ein Selbstständiger ja viel strenger hat, als ein Lehrer - und ich mich daher dieser Arbeitsbelastung gefälligst anzupassen habe, kommt danach die Forderung, dass ich mir die Leidensfähigkeit eines Textilarbeiters in Pakistan zum Vorbild nehmen solle.


    Nönö... es gibt EIN Leben.... ich glaube nicht an Wiedergeburt.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Gruselige Vorstellung! Ich arbeite gern und mag meine Kiddies - aber ich habe ein Recht auf Privatleben, wann sollte ich mich sonst regenerieren können? Irgendwann muss ich auch auftanken, um meinen Unterricht so machen zu können, wie ich ihn mache.

  • Der Anspruch ist natürlich auch im Konzept der Reformpädagogik begründet, die ihre Wurzeln in der Mentalität des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hat - also von ganz grob den 1890er Jahren bis ganz grob den 1930er Jahren. Diese Zeit war ganz allgemein, auch jenseits der Pädagogik, von utopischen Weltverbesserungsideologien durchsetzt und man muss die Strömungen, die diesen Ansatz bis in die heutige Zeit durchziehen, auch im Geiste der damaligen Zeit verstehen - es ging in der Regel um einen radikalen, völligen Neuansatz des menschlichen Zusammenlebens und Ordnung der Gesellschaft. Als Historiker muss ich allerdings warnend hinzufügen, dass die meisten der damaligen utopischen Modelle mit schweren Folgen gescheitert sind! Also Vorsicht mit solchen radikalen Forderungen nach einer paradigmatischen Neuformulierung des Arbeitslebens.


    Nele

    2 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

    • Offizieller Beitrag

    Wenn ich 24 Stunden lang Dienst haben soll, okay - dann kriege ich bitte auch das dreifache meines Gehalts.
    9000 netto im Monat und ich lebe meinswegen auch in einer lustigen Lern-Kommune mit meinen lieben Schülern... :tongue:

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Zitat

    Original von Meike.
    Wenn ich 24 Stunden lang Dienst haben soll, okay - dann kriege ich bitte auch das dreifache meines Gehalts.
    9000 netto im Monat und ich lebe meinswegen auch in einer lustigen Lern-Kommune mit meinen lieben Schülern... :tongue:


    Ehrlich gesagt, nicht einmal dann... [Ja, ich weiß, es war nicht so ernst gemeint, aber trotzdem...]
    Es hat lange genug gedauert, bis ich nach dem Ref wieder das Gefühl hatte, auch ein Sozial- und Privatleben nach der Schule zu haben. Mir reichen meine 2 1/2 Netto, dafür bin ich auch (moralisch?) in der Lage, mich mental von der Schule zu lösen...

  • Spätestens dann werde ich meinen Dienst quittieren und auf Unkündbarkeit und Pension freiwillig gerne verzichten:
    a) weil ich die Pension dann vermutlich nicht erleben werde... und
    b) weil ich es dann als zu hohen Preis empfinde und lieber in Ruhe putzen gehen werde!


    So ein Schmarrn!

  • Ich kann mich meinen Vorredner nur anschließen!
    Die Tatsache, dass überhaupt immer wieder diese absurde, unsinnige Diskussion auf den Tisch kommt, bestätigt nur meine Eindrücke der Praxis: ich persönlich erlebe erschreckend viele Lehrer, die Schwierigkeiten haben, Privat- und Berufsleben auf einen professionelle Art und Weise zu trennen, deshalb chronisch überfordert, gestresst und Burn-Out-gefährdet sind...
    Unterstützt wird dies m.E. nach durch das gesellschaftliche Bild. Neulich erschien doch im Stern (?) dieser Artikel über Lehrer. Ein Abschnitt der mich sehr gestört hat, war der, indem ein Kollege als seltenes Exemplar eines guten Lehrers (unter all den schwarzen Schafen...) dargstellt wurde mit der Begründung, dass "er rund um die Uhr für Schüler und Lehrer zu erreichen ist"...
    Vermutlich hat er sonst (priavt) nichts zu tun... Meine Meinung. Für mich hat das rein gar nichts, mit Qualität zu tun...
    Entspannte Grüße zum SCHULFREIEN Wochenendstart =)

    • Offizieller Beitrag

    die Frage stellt sich mir nicht: Privatleben ist das Selbstverständlichste, das ich mir denken kann.


    wenn mich Schüler in meiner Freizeit (und ja, auch auf Feiern :D) sehen,
    kein Problem. deshalb fühle ich mich nicht beobachtet.


    Freizeit oder Zeit für Dinge/Personen neben der Schule zu haben, hab ich mir angeeignet.
    Schwieriger war die Situation ohne Beruf, aber mit mehreren kleinen Kindern !!!! :D

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde es in jedem Beruf wichtig, die Grenzen klar zu trennen, da es sonst langfristig zu einem Burnout kommen kann.


    Ich fürchte aber, dass sich der Lehrerberuf immer mehr in diese Richtung entwickeln wird, wenn auch beide Ebenen sich nicht völlig vermischen werden.
    Ich habe es in Ansätzen an einer Ganztagsschule erlebt, dass sich beide Ebenen vermischten, dass es immer mehr Zusatzveranstaltungen gab, das Privatleben stark zurückgedrängt wurde, sehr viel von der Privatperson in den Unterricht einfloss, wahnsinnig viel Zeit und Energie für Klassenleitung und Zusatzveranstaltungen aufgewandt wurde und viele Lehrer wirklich intrinsisch motiviert waren und deutlich über das normale Maß hinaus engagiert waren. Aber so etwas geht nur in einem sehr jungen Kollegium mit vielen Kollegen, die noch viel Energie haben, noch keine Familie etc. und die teilweise in erster Linie für die Schule leben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie so etwas über lange Jahre bestehen können soll und habe auch die Erfahrung gemacht, dass Kollegen so etwas eben nicht über viele Jahre durchhalten können.


    Was ich in letzter Zeit von immer mehr anderen Schulen höre, geht auch in die Richtung: Mehr Zusatzveranstaltungen, noch mehr Engagement wird gefordert, noch mehr Nachmittagsveranstaltungen, gemeinsames Mittagessen, mehr Samstagsveranstaltungen...


    Es klingt vielleicht für Außenstehende in Ansätzen wünschenswert, ich halte es in unserem, insgesamt ja sehr fordernden Beruf, aber nicht für möglich, so etwas länger durchzuhalten und wünsche mir persönlich auch ein bisschen Freiraum und Privatleben.

  • Ich erweitere diese (Horror-)Vision mal konsequenterweise:
    Die Lehrer bekommen in der Schule ihr eigenes Zimmer, welches ihr Klassenzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer zugleich ist. Die Schüler leben ebenfalls in der 24-h-Ganztagsschule, wie im Internat. Da wir inzwischen eh immer mehr elterliche Erziehungsaufgabe übernehmen geben die Eltern Ihre Kinder so schnell wie möglich nach der Geburt an entsprechend für diese Altersgruppe ausgebildetete Erzieher/Lehrer ab. Mit 18 verlassen die Kinder dann alle das Institit mit einem guten Abi.


    Wäre doch prima, oder? Keine nervigen Elternabende, Hausaufgaben und Freizeitverhalten gleich kontrollierbar.


    Nope, schließe mich bereits bei der von klönis SL skizzierten Version Prusselise an: Ich kündige! Privates und Beruf vermischen sich in diesem Job schon jetzt mehr als mir lieb ist.


    Grüße vom
    Raket-O-Katz, das die nächsten 3 Wochen wegen immenser Korrekturen keine private Zeit haben wird *seufz*

  • Raket-O-Katz


    ich hab selten so gelacht!!! Kleine Ergänzung: Am besten sterilisiert man alle Lehramtsstudenten - in den Rahmen passen Kinder nicht. Höchstens als Anschauungsobjekt, aber das macht man dann bei der Expertenbefragung und dazu lädt man welche von "draußen" ein.

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