"Grammatik darf kein Thema sein"

  • Hallo,


    ich glaub ich werd alt! Meine Refin erzählte mir heute, ihr Fachleiter fordere, dass im Fremdsprachenunterricht "Grammatik kein Thema" sein dürfe.


    Ist das ein neues, modernes Lehrkonzept? Hab ich da was verpasst? Sie selbst war sich auch nicht so sicher, was er nun damit gemeint haben könnte, aber man solle es wohl tunlichst vermeiden, Grammatik zu unterrichten. Anscheinend sollen die SuS so nebenbei (womöglich noch spielerisch???) grammatikalische Strukturen verinnerlichen ohne sie bewusst zu reflektieren geschweige denn zu lernen. ?( ?( ?(


    Wir machen uns Gedanken über die erste Hospi-Stunde und wollen ihn natürlich nciht enttäuschen.
    Wer hat eine Idee, was das heißen soll?


    Grübelnd,
    klöni

  • Ich habe natürlich keine Ahnung von Sprachunterricht, aber ich würde so vorgehen:


    Schau, dass du als Mentorin sowohl bei dem Unterricht als auch bei der Nachbesprechung dabei bist. (Müsste bei einem ordentlichen Fachleiter kein Problem sein). Beim Unterricht selber würde ich mich darauf konzentrieren, die Lehrerpersönlichkeit und Anfänge einer Methodenkompetenz deiner Refin herauszustellen, denn m.E. ist es das, was ein Fachleiter am Anfang sehen will ("Ist die prinzipiell überhaupt dazu geeignet").
    Um inhaltliche Fragen würde ich dann einen Bogen machen und in dem konkreten Falle einfach die Grammatik in den Hintergrund stellen. Und während der Nachbesprechung würde ich ihn an deiner Stelle einfach danach fragen und auf eine verbindliche Aussage festnageln...



    Auch für mich als Sprachlaie hört sich "Grammatik darf kein Thema sein" ziemlich gaga an, kann es mir aber leider gut vorstellen, da es gut ins heutige Bild passt:
    So wird z.B. im Mathe-Unterricht gefordert, dass Schüler eine komplette Kurvendiskusion mit dem Taschenrechner durchtippen können, aber die Hintergründe, was da mit den Kurven geschieht, sollen außen vor bleiben. Die Schüler sollen quasi auswendig lernen, wann sie wo eine Taste tippen müssen. :hammer:

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • Also unsere Fachleiterin ist auch so drauf, dass Grammatik ihrer Ansicht nach viel zu überbetont wird. Man sollte sie "pur" gar nicht unterrichten, sondern nur wenn es gerade thematisch passt. Wie ihre Vorstellungen genau aussehen ist halt schwierig rauszufinden.
    Wir haben uns in der Seminargruppe alle vorgenommen: keine Grammatik zu Unterrichtsbesuchen. Da geht man auf Nummer sicher. Sonst unterrichte ich die natürlich auch. Und die paar Besuche kriegt man ja auch ohne Grammatik über die Bühne.

  • Ich gehe mal davon aus, dass damit gemeint ist, dass Grammatik situativ eingebettet sein sollte und nicht isoliert und rein analytisch betrachtet werden sollte.


    Man kann einerseits den Lehrbuchtext nehmen, neue Strukturen raussuchen lassen und diese dann kognitivieren. Man kann aber andererseits auch Situationen schaffen, in denen die SchülerInnen die neue Struktur unbedingt benötigen, um sich richtig zu verständigen. Die neue Grammatik wird demnach zuerst angewandt und erst in einem zweiten Schritt kognitiviert und weiter geübt.


    In die gleiche Richtung sollen auch die Aufgaben in Klassenarbeiten gehen: Dort sollen keine isolierten Einzelsätze mit Lücken auftauchen, sondern ein Fließtext, in dem sich aus der Situation heraus die Verwendung der grammatischen Struktur ergibt.


    Ein völliger Verzicht auf Grammatikstunden ist meiner Ansicht nach nicht möglich. Dabei fällt mir die Präsentation des neuen Lehrwerks Camden Town an unserer Schule ein, wo der Vertreter ständig darauf hinwies, dass in Lektion eins schon past tense Formen vorkommen, die von den Schülern "einfach so" hingenommen werden, aber noch nicht kognitiviert werden sollen. In der Unit, die das simple past eingeführt wird, geschieht das auch nur "so nebenbei" - ohne genügend Übungen. Mich würde mal interessieren, wie die Kids damit zurecht kommen.

  • inaj77: Meine Fachleiterin hat damals ausdrücklich von jedem Ref eine Grammtikstunde sehen wollen.
    Natürlich sollen solche Stunden nicht die Oberhand gewinnen, aber das heißt ja nicht, dass Grammatik völlig ausgeblendet werden darf.


    Ich denke dabei mit Grauen an die freien Texte, die dann später völlig grammatikfrei geschrieben werden ... "aber der Bub' hat sich ja irgendwie ausdrücken und verständigen können." Toll! - Setzen, 1.

  • Für das Fach Deutsch kann ich das bestätigen. Grammatik steht zwar im Bildungsplan, es sollte aber keine Stunde den Titel "Dativ" haben.


    Aber man kann in einer Stunde "(Kurztexte zum Thema) Medienkonsum" suchen, wo warum der Dativ angewendet wird. Der Dativ sollte aber nicht einziger Stundeninhalt sein (hier wäre eben Medienkonsum das zweite Thema)


  • Ziemlich genau so meinte das mein FL im Ref. Da ich in der GS bin war das nicht das Thema, aber meine Mit-Reffis hatten da teilweise schon Probleme mit ihren Mentoren, solange sie sich die Stunden z.B. noch geteilt haben...

  • Wer unterrichtet denn heutzutage noch Grammatik in "deduktiv-purer Reinform"? Die Schulbücher incl. Lehrerbegleitbücher haben die Grammatik doch schon immer induktiv, thematisch eingebettet, handlungs- und produktorientiert, kooperativ, motivierend und was weiß ich nicht noch alles vorstrukturiert. Da wär man ja als Lehrer blöd, das Rad nochmal komplett neu zu erfinden.


    Also meine jetzige 8. Klasse ist zu meiner Überraschung absolut geil auf Grammatikstunden. :sabber: Nicht, dass sie es alle könnten, aber die klaren Strukturen, das Herleiten, Anwenden und Üben scheint bei ihnen irgendein Grundbedürfnis zu befriedigen. Die bekommen dann immer diesen beseelten Gesichtsausdruck, werden ruhig (8. Klasse!!!!) und schreiben fasziniert die Regeln in ihre Hefte.
    Mir selbst ein Rätsel, aber so sind die halt drauf. Ich genieße diese Stunden.


    Zitat

    Ich denke dabei mit Grauen an die freien Texte, die dann später völlig grammatikfrei geschrieben werden ... "aber der Bub' hat sich ja irgendwie ausdrücken und verständigen können." Toll! - Setzen, 1.


    Klar, Spaß muss auch im Englischunterricht sein, aber wer will es eigentlich später verantworten, wenn diese Schüler es nicht schaffen, ein englisches Bewerbungsschreiben oder eine Anfrage an einen potentiellen Arbeitgeber einigermaßen fehlerfrei zu schreiben?

  • Das gleiche Phänomen beobachte ich auch.


    Reine Grammatik-wiederhol-Stunden kommen auch in der Oberstufe noch gut an. Die Schüler verlangen diese klaren Strukturen, an denen sie sich entlanghangeln können und ich kann das verstehen.


    Ich habe mich Anfang des Jahres dazu entschlossen, eine weitere Sprache dazuzulernen - habe mich für eine asiatische Sprache entschieden, die mit unseren europäsischen Sprachen so gar nix gemein hat. Die Lehrerin ist super nett und engagiert, aber mir fehlt absolut die Linie und die klaren Regeln.


    Somit kann ich das Verlangen der Schüler nach Grammatikstunden (und hier meine ich keine Spiel-Erfahr-und SchnickSchnack-Stunden) zu 100% nachvollziehen. Ich oute mich auch, dass ich dieses Verlangen bediene. Auch in der Unter- und Mittelstufe mache ich reine Grammatikstunden. Das von dir angeprochene vorstrukturierte Material der Lehrbücher ist ja manchmal auch nur pseudo-real. Man denke nur an die "super in ein Thema eingebettete" Einführung von grammatischen Strukturen in den ersten Büchern der alten English G 2000 Reihe. Da wurden Texte - oder besser: Textfetzen präsentiert, in die dann mit aller Gewalt eine neue Struktur reingequetscht wurde. Mit Natürlichkeit hat das auch nix mehr zu tun. Hier könnte man dann auch eine Diskussion über den kreativen Firlefanz der Lehrbücher lostreten - tue ich aber nicht (Klar, mache ich auch kreative Dinge im Unterricht, aber nicht in dem Maße, wie es die Bücher vorschlagen. Da kommen analytische Grammatikstunden ab und zu doch gerade recht).

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Paulchen
    Das gleiche Phänomen beobachte ich auch.


    Reine Grammatik-wiederhol-Stunden kommen auch in der Oberstufe noch gut an. Die Schüler verlangen diese klaren Strukturen, an denen sie sich entlanghangeln können und ich kann das verstehen.


    spätbeginnendener Lateinuntericht in Kl. 11
    (3. oder gar 4. Fremdsprache):
    Anleitung vom Fachleiter:


    "machen Sie es deduktiv. Geben Sie den Schülern die Grammatik vor, die brauchen das nach so vielen Jahren modernen Fremdsprachenunterrichts" :rotfl:


    und ich hatte so richtig nach allen Regeln der (Lehr)Kunst loslegen wollen mit eigener Erarbeitung der Grammatik durch die Schüler, hatte Spiele und Kontexte erarbeitet, um sie behutsam an den neuen Stoff heranzuführen ;)

  • Zitat

    Original von Paulchen
    In die gleiche Richtung sollen auch die Aufgaben in Klassenarbeiten gehen: Dort sollen keine isolierten Einzelsätze mit Lücken auftauchen, sondern ein Fließtext, in dem sich aus der Situation heraus die Verwendung der grammatischen Struktur ergibt.


    Meiner Beobachtung nach gibt es zwei (zugegeben sehr grobe) Kategorien von Schülern: die einen sind eher schwach im freien Reden und schreiben und dafür gut in den klassischen Grammatikübungen, da sie hierzu konkret lernen können. Die anderen können relativ gut frei reden und schreiben, scheren sich deshalb nicht viel ums Lernen der Regeln und machen mit den freienTexten viele Punkte. Sinnvoll ist es, für beide Schülergruppen was in der Arbeit parat zu haben.

  • Hallo klöni,


    ich habe hier gerade ein dickes Grinsen auf dem Gesicht von Deinem Beitrag:

    Zitat

    Original von klöni
    Wer unterrichtet denn heutzutage noch Grammatik in "deduktiv-purer Reinform"? Die Schulbücher incl. Lehrerbegleitbücher haben die Grammatik doch schon immer induktiv, thematisch eingebettet, handlungs- und produktorientiert, kooperativ, motivierend und was weiß ich nicht noch alles vorstrukturiert. Da wär man ja als Lehrer blöd, das Rad nochmal komplett neu zu erfinden.


    Meine Schüler der Sek I verdrehen schon immer die Augen, wenn sie die Texte im (Cornelsen) Lehrwerk lesen, da sie wissen, dass sich dort Ostertei-gleich neue Grammatik drin versteckt. :)


    Zitat

    Also meine jetzige 8. Klasse ist zu meiner Überraschung absolut geil auf Grammatikstunden.


    Jap. Ich denke, sie finden das gut, weil es Struktur hat. Da weiß man, woran man ist. Auf beiden Seiten. :)


    Zitat

    Ich denke dabei mit Grauen an die freien Texte, die dann später völlig grammatikfrei geschrieben werden ... "aber der Bub' hat sich ja irgendwie ausdrücken und verständigen können." Toll! - Setzen, 1.


    Höhö. Na klar. Da muss der Lehrer halt etwas raten.


    Ansonsten meinte ein alt gedienter Deutsch-Kollege beim Mittagessen ganz trocken, er würde die Grammatik an die Tafel schreiben, erklären, die Schüler wenden sie in Übungen an und dann wird alles entlang des Weges eingebaut. Nix mit induktiv. Klappt auch.


    Grüße vom
    Raket-O-Katz, das mit zunehmenden Alter konservativer wird *schauder*

  • Thema der Stunde: "Grammatik, kein Thema!"
    Inhalt: Redewendungen oder Phrasen die nicht wörtlich, sondern in ihrer Bedeutung (also als "fertige" Sätze) übersetzt werden


    So ganz ohne Grammatik gehts natürlich nicht, aber muß man denn unbedingt immer (mit Betonung auf immer) diese Grammatiktabellen hoch- und runter orgeln? Auch die kann man sicher nicht einfach weglassen, zu einer Sprache gehören nunmal Grammatik und Vokabular, aber vielleicht kann man ja grammatikalisch richtige Formen implizit durch Anwendung lernen, z.B. in fertigen Redewendungen usw.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von SteffdA
    Thema der Stunde: "Grammatik, kein Thema!"
    Inhalt: Redewendungen oder Phrasen die nicht wörtlich, sondern in ihrer Bedeutung (also als "fertige" Sätze) übersetzt werden


    So ganz ohne Grammatik gehts natürlich nicht, aber muß man denn unbedingt immer (mit Betonung auf immer) diese Grammatiktabellen hoch- und runter orgeln? Auch die kann man sicher nicht einfach weglassen, zu einer Sprache gehören nunmal Grammatik und Vokabular, aber vielleicht kann man ja grammatikalisch richtige Formen implizit durch Anwendung lernen, z.B. in fertigen Redewendungen usw.


    rauf und runter orgelt auch schon lange kein Mensch mehr die Grammatik. das war zu meiner Schulzeit vor 150 Jahren schon nicht der Fall!


    aber nur in Redewendungen kann man Strukturen auch nicht lernen. Und gerade schwächere Schüler brauchen klare Strukturen, um zu verstehen und zu lernen.
    wie immer machts die Mischung ! (eigentlich..)

  • Zitat

    Original von Paulchen


    Ich denke dabei mit Grauen an die freien Texte, die dann später völlig grammatikfrei geschrieben werden ... "aber der Bub' hat sich ja irgendwie ausdrücken und verständigen können." Toll! - Setzen, 1.




    Leider Gottes ist das ja der Trend. Bin an einer RS und wenn ich sehe, dass die 10er in ihren Abschlussprüfungen quasi schreiben können wie sie wollen und allerhöchstens 10 von 80 Punkten abgezogen bekommen können, dann wird mir schlecht...

  • Friesin
    Also ich habs zu meiner Schulzeit so erlebt. Und ich hätte mir im Sprachunterricht mehr konkret anwendbare Kenntnisse gewünscht. Stattdessen eben nahazu ausschließlich das hoch- und runterorgeln der Grammatiktabellen: "Deklinieren Sie ... (und hier kam 'ne wortgruppe)!"
    Aber klar, es geht weder ohne das eine, noch das andere. Aber für 'ne Lehrprobe würde ich nicht unbedingt 'ne Deklinationstabelle aufsagen lassen ;)


    Paulchen
    Nö, eine "Sprache" ohne Grammatik ist eben keine Sprache, da kanns dann auch keine 1 geben!

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

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