Emotionsarbeit im Lehrerberuf

  • Hallo, mich würde interessieren, ob ihr diese oder ähnliche Situationen (s.u.) kennt und, falls ja, wie ihr damit umgeht.


    Ich bin vor ein paar Tagen von einer Studienreise mit meiner Tut-Gruppe zurückgekommen. Die Reise verlief glatt, es gab keine Katastrophen. Ich fühle mich dennoch unwohl, weil ich bemerkt habe, dass ich die gesamte Woche große Abneigung verspürte, mich auf die SuS einzulassen. Die Reise verlief auf freundlicher aber emotional distanzierter Ebene. Ich hatte irgendwie keine Lust, mich plauderig und fröhlich zu geben und das hat sich dann, wie ich meine, auch auf die SuS übertragen. Irgendwie fühlte ich mich schlapp, unlustig und überhaupt nicht euphorisch angesichts dieser von den SuS lang herbeigesehnten Reise.


    Mein schlechtes Gefühl hat mich dazu gebracht, mich mal näher mit dem Begriff der Emotionsarbeit zu beschäftigen:


    Nach Hochschild, 1990, ist Emotionsarbeit "bezahlte Arbeit bei der ein Management der eigenen Gefühle notwendig ist, um nach außen hin in Mimik, Stimme und Gestik ein bestimmtes Gefühl zum Ausdruck zu bringen, unabhängig davon, ob dies mit dem inneren Empfinden übereinstimmt oder nicht."


    Geärgert habe ich mich über folgende Aussage bei:


    http://www.gesundeschule.salzb…eitrag_Emotionsarbeit.pdf


    "Emotionsarbeit ist umso anstrengender [...] je stärker die emotionale Distanz zwischen dem erlebten Gefühl und den zu zeigenden Gefühlen ist. [...] Dies bedeutet, dass Lehrkräfte für eine gehobene Stimmung bei sich selbst Sorge tragen müssen."


    Seht ihr das auch so?
    Über eure Erfahrungen mit Emotionsarbeit an der Schule würde ich mich sehr freuen.


    Viele Grüße
    klöni

  • Es wäre nicht mein Ding, etwas vermitteln zu wollen, was ich selbst nicht bin. Natürlich ist man ein wenig auch in einer Rolle als Lehrer, aber zunächst mal bin ich Mensch mit der gesamten Bandbreite an Gefühlen und da bin ich auch meinen Schülern gegenüber recht authentisch (im Rahmen meiner Möglichkeiten).


    Will sagen: Ich kann das durchaus thematisieren, wenn ich in irgendeiner Form schlecht "drauf" bin.

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

  • Zitat

    Original von Birgit
    Will sagen: Ich kann das durchaus thematisieren, wenn ich in irgendeiner Form schlecht "drauf" bin.


    Das ist wohl der psychohygienischere Weg: Aufklären, wie man sich gerade fühlt und ggf. warum und gemeinsam nach Lösungen suchen, damit umzugehen.

  • Das ist etwas, was den Lehrerberuf von vielen anderen Berufen abgrenzt - Emotions- und Beziehungsarbeit.
    ich war mal mit einer Klasse auf einer abendlichen Veranstaltung und sowohl bei der Rück- als auch bei der Hinfahrt hatte ich nicht recht Lust, mit den Schülern zu "plaudern" - eine schwierige, aber nicht unnette Klasse. Ich war der einzige Lehrer, die Begleitperson hatte abgesagt.
    Zu einzelnen hatte ich nen Draht, zu anderen nicht. In dem Moment hatte ich einfach keine Lust auf Smalltalk mit denen. Ab und zu bezogen sie mich in das Gespräch ein, und dann lief auch ein Small talk. Als ich mit der Klasse mal Eis essen war, war es einfach, weil wir alle an einem Tisch saßen. Aber auch da merkte ich, dass ich zu anderen Klassen eher einen Draht hatte - das zeigte sich auch im Unterricht.


    Beziehungsarbeit ist anstrengend und manchmal sträubt man sich dagegen. Manchmal schätzen Schüler es ja auch gar nicht, wenn der lehrer "mitredet".
    Ich denke, dass man zusehen sollte, dass man einen gewissen Kontakt zu den Schülern hat, aber wenn man sich zwingt, obwohl man nicht möchte, kommt man nicht authentisch an und das merken die Schüler. Für mich ist es keine Schande zu sagen "Ich bin grad indisponiert" (ist so ein geflügeltes Wort in einer Klasse von mir), das ist dann authentisch.

    • Offizieller Beitrag

    Jeder Mensch hat das Recht in einzelnen Situationen nicht übermäßig kommunikativ und gut gelaunt zu sein. Das kann man den Schülern normalerweise auch respektvoll und einsichtig vermitteln.
    Ein Problem wird es dann, wenn man sich in der Situation (dem Beruf) dauerhaft emotional überfordert fühlt, dadaurch, dass die Schüler natürlich und nachvollziehbarerweise lieber fröhliche und kommunikative Lehrer haben. Ds ist einer der vielen Gründe, warum der Lehrerberuf nicht als erlenbares Handwerk anzusehen ist - man muss auch die persönliche Disposition dazu haben, wenn es nicht sehr anstrengend für einen selbst und die Schüler werden soll.
    Ob man Emotionsarbeit so perfektionieren kann, dass man dauerhaft eine nicht vorhandene Empathie oder Kommunikationsbedürfnis durch eine erlernte Maske kompensieren kann, wage ich heftig zu bezweifeln. Das dürfte auch so viel Kraft kosten, dass es langfristig ungesund ist. Wer also charakterlich so disponiert ist, dass mit Menschen zu kommunizieren ihm eigentlich unangenehm ist, Konflikte ihm Angst machen, das Humor-Gen fehlt oder "Auftritte" vor Gruppen ihn einschüchtern, der hat sich berufsmäßig verwählt.


    Kurzfristig muss man "Emotionsarbeit" aber schon drauf haben und es ist denkbar, dass es da auch trainierbar/erlernbar ist (?). Wie oft kommt es vor, dass man im Privatleben echte Sorgen hat, die man in der Schule schon zum Großteil überspielen muss, weil die Schüler ja nun wirklich nix dafür können, dass der Arzt gesagt hat, dass der Ellenbogen endgültig kaputt ist und operiert werden muss, oder die Oma Krebs hat, oder die Zahnbehandlung 8 Termine umfasst und 10.000 Euro kostet? Die Schüler sehen es einem ein paar Tage nach, wenn man mies drauf ist, aber dann hoffen sie schon, dass das Leben normal weiter geht.


    Bei außerschulischen Veranstaltungen ist das so eine Sache. Zwar besteht keine Fröhlichkeitspflicht - aber für Schüler bedeuten diese Zeiten mit dem Lehrer, dass sie endlich mal außerfachlich und privat mit uns in Kontakt kommen können und viele Schüler sind da sehr dran interessiert.
    Bei einem "weniger kommunikativen" einzelnen Abend hätt ich da kein Problem mit - aber bei längeren Fahrten ist das schon eine zentrale Frage. Ich weiß z.B. wie unglaublich wichtig meinen 13ern immer ihre Kursfahrt ist und wie sehr sie sich freuen, wenn ich da mindestens ebenso viel Begeisterung zeige wie sie, und wie sehr sie wollen, dass ich neben dem Programm noch was mit ihnen unternehme und "gut drauf" bin. Ich war halt schon 30 Mal in London und hab da kurz gewohnt, also hauen mich bestimmte Orte nicht mehr "vom Hocker" - ich kann und will (!) mich aber über die Begeisterung der Schüler auf dem Portobello Market oder beim Bootchenfahren auf der Themse oder beim wiorkshop im Globe mitfreuen, und geh auch gerne mit ihnen abends in den Pub und blödel da über ein paar Drinks und Tüten Salt&Vinegar crisps rum. Da muss ich mich gar nicht groß verstellen.
    Wenn ich es müsste ... das wär ein echtes Problem. Ich bin kein großer Schauspieler vor dem Herrn. Ich kann mich schon mal zusammenreißen, aber ich weiß nicht, wie lange ich "Emotionsarbeit" im oben beschriebenen Sinne dauerhaft leisten könnte.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Danke für eure Einschätzungen, die mir geholfen haben, meine Beziehung zu den Schülern während dieser Reise neu zu überdenken.


    Ich bin auch der Meinung, dass im Lehrerberuf wie in vielen anderen sozialen Berufen extrem viel Emotions- und Beziehungsarbeit zu leisten ist. Je mehr sich unsere Gesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft versteht (der Kunde soll sich wohlfühlen), desto höher ist auch der Anspruch an die Emotions- und Beziehungskompetenz der Arbeitnehmer.


    Wie ihr, betrachte ich den Lehrerberuf auch als einen, der die Bereitschaft zu Kommunikation und Beziehungsgestaltung mit zur Grundlage hat. Diese Disposition sollte jeder Lehrer mitbringen und ich kenne keinen Lehrer, der zu Beginn seiner Lehrtätigkeit hierzu nicht in der Lage bzw. motiviert gewesen wäre.


    Je mehr jedoch der Stress des Schulalltags an allen Beteiligten nagt, desto mehr bemerke ich an mir Distanzierungswünsche von den Beziehungsbedürfnissen der Schüler, Eltern und Kollegen.
    Ich denke, da geht es jedem Arzt, jeder Krankenschwester, Stewardess, jedem Friseur ähnlich. Irgendwann kann man es nicht mehr hören.
    Man vergleiche nur mal seine Beziehungs- und Plauderkompetenz vor und nach den Sommerferien. Ein Unterschied von Himmel und Hölle.


    Letztendlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass mein Vermögen zur positiven Beziehungsgestaltung mit dem Anstieg des Stressniveaus während des Schultages bzw. -jahres kontinuierlich abnimmt.
    Es ist bestimmt auch Teil der Emotionsarbeit an der Schule diese Diskrepanz und ihre Nebeneffekte (unzufriedene Schüler und Eltern) auszuhalten.


    Da muss dann wohl jeder für sich selbst entscheiden, wieviel Beziehungsenergie er oder sie in Stresszeiten zu investieren bereit ist. Mir fällt dies bei Schülern und Eltern generell leichter, von denen auch etwas an positiver Energie zurückkommt.


  • Ja, ich kann durchaus nachvollziehen, dass das so ist. Je mehr ich mich 'verstellen' muss, umso anstrengender ist das ja für mich.
    WENN ich Emotionsarbeit leisten WILL, dann ist es wichtig, dass ich zu allererst darauf achte, dass es MIR gut geht. Denn, wie du gut beobachtet hast: die eigene Stimmung überträgt sich auf die Schüler.
    Heißt: wenn es dir gut geht, fällt dir Vieles leichter, belastet dich weniger. Heißt weiter aber auch: grenze dich klar ab, du MUSST ja nicht immer der heitere, smalltalkende Animateur sein. Authentisch bleiben entstresst dich - UND die Schüler.


    Warum ärgert dich das?

  • Ich habe das Zitat da oben weniger als einen Aufruf zum "Verstellen" verstanden als dazu, dass man Lehrer eine gesunde Psychohygiene betreiben muss, damit man nicht hilflos in schlechte Stimmungen oder Wutanfälle hineinrutscht. Ich glaube, das geht auch, ohne das man sich verstellt.


    Ich denke, wenn man prinzipiell ein Mensch ist, der offen auf andere Menschen zu geht und der einfach "gut mit andern kann", ist es auch nicht so problematisch, wenn man als Lehrer mal schlechte Laune hat. Man wird Wege finden sich den Schülern zu vermitteln, ohne dass die das krummnehmen.


    (Das bedeutet natürlich, dass man als schofeliger Brummelbär immer Schwierigkeiten als Lehrer haben wird.)


    Nele

  • Zitat

    Warum ärgert dich das?


    Zitat

    Ich habe das Zitat da oben weniger als einen Aufruf zum "Verstellen" verstanden als dazu, dass man Lehrer eine gesunde Psychohygiene betreiben muss, damit man nicht hilflos in schlechte Stimmungen oder Wutanfälle hineinrutscht.


    Jetzt - nach nochmaligem Lesen - sehe ich das auch. Ich habe in dieser Aussage gleich wieder eine neue Forderung an uns Lehrer herausgehört, nach dem Motto: Sieh zu, dass du fröhlich deine Arbeit erledigst!


    Ich lese die Aussage jetzt so, dass der Lehrer im Grunde alleine - ohne Hilfe - für seine Psychohygiene "Sorge tragen muss".

  • Zitat

    Original von klöni


    Ich lese die Aussage jetzt so, dass der Lehrer im Grunde alleine - ohne Hilfe - für seine Psychohygiene "Sorge tragen muss".



    Ich gehe noch weiter: ich lese da raus, dass es in meinem ureigensten Interesse sinnvoll ist, wenn ich ZUERST auf MICH schaue :). Da kann ich nicht drauf warten, ob jemand anderer dafür Sorge trägt.

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