Schülerin benimmt sich wie Axt im Walde, Klasse genervt, wie thematisieren?

  • Das Problem ist folgendes:


    Ich habe eine Klasse, eine 12, 2-jährige Berufsfachschule für Sozial- und Gesundheitswesen, Abschluss Fachabitur. Eine sehr nette, soziale Klasse mit unterschiedlichen Schülern (v.a. Mädchen), aber sie kommen immer miteinander klar und sind harmonisch. im Moment aber bringt eine Schülerin alles durcheinander und ich bin wirklich ratlos, was ich tun soll.


    Letztes Jahr habe ich in dem gleichen Bildungsgang unterrichtet, eine 11, und da war eine Schülern, ich nenne sie mal Vanessa (damals 19). Vanessas Vater hat sich erhängt, als sie im kindergartenalter war. Ihre Mutter hat schwer dran zu knabbern gehabrt und anscheinend immer in sich reingefressen. Die Schule wusste bis dato aber nichts davon.


    Als wir auf Klassenfahrt waren und einen Tag ein KZ besuchten, kam bei Vanessa alles hoch, sie weinte und wir wollten sie nach Hause schicken, aber sie wollte nicht. Zurück in der heimat begann sie dann eine Therapie und war sehr lange krankgeschrieben. Sie hätte die versetzung in die 12 nicht bekommen, weil sie 2 mangelhaft hatte, aber wir haben sie ohne Nachprüfung verstzt, damit sie die Stabilität der Klasse hat, wenn sie zurück aus der Therapie ist.
    Sie kam dann auch, kurv vor Ende des 1. HJ der 12 und schien "erholt", ging auch sehr offen mit dem Thema um. Sie nahm Antidepressiva und das machte sie anscheinend müde, jedenfalls trank sie viel Kaffe und Energy-Drinks und war deshalb eher aufgedreht.
    Sie eckte ziemlich schnell in der Klasse an und wurde dann nicht zur Prüfung zugelassen (3x mangelhaft und viele unentschuldigte Fehlstunden).
    Dann wollte sie wiederholen und ging eins tiefer (meine 11), ich habe mich damals noch dafür stark gemacht, dass sie zu mir in die Klasse kommt, ich hatte auch immer einen guten Draht zu ihr.


    Allerdings ist sie völlig außer Rand und Band! Und meine arme Klasse hat darunter zu leiden! Sie bekam am Ende der 11 ein Zeugnis, wieder mit 2 mangelhaft, aber da sie die versetzung in die 12 schon mal bekommen hatte, wäre sie selbst mit 4 mangelhaft versetzt worden!


    ich zähl mal auf, was alles vorgefallen ist:


    in der 11:


    -Unzuverlässigkeiten (Bericht nicht rechtzeigig abgegeben, Sachen verschludert, Formulare verhunzt etc. - es folgten 4 Gespräche über ihr Verhalten mit mir und meinem stellvertretenden Klassenlehrer - es wurde auf die Dringlichkeit hingewiesen, letzte Chance etc.)


    -viele Fehlstunden (sie hat Attestpflicht und seitdem fehlt sie weniger bzw. hat immer Atteste)


    -Unverschämtheiten Lehrern gegenüber (demonstratives Gähnen im Unterricht, beim Ermahnung "Seien Sie doch nicht so spießig, oder mögen Sie mich einfach nur nicht?"; Heinweis auf viele Fehlstunden, ihre Entgegenung der Lehrerin gegenüber "Sie haben aber auch viel gefehlt!"



    Ich muss nicht erwähnen, dass ihre Kopfnoten sehr schlecht waren:-)


    in der 12: (und hier muss ich etwas unternehmen, weil die Klasse leidet)


    Die Therapie ist nach Aussage des Therapeuten erfolgreich beendet und Antidepressiva nimmt sie nach eigenen Angaben auch nicht mehr.


    - Weiteres provokatives Gähnen im Unterricht bei einigen Lehrern, bei Ermahung/Rauswurf die Äußerung "Ach, Sie sind doch alle total spießig und haben es auf mich abgesehen!"


    - Extrem provokatives Verhalten Mitschülern gegenüber - auch im Unterricht, aber meist auf dem Pausenhof (gegenseitiges Beschimpfen, ich mag da nicht drüber richten, wer "angefangen" hat)


    -Beschimpfen vor allem der "gestylten" Mädchen (Vanessa ist lesbisch und kleidet sich punkig/skatermäßig, viele Tätowierungen/Piercings), da die ihrem Bild wohl nicht entsprechen.


    -Äußert jemand eine Meinung und sie ist nicht einverstanden, stellt sie auf stur und wird zickig/ gleichgültig, aber immer gerade so, dass man sie als Lehrer nicht rauswerfen kann


    - Unangemessenheit in der Kommunikation den Mitschülern gegenüber, Beispiel: Sie sitzt neben einem Jungen und ihr fällt sein Armband auf, sie fragt ihn, wo er es her hat und er sagt, von seiner freundin. Sie entgegnet: Ach, die geht bestimmt auf den Strich!


    - "Begrabschen" - sie saß bisher neben einer anderen lesbischen Schülerin, die mich darum bat, die beiden auseinanderzusetzen, da sie sich nach eigenen Angaben "begrabscht" fühlt. Die schülerin wollte das aber nicht offenlegen, da sie Vanessas Rache fürchtet. Wir haben sie nun aus anderen Gründen auseinandergesetzt.


    Vanessa benimmt sich wie die Axt im Walde, die Klasse versucht, das aufzufangen, aber das geht so nicht weiter. Viele ignorieren sie, manche legen sich mit ihr an, bei manchen sucht sie "Zuflucht", aber mittlerweile mag niemand mehr mit ihr die Pause verbringen, auf Klassenfahrt will niemand mit ihr in ein Zimmer.
    Letzte Woche ist ein Streit eskaliert, ich war leider nicht da (krankgeschrieben), aber am Montag muss ich was unternehmen.


    Angedacht war bisher eine Klassenkonferenz, aber meine Abteilungsleiterin wollte das direkt vor der Schulleitung machen und eine Konferenz zum Thema "Ordnungmaßnahme/ Verweis" abhalten,aber leider haben wir einfach zu wenig Anhaltspunkte und konkrete Vorwürfe. Leider war ich da auch schon krank und mein stellvertretender Klassenlehrer hat genug um die Ohren und wenig Motivation, sich mit so etwas auseinanderzusetzen. Es ist aber tatsächlich müßig - wir hatten so viele Gespräche!


    Nun möchte ich das Ganze in der Klasse offenlegen. Entweder mit Vanessa und der ganzen Klasse oder Vanessa und einem teil der Klasse.


    Wie mach ich das?


    Mein Ziel ist es, dass Vanessa ein bisschen reflektiert und auch merkt, dass es so nicht geht und dass wir die Zeit bis April (letzter Schultag) "rumkriegen", ohne dass jede Woche was ist. Ich will, dass die Klasse mal rauslassen kann, was sie quält und das im Verband, so dass sie nicht auf den Einzelnen losgehen kann.
    Es kann zudem gut sein, dass sie zur Prüfung nicht zugelassen wird, weil sie in einem Fach fast ungenügend steht. Rausberaten ist sinnlos, sie will das Fachabi machen und denkt auch, dass sie bei uns an der Schule richtig ist. Sie wills versuchen, und wenns nicht klappt, dann klappts nicht. Am liebsten will sie eh Tätowierein werden.
    Manchmal denke ich, sie fühlt sich in ihrer Rolle wohl. SIe will ein Stinkstiefel sein-Sie ist stolz auf ihre alternative Einstellung und hält alle anderen für oberflächlich.
    ich möchte ihr auch mal eine Abmeldung vorlegen und ihr dringlich dazu raten, darüber nachzudenken, ob sie sich hier richtig fühlt.


    Bei mir ist jegliches Mitleid aufgebraucht - so ein Verhalten an so einer Schulform - das geht einfach nicht.


    Bin ratlos ...

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  • Zunächst mal bin ich etwas skeptisch, ob die Beschreibungen nicht schon zu detailliert sind, dass sich eine Schülerin eventuell hier wiedererkennen würde.


    Auf der anderen Seite tue ich mich auch schwer mit pauschalen Ratschlägen. Menschen sind individuell und brauchen entsprechend individuelle Lösungen. Aber ich versuche mal grob zu sammeln, was mir dazu einfällt:


    -Was sagt sie in den Gesprächen? Was ist ihr Ziel? Warum ist sie da? Wie definiert sie "spießig"? (Wäre nicht jemand, der nur seine Grundsätze gelten lässt, eventuell auch ein "Spießer"?)
    -Wie gut ist der Therapeut? Wäre ein Gespräch mit ihm, ihr und Dir möglich? Schulpsychologen fragen?
    -Sie vor der Klasse "vorzuführen", halte ich für keine gute Idee. Vielleicht ein Gespräch mit einem Mediator (unbeteiligte Person, Beratungslehrer zum Beispiel, Schulseelsorger) und ihr plus einer anderen Schülerin, die die Klasse vertritt.
    -Es klingt mir, als suche sie Aufmerksamkeit (zur Not negative). Hat sie Freunde? (Eine Freundin?) Fühlt sie sich wirklich wohl mit ihrer Rolle (oder hat sie diese angenommen, weil es anders nicht funktioniert hat?)
    -Hat sie Angst, zu versagen? Angst vor Ablehnung? (Macht aber weiter aus Mangel an Handlungsalternativen, aus Angst, zusammenzubrechen, aus Unsicherheit, aus Neid (andere werden geliebt (der Typ mit dem Armband)....Sie wählt also "pain, that i am used to...")
    -Wie zugänglich ist sie in Gesprächen?
    -Wie gut ist sie in künstlerischen Sachen? (Zeichnen? Hat sie schon mal ein Praktikum bei einem Tätowierer gemacht?)
    -Wie ist jetzt die Wohnsituation? Wohnt sie bei ihrer Mutter? Kann sie mit der reden? Hat die Mutter den Suizid des Vaters überwunden?
    -Auf welche Ressourcen kann sie zurückgreifen? Was kann sie gut? Wie sind die tragenden Säulen ausgeprägt? (Arbeit und Leistung (vermutlich eher gering ausgeprägt, schlechte Noten, schlechte Kopfnoten, Abschluss nicht geschafft, schon wieder mangelhafte Leistungen), Materielle Sicherheit, Soziales Netz und Beziehungen (zumindest in der Klasse funktioniert es anscheinend nicht), Körper und Gesundheit (Tablettenabhängigkeit? Entzugserscheinungen der Antidepressiva? Serotonin-Spiegel?), Werte und Sinn (Woran glaubt sie? Was treibt sie an?))


    Letztendlich kann man da ein ziemliches Fass aufmachen, aber ich halte Klartext reden für die sinnvollste Variante. Ohne Vorwürfe, mit Schilderung der beobachteten Verhaltensweisen. Ohne Schuldzuweisung. "Ich habe gehört, wie Sie zu Ihrem Mitschüler gesagt haben.... Wie ist die Situation nach Ihrem Empfinden entstanden? Wie sehen Sie die Gesamtsituation? Meine Aufgabe ist es, die Klassenatmosphäre zu schützen, das gute Lernklima zu gewährleisten. Das sehe ich derzeit als gefährdet an. Wie empfinden Sie das? Welche Lösung schlagen Sie vor?" (Der Hinweis auf die möglichen Folgen kann sachlich auch gemacht werden: Möglichkeit der Klassenkonferenz, Ausschluss vom Unterricht, eventuelles Nicht-Bestehen des Abschlusses, drei Jahre "vertane" Zeit) "Wie kann ich Ihnen helfen?"


    Mal so ins Blaue formuliert.....

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

  • Jetzt würde mich natürlich interessieren, wie Du das siehst;-)


    Irgendwie finde ich das merkwürdig, wenn man so viel schreibt, sich viele Gedanken macht zu einem "Fall" und dann gibt es keine weiterführende Antwort dazu.

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    Elie Wiesel

  • hallo birgit, ich danke dir natürlichs ehr für deine antwort. ich wollte zurückantworten, aber im Moment geht bei mir gar nichts. ich bin zwischen dem 3. und 4 Monat schwanger und habe seit wochen übelkeit, durchfall, Übergeben. Ich vermute, dass ich morgen ins Krankenhaus komme und meine Klasse beschäftigt mich zwar, aber ich muss es mir verbieten, daran zud enken. ich werde auf jeden fall schreiben wenn es etwas neues gibt, aber leider kümmert sich niemand um meine klasse, der co-klassenlehrer hat viele andere dinge zu tun. Ich bin bis zu den herbstferien schachmatt und danach wird die Klassenfahrt sein - ich vermute fast, das sich auch da nicht mit kann.
    So habe ich mir das schwangersein leider nicht vorgestellt ;(

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  • Gesundheit geht vor. Ich hab nicht so viel Ahnung von Schwangerschaften, aber vielleicht gibt sich das auch nach den ersten Monaten wieder. Ich drücke Dir auf jeden Fall die Daumen und wünsche Dir erst einmal eine entspannte Ferienzeit.

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    Elie Wiesel

  • so, dank Vomex A geht es mir von Tag zu Tag besser. Zweites Kind wird adoptiert, sowas mach ich nicht nochmal mit:-)


    Also, die Beschreibungen sind zwar detailliert, aber ich habe nicht immer die Vorfälle geschildert, sondern vergleichbare beschrieben.


    Ich war ja jetzt 8 Wochen nicht in der Schule und habe nur erfahren, dass Vanessa nicht mit auf Klassenfahrt fährt, sie hat ein Attest von der Psychologin. Ich weiß nicht, was da alles vorgefallen ist und ob sie wieder in Behandlung ist, aber im Moment kann ich mich auch nicht drum kümmern.


    Die Idee mit dem Mediator finde ich gut, ansonsten werde ich aber sicher nicht die Psychologin kontaktieren oder mich noch mal in Ruhe mit ihr hinsetzen. Ich habe zig Gespräche mit ihr geführt, war geduldig, mitleidig, voller Verständnis. Aber das verhalten legt sie nun schon fast ein Jahr an den Tag und das geht einfach nicht. Ich habe ja auch andere Schüler in der Klasse und kann mich nicht nur um eine kümmern. Ich werde sicher auch nicht den Psychologen für die spielen, das geht mir einfach zu weit. Sie ist über 20 und ich bin ihr so lange entgegengekommen. Natürlich tut sie mir leid und natürlich stecken da andere Dinge hinter. SIe hat eine kühle Mutter, sie kämpft um Aufmerksamkeit, sie schreit eigentlich nach Hoilfe. Aber ich sehe meine Möglichkeiten als begrenzt an und definiere meinen Beruf auch anders, ich bin weder Sozialpädagge noch Psychologe. ich bin Lehrerin. ich möchte nun die Klasse schützen.


    Ich weiß noch nicht, wann ich wieder zur Schule gehe, aber ich hoffe, dass sich die Situation beruhigt hat und ich kein Gespräch führen muss. ich vermute, dass Vanessa die zulassung zur Prüfung nicht schafft, dann wäre ihr letzter Schultag aber auch der der anderen ... so lange kann noch viel passieren ... udn das schlaucht neben der Schwangerschaft, derKlassenlehrertätigkeit, den 25 Stunden und den Klausuren .....

    Einmal editiert, zuletzt von Micky ()

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