Literaturkanon Oberstufe

  • Hallo,
    ich frage einfach mal in die Runde:


    1) Welches Werk (außer Faust!!!) sollten alle Schüler der Oberstufe im Literaturunterricht unbedingt lesen/gelesen haben? Warum?
    2) Was bedeutet für euch "Literarische Allgemeinbildung"?


    Wir hatten an der Uni ein sehr interessantes Seminar über dieses Problem. Aber leider waren keine praxiserfahrenen Lehrer dabei, die uns darüber berichten konnten.


    Ich persönlich finde, dass "Schlafes Bruder" unbedingt gelesen werden sollte. Ich fand das Buch einfach klasse- vor allem den Schreibstil.
    Ein Schüler besitzt für mich literarische Allgemeinbildung, wenn er erklären kann, wieso ihm ein Text gefallen bzw. nicht gefallen hat. Dabei sollten die Merkmale des Textes einbezogen und "bewertet" werden.


    Ich bin gespannt auf eure Antworten..
    Liebe Grüße
    Maria

  • Zitat

    Original von Maria86


    Ein Schüler besitzt für mich literarische Allgemeinbildung, wenn er erklären kann, wieso ihm ein Text gefallen bzw. nicht gefallen hat. Dabei sollten die Merkmale des Textes einbezogen und "bewertet" werden.


    zu 2) Die Fähigkeit, einen Text insgesamt zu analysieren, ist m.E. nach literarische Allgemeinbildung. D.h., Fragen an den Text zu stellen und diese mit Hilfe des Textes (und weiterem Wissen) zu beantworten. Hier meine (nicht vollständige Liste) möglicher Fragen an einen Text:


    Wie wirkt der Text auf mich (bzw. auf den Leser)? Wie wird diese Wirkung erreicht? Warum soll sie möglicherweise erreicht werden? Was sagt der Text alles aus (explizit und implizit)? Wie sagt der Text das aus? Warum sagt er es so und nicht anders? Was sagt der Text über die Epoche in dem er geschrieben wurde? Was sagt er über den Schriftsteller, der ihn geschrieben hat? etc., etc.


    zu 1) Von einem festen Kanon halte ich nix. Aber das ist ja sowieso Ansichtssache. Außerdem bin ich Englisch- und nicht Deutschlehrer.

  • 1) Ach, du gute Güte, eine Kanondebatte. Werden die nach all den Jahren etwa immer noch geführt? ;) Und was ist eigentlich so besonders an "Faust", dass man den mit drei Ausrufezeichen versehen muss?
    Versuch einer Antwort: wenn denn nun der Deutschunterricht unbedingt einen literaturhistorischen Epochenüberblick bringen soll (wovon ich persönlich wenig halte), dann sollte ein Schulkanon typische und rein exemplarisch ausgewählte Vertreter der wichtigen Epochen, gerne in Auszügen!, enthalten. Den Heroen des bürgerlichen Bildungsbegriffes, i.e. der deutschen Klassik, ist dabei kein bevorzugter Platz einzuräumen. In anderen Worten: der Literaturkanon dient nur dem Verständnis der Literaturentwicklung, nicht sich selbst.


    2) Literarische Allgemeinbildung ist für mich die Kompetenz, beliebige erzählende, lyrische und epische Texte (erweiterter Textbegriff, d.h. das Medium ist gleichgültig) frei zu rezipieren und zu kontextualisieren. D.h. ich verstehe beim Lesen/Zusehen/Zuhören nicht nur, was mir gesagt wird, sondern erkenne im Vorbeigehen die Anspielung, die in z.B. "Dr. House" auf den griechischen Mythos gemacht wird, bzw. das intertextuelle Spiel in den "Simpsons" oder in Joyces "Ulysses", ohne dass man es mir umständlich erklären muss. Die Fähigkeit zur formalen Literaturanalyse gehört für mich nicht dazu - die ist ohne eine didaktische Reduktion, die man im wirklichen Leben überwinden sollte...


    Nele


    P.S. "Schlafes Bruder" habe ich trotz eines literaturwissenschaftlichen Magisterabschlusses nicht gelesen - ist der wirklich unverzichtbar? ;)

    3 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Vielen Dank für eure Antworten.
    Ich muss auch zugeben, dass ich selbst nicht genau verstehe, wieso Faust derart in den Himmel gelobt wird und unbedingt in der Oberstufe auseinander genommen werden muss. Ich hab deshalb Faust hier in dem Beitrag ausgeschlossen, weil ich eigentlich erwartet habe, dass viele Lehrer Faust für unverzichtbar einstufen würden. Deshalb bin ich auch etwas überrascht ;)
    Vielleicht war meine Frage etwas ungeschickt formuliert. Ich wollte keine Kanondiskussion "anzetteln", da ich selbst einen Kanon für unnotwendig halte. Ich finde, dass es so viele Bücher gibt, die zur literarischen Allgemeinbildung beitragen können und vor allem es verdient haben im Unterricht behandelt zu werden. Außerdem glaube ich, dass es mich später als Lehrer langweilen würde, mit jeder Oberstufe die gleichen Bücher durchzusprechen. Die Schüler sollten lieber einen "Fahrplan" gemeinsam entwickeln, wie man Zugänge zur Literatur finden kann, wie man Literatur verstehen und deuten kann. Dafür braucht man - denke ich- keinen Faust.
    Wir haben im Seminar auch festgestellt, dass Faust eigentlich viel zu schwer ist für eine Oberstufe bzw. die für die Behandlung des Werkes veranschlagte Zeit oft viel zu kurz ist um ein so komplexes Werk zu besprechen und vor allem zu verstehen. Es wäre viel besser thematische Schwerpunkte zu setzen und nicht chronologisch vorzugehen...
    Ich versuche noch einmal die Frage besser zu stellen 8) : Welches Werk trägt zur Entwicklung von lit. Allgemeinbildung in der Oberstufe bei? Welches Werk haltet ihr für die Oberstufe besonders passend? Was spricht die Jugendlichen an?
    Und wenn ich von mir ausgehe, hat mich und auch viele anderen im Kurs Schlafes Bruder fasziniert und wir haben uns gern mit dem Buch und mit dem Film beschäftigt ;) Ich denke aber auch, dass das Buch auf keinen Fall unverzichtbar ist und durchaus durch andere ersetzt werden kann...
    Liebe Grüße
    Maria

  • Irgendwie bin ich in der Schulzeit um den Faust drumrumgekommen. Was haben wir gelesen?
    ein Halbjahr "Frauenliteratur":
    Effi Briest. (würg).
    "Guten morgen, Du Schöne" (da ging's um Soziolekt und so)
    "Mutter Courage und ihre Kinder" (Brecht)


    Themenkreis Rhetorik: Goebbels, Hitler, Churchill, Cato, Cicero. fand ich sehr bildend.
    Außerdem massenweise Artikel aus der FAZ, der Zeit und der Süddeutschen. Satiren, Glossen, Reportagen ...
    Kaspar (Peter Handke) *schüttel* *schauder*


    Sprachgeschichtliches, sehr spannend. Merseburger Zaubersprüche, Bibel-Interlinearversionen, Minnelieder, Nibelungenlied (Ausschnitte) Walter von der Vogelweide, Lessing, Heine, Kästner - bis hin zu moderner "Lyrik", die kaum noch aus Sprache bestand (immer brandaktuell: Die FAZ hatte im Feuilleton so eine Lyrik-Serie, damals, in den 70-ern)


    "Klassiker"
    Schillers Dramen (Don Carlos, Maria Stuart, Wilhelm Tell) - war aber wohl eher in der Mittelstufe, je nachdem, was das Stadttheater so auf dem Spielplan hatte. War interessant.
    "Besuch der alten Dame" (oder so ähnlich, Dürrenmatt)
    Peter Weiss: "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats ..." *grusel*
    Von dem Ding weiß ich nur noch, dass es grausig war.
    Thomas Mann: Der Zauberberg. langweilig.

  • Zitat

    Original von Quereinsteiger
    Thomas Mann: Der Zauberberg. langweilig.


    Der "Zauberberg" ist auch WIRKLICH nichts für Jugendliche. Auch nicht - obwohl in der Schule sehr beliebt - "Mario und der Zauberer" oder "Tod in Venedig". Der arme Thomas Mann, der hat mit seinen feinsinnig-perfiden Zeichnungen wirklich nicht verdient, für den Schulgebrauch brachial runtergedummt zu werden... ;)


    Nele

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