Vielleicht hätte es mir ja bereits zu denken geben müssen, als mir der nass-braun-floddrig-schmutzige Softball heute Morgen, bei Betreten des Schulhofs, mit voller Wucht ins Gesicht geriet.
Und die daraufhin wenig zartfühlenden Kleinjungenhände, die versuchten, den ekligen Glibberschmutz aus meinem Gesicht zu wischen – was zur Folge hatte, dass der Schmutz in dicken Knubbeln und kleinen Rinnsalen meinen Kragen hinein und abwärts lief – waren auch nicht unbedingt vielversprechend.
Aber von so ein wenig Schmodderschmutz lasse ich mich grundsätzlich ja eher weniger beeindrucken und so nutzte ich die 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn für eine kleine, wenn auch wenig erfolgreiche Reinigungsaktion.
Mit dem Schellen stürzte ich aus der Toilette und rannte kurz eine Kollegin nieder, die das Ganze glücklicherweise unbeschadet überstand, mich aber dezent darauf hinwies, dass aus meiner Nase sturzbachweise Blut laufen würde.
Schnell raffte ich ein Tempo aus tiefsten Taschentiefen und hielt es mir elegant unter die Nase.
Beim Betreten des Schulhofs empfing mich nun zwar kein dreckiger Ball mehr, dafür aber begleitete mich eine Horde Kinder, deren Fragen und Ausrufe stakkatoartig auf mich einprasselten:
„Wie siehst du denn aus?“
„Hasse dich gekloppt?“
„Iiiiiih, das ist eklig!“
„Was ist denn passiert?“
„Bist du krank?“
„Boaaah, cool, ey, die hat sich gekloppt.“
„Geil. Richtig geil!“
„Oh nein das sieht ja scheußlich aus“
„Boah, scheiße, ey!“
„Ich glaub ich muss kotzen!“
Gelassen schritt ich meines Weges, so gelassen, wie man eben sein kann, wenn Blut aus der Nase rauscht und Dreck den Rücken hinunter rinnt.
Kurz vor der Klasse, „meine“ Kinder waren alle voll des laut geäußerten Mitleids mit mir, fing mich eine Mutter ab.
In der einen Hand meine Tasche, die andere mit Taschentuch unter die Nase gepresst, hörte ich konzentriert zu, wie sie mir erklärte:
„Bitte, diese Tropfen muss A. gegen 11.30 Uhr nehmen, 20 Stück. Gegen 12.00 Uhr dann zwei von diesen Tabletten und kurz bevor die Kinder nach Hause gehen bitte einmal den Hustensaft!“
Während ich versuchte, ein mich dauernd am Rückenteil meiner Jacke ziehendes Kind dazu zu bewegen, wenige Schritte von mir zu weichen, versuchte ich die Anweisungen der Mutter wahrzunehmen.
„Und bitte!“, erwähnte sie noch „Es ist wirklich dringend!“
Das Ziehen an meiner Jacke nimmt derweil vehemente Züge an und ich gestehe, das
„Mir ist übel!“ des ziehenden Kindes eher weniger wahrzunehmen.
Infolgedessen, ich drehe mich gerade eben um, schwallt eine Menge übelriechendes Erbrochenes über meine Füße und ich überlege kurzzeitig, ob ich mich vielleicht bei
„Versteckte Kamera“ befinde.
Die Kinder meiner Klasse geraten in leichte Hysterie und überbieten sich in IIIIIIIHHHH Rufen, während ich versuche, das sich weiterhin übergebende Kind zu trösten.
„Ich geh lieber!“ ruft die Mutter „Sind sie gut und denken an die Medikamente?“
Aber sicher. Kein Problem. Sollte ich bis dahin noch leben.....
An meinem Rücken bröckelt der angetrocknete Schmutz , als ich mich bücke, um die diversen Körperflüssigkeiten vom Boden - und: nicht zu vergessen, meinen Schuhen – zu wischen.
Die Kinder sitzen an ihrem Platz, das kranke Kind auf meinem Schoß, derweil ich versuche, dessen Mutter mittels handy zu erreichen.
Die Klassenzimmertür öffnet sich und unsere Sekretärin schiebt acht bis zehn Erstklässler in unsere Klasse.
„Die Kollegin ist erkrankt. Sind Sie bitte so lieb?“
Aber immer.
Die neuen Kinder geraten kurzzeitig ebenfalls in leichte Hysterie, zum einen, weil der Gestank nicht angenehm, zum anderen weil ich höchstwahrscheinlich so einen wenig vertrauenserweckenden Eindruck vermittle.
„Ich kann das nicht riechen! Da muss ich kotzen!“, versucht ein Kleiner dem Grauen noch zuvor zu kommen, doch da schwappt es schon quer über den Tisch und – oh schauder – über die bereits heraus geholten Hefte einiger Kinder.
Das Kind auf meinem Schoß heult.
Das Kind, das sich gerade übergeben hat heult noch lauter.
Die anderen Kinder schreien wahlweise:
„Iiiiiihhhgitt, das ist ja eklig!“
bzw.
„Boaah, voll cool, wir ham ne Epimi!“
Meine Nase schwillt zu und ich will nach Hause.
Doch was predigte mir neulich eine nie Lehrerin Gewesene:
„Pädagogische Gelassenheit ist das A und O!“
Geübt im Wegwischen von Körperflüssigkeiten entledigen wir uns kurz derselben, ordnen die Tische neu, öffnen die Fenster.
Ein Klopfen an der Tür, freudig schaue ich auf, in der Hoffnung, das erste sich übergebende Kind wird abgeholt.
Aber es ist erneut die Sekretärin.
„Sie kriegen doch heute die neue Praktikantin! Das hier ist Frau K.“
Frau K. schaut sich naserümpfend um, bekundet dann lauthals:
„Uah, das kann ich nicht riechen, da wird mir übel!“ und rennt hinaus.
Auch die Sekretärin findet es bei uns wenig anheimelnd. Wie gut, dass ich mittlerweile nichts mehr riechen kann, anstelle einer Nase habe ich einen undefinierbaren Riesenklumpen im Gesicht.
„Du siehst echt richtig scheiße aus!“ bekundet ein Kind zartfühlend sein Mitgefühl und die anderen Stimmen lautstark zu.
Ich versuche die Eltern vom zweiten sich übergebenden Kind zu erreichen, was zunächst daran scheitert, dass das Kind nur seinen Vornamen kennt und natürlich auch nicht seine Telefonnummer.
Während die Klasse sich an die Freie Arbeit begibt, lösen wir das Telefonproblem und eine nette Ansage springt mir ins Ohr:
„Es ist Freitag Morgen, Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass wir JETZT ans Telefon gehen! Bitte hinterlassen Sie......!“
Brav hinterlasse ich im nasalen Singsang:
„Trotz Freitag Morgen hat sich Ihr Kind gerade übergeben. Es wäre nett, wenn Sie es in Raum X abholen könnten....“
Ich lege ein klein wenig angenervt auf.
Der Schultag kann beginnen!
Kaum sitzen wir im Stuhlkreis um die Geschehnisse des frühen Vormittages verbal aufzuarbeiten, als ein Feueralarm durch das Schulgebäude schrillt.
Da kein Probealarm angekündigt war, wallt sekundelange Panik in mir auf.
„Klassenbuch!“ dröhnt es in meinem geplagten Schädel. (Nicht, dass das jetzt entscheidend gewesen wäre, aber ich trage ein Feueralarm-Klassenbuch-Trauma mit mir herum, seit ich bei meinem ersten Probealarm als richtige Lehrerin gewagt hatte, selbiges im Klassenraum zu vergessen.)
Klassenbuch geschnappt, Kinder aufgestellt, Fenster geschlossen.
Los geht’s.
„Ich komm nicht mit!“, heult da ein Erstklässler auf und hält sich angstvoll an einem Tisch fest. „Ich komm nicht mit, da ist Feuer!“
Die anderen Kinder drehen sich um, um mitfühlend geäußerte Kommentar wie:
„Ja, Feuer ist echt gefährlich!“ bestärken den Entschluss des Kindes und seinen Willen nicht mitzukommen.
Ich weiß ja jetzt nicht, aber für pädagogisches Feingefühl fehlte mir ein wenig die Muße und so nahm ich das Kind mehr oder weniger auf den Arm.
Kein cooler Erstklässler lässt sich so mirnichtsdirnichts auf den Arm nehmen und so boxte das kleine angstvolle Wesen mich.
Nicht, dass meine Nase noch dicker hätte werden können, aber reichlich Blut hatte ich noch zu bieten........
„Frau S. wann muss ich meine Medizin nehmen?“ fragt mich ein anderes Kind schüchtern und das ist der Punkt wo ich darum bete, dass das Wochenende beginnt......
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In diesem Sinne wünsche ich allen ein wunderschön entspanntes Wochenende!
Liebe Grüße
von Eisbeutelnase strubbelsuse