Bücherverbrennung

  • Mir ist zu Ohren gekommen, daß in nicht geringer Zahl Schulbibliotheken (auch von weiterführenden Schulen) alle Bücher aussortieren und wegschmeißen, die in bewährter Rechtschreibung gesetzt sind. Habt Ihr einschlägige Erfahrungen?


    Ich finde, was immer man von der Rechtschreibreform und ihrer Verbindlichkeit für die Schule halten mag, ist es doch einfach eine Kulturschande, alle Bände auf den Müll zu werfen, die älter als zehn Jahre sind bzw. von einem Autor geschrieben wurden, der sich nicht dem Diktat der Kultusministerkonferenz unterwirft.


    Thomas Mann, Walter Kempowski, Max Goldt, Joachim Fest, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Böll, Robert Gernhardt u. v. a. m. - hinfort in den Ofen damit?! Das kann doch einfach nicht wahr sein.

  • Ich kann jetzt nix zu den "großen" Schriftstellern sagen, aber per Erlass ist es uns untersagt Bücher in alter Rechtschreibung in den Schülerbüchereien/Klassenbüchereien zu haben.... Als ob sich die Kids die Rectschreibung durch einmal lesen einprägen würde- schön wärs :rolleyes: Da ich für unsere Schulbücherei zuständig bin, haben wir gerade fleißig aussortiert (und für 50ct je Buch an die Schüler weiterverkauft). Glücklicherweise konnten wir sehr viele gelder "locker machen", sodass unsrer Bücherei nun besser bestückt ist als vorher...
    Ja, wir mussten alles alte rauswerfen...


    P.S. In den Klassenbüchereien werden wir die Bücher in alter Rechtschreibung vor der nächsten Inspektion in Kisten verpacken und anschließend wieder auspacken...

  • Das ist ja unfassbar!


    Vergleichbares ist mir aus NRW nicht bekannt, und selbstredend arbeiten wir mit Texten in älterer Rechtschreibung. (In einer der letzten Klausuren habe ich den Schülern sogar Schopenhauer in der Rechtschreibung von 1863 zugemutet. Sie müssen doch mit kulturellen Artefakten zurechtkommen können, die vor 2005 entstanden sind?!)

  • Nun haltet den Ball mal flach ....


    Auch an unserer Schule sind die alten Schulbücher rausgeflogen. Weltliteratur bleibt selbstverständlich im Regal. In Grundschulbüchereien steht in der Regel auch kein Schopenhauer. Zudem wird es in der regel so gehandhabt, wie Schmeili das berichtet - die Bücher werden wohlfeil abgegeben - Verbrennen wäre schon aus Emmissionschutzverordnungs-Gründen verboten ;)

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Hallihallo,
    mir ist nichts davon bekannt, dass wir keine Bücher in der Schülerbücherei haben dürfen in alter RS - wir haben sogar noch Lektüren im Klassensatz in alter RS, und die werden benutzt. Die Kinder dürfen aber mit Tinte die "Fehler" verbessern.
    Und es ist ja ein Witz, wenn ein Kind aus der Bücherei kein Buch mit alter RS ausleihen darf, wohl aber für 50 Cent kaufen ...
    Naja, und eine Bücherverbrennung kommt wohl auch aus anderen Gründen nicht in Frage!
    Gruß venti :)

  • Dann ist da also tatsächlich etwas dran. Furchtbar...


    An Schmeili: Kannst Du mir den Erlaß mal zeigen? Ist der nur für den Dienstgebrauch, oder darf man den im Internet veröffentlichen? Ich bin erschüttert darüber. Ich halte das für einen Skandal.
    Schön, daß Eure Bibliothek gut bestückt ist. Aber stell' Dir mal vor, Ihr hättet genauso viel Geld bekommen, um die Bücherei zu modernisieren, ohne den Altbestand aussortieren zu müssen - was hättet Ihr dann für eine tolle Bibliothek haben können?!
    Und gut, daß Ihr die alten Bücher, die Ihr noch habt, versteckt. Ist es denn tatsächlich so, daß Inspektoren die ausliegenden Bücher nach der Art der Orthographie durchsehen? Das ist doch mittelalterliche Hexenjagd.
    Wie geht das Aussieben und Prüfen eigentlich vonstatten? Ich vermute - durchaus pessimistisch -, daß wegen der Menge die einzelnen Bücher kurz gesichtet werden. Ist das Heyse-S gesetzt, darf's bleiben, bei Adelung fliegt's raus. Ich hoffe, ich irre mich...


    An philosophus: Toll, das mit Schopenhauer! Und hatte ein Schüler Verständnisschwierigkeiten, die an der Rechtschreibung lagen?! Na, also...


    An alias: Nein, ich halte den Ball in dieser Frage nicht flach. Hier wird systematisch Literatur vernichtet. Das ist schon schlimm genug; der Auslöser aber ist lächerlich - eine nicht erlaßkonforme Rechtschreibung.
    Du sagst, Weltliteratur bliebe im Regal. Wer definiert denn, was Weltliteratur ist? Was ist da maßgeblich? Eine hohe Auflage, ein namhafter Autor, oder müssen es hohe Auszeichnungen sein? Und fliegt das Heimatalbum des alten Dorfpfarrers raus, weil es 1983 erschienen ist und den Autor heute keiner mehr kennt?
    Darüber hinaus finde ich es schade, daß Dir der Ausdruck "Bücherverbrennung" offenbar nicht als historischer Begriff geläufig ist; dann hättest Du Dir den Scherz mit den Emissionen wohl gespart...



    An alle: Ich rufe Euch dazu auf, alles beamtendienstrechtlich mögliche zu tun, um so einen Kulturfrevel zu verhindern.

  • Zitat

    [i]


    Darüber hinaus finde ich es schade, daß Dir der Ausdruck "Bücherverbrennung" offenbar nicht als historischer Begriff geläufig ist; dann hättest Du Dir den Scherz mit den Emissionen wohl gespart...
    .


    Wenn du hier den Begriff "Bücherverbrennung" verwendest, setzt du das Aussortieren alter Bücher mit dem gleich, was historisch WIRKLICH mit diesem Begriff zusammenhängt. Mir ist der Zusammenhang sehr wohl geläufig und ich finde den Begriff hier fehl am Platz.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Zitat

    Original von MagPol
    Dann ist da also tatsächlich etwas dran. Furchtbar...


    An Schmeili: Kannst Du mir den Erlaß mal zeigen? Ist der nur für den Dienstgebrauch, oder darf man den im Internet veröffentlichen? Ich bin erschüttert darüber. Ich halte das für einen Skandal.
    Schön, daß Eure Bibliothek gut bestückt ist. Aber stell' Dir mal vor, Ihr hättet genauso viel Geld bekommen, um die Bücherei zu modernisieren, ohne den Altbestand aussortieren zu müssen - was hättet Ihr dann für eine tolle Bibliothek haben können?!
    Und gut, daß Ihr die alten Bücher, die Ihr noch habt, versteckt. Ist es denn tatsächlich so, daß Inspektoren die ausliegenden Bücher nach der Art der Orthographie durchsehen? Das ist doch mittelalterliche Hexenjagd.
    Wie geht das Aussieben und Prüfen eigentlich vonstatten? Ich vermute - durchaus pessimistisch -, daß wegen der Menge die einzelnen Bücher kurz gesichtet werden. Ist das Heyse-S gesetzt, darf's bleiben, bei Adelung fliegt's raus. Ich hoffe, ich irre mich...


    Ich habe im Internet geschaut, aber ich weiß nicht (habe zumindets nix gefunden) ob die Erlasse in Hessen auch irgendwo online stehen. Aber ich schaue morgen bzw. Montag bei der Konferenz wo der ist und kopiere oder scanne ihn.


    Naja, ohne diesen Erlass hätten wir diese Gelder für die Bücherei nicht bekommen ;)


    Man wei´ß es nicht, ich kann es mir nicht vorstellen, dass da irgendein Inspektor drauf Wert legt. Aber man glaubt gar nicht wie panisch Schulleiter bei dem Wort "Schulinspektion" werden können :rolleyes: Anfangs tun sie immer noch ganz cool und sagen "Ach, wir machen uns keinen Stress, alles so wie immer" aber wehe der Termin naht 8)


    Zum einen einfach nach Erscheinungsjahr. Alles was älter als 1996 war ist grundsätzlich rausgeflogen und ich meine mich zu erinnern: ab 1998 kamen dann langsam die ersten in neuer Rechtschreibung. Oftmals steht es vorn in den Büchern drin, ansonsten haben unsere fleßigen Büchereimütter alle Bücher durchgesehen... Wobei man natürlich sagen muss, dass wir eine relativ kleine Grundschule sind (10 Klassen).

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Wenn du hier den Begriff "Bücherverbrennung" verwendest, setzt du das Aussortieren alter Bücher mit dem gleich, was historisch WIRKLICH mit diesem Begriff zusammenhängt. Mir ist der Zusammenhang sehr wohl geläufig und ich finde den Begriff hier fehl am Platz.

    Das sehe ich aber auch so! Mit der systematischen faschistischen Vernichtung von "undeutschem" und "nichtarischem" Kulturgut durch eine der grausigsten Ansammlungen von Gehirngewaschenen, die es jemals in der Gechichte gegeben hat, hat dieses hier, wie bedauerlich es auch immer sein mag, nix zu tun und solch ein Vergleich lässt das grässliche Ereignis 1933 in einem verharmlosenden Licht dastehen.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Darüber, dass der Begriff "Bücherverbrunng" deplaziert und inhaltlich falsch ist, besteht wohl Konsens. Um Bücherverbrennung handelt es sich, wenn unliebsame Gedanken bzw. die Träger dieser Gedanken in einem symbolischen Akt vernichtet werden sollen, indem die gedruckte Niederschrift verbrannt wird. Den Begriff sollte man verwenden, wenn es sich um eine Bücherverbrennung handelt, und nur dann.


    Abgesehen davon, durch meinen beruflichen Werdegang - ich bin Literaturwissenschaftler - habe ich immer ein ungutes Gefühl, wenn Bibliotheken Bestände aufgeben. Das muss man sorgfältig und im Einzelfall abwägen.


    Handelt es sich um Texte zum Lesenlernen? Oder leicht zu beschaffende Kindererzählungen ohne wirklich bleibenden Wert? Das kann man sicherlich ohne weiteres austauschen. (Und die Pipi Langstrumpf-Bücher aus der Kinderzeit der Lehrer? Mhm...)


    Aber spätestens in der Sekundarstufe I wäre eine Bereinigung der Schulbibliothek ja auch der Versuch, die Wirklichkeit zu verändern, weil sie nicht zu didaktischen Forderungen passt. In der Schulbibliothek des Gymnasiums, in dem ich zur Schule ging, standen Bücher der Jahrhundertwende - in Fraktur gedruckt und in seltsamer Rechtsschreibung; es gab da Titel in dem seltsamen Satz der 50er Jahre. Das war für mich als Schüler eine wichtige Erfahrung im Umgang mit Büchern - dass es da um lange Zeiträume geht, um Veränderung im Denken und in der Darstellung des Denkens. Das staunende Gefühl "Oh, so ein altes Buch..."


    Man muss da wahrscheinlich wirklich den jeweiligen Nutzen gegeneinander Abwägen - die Möglichkeit, dass Schüler durch unklare Orthographie verwirrt werden gegen die Möglichkeit, eine weitere Bildungserfahrung zu machen.


    Nele

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Nur, um das Ganze auch rechtlich auf die richtige Basis zu stellen:


    Zitat

    Gemeinsame Verwaltungsvorschrift der Ministerien über die Verwaltung des Schriftguts der Behörden, Dienststellen und sonstigen Einrichtungen des Landes (VwVSchriftgut) Vom 4. Mai 1998


    5.) Bücher, amtliche Drucksachen und sonstige Druckschriften sind, sobald sie bei den Vorgängen, zu denen sie gehören, nicht mehr benötigt werden, in der Regel der Bücherei zu übergeben. Werden solche Druckschriften später ausgeschieden, sollen sie zunächst der zuständigen Landesbibliothek
    angeboten werden. Macht diese innerhalb von sechs Wochen von dem Angebot keinen Gebrauch, so sind sie dem zuständigen Staatsarchiv anzubieten. Übernimmt sie auch dieses nicht, sind sie zu entsorgen. Auf die Anordnung über die Abgabe amtlicher Druckssachen an öffentliche Bibliotheken vom 20. November 1969 (GABl. S. 806) wird hingewiesen.


    http://www.km-bw.de/servlet/PB…Schriftgut-Endfassung.pdf


    Schulen sind Behörden des Landes wie alle anderen Behörden auch.
    Einfach verbrennen wäre in Baden-Württemberg ein Rechtsverstoß und strafbar ;)

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

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