Mit ihren weißen Haaren, dem zartrosa Kostümchen und beinahe schwebend betritt die Referentin engelsgleich den
Raum.
Zwanzig Lehreraugenpaare richten sich auf jene Dame, die uns nun einen Nachmittag lang das Fördern einzelner Kinder nahe bringen möchte.
Eingequetscht auf Erstklässlerstühlen, die Beine mühsam unter die niedrigen Tische gequetscht warten wir begierig auf das, was da kommen mag.
„Guten Morgen“, haucht die Dame pastoral „wie schön, dass wir alle beieinander sind!“
„Schauen Sie!“ geht es nach einer kurzen namentlichen Vorstellung ihrerseits weiter „ich reiche allen Schülern morgens grundsätzlich meine rechte, die waffenfreie Hand. Damit setze ich bewusst das Zeichen für Friedfertigkeit und beuge jedem Streit vor. Wir wollen das auch einmal versuchen!“ ordert die Dame an und schüttelt beflissen jedem von uns die Hand.
„Hallo, ich bin YX, ich reiche dir meine rechte, waffenlose Hand!“
Bereits jetzt kann ich den pastoralen Singsang der Dame kaum ertragen, spiele das Spielchen aber mit. Man möchte sich nicht schließlich in den ersten vier Minuten als Hauptbedenkenträger zu erkennen geben.
„Wenn Sie jedes Kind morgens per Handschlag begrüßen, werden Sie in der Pause kaum mehr Hader und Zwist beobachten können. Denn die rechte, unsere waffenfreie Hand, gibt so bereits Ausdruck darüber, dass wir in friedfertiger Absicht gekommen sind!“
„Ich bin aber Linkshänderin!“, wagt eine Teilnehmerin anzumerken und wird sofort mit einem unwirschen Blick gestraft.
<pastoraler Singsang on>„Sehen Sie, wenn Sie mir Ihre linke, ich Ihnen meine rechte Hand gebe, so passen diese nicht ineinander. Nur zwei rechte Hände passen wunderbar zusammen, probieren Sie es doch einfach mal aus!“</pastoraler Singsang off>
Neben mir summt ein Teilnehmer frei nach Grönemeyer: „....meine Faust will unbedingt in ihr Gesicht und darfs nicht.....“
Die ersten zehn Minuten sind um.
Die Dame betont, dass es wichtig für das Schulleben sei, dass jeder Kollege und jede Kollegin jedem Kind der Schule morgens die rechte – und wie wir mittlerweile ja wissen WAFFENFREIE - Hand zu reichen.
Nur so erhält das Signal eben auch Signalwirkung.
Ich rechne kurz aus, wann ich an der Schule sein muss, um allen 240 Kindern die Hand zu schütteln und versuche krampfhaft mir einen organisatorischen Trick einfallen zu lassen, um Engpässe an der Schuleingangstür zu vermeiden.
Und was mache ich mit den Kindern, die zur zweiten Stunde kommen?
Ich stelle mal – recht provokativ,ich bekenne es - die Frage: „Wie funktioniert das denn Organisatorisch?“
<pastoraler Singsang on>“Nun, Sie gehen raus und geben jedem Kind die Hand! </pastoraler Singsang off>
Die Dame wirkt leicht irritiert ob meiner wirklich zu blöden Frage und runzelt angenervt die Stirn.
„Ich schaffe es nichtmal allen 120 Kollegen die Hand zu schütteln!“ wagt ein Berufsschullehrer anzumerken und das erheiternde Lachen aller Teilnehmer verunsichert die Referentin, die zu bedenken gibt:
<pastoraler Singsang on>“Nun, an unserer Grundschule gibt es insgesamt immerhin auch 84 Kinder. Und dennoch regelt sich das wunderbar!“ </pastoraler Singsang off>
Das ist der Augenblick, in dem ich beschließe diese Fortbildung nicht mehr ernst zu nehmen.
Ich bin recht froh über die Tatsache, dass mein Stuhl unmittelbar vor einem Plätzchenteller steht und vertreibe mir die Zeit zunächst mit Plätzchenessen.
Aber, selbstverständlich werden wir direkt wieder gebeten ins Kleinkindalter zurück zu fallen, und müssen Fingerspiele nachmachen:
„Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen......“
Uns wird das Ganze dann als individuelle Förderung für LRS Kinder verkauft und ich stelle mir bildlich vor, wie ich anfänglich pubertierende Viertklässler demnächst mit „Hast nen Taler, gehst zum Makrt, kaufst ne Kuh.....!“
beglücken werde.
„Wäre es nicht sinnvoller, im Grundschulalter auf das Sprechzeichnen zurück zu greifen?“ frage ich und ernte erneut einen bitterbösen Blick.
<pastoraler Singsang on>“Wir reden hier über jahrhundertlang bewährte Alternativen. Im Übrigen kann ich zum Sprechzeichnen nichts sagen, der Begriff ist mir fremd!“ </pastoraler Singsang off>
Die Berufsschullkollegen in unserer Runde geben zu bedenken, dass es nicht unbedingt eine berufsschuladäquate Übungsform sei, Fingerspiele mit den 16 Jährigen zu machen.
Aber so wird Ihnen erklärt:
<pastoraler Singsang on>“Fragen Sie mal, ob ihre Schüler früher gekrabbelt sind als Baby. Sind sie nicht. Alle Kinder mir LRS sind nicht gekrabbelt. Alle Kinder, die nicht krabbeln haben später Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten!“ </pastoraler Singsang off>
„Also mein Sohn ist nie gekrabbelt und hat gerade sein Abitur mir 1,3 gemacht!“ wirft eine Teilnehmerin ein.
<pastoraler Singsang on>“MEIN Sohn hat das Krabbeln als Entwicklungsstufe auch übersprungen, aber er hat dafür jahrelang voltigiert und dann schließlich ein 1,1 Abitur gemacht!“ </pastoraler Singsang off>
Gut, dass wir das geklärt haben.
„Jetzt ist der Sohn wahrscheinlich schwul!“, raunt mir mein Sitznachbar zu und ich fange an kindisch zu kichern.
<pastoraler Singsang on>“Nun, es scheint, als bräuchten Sie wieder eine Spielsequenz!“, resümiert die Dame. </pastoraler Singsang off>
Wir stellen uns nun artig zu zweit gegenüber. Auf den Hacken laufen wir mit geschlossenen Augen fünf Schritte zurück, um anschließend mit geöffneten Augen wieder unserem Partner entgegen zu laufen.
Gut, ich habe jetzt ein klein wenig Probleme mit meinen hochhackigen Stiefeln auf Hacken zu laufen, aber der gute Wille allein zählt und so schwanke ich rücklings und meine Partnerin fragt mich, ob ich schon einen gehabt hätte.
Ich bekunde Gegenteiliges, gebe aber zu bedenken, dass diese Fortbildung leichter zu ertragen wäre, wenn ich doch einen gehabt hätte.
Das ist der Augenblick, wo die Dame mich als Hauptbedenkenträgerin und Querulantin einstuft.
Fortan werde ich sträflich ignoriert.
Nicht, dass mir das viel ausmachen würde.
Ärgerlich allerdings die Tatsache, dass unser Plätzchenteller schon leer ist.
Wir erfahren, dass die Kinder keine Körperspannung aufbauen können und üben aus diesem Grunde den Stopptanz.
Mal ganz was Neues.
Zwischendurch legen wir Daumen und Zeigefinger dreieckförmig an die Stirn. Pressen die Finger förmlich an die
Stirn, schließen dabei die Augen und staunen darüber, wie sehr sich die Welt verändert hat, wenn wir die Augen jetzt wieder öffnen.
Wir erfahren, ganz nebenbei, dass die Dame ein Buch verfasst hat.
[Mensch, und rein zufällig hat sie gleich 724 Exemplare mitgebracht, falls wir für uns und unsere Freunde....]
Es ist mir zwar schleierhaft, wieso man aus dem selbstverfassten Buch vorlesen muss und seinen Vortrag nicht frei halten kann, aber nach dem, was die Dame von sich gibt, liegt das Schreiben des Buches vielleicht auch schon ein paar Jährchen zurück. Da kann man sich wahrscheinlich nicht mehr so gut erinnern.
Natürlich dürfen wir auch noch in Gruppen arbeiten. Natürlich müssen wir dazu in dem Buch blättern und natürlich müssen wir Zitate liefern.
Nach vier Stunden habe ich folgendes gelernt:
• man darf auch den letzten Keks vom Teller nehmen, wenn man sich in einer verzweifelten Lage befindet
• die Dame hat einen schwulen Sohn mit Einserabi
• die Dame hat acht Jahre lang Elternzeit genossen
• die Dame arbeitet an einer Grundschule mit 84 Kindern
• hochhackige Schuhe taugen nichts beim Hackengang
• alle nichtkrabbelnden Kinder sind blöd
• alle blöden Kinder sind nie gekrabbelt
• Fingerspiele sind das Allheilmittel
• unsere rechte Hand ist waffenfrei
Ich finde, dafür hat es sich gelohnt, 47 Kilometer zu fahren und einen Nachmittag zu opfern.
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Liebe Grüße
strubbelsuse