Anti-Burnout, Reduktion der Arbeitsbelastung, Selbstschutz ... und mehr.

  • Auf einen Wunsch hin:


    Was tun gegen Burnout - meine private Rezeptliste:


    1. Schule ist ein Job und zwar nur ein Job. Ich bin Profi und liefere gute Arbeit für gutes Geld aber das ist es dann auch.


    1a. Weil ich Profi bin, weiß ich auch, dass meine Arbeit immer nur so gut, wie meine Arbeitsbedingungen sein kann. Wenn dann ein Optimum ehrlich und realistisch nicht erreicht werden kann, stehe ich dazu und lasse mir kein schlechtes Gewissen einreden.


    2. Ich will ein Routinier werden. Einfaches Rechenexempel: wenn ich 26 Stunden unterrichte und mich auf jede Schulstunde 60min vorbereite, bin ich schon bei einer 45,5-Stunden Woche. Ohne eine einzige Korrektur, ohne eine einzige Konferenz, ohne eine einzige Pausenaufsicht. Einmal investierte Arbeit muss so oft und so vielseitig wie möglich genutzt werden - deswegen verwende ich dieselben Arbeitsblätter so häufig wie irgendwie verantwortbar, unterrichte die gleichen Themen möglichst parallel etc. Ganz wichtig! Das eigene Materialarchiv in penibler Ordnung halten. Nichts schafft so viel Mehrarbeit wie Unordnung.


    2a. Didaktiktheoretiker, die behaupten das Routinenbildung für Lehrer schlecht sei, weil "sie die Kreativität bremse", lache ich aus. Wenn mir ein Chirurg den Blinddarm rausschneidet oder mir mein Rechtsanwalt aus einer Klemme helfen soll, hoffe ich ja auch, dass die Routiniers sind und nicht ihre Kreativität an mir ausleben.


    3. Ich habe sehr schnell gelernt, dass die Alltagsarbeit so gut wie nichts mit dem zu tun hat, was im Seminar vermittelt wird. Die Referendarsausbildung ist um die Stunden- und Reihenentwicklung herum angelegt. Die spielt im tatsächlichen Lehrerberuf schon aus Zeitgründen eine untergeordnete Rolle. Wenn man die Referendars-Konditionierung zur Übervorbereitung nicht ablegt, ist die Grundanlage zum Burnout schon da. Die reguläre Stunde ist eine Brot-und-Butter-Stunde, Highlights kann ich nicht jeden Tag liefern. In Hocharbeitsphasen auch nicht jede Woche.


    4. Ebenfalls muss man die zweite große Konditionierungsleistung des Referendariats - "der Referendar/Lehrer ist immer schuld" - schon aus Gründen der Psychohygiene über Bord werfen. Das führt nur zu der Paranoia, unter der selbst ältere Kollegen zum Teil leiden.


    5. Nein, ich muss mich nicht für meine Schüler aufopfern. Ich helfe ihnen so gut ich kann, aber es gibt Grenzen.


    6. Ich habe ein Recht auf Freizeit und auf ein Sozialleben. Der Gesetzgeber sieht vor, dass ich 41 Stunden arbeite, nicht mehr. Daran sollte man sich halten.


    7. Nein, die Schule ist nicht wichtiger als meine Gesundheit/meine Ehe/meine Beziehung/meine Kinder/meine Lebenszufriedenheit.


    8. Wenn meine Ärztin oder mein Arzt mich krankschreiben will, dann gehe ich davon aus, dass Gründe dafür da sind, und befolge den ärztlichen Rat. Er ist der Experte, nicht ich. Wenn ich jemandem erkläre, wie man Vokabeln lernt/eine Mathematikaufgabe löst, will ich schließlich auch, dass man man meiner Expertise vertraut.


    9. Ich habe ein Hobby. Mein Hobby ist auch wichtig.


    10. Meine Schulsachen sind in meinem Arbeitszimmer und nur in meinem Arbeitszimmer. Mein Arbeitszimmer hat eine Tür, die ich von außen zumachen kann. Das tue ich regelmäßig und habe deswegen kein schlechtes Gewissen.


    11. Hochschuldidaktiker ohne schulische Berufspraxis, die über Strategien gegen schulischen Burnout reden, ignoriere ich. Ihre Meinung ist mangels persönlicher Erfahrung wertlos.


    11b. In Hilbert Meyers Büchern wird die pragmatische Berufsrealität und die damit verbundenen praktischen Einschränkungen (und sei es der Kopierer, der kaputt ist!) de facto ausgeblendet, sie sind deshalb - von der einen oder anderen guten Idee abgesehen - ebenfalls wertlos.


    12. Ich entwickele einen gesunden Zynismus und versuche die Dinge so zu sehen wie sie sind. Für ideologische Zielsetzungen habe ich nichts als Skepsis übrig. Über Verbandsvorsitzende, die seit Jahren keinen Fuß in die Schule gesetzt haben, aber über den "Traumberuf Lehrer" faseln, schüttele ich bestenfalls den Kopf.


    13. Nein, SIE und "das System" sind nicht hinter mir her. Viele Dinge laufen in der Schule auf katastrophal dumme Weise schief, aber das hat historische und politische Gründe und liegt nicht zuletzt daran, dass jetzt - viel zu spät - endlich die seit Jahrzehnten notwendigen Reformen angegangen werden. Alle leiden, aber das ist normal in Umbruchszeiten. Geduld, die Dinge werden wieder besser werden.


    14. Ich stimme im Lehrerzimmer nicht über das allgemeine Gejammere über die vermeintlich so schrecklichen Schüler ein! Das geht mir nämlich tierisch auf die Eier und zieht mich nur runter. Die Schüler sind schon ganz in Ordnung.


    Was macht ihr?


    Nele

    Einmal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Ich versuche auch zunehmend, mir Grenzen zu setzen.


    Ich arbeite mit einer Kollegin zusammen, mit der ich regelmäßig Material austausche. Jede von uns bereitet ihre Sachen sorgfältig vor und dann hat man ganz gutes Material.


    Ich versuche, öfters auch Themen in mehreren Klassenstufen, dann auf unterschiedlichen Niveaus, ähnlich zu fahren, sodass ich erstelltes Merkblatt auf unterschiedlichen Niveaus habe und nicht alles immer neu habe.


    Ich stelle aber auch fest, dass meine Stunden, wenn ich sie nicht penibel vorbereitet habe, sondern ich eher noch das Gefühl habe, dass ich ein "Loch" habe, oft besser und für alle zufriedenstellender sind, weil ich die Leistungsfähigkeit bzw. das Tempo der Schüler auch öfters überschätze.

  • Schauen, wo man die Stundenzahl reduzieren kann. Andere Aufgaben in der Schule, die keiner Vorbereitung bedürfen, geben teilweise Anrechnungsstunden.


    Parallelklassen verringern die Vorbereitungszeit.


    Computerunterricht ist, wenn man fit ist, fast ein Selbstläufer.


    Themen unter Kollegen aufteilen. Geht aber bei mir eigentlich nur mit meinem Ex-Mentor. Von den älteren Kollegen kommt nicht so richtig viel brauchbares.


    Neleabels Tipps beherzigen. Auch Lehrer haben Freizeit, einen Feierabend und ein Wochenende.


    Gruß und viel Erfolg beim Durchhalten der Vorsätze


    Super-Lion

  • neleabels realistischem Ansatz kann ich nur zustimmen.


    ********WERBUNG GELÖSCHT******* erweitert und systematisiert diesen Ansatz in ihrem Buch********WERBUNG GELÖSCHT*******. Wer sich an ihre Ratschläge hält - sie fordern allerdings eine ideologiefreie Sicht der Dinge -, kann sich vor dem Bournout schützen. Eine wichtige Erkenntnis: Erziehung ist ohne Ausübung von Erziehungsmacht nicht möglich. Machtausübung im pädagogischen Kontext ist den Lehrern aber faktisch untersagt. Das Thema ist tabu. Allerdings: Das Gefühl der Machtlosigkeit ist eine der Hauptursachen des Versagensgefühls, das sich bis zum Bournout steigern kann.


    Helen

    • Offizieller Beitrag

    Ich hab's ausgedruckt und vergrößert und an die Personalratswand gehängt (unter Änderung des Begriffes "auf die Eier" zu "Auf den Zeiger" ;) ) . Die Kollegen standen interessiert davor Schlange und haben diverse Reaktionen gezeigt. Von sich nachdenklich den Bart streichen und "überdenkenswert!" murmeln, bis zu erfreutem Applaus oder erschrockenem "Oh Gott, das ist ja direkt an mich gerichtet!"


    Ich kann den Test nur empfehlen.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    • Offizieller Beitrag

    Nele, das ist klasse! :super::super::super:



    Vielen Dank!



    Ich denke, eine der vielen Gründe für Burnouts ist einerseits das schlechte Lehrerbild in der Gesellschaft, außerdem werden von allen Seiten nur Forderungen gestellt, die wir Lehrer selbstverständlich zu erfüllen haben.
    Fachleiter, die seit Jahren nicht mehr in der Schule waren, erwarten von uns Lehrern, gut zu unterrichten, ohne aber Wege dahin aufzuzeigen (so teilweise erlebt, auch wenn wir glücklicherweise auch im anderen Fach eine hervorragende Fachleitung hatten). Von außen wird man mit netten und arbeitsintensiven Vorgaben wie Zentralen Abschlussprüfungen etc. nur so zugeknallt und da man ja eh schon nicht genug Korrekturen hat, gibt es dort dann ja noch Zweitkorrekturen etc. Nebenbei darf ja kein Unterricht mehr ausfallen, aber die Konferenzen und Zusatzveranstaltungen an Schulen steigen ins Unermessliche. Es gibt von außen keine Unterstützung, wenn Schüler zu Hause Probleme haben, Klassen werden immer größer, gleichzeitig unterrichten in den Schulen immer mehr Lehrer, die dafür gar nicht ausgebildet sind, weil andere Lehrer nicht mehr verfügbar sind...


    Nele, du hast wirklich so Recht!

    • Offizieller Beitrag

    Ich bin auch wirklich begeistert und habe beschlossen, dass dieses Jahr mein Mantra"Nein!" sein wird. Es sei denn, es sind wirklich Dinge, an denen mein Herzblut hängt. Dafür müssen dann andere Dinge, die nicht so dringlich sind, darunter leiden.


    - Wer hat am Samstag Zeit um das erwünschte Lehrerarbeitszimmer in der Schule einzurichten? Ich nicht! (Ohne irgendwem auf den Schlips treten zu wollen, aber ich finde, die Dame, die bei uns Sport und Ethik unterrichtet, hat mit Sicherheit deutlich mehr Zeit für sowas)
    - Frau H. können Sie uns nicht mal eine Probeschulaufgabe geben, damit wir wissen, wie sowas bei Ihnen aussieht? Nö.
    - Der Fehlerschritt ist aber streng im Test. Könnten Sie nicht....? Nein. Ich hab mir was dabei gedacht.
    - Zusätzliche Vokabeltests, damit die Schüler ihre Noten verbessern können? Nein.
    -Gnadenreferate am Ende des Schuljahres? Nein.
    - Von Tutoreninfo, Hausaufgabenbetreuung und Elternbrief müssen Abschnitte eingesammelt werden, möglichst bis vorgestern und dazu kommt noch das Kopiergeld und das Büchergeld- auch das bis vorgestern.
    Nee, wenn ich das nicht fristgerecht schaffe und nichts Dringendes dranhängt, wie zum Beispiel, dass die Hausaufgabenbetreuung sonst nicht anfangen kann, gebe ich die Abschnitte eben drei Tage später ab. Ich hab komischerweise noch nie eins dafür auf den Deckel bekommen.
    - Ein spektakulärer Wandertag mit meiner Klasse am besten noch mit Übernachten (neueste Idee einer Mutter :rolleyes:)- ganz bestimmt nicht. Wir wandern im 10 km Umkreis der Schule, da gibts einen kleinen Fluss, Ausblick auf die Berge und einen Kinderspielplatz. Das muss für die Zwerge reichen. Ende.
    - Muss ich mich ins Getümmel stürzen um unbedingt eine A14 Stelle zu ergattern um jeden Preis. Nö. So habe ich meine Prioritäten nicht gesetzt.


    Außerdem entwerfe ich nicht jede Klassenarbeit neu, sondern hole mir Anregungen aus dem Ordner, den unsere Fachschaftsvorsitzende extra dafür angeschafft hat.
    Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden.
    Und ich bin dieses Jahr entspannt wie selten.
    Liebe Grüße
    Hermine

  • dieser Liste ist völlig komplett! Genial!
    Ich lerne auch jedes Schuljahr etwas Neues dazu! Das Neueste:


    Ich gebe meine Telefonnummer nicht mehr raus! Ich habe zwar eine
    seperate Leitung, aber im letzten Schuljahr hatten die Eltern meine
    Nummer.....böser Fehler! Das Lehrer auch Wochenende haben, war denen nicht so ganz bewusst!


    So uninteressiert manche Eltern in der Sek. Stufe sind, so "panisch"
    sind manche in der Grundschule......!
    Nun ja, dieses Mal gabs meine email-Adresse und das Elternheft.
    Jetzt kann ich antworten....oder auch nicht!
    Wie entspannt ich mich fühle! *seufz*
    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Genial!!!
    Nach vier Jahren mit 6 Tage Woche und 14 Stunden Tagen habe ich im letzten Jahr endlich mal gerafft, dass das Leben nicht nur aus Schule besteht. Jetzt habe ich ein schönes Leben, die Schüler lernen immer noch was und zusammengekracht ist auch noch nichts!
    Werde die Liste auch aushängen - bin mal gespannt, was einige der älteren Kollegen dazu sagen werden!
    Kiara

  • Zitat

    Original von Kiara
    ...
    Werde die Liste auch aushängen - bin mal gespannt, was einige der älteren Kollegen dazu sagen werden!
    ..


    Die haben das doch schon längst 1:1 umgesetzt.....
    Sag ich mal als "älterer Kollege" :)


    Wer nicht zur Erkenntnis kommt: "Besser geht's nicht ... zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand" wird krank. Das Dilemma des Lehrerberufes besteht darin, dass ein Großteil unserer Arbeit im Kopf stattfindet - und wir den immer dabei haben. Wer hier in die Falle tappt und nur noch an die Schule denkt, ist zwar Feuer und Flamme für seine Tätigkeit - aber irgendwann auch ausgebrannt.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    3 Mal editiert, zuletzt von alias ()

  • huhu nele!


    vielen vielen dank! einfach herrlich.


    leider kann ich erst damit anfangen, wenn das ref. um ist.


    hat zufällig noch jemand so eine geniale liste für die referenarszeit?


    gruß
    sinfini

    Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes. (A. Einstein)


    Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und niemand ging, um einmal nach zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge! (H. Pestalozzi)


    Im ganzen ist man kummervoll und weiß nicht, was man sagen soll. (W. Busch)

  • Hi Nele,


    auch ich finde die Liste gut und habe sie bereits an Kolleginnen und Kollegen weitergegeben, vor allem an solche, die immer jammern!


    Vielen Dank dafür!


    LG Lieselümpchen

    Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich! (Afrikanisches Sprichwort)
    :)

  • Hallo Nele,
    ich hab's im Lehrerzimmer ausgehängt - am meisten begeistert war unsere Chefin, von der schöne Grüße ausrichten soll! Das bleibt jetzt immer hängen, damit man ständig dran erinnert wird, meinte sie noch.


    Wie war denn das Echo an den anderen Schulen?


    Gruß venti :)

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